BFH Beschluss v. - V B 29/10

Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide bei nachträglich erkannter fehlerhafter Richtlinienumsetzung

Gesetze: AO § 347 Abs. 1, AO § 355, AO § 172, AEUV Art. 267, EG Art. 10, FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

1Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

21. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) aufgeworfenen Rechtsfragen zur Auslegung des Unionsrechts sind bereits geklärt.

3a) Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt in Betracht, wenn Auslegungszweifel in Bezug auf das anzuwendende Unionsrecht vorhanden sind und im Revisionsverfahren voraussichtlich eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union einzuholen wäre (vgl. , BFH/NV 2008, 390).

4b) Die Klägerin wirft in der Beschwerdebegründung vom mehrere unionsrechtliche Auslegungsfragen auf.

5aa) Sie hält gestützt auf Ausführungen im (Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2009, 60) das Unionsrecht hinsichtlich der Frage für auslegungsbedürftig, ob die Einspruchsfrist (§§ 347 Abs. 1 Satz 1, 355 Abs. 1 Satz 1 der AbgabenordnungAO—) bei einer fehlerhaften Umsetzung der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG durch den Gesetzgeber einer Anlaufhemmung unterliegen müsse, bis der Steuerpflichtige durch ein EuGH-Urteil Kenntnis vom Umsetzungsverstoß erlangen könne.

6bb) Der EuGH müsse ferner darüber befinden, ob die Regelung in § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AO, der eine Änderung rechtswidriger bestandskräftiger Steuerbescheide nach § 130 AO ausschließe, den Vorgaben des unionsrechtlichen Effektivitätsprinzips zuwiderlaufe.

7c) Diese unionsrechtlichen Fragen sind geklärt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat auf sein Urteil vom V R 57/09 (Deutsches Steuerrecht —DStR— 2010, 2400; vgl. auch BFH-Entscheidungen vom XI R 41/08, BFH/NV 2010, 1, und vom X B 41/10, BFH/NV 2010, 1783).

82. Da die Rechtsfortbildungsrevision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO ein Spezialtatbestand der Grundsatzrevision ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom III B 36/06, BFH/NV 2007, 1518; in BFH/NV 2010, 1783), kommt auch die Zulassung der Revision aus den unter 1. dargelegten Gründen nicht in Betracht.

93. Soweit die Klägerin eine Zulassung der Revision zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) begehrt, hat sie nicht —wie erforderlich— die behauptete Abweichung durch das Gegenüberstellen einander widersprechender abstrakter Rechtssätze aus der Entscheidung der Vorinstanz einerseits und einer Divergenzentscheidung andererseits i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt. Die von ihr angeführten Entscheidungen des Schleswig-Holsteinischen (Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1549) und der Vorinstanz stimmen untereinander und auch mit dem Senatsurteil in DStR 2010, 2400 in ihren tragenden Rechtsgrundsätzen überein. Eine Zulassung der Revision zur Vermeidung einer drohenden „nachträglichen Divergenz” (vgl. z.B. , BFH/NV 2003, 291; Senatsbeschluss vom V B 34/08, BFH/NV 2009, 2011) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Der Senat hat die bei ihm anhängigen Verfahren mittlerweile entschieden; damit stimmen die tragenden Rechtssätze des angefochtenen FG-Urteils überein.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 563 Nr. 4
WAAAD-61747