EuGH-Vorlage zu den Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung
Leitsatz
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Erlaubt die Richtlinie 77/388/EWG den Mitgliedstaaten, eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nur dann anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers buchmäßig nachweist?
2. Ist es für die Antwort auf diese Frage von Bedeutung
ob es sich bei dem Erwerber um einen in einem Drittland ansässigen Unternehmer handelt, der zwar den Gegenstand der Lieferung im Rahmen eines Reihengeschäfts von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat versendet hat, aber in keinem Mitgliedstaat umsatzsteuerrechtlich registriert ist, und
ob der Steuerpflichtige die Abgabe einer Steuererklärung über den innergemeinschaftlichen Erwerb durch den Erwerber nachgewiesen hat?
Gesetze: UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1UStG 1993 § 1 Abs. 2 Satz 1UStG 1993 § 1 Abs. 2a Sätze 1 und 3UStG 1993 § 3 Abs. 6UStG 1993 § 4 Nr. 1 Buchst. bUStG 1993 § 6aUStDV 1993 § 17aUStDV 1993 § 17cRichtlinie 77/388/EWG Art. 22Richtlinie 77/388/EWG Art. 28aRichtlinie 77/388/EWG Art. 28b Teil A Abs. 1Richtlinie 77/388/EWG Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1
Instanzenzug: (EFG 2009, 1418),
Gründe
1I. Sachverhalt
2Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist umsatzsteuerrechtliche Organträgerin einer in Deutschland ansässigen GmbH.
3Die GmbH verkaufte im November 1998 zwei Maschinen (nebst Zubehör) an das US-amerikanische Unternehmen A mit Sitz in M/USA. A hatte eine Niederlassung in Portugal, war aber in keinem Mitgliedstaat der Union für umsatzsteuerrechtliche Zwecke registriert.
4Nachdem die GmbH die A aufgefordert hatte, ihre Umsatzsteuer-Identifikationsnummer mitzuteilen, antwortete die A, sie habe die Maschinen an ein Unternehmen (Ltd.) in Finnland (weiter) veräußert und teilte der GmbH die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer dieser Ltd. (FI ...) mit, die die GmbH auf ihre Richtigkeit überprüfte.
5Die Maschinen wurden sodann am von einer Spedition, die die A beauftragt hatte, bei der GmbH abgeholt, nach L (Deutschland) verbracht und am nach Finnland verschifft. Ob A in Finnland einen innergemeinschaftlichen Erwerb erklärt hat, ist nicht festgestellt.
6Über die Lieferung der Maschinen erteilte die GmbH der A unter Angabe der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der finnischen Ltd. am eine Rechnung ohne Umsatzsteuer.
7Die Klägerin behandelte diese Lieferung in ihrer Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 1998 (Streitjahr) als steuerfrei.
8Dagegen sah der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Lieferung als steuerpflichtig an, weil die A als Erwerberin keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Bestimmungsmitgliedstaats oder eines anderen Mitgliedstaats verwendet habe.
9Das Finanzgericht wies die Klage mit entsprechender Begründung ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1418 veröffentlicht.
10Mit der Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Der Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs sei Finnland, wo sich der Gegenstand am Ende der Beförderung befunden habe. Dort unterliege der Erwerb der Maschinen der Umsatzbesteuerung (Erwerbsbesteuerung). Dafür komme es nicht darauf an, in welchem Land die Erwerberin A ihren Sitz habe. Maßgeblich sei, dass der Erwerb der Maschinen ein in Finnland steuerbarer Vorgang sei. Ein Nachweis, dass eine Erwerbsbesteuerung tatsächlich stattgefunden habe, müsse vom liefernden Unternehmer hingegen nicht erbracht werden. Die Verwendung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer sei keine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Lieferung der Maschinen in Finnland der Erwerbsbesteuerung unterliege; ihr komme keine materiell-rechtliche Qualität zu.
11Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der Vorentscheidung den Umsatzsteuerbescheid für 1998 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um ... DM herabgesetzt wird,
hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Vorabentscheidung vorzulegen.
12Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.
13Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten. Es ist der Auffassung, die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung erfordere, dass der Erwerber im Bestimmungsmitgliedstaat für Umsatzsteuerzwecke erfasst sei, also eine (ihm erteilte) Umsatzsteuer-Identifikationsnummer besitze, die er im Rahmen des Umsatzes verwende. Das sei vorliegend nicht der Fall.
14Hilfsweise regt das BMF an, die Sache dem EuGH zur Auslegung von Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) vorzulegen.
15II. Der Senat legt die im Leitsatz bezeichneten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts dem EuGH vor und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus.
161. Die maßgeblichen Vorschriften und Bestimmungen
17a) Nationales Recht
18aa) Eine —gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b des Umsatzsteuergesetzes (UStG) steuerfreie— innergemeinschaftliche Lieferung liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
19(1) Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet,
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(2) | der Abnehmer ist | |
a) ein Unternehmer, der den
Gegenstand der Lieferung | ||
für sein Unternehmen erworben hat,
| ||
b) eine juristische Person,
die nicht Unternehmer ist oder | ||
die den Gegenstand der Lieferung nicht
für ihr Unternehmen erworben hat oder | ||
c) bei der Lieferung eines
neuen Fahrzeugs auch jeder an- | ||
dere Erwerber und | ||
21(3) der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung.
22bb) Nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG müssen die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vom Unternehmer nachgewiesen sein.
23Dazu ist auf der Grundlage von § 6a Abs. 3 Satz 2 UStG in § 17a Abs. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung —UStDV— (BGBl I 1993, 600) geregelt worden, dass der Unternehmer bei innergemeinschaftlichen Lieferungen im Geltungsbereich dieser Verordnung durch Belege nachweisen muss, dass er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet hat; dies muss sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar ergeben (sog. Belegnachweis).
24Ferner bestimmt § 17c Abs. 1 Satz 1 UStDV, dass bei innergemeinschaftlichen Lieferungen der Unternehmer im Geltungsbereich dieser Verordnung die Voraussetzungen der Steuerbefreiung „einschließlich Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers” buchmäßig nachweisen muss (sog. Buchnachweis). Die Voraussetzungen müssen eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen sein (§ 17c Abs. 1 Satz 2 UStDV).
25b) Unionsrecht
26aa) Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG in der durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 376, S. 1) geänderten Fassung lautet:
27„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsbestimmungen befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen:
28a) die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5 und des Artikels 28a Absatz 5 Buchstabe a), die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände handelt. ...”
29bb) Nach Art. 28a Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG unterliegt der Mehrwertsteuer (auch) der innergemeinschaftliche Erwerb von Gegenständen, der gegen Entgelt im Inland „durch einen Steuerpflichtigen, der als solcher handelt”, bewirkt wird, wenn der Verkäufer ein Steuerpflichtiger ist und als solcher handelt und für ihn die Steuerbefreiung gemäß Art. 24 der Richtlinie 77/388/EWG nicht gilt.
30Als innergemeinschaftlicher Erwerb eines Gegenstandes gilt nach Art. 28a Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG die Erlangung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen beweglichen körperlichen Gegenstand zu verfügen, welcher durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung befand, an den Erwerber versendet oder befördert wird.
31Als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen gilt nach Art. 28b Teil A Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG der Ort, in dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung des Versands oder der Beförderung an den Erwerber befinden.
32cc) Nach Art. 22 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Vorkehrungen, damit die dort näher bezeichneten Steuerpflichtigen eine eigene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erhalten.
33Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG sieht die Angabe der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in Rechnungen vor.
34Nach Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten unter Beachtung der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen im Inland und zwischen Mitgliedstaaten bewirkten Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Förmlichkeiten beim Grenzübertritt führen.
352. Zur Rechtslage nach nationalem Recht
36a) Die Lieferung der Maschinen von der GmbH an die A ist gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG in Deutschland steuerbar. Die GmbH hat die Maschinen an die A gemäß § 3 Abs. 6 Sätze 1, 5 und 6 UStG im Inland (§ 1 Abs. 2 Satz 1 UStG) geliefert.
37Die Beteiligten haben ein sog. Reihengeschäft (§ 3 Abs. 6 Satz 5 UStG) vorgenommen. Mehrere Unternehmer (die GmbH, die A und die finnische Ltd.) haben über dieselben Gegenstände (Maschinen) Umsatzgeschäfte geschlossen; die Gegenstände sind durch Versendung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer gelangt. Die beteiligten Unternehmer führten zwei aufeinander folgende Lieferungen aus (vgl. —EMAG Handel Eder OHG—, Slg. 2006, I-3227, BFH/NV Beilage 2006, 294, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2006, 342): eine Lieferung zwischen der GmbH und der A und eine Lieferung zwischen der A und der finnischen Ltd.
38b) Ob die Lieferung der GmbH an die A nach nationalem Recht als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei ist, hängt auch davon ab, ob im Streitfall die Voraussetzung des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG erfüllt ist, dass der Erwerb der Maschinen beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat (Finnland) „den Vorschriften der Umsatzbesteuerung” unterlag.
39Dieses Tatbestandmerkmal könnte gemäß der vom FA und vom BMF vertretenen Auffassung voraussetzen, dass der Abnehmer bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung eine ihm erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet, damit die Finanzbehörden des Bestimmungsmitgliedstaats den Vorgang der Umsatzbesteuerung unterwerfen können.
40Die Steuerbefreiung könnte nach nationalem Recht auch daran scheitern, dass die Klägerin entgegen § 17c Abs. 1 Satz 1 UStDV die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der A nicht aufgezeichnet hat. Das konnte sie auch nicht, weil A nicht unter einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aufgetreten ist.
41Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Anschluss an das —Collèe— (Slg. 2007, I-7861, BFH/NV Beilage 2008, 34, UR 2007, 813) die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a Abs. 1 UStG zu gewähren, wenn trotz der Nichterfüllung der formellen Nachweispflichten nach §§ 17a, 17c UStDV aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen (vgl. z.B. , BFHE 219, 469, BStBl II 2009, 57; , BFHE 226, 449, unter II.3., m.w.N.).
42Es ist aber aus den nachfolgenden Gründen fraglich, ob diese Rechtsprechung uneingeschränkt auf die Nichtverwendung und Nichtaufzeichnung einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer anzuwenden ist.
433. Zur Anrufung des EuGH
44a) Der Wortlaut von Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG verlangt für eine Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht, dass der Erwerber dabei unter einer ihm erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer handelt.
45Zudem hat der EuGH festgestellt, „dass neben den Voraussetzungen in Bezug auf die Eigenschaft der Steuerpflichtigen, die Übertragung der Befugnis, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, und die physische Verbringung der Gegenstände von einem Mitgliedstaat in einen anderen keine weitere Voraussetzung für die Einstufung eines Umsatzes als innergemeinschaftliche Lieferung oder innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen aufgestellt werden kann” (vgl. —Teleos u.a.—, Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25, UR 2007, 774, Rz 70). Diese Voraussetzungen sind mithin abschließend.
46b) Allerdings könnte die in Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG aufgestellte Bedingung, dass der Erwerber ein „Steuerpflichtiger” ist, „der als solcher in einem anderen Mitgliedstaat…handelt”, für eine Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung voraussetzen, dass der Erwerber eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer besitzt und diese bei dem Erwerb auch tatsächlich verwendet und dass der die Steuerbefreiung begehrende Unternehmer die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in der Buchführung nachprüfbar aufgezeichnet hat. Jedenfalls könnte das Unionsrecht die Mitgliedstaaten zu einer entsprechenden Regelung durch den Einleitungssatz des Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/EWG, wonach die Befreiung unter den Bedingungen gewährt wird, die die Mitgliedstaaten „zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen”, oder durch Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG ermächtigen.
47aa) Dafür könnte sprechen, dass Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/EWG seine Grundlage in der Mehrwertsteuerübergangsregelung für den innergemeinschaftlichen Handel findet, in deren Rahmen die Besteuerung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Grundsatz beruht, dass die Steuereinnahmen dem Mitgliedstaat zustehen, in dem der Endverbrauch erfolgt. Auf diese Weise kann durch die Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Mitgliedstaat des Beginns der innergemeinschaftlichen Versendung oder Beförderung von Gegenständen, welcher ein innergemeinschaftlicher Erwerb entspricht, der im Mitgliedstaat der Beendigung dieser Versendung oder Beförderung besteuert wird, die Doppelbesteuerung und damit eine Verletzung des dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystems innewohnenden Grundsatzes der steuerlichen Neutralität vermieden werden (vgl. EuGH-Urteil —Collèe— in Slg. 2007, I-7861, BFH/NV Beilage 2008, 34, UR 2007, 813, Rz 22 und 23).
48bb) Im Hinblick auf dieses Korrespondenzprinzip zwischen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung und einem steuerbaren und steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb (vgl. dazu z.B. EuGH-Urteile —EMAG Handel Eder OHG— in Slg. 2006, I-3227, BFH/NV Beilage 2006, 294, UR 2006, 342, Rz 26 ff.; —Teleos u.a.— in Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25, UR 2007, 774, Rz 21 ff., 24; vom Rs. C-536/08 und C-539/08 —X und Facet—, BFH/NV 2010, 1225, UR 2010, 418, Rz 30) könnte unter Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes Voraussetzung für die Befreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung jedenfalls die Möglichkeit der Verifizierung der Erwerbsbesteuerung beim Empfänger anhand der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer sein.
49Dafür könnte möglicherweise auch die Aussage des EuGH angeführt werden, im Rahmen der Übergangsregelung für den innergemeinschaftlichen Erwerb und die innergemeinschaftliche Lieferung sei es zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Erhebung der Mehrwertsteuer erforderlich, „dass die zuständigen Finanzbehörden unabhängig voneinander prüfen, ob die Voraussetzungen für den innergemeinschaftlichen Erwerb und die Befreiung der entsprechenden Lieferung erfüllt sind” (vgl. EuGH-Urteil —Teleos u.a.— in Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25, UR 2007, 774, Rz 71). Denn diese Prüfung kann die für den innergemeinschaftlichen Erwerb im Bestimmungsland zuständige Finanzbehörde nur dann vornehmen, wenn sie von dem fraglichen Umsatz überhaupt erfährt.
50Auch durch die Regelung in Art. 28b Teil A Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, wonach als Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs das Gebiet des Mitgliedstaats gilt, der dem Erwerber die von ihm für diesen Erwerb verwendete Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, wenn der Erwerber nicht nachweist, dass dieser Erwerb nach Maßgabe der Regelung in Abs. 1 dieses Artikels besteuert worden ist, soll sichergestellt werden, dass Mehrwertsteuer auf den fraglichen Erwerb erhoben wird (vgl. EuGH-Urteil —X und Facet— in BFH/NV 2010, 1225, UR 2010, 418, Rz 33).
51cc) Allerdings müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer ihnen durch den Einleitungssatz des Art. 28c Teil A der Richtlinie 77/388/EWG und durch Art. 22 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG eingeräumten Befugnisse die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachten, zu denen u.a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit gehören (vgl. —Twoh International—, Slg. 2007, I-7897, BFH/NV Beilage 2008, 39, UR 2007, 782, Rz 25; —Teleos u.a.— in Slg. 2007, I-7797, BFH/NV Beilage 2008, 25, UR 2007, 774, Rz 45 ff.).
52Im Hinblick darauf könnte es von Bedeutung sein, dass es sich im Streitfall bei dem Erwerber um einen in einem Drittland ansässigen Unternehmer handelt, der zwar den Gegenstand der Lieferung im Rahmen eines Reihengeschäfts von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat versendet hat, aber in keinem Mitgliedstaat umsatzsteuerrechtlich registriert ist, und dass die GmbH die Abgabe einer Steuererklärung über den innergemeinschaftlichen Erwerb durch den Erwerber nicht nachgewiesen hat.
53dd) Die Klärung dieser entscheidungserheblichen Fragen durch Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG ist dem EuGH vorbehalten; nur so kann eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems verhindert werden (vgl. —Zita Modes—, Slg. 2003, I-14393, BFH/NV Beilage 2004, 128, Rz 32).
544. Rechtsgrundlage für die Anrufung des EuGH ist Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
55Die Aussetzung des Verfahrens beruht auf § 121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2011 II Seite 237
BBK-Kurznachricht Nr. 1/2011 S. 13
BFH/NV 2011 S. 388 Nr. 2
BFH/PR 2011 S. 102 Nr. 3
BStBl II 2011 S. 237 Nr. 4
DB 2011 S. 33 Nr. 1
DStR 2010 S. 2629 Nr. 51
DStRE 2011 S. 119 Nr. 2
DStZ 2011 S. 95 Nr. 4
GStB 2011 S. 10 Nr. 3
GmbHR 2011 S. 24 Nr. 2
HFR 2011 S. 338 Nr. 3
KÖSDI 2011 S. 17271 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 1/2011 S. 13
RIW 2011 S. 336 Nr. 5
StB 2011 S. 6 Nr. 1
StBW 2011 S. 13 Nr. 1
StuB-Bilanzreport Nr. 5/2011 S. 197
UR 2011 S. 109 Nr. 3
UR 2011 S. 389 Nr. 10
UVR 2011 S. 36 Nr. 2
ZAAAD-58649