Einspruch gegen ein Versäumnisurteil: Einspruchseinlegung durch den Prozessbevollmächtigten in der "Ich-Form"
Leitsatz
Allein die Verwendung der "Ich-Form" in einem Einspruchsschriftsatz eines Rechtsanwalts lässt grundsätzlich keine Zweifel daran aufkommen, dass der Rechtsanwalt in seiner Eigenschaft als Prozessbevollmächtigter seiner Partei für diese den Einspruch einlegen will .
Gesetze: § 340 Abs 1 ZPO
Instanzenzug: OLG Braunschweig Az: 2 U 81/05 Urteilvorgehend LG Braunschweig Az: 6 O 2090/01
Tatbestand
1Die in Insolvenz geratene Klägerin nimmt im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft den Beklagten, den ehemaligen Prokuristen der ebenfalls insolventen W. N. KG, in Höhe einer ihr gegen die KG vermeintlich zustehenden Vergütung auf Schadensersatz wegen Betrugs bzw. sittenwidriger Schädigung in Anspruch. Das Landgericht hat den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an die Landesbank, an welche die Klägerin vor ihrer Insolvenz die Forderung sicherheitshalber abgetreten hatte, 28.632,35 € nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil mit Versäumnisurteil vom aufgehoben, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen und Rechtsanwalt N., den es als vollmachtlosen Vertreter der Klägerin angesehen hat, die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt. Nachdem Rechtsanwalt N. am das Versäumnisurteil zugestellt worden war, hat sich Rechtsanwalt N. gegen dieses mit zwei Schriftsätzen jeweils vom an das Berufungsgericht gewandt, welche beide per Telefax am eingegangen sind. Während er mit einem der Schriftsätze mit der Formulierung "beantragen wir" einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt hat, heißt es in dem anderen Schriftsatz "lege ich gegen das Versäumnisurteil vom Einspruch ein". Das Berufungsgericht hat mit Urteil vom den Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil vom als unzulässig verworfen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Gründe
I.
2Das Berufungsgericht hält den Einspruch der Klägerin gegen sein Versäumnisurteil vom für unzulässig, da die Einspruchsfrist von zwei Wochen gemäß § 339 Abs. 1 ZPO nicht gewahrt worden sei. Der Einspruchsschriftsatz von Rechtsanwalt N. sei zwar vor Ablauf der Einspruchsfrist eingegangen, er lasse jedoch nicht erkennen, dass es sich um die Einlegung eines Einspruchs im Namen der Klägerin handeln sollte. Rechtsanwalt N. sei durch den Kostenausspruch im Versäumnisurteil selbst beschwert. Angesichts der eindeutigen Wortwahl "lege ich gegen das Versäumnisurteil vom Einspruch ein" und der weiteren Ausführungen in dem Schriftsatz dränge sich auf, dass das Einspruchsschreiben ein eigenes Rechtsmittel von Rechtsanwalt N. im Sinne einer Gegenvorstellung gegen die ihn belastende Kostenentscheidung im Versäumnisurteil habe darstellen sollen. Auch aus den sonstigen Umständen lasse sich bei objektiver Deutung aus der Sicht des Empfängers nicht herleiten, dass der Einspruch nicht im eigenen Namen, sondern im Namen der Klägerin eingelegt worden sei. Im Übrigen sei ein fristgemäßer Einspruch nicht wirksam gewesen, weil Rechtsanwalt N. aus den im Versäumnisurteil vom dargelegten Gründen von der in Insolvenz geratenen Klägerin nicht (mehr) bevollmächtigt gewesen sei, was hier aber dahinstehen könne.
II.
3Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat Rechtsanwalt N. gegen das ihm am zugestellte Versäumnisurteil vom im Namen der Klägerin mit Schriftsatz vom rechtzeitig Einspruch eingelegt.
41. Die Auslegung von Prozesshandlungen wie des hier zu beurteilenden "Einspruchs" unterliegt freier revisionsrechtlicher Nachprüfung; sie orientiert sich an dem Grundsatz, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und dem recht verstandenen Interesse entspricht, wobei nicht unter allen Umständen am buchstäblichen Sinn der Wortwahl einer Partei festzuhalten ist (vgl. etwa , FamRZ 2006, 482, 483). Die durch das Grundgesetz gewährleisteten Verfassungsgarantien verbieten es, den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingerichteten Instanzen in einer aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 76/08, VersR 2010, 88 Rn. 4 und BVerfG NJW 1991, 3140 m.w.N.).
5a) Allein die Verwendung der "Ich-Form" in einem Einspruchsschriftsatz eines Rechtsanwalts lässt grundsätzlich keine Zweifel daran aufkommen, dass der Rechtsanwalt in seiner Eigenschaft als Prozessbevollmächtigter seiner Partei für diese den Einspruch einlegen will. An der grundsätzlich geltenden Vermutung, dass ein Rechtsanwalt im Zweifel prozessuale Erklärungen für seine Partei abgeben will, ändert der Umstand nichts, dass er mit dem Rechtsmittel eine Entscheidung beseitigen will, die - wie hier die Kostenentscheidung - auch ihn selbst belastet. Dies gilt umso mehr, als die ihn beschwerende Kostenentscheidung im Streitfall auf demselben Gesichtspunkt beruht wie das seiner Partei in der Sache nachteilige Versäumnisurteil vom , nämlich der vom Berufungsgericht wegen des Insolvenzverfahrens angenommenen fehlenden Vollmacht von Rechtsanwalt N., und mit der Aufhebung des Versäumnisurteils auch die ihn belastende Kostenentscheidung entfallen würde.
6b) Darüber hinaus wäre - was das Berufungsgericht selbst sieht - jedenfalls der Einspruch kein tauglicher Rechtsbehelf gewesen, wenn die Annahme des Berufungsgerichts zuträfe, dass sich Rechtsanwalt N. lediglich im eigenen Namen allein gegen die ihn belastende Kostenentscheidung hätte wenden wollen. Das in diesem Zusammenhang geäußerte Argument des Berufungsgerichts, auch Rechtsanwälten könnten bei der Formulierung von Rechtsmitteln/Rechtsbehelfen Fehler unterlaufen, macht die Ausnahme zur Regel. In der Regel ist aber davon auszugehen, dass ein Rechtsanwalt richtige Prozesserklärungen - wie hier einen Einspruch für seine Partei gegen das Versäumnisurteil - abgeben will.
7c) Etwas anderes lässt sich auch nicht - wie das Berufungsgericht meint - daraus herleiten, dass Rechtsanwalt N. mit Schriftsatz vom selben Tage einen Tatbestandsberichtigungsantrag in der "Wir-Form" gestellt hat, denn dabei handelt es sich um floskelhafte Formulierungen eines Rechtsanwalts, die mehr unbewusst als bewusst verwendet werden (vgl. etwa Senatsbeschluss vom - VI ZB 12/95, VersR 1996, 251). Darüber hinaus wäre auch nicht ersichtlich, was der für die Partei gestellte Tatbestandsberichtigungsantrag für einen Sinn hätte haben sollen, wenn nicht zugleich auch für die Partei Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt werden sollte.
82. Das Berufungsurteil ist auch nicht im Ergebnis mit der - letztlich offen gelassenen - Hilfsbegründung des Berufungsgerichts richtig, dass Rechtsanwalt N. aus den im Versäumnisurteil des Berufungsgerichts vom dargelegten Gründen nicht (mehr) wirksam von der in Insolvenz geratenen Klägerin bevollmächtigt gewesen sei.
9a) Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass durch das am über das Vermögen der Klägerin eröffnete Insolvenzverfahren der vorliegende Rechtsstreit gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen worden ist. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt der streitgegenständliche Anspruch bereits an die Landesbank abgetreten war, betraf er gleichwohl die Insolvenzmasse. Zum einen, weil es sich lediglich um eine Sicherungsabtretung handelte, also ein Rest des Stammrechts bei der Insolvenzschuldnerin verblieben war (vgl. etwa , ZIP 2003, 1972, 1973 unter I. 1.) und zum anderen, weil der Insolvenzverwalter das Einziehungsrecht nach § 166 Abs. 2 InsO hätte ausüben und die Kostenbeiträge gemäß §§ 170, 171 InsO zur Masse ziehen können (vgl. etwa , WM 2009, 1046, 1047 Rn. 10).
10b) Die Unterbrechung des Rechtsstreits war jedoch beendet, nachdem der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Klägerin die streitgegenständliche Forderung freigegeben hatte. Die Freigabe war wirksam. Auch im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH ist der Verwalter befugt, einen Massegegenstand freizugeben (vgl. , BGHZ 163, 32, 35 ff.). Die Freigabe führte dazu, dass die Schuldnerin die Verfügungsbefugnis über die streitgegenständliche Forderung wiedererlangte. Damit bestand mit der Freigabe das Prozesshindernis des § 240 ZPO nicht mehr und der Rechtsstreit konnte - aus insolvenzrechtlicher Sicht - fortgesetzt werden (vgl. BGHZ 163, 32, 37).
11c) Diese Fortsetzung ist im Streitfall auch erfolgt. Der Vertreter der Klägerin, Rechtsanwalt N., hat mit Schriftsatz vom die Fortsetzung des Rechtsstreits beantragt, die Abtretung offen gelegt und Zahlung an die Landesbank verlangt. Die Vollmacht, welche die Klägerin Rechtsanwalt N. ursprünglich erteilt hatte, war zwar mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Klägerin gemäß § 117 InsO erloschen. Nachdem der Insolvenzverwalter die streitgegenständliche Forderung jedoch freigegeben hatte, war er hinsichtlich dieser Forderung - anders als das Berufungsgericht meint - gerade nicht mehr verfügungsbefugt und die Klägerin deshalb selbst in der Lage, den durch das Insolvenzverfahren unterbrochenen Rechtsstreit nach § 250 ZPO wieder aufzunehmen und Rechtsanwalt N. zu diesem Zwecke erneut Vollmacht zu erteilen. Dies ist nach Angaben von Rechtsanwalt N. im Termin vor dem Berufungsgericht am auch geschehen, wovon gemäß § 88 Abs. 2 ZPO mangels gegenteiliger Feststellungen auch auszugehen war. Die Klägerin war mithin - entgegen der vom Berufungsgericht in seinem Versäumnisurteil geäußerten Rechtsauffassung - wirksam vertreten und deshalb nicht säumig. Dementsprechend konnte sie auch wirksam durch Rechtsanwalt N. gegen das Versäumnisurteil Einspruch einlegen. Wenn das Berufungsgericht demgegenüber die Prozessführungsbefugnis der Klägerin hätte verneinen wollen, hätte es das Urteil des Landgerichts aufheben und die Klage als unzulässig abweisen müssen.
12d) Die Klägerin wird im Verlauf des weiteren Verfahrens Gelegenheit haben, zur gewillkürten Prozessstandschaft ergänzend vorzutragen. Aus dem vorgelegten Abtretungsvertrag ergibt sich zwar aus Nr. 9 das Einziehungsrecht und die Einziehungspflicht der Zedentin "im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebs", "solange die Landesbank von ihren Rechten zur Offenlegung und Verwertung keinen Gebrauch macht". Dies wird in der Regel auch die prozessuale Geltendmachung der Forderung umfassen. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde die Ermächtigung jedoch wirkungslos. Das ergibt sich zwar nicht aus §§ 115, 116 InsO, denn Aufträge und Geschäftsbesorgungsverträge erlöschen hiernach mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur, wenn der Schuldner der Geschäftsherr war; hier aber war er hinsichtlich der Einziehungsermächtigung der Geschäftsbesorger. Für diesen gelten die allgemeinen Vorschriften (vgl. HK-InsO/Marotzke, 5. Aufl., § 115 Rn. 21, § 116 Rn. 10; MünchKommInsO/Ott/Vuia, 2. Aufl., § 115 Rn. 9, § 116 Rn. 4). Die Ermächtigung ist aber in der Regel dahin auszulegen, dass sie mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt (vgl. , BGHZ 144, 192, 199 f.; MünchKommInsO/Ganter aaO § 51 Rn. 181). Auch wenn die Forderung vom Insolvenzverwalter später freigegeben und der Klageantrag auf Zahlung an den Zessionar umgestellt worden ist, lebt die Ermächtigung nicht automatisch wieder auf. Die Ermächtigung kann aber neu erteilt werden, wozu bisher Sachvortrag fehlt.
13e) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts lässt sich auch ein Fortbestehen eines schutzwürdigen Interesses der Klägerin an der prozessualen Geltendmachung der sicherheitshalber abgetretenen Forderung durch den nachfolgenden Vermögensverfall grundsätzlich nicht verneinen, da der Vermögensverfall der Klägerin erst während des Prozesses eingetreten ist (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 166/94, VersR 1996, 83, 84). Daran vermag auch ein erhöhtes Kostenrisiko des Beklagten nichts zu ändern. Hätte der Insolvenzverwalter die Forderung nicht freigegeben und den Prozess selbst aufgenommen, was schon wegen der dann gegebenen gesetzlichen Einziehungsbefugnis des § 166 Abs. 2 InsO möglich gewesen wäre, bestünden gegen die Prozessführungsbefugnis selbst dann keine Bedenken, wenn die Realisierung von Kostenerstattungsansprüchen des Gegners von vorneherein aussichtslos gewesen wäre (vgl. , BGHZ 148, 175, 177 ff. und , BGHZ 161, 236, 239 ff.).
Galke Wellner Pauge
Stöhr von Pentz
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
HFR 2011 S. 357 Nr. 3
NJW 2010 S. 3779 Nr. 52
NJW 2010 S. 8 Nr. 48
MAAAD-56050