Keine Steuerermäßigung bei Zusammenballung von Einkünften; ermäßigte Besteuerung von Entschädigungen aus Anlass der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses; zusätzliche Entschädigungsleistungen
Leitsatz
Anlässlich der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gewährte Entschädigungen sind grundsätzlich einheitlich zu beurteilen.
Wird eine Entschädigung in zwei oder mehr Veranlagungszeiträumen ausgezahlt, scheidet grundsätzlich in sämtlichen Veranlagungszeiträumen eine Steuerermäßigung nach § 34 EStG aus, auch wenn sich ein Progressionsnachteil ergibt.
Der Zweck des § 34 EStG wird allerdings trotz Zuflusses in zwei Veranlagungszeiträumen nicht verfehlt, wenn der Steuerpflichtige nur eine geringfügige Teilleistung erhalten hat und die ganz überwiegende Hauptentschädigungsleistung in einem Betrag ausgezahlt wird.
Eine Ausnahme ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch in solchen Fällen geboten, in denen der (frühere) Arbeitgeber oder ein Dritter neben einer Hauptentschädigungsleistung aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit ergänzende Entschädigungszusatzleistungen gewährt.
Diese zusätzlichen Leistungen dürfen betragsmäßig nur einen ergänzenden Zusatz zur Hauptleistung bilden, diese als bei weitem nicht erreichen oder nur so geringfügig sein, dass eine Versagung der Begünstigung gemäß § 34 EStG gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde.
Ob eine Haupt- oder eine Zusatzleistung vorliegt, richtet sich auch mangels hinreichender Verifizierbarkeit nicht nach einer (objektiven oder) "subjektiven Erwartungshaltung" des betreffenden Arbeitnehmers.
Gesetze: EStG § 3 Nr. 9, EStG § 24 Nr. 1a, EStG § 34 Abs. 1, EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Beteiligten streiten darüber, ob eine im Streitjahr 2005 aufgrund eines Sozialplans an den Kläger und Revisionskläger (Kläger) geleistete Zahlung in Höhe von 129.928,77 € ermäßigt zu besteuern ist.
2 Der Anfang Mai 1948 geborene Kläger wurde im Streitjahr (2005) zusammen mit seiner Ehefrau, der Klägerin und Revisionsklägerin, gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Er war als angestellter Orchestermusiker für den…e.V. (Verein) tätig. Über das Vermögen des Vereins wurde mit Beschluss des zuständigen das Insolvenzverfahren eröffnet.
3 Zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat des Vereins wurde am ein „Sozialplan” mit einer Laufzeit bis zum (§ 8 Nr. 1) vereinbart. Dieser sollte —ausweislich seiner Präambel— der sozialverträglichen Abwicklung, insbesondere dem Ausgleich bzw. der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile dienen, die den betroffenen Mitarbeitern des Vereins durch die Einstellung des Orchesterbetriebes und die damit verbundenen Kündigungen zum entstehen. Zwischen den Vertragsparteien bestand Einigkeit, dass es sich hierbei nicht um einen Sozialplan i.S. der §§ 123 ff. der Insolvenzordnung handelte. Die daraus resultierenden Ansprüche bestünden daher nur außerhalb der Insolvenzmasse und nur, wenn die bisherigen (öffentlichen und privaten) Zuschussgeber des Vereins hierfür Mittel im erforderlichen Umfang zur Verfügung stellten.
4 Die Verteilung dieser von dritter Seite zur Verfügung gestellten Mittel sollte nach Maßgabe des Sozialplans (§ 2) erfolgen. Danach sollten Arbeitnehmer, die —wie der Kläger— am das 53. Lebensjahr bereits vollendet hatten und die nicht in andere Arbeitsverhältnisse vermittelt werden konnten, für 2001 eine näher bezifferte Abfindung erhalten. Diesen Arbeitnehmern wurde außerdem für die Jahre 2002 bis 2004 unter Anrechnung von Arbeitslosengeld ein monatliches Einkommen in Höhe von 1/12 von 82 % einer Jahresvergütung garantiert. Darüber hinaus sollten diese Arbeitnehmer, die am —wie der Kläger— noch nicht das 63. Lebensjahr vollendet hatten, unter weiteren —hier vorliegenden— Voraussetzungen zur Überbrückung der Zeit bis zur Altersrente eine sog. ergänzende Abfindung erhalten. Die Höhe dieser Abfindung sollte nach einem näher festgelegten Punktesystem ermittelt und aus den —nach Abzug der nach dem Sozialplan im Übrigen zu erbringenden Abfindungen und Kosten— verbleibenden Mitteln gezahlt werden.
5 Aufgrund dieses Sozialplanes waren dem Kläger in den Jahren 2001 bis 2004 Zahlungen zwischen ca. 32.300 DM (2001; davon 20.000 DM steuerfrei) und ca. 22.590 € (2004) zugeflossen. Im Streitjahr (2005) erhielt der Kläger als „ergänzende Abfindung” einen Betrag in Höhe von 129.928,77 €.
6 Diesen vom Kläger in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr erklärten Betrag behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) als (voll zu versteuernde) Einnahme bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
7 Nach Auffassung des Finanzgerichts (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 2026 veröffentlicht ist, komme eine ermäßigte Besteuerung der Abfindung gemäß § 24 Nr. 1, § 34 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mangels zusammengeballten Zuflusses im Streitjahr nicht in Betracht. Die nach Maßgabe des Sozialplans einheitlich zu beurteilenden Abfindungszahlungen seien vielmehr über mehrere Jahre verteilt zugeflossen. Auch sei die im Streitjahr erfolgte ergänzende Abfindung nicht als Hauptleistung und die in den Jahren 2001 bis 2004 gewährten Zahlungen nicht als unschädliche, sozial motivierte Entschädigungszusatzleistungen zu beurteilen.
8 Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 24 Nr. 1, § 34 EStG). Die im Streitjahr gezahlte ergänzende Abfindung sei als außerordentliche Einkunft gemäß § 34 EStG ermäßigt zu besteuern; denn das Arbeitsverhältnis des Klägers sei letztlich erst zum beendet worden. Selbst wenn die in den Jahren 2001 bis 2004 gezahlten Beträge ebenfalls als Abfindungszahlungen anzusehen seien, müsse die hier streitige Abfindung als Hauptleistung ermäßigt besteuert werden. Denn die bis zum Streitjahr in geringerer Höhe erfolgten Zahlungen seien lediglich steuerunschädliche „Entschädigungszusatzleistungen”. Dies entspräche auch der subjektiven Erwartungshaltung des Klägers; angesichts dessen trete die Höhe der ergänzenden Abfindung im Streitjahr —zumal ungewiss— in den Hintergrund. Zudem beliefen sich die Zusatzleistungen auf insgesamt 71.036 € und damit nur 54,68 % der Hauptleistung. Es dürfe keinen Unterschied machen, ob die hohe Einmalzahlung —wie üblich— als Hauptleistung zeitlich vor sich anschließender Zusatzleistungen oder —wie hier— erst im Anschluss daran am Ende der Zeitschiene erfolge.
9 Sie beantragen sinngemäß,
unter Aufhebung des FG-Urteils und Änderung des Einkommensteuerbescheids vom i.d.F. des Einspruchsbescheids vom die Einkommensteuer für 2005 unter Zugrundelegung eines gemäß § 34 EStG ermäßigten Steuersatzes für die Zahlung in Höhe von 129.928,77 € niedriger festzusetzen.
10 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
11 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die an den Kläger gezahlte ergänzende Abfindung nicht gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ermäßigt zu besteuern ist.
12 1. a) Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG, zu denen u.a. Entschädigungen als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG zählen, sind entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift (Ausgleich von Progressionsnachteilen) grundsätzlich nur gegeben, wenn die zu begünstigenden Einkünfte zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind; wird eine Entschädigung in zwei oder mehr Veranlagungszeiträumen ausgezahlt, scheidet grundsätzlich in sämtlichen Veranlagungszeiträumen eine Steuerermäßigung nach § 34 EStG aus, auch wenn sich ein Progressionsnachteil ergibt (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 226, 265, BFH/NV 2009, 2034, unter II.1.b, m.w.N.). Gleichwohl ist der Zufluss in einem Veranlagungszeitraum kein Tatbestandsmerkmal des § 34 EStG. Dessen Zweck wird trotz Zuflusses in zwei Veranlagungszeiträumen nicht verfehlt, wenn der Steuerpflichtige nur eine geringfügige Teilleistung erhalten hat und die ganz überwiegende Hauptentschädigungsleistung in einem Betrag ausgezahlt wird (BFH-Urteil in BFHE 226, 265, BFH/NV 2009, 2034).
13 b) Eine Ausnahme ist unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch in solchen Fällen geboten, in denen der (frühere) Arbeitgeber oder ein Dritter (vgl. , BFHE 205, 129, BStBl II 2004, 716; vom IV R 30/06, BFH/NV 2008, 546) neben einer Hauptentschädigungsleistung aus Gründen der sozialen Fürsorge für eine gewisse Übergangszeit ergänzende Entschädigungszusatzleistungen gewährt (vgl. , BFHE 196, 500, BStBl II 2002, 180; vom XI R 43/99, BFHE 197, 522, BStBl II 2004, 442). Allerdings sind Entschädigungen, die aus Anlass der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gewährt werden, grundsätzlich einheitlich zu beurteilen (BFH-Urteile in BFHE 197, 522, BStBl II 2004, 442; vom XI R 58/05, BFHE 214, 319, BStBl II 2006, 835; vom IV R 94/06, BFHE 225, 398, BFH/NV 2009, 1877, unter II.3.).
14 c) Diese zusätzlichen Leistungen dürfen auch betragsmäßig nur einen ergänzenden Zusatz zur Hauptleistung bilden, diese also bei weitem nicht erreichen (, BFHE 197, 526, BStBl II 2004, 444; vom XI R 33/02, BFHE 205, 125, BStBl II 2004, 715, und XI R 22/03, BFH/NV 2004, 1226) oder nur so geringfügig sein, dass eine Versagung der Begünstigung gemäß § 34 EStG gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde (, BFH/NV 2007, 408, unter II.2.).
15 Ob eine Haupt- oder eine Zusatzleistung vorliegt, richtet sich daher —entgegen der Ansicht der Kläger— auch mangels hinreichender Verifizierbarkeit nicht nach einer (objektiven oder) „subjektiven Erwartungshaltung” des betreffenden Arbeitnehmers. Die BFH-Rechtsprechung zu den ergänzenden Zusatzleistungen ist auch nicht dahin misszuverstehen, dass nun jede Hauptleistung begünstigt ist und nur Zweit- und Drittzahlungen dem Regeltarif unterworfen werden (s. Weber-Grellet, Betriebs-Berater 2004, 1877, unter 7.).
16 2. Diesen Grundsätzen entspricht die Vorentscheidung, die Revision ist daher zurückzuweisen. Zu Recht hat das FG eine ermäßigte Besteuerung der „ergänzenden Abfindung” abgelehnt.
17 Zutreffend ist das FG von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers aufgrund der Betriebseinstellung und der damit verbundenen Kündigung zum ausgegangen. Zur „sozialverträglichen Abwicklung” wurde ein Sozialplan vereinbart, der als einheitliche Rechtsgrundlage für die danach geleisteten Abfindungen anzusehen ist. Diese Zahlungen wurden auch nicht zusammengeballt in einem Veranlagungszeitraum, sondern verteilt über einen Zeitraum von 2001 bis 2005 an den Kläger ausgezahlt. Auch hat das FG nicht feststellen können, dass die im Streitjahr erfolgte ergänzende Abfindung (in Höhe von 129.928,77 €) und die in den Jahren 2001 bis 2004 an den Kläger geleisteten Abfindungszahlungen zueinander im Verhältnis von Haupt- und (aus Gründen sozialer Fürsorge erbrachter) Nebenleistung stehen; daher konnte die streitige Zahlung auch nicht als Hauptleistung beurteilt werden. Im Übrigen waren die Zahlungen der Jahre 2001 bis 2004 mit ihren 71.036 € bzw. 54,68 % der ergänzenden Abfindung auch betragsmäßig weder als geringfügig noch als ergänzender Zusatz zu beurteilen. Bei der Berechnung der Zusammenballung von Einkünften sind steuerfreie Einnahmen i.S. von § 3 Nr. 9 EStG —entgegen der Ansicht des FA— nicht zu berücksichtigen (, BFHE 169, 98, BStBl II 1993, 52; vom XI R 11/04, BFH/NV 2005, 1772; , BStBl I 2004, 505 Tz 9 a.E.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 1801 Nr. 10
EStB 2010 S. 337 Nr. 9
HFR 2010 S. 1169 Nr. 11
StBW 2010 S. 828 Nr. 18
TAAAD-48085