BGH Beschluss v. - VIII ZB 74/09

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Instanzenzug: LG Hamburg, 316 S 68/09 vom AG Hamburg, 48 C 111/08 vom

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten zu 1 als Mieter der im Erdgeschoss sowie der im ersten und zweiten Obergeschoss seines Hauses in H. gelegenen Wohnungen, und zwar teilweise neben den Beklagten zu 2 und 3, auf Räumung sowie auf Zahlung rückständiger Mieten in Anspruch. In der dem Beklagten zu 1 am zugestellten Klageschrift war als Anschrift des Klägers die vorstehend bezeichnete Anschrift in England angegeben. Die Beklagten haben insbesondere mit Blick auf den vom Beklagten für sein Räumungsverlangen geltend gemachten Eigenbedarf im ersten Rechtszug mehrfach das Bestehen eines Wohnsitzes des Klägers in England bestritten und vorgetragen, dass der Kläger seit Ende 2004 seinen ständigen Aufenthalt in der voll eingerichteten Gartengeschosswohnung des Hauses in H. habe; die Adresse in England unterhalte er dagegen nur aus steuerlichen Gründen, ohne dort seinen Hauptwohnsitz zu haben.

Das Amtsgericht hat den Beklagten zu 1 durch Teilurteil vom teilweise zur Räumung und Zahlung verurteilt. Gegen das ihm am zugestellte Teilurteil hat sein Prozessbevollmächtigter am bei dem Landgericht Hamburg Berufung eingelegt und diese am begründet. Auf die Verfügung des Vorsitzenden der Berufungskammer, dass beabsichtigt sei, die eingelegte Berufung als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht bei dem gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG zuständigen Gericht eingelegt worden sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 1 in einem am bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz darauf hingewiesen, dass der Kläger im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Klage seinen Wohnsitz in der in H. gehabt und dass der Beklagte zu 1 bereits im ersten Rechtszug den vom Kläger behaupteten Wohnsitz in England mehrfach bestritten habe. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zu 1 durch den angefochtenen Beschluss mit der Begründung als unzulässig verworfen, dass sie nicht bei dem gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG zuständigen Gericht eingelegt worden sei; der Kläger habe seinen allgemeinen Gerichtsstand bei Rechtshängigkeit in England gehabt.

Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde erstrebt der Beklagte zu 1 die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.

1.

Die kraft Gesetzes statthafte (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Ein solcher Fall liegt unter anderem vor, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts nach dem Beschwerdevorbringen Verfahrensgrundrechte des Beschwerdeführers verletzt und deshalb von Verfassungs wegen der Korrektur bedarf. Das gilt namentlich dann, wenn die angefochtene Entscheidung darauf beruht, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt worden ist (BGHZ 154, 288, 296; 151, 221, 226 f.; Senatsbeschluss vom - VIII ZB 75/06, NJW 2007, 1457, Tz. 5 m.w.N.). Das gilt in gleicher Weise, wenn das Berufungsgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint und den Beschwerdeführer dadurch in seinem Verfahrensgrundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom - VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610, Tz. 5 m.w.N.).

Die Rechtsbeschwerde rügt, dass das Berufungsgericht im angefochtenen Beschluss mit keinem Wort darauf eingegangen sei, dass die Beklagten den vom Kläger behaupteten ausländischen Wohnsitz erstinstanzlich bestritten hätten. Das lasse darauf schließen, dass das Berufungsgericht entweder das genannte Vorbringen des Beklagten zu 1 nicht zur Kenntnis genommen oder aber in Kenntnis dieses streitigen Vorbringens zu der unzutreffenden und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Auffassung gelangt sei, dass der Gerichtsstand im Berufungsverfahren gleichwohl nicht (mehr) zu prüfen sei. Dies erfordert zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

2.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Beklagten zu 1 auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zu 1 mit der nicht weiter ausgeführten Begründung als unzulässig verworfen, dass die Berufung bei dem gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG, § 40 EGGVG unzuständigen Gericht eingelegt worden sei, weil der Kläger seinen allgemeinen Gerichtsstand bei Rechtshängigkeit in England gehabt habe. Bei dieser Feststellung hat es in gehörsverletzender Weise das erstinstanzliche Bestreiten des Beklagten zu 1 übergangen, wonach der Kläger seinen Wohnsitz nicht in England, sondern bereits seit Ende 2004 in Hamburg unterhalten habe. Allerdings ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Denn es ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Parteivorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Damit sich ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen lässt, müssen demnach besondere Umstände deutlich gemacht werden, die zweifelsfrei darauf schließen lassen, dass tatsächliches Vorbringen einer Partei entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BGHZ 154, 288, 300 m.w.N.). Ein solcher Schluss ist regelmäßig dann gerechtfertigt, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern eines erheblichen Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht (BVerfGE 86, 133, 146; BVerfG, ZIP 2004, 1762, 1763). So liegt der Fall hier.

Das Berufungsgericht hat sich noch nicht einmal mit dem im Schriftsatz vom gehaltenen Sachvortrag des Beklagten zu 1 auseinandergesetzt, in dem dieser detailliert darauf hingewiesen hatte, dass er den in der Klageschrift angegebenen ausländischen Wohnsitz des Klägers erstinstanzlich mehrfach bestritten habe. Wenn das Berufungsgericht trotz dieses schlechthin nicht zu übersehenden Parteivorbringens seine Zuständigkeit gleichwohl nur mit der nicht näher erläuterten Feststellung verneint hat, dass der Kläger seinen allgemeinen Gerichtsstand bei Rechtshängigkeit in England gehabt habe, lässt dies den sicheren Schluss zu, dass es sich mit dem entgegenstehenden Tatsachenvortrag des Beklagten zu 1 nicht befasst hat. Das gilt umso mehr, als bereits das Amtsgericht auf Seite 32 seines Urteils das Vorbringen der Beklagten im Zusammenhang mit dem vom Kläger geltend gemachten Eigenbedarf dahin wiedergegeben hatte, dass der Kläger und seine Ehefrau ihren Hauptwohnsitz bereits Ende 2004 nach H. in die Gartengeschosswohnung im Hause verlegt hätten.

b) Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auch auf der dargestellten Gehörsverletzung. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens des Beklagten zu 1 anders entschieden hätte (vgl. , NJW 2003, 3205, unter II 1 a bb m.w.N.).

Das Landgericht hat die Berufung des Beklagten zu 1 als unzulässig verworfen, weil es für dieses Rechtsmittel keine eigene Zuständigkeit nach § 72 GVG, sondern eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG angenommen hat. Nach letztgenannter Vorschrift, die auch auf Mietstreitigkeiten Anwendung findet (Senatsbeschluss vom - VIII ZB 100/04, WuM 2006, 404, Tz. 9), sind die Oberlandesgerichte zuständig für Berufungen gegen Entscheidungen der Amtsgerichte in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder gegen eine Partei erhoben werden, welche ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes hatte. Diese Voraussetzungen hätten bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens nicht ohne nähere Sachprüfung bejaht werden können.

aa) Für die genannte Zuständigkeitsabgrenzung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs regelmäßig der im Verfahren vor dem Amtsgericht unangegriffen gebliebene inländische oder ausländische Wohnsitz einer Partei zugrunde zu legen und einer Nachprüfung durch das Rechtsmittelgericht entzogen (Senatsbeschluss vom - VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610, Tz. 8; , [...], Tz. 5; jeweils m.w.N.). Entsprechendes gilt bei erstinstanzlichem Streit über den Wohnsitz, wenn sich der Berufungsführer in der Rechtsmittelinstanz dem in erster Instanz von ihm noch bestrittenen Vortrag seines Gegners zu einem inländischen oder ausländischen Gerichtsstand anschließt und er hierauf gestützt Berufung zum Landgericht oder zum Oberlandesgericht einlegt (Senatsbeschluss vom , aaO, Tz. 11 f.).

Hält der Berufungsführer dagegen - wie hier - an seinem streitigen Vorbringen zum inländischen oder ausländischen Gerichtsstand einer der Parteien fest, hat das angerufene Berufungsgericht die zur Begründung seiner Zuständigkeit erforderlichen Tatsachen auf der Grundlage des streitigen Sachvortrags der Parteien festzustellen. In diesem Fall obliegt es dem Rechtsmittelführer, der die Beweislast für die funktionelle Zuständigkeit des von ihm angerufenen Berufungsgerichts und damit für den streitig gebliebenen Wohnsitz trägt, den Beweis zu erbringen, dass die Voraussetzungen für die Zuständigkeit des angerufenen Berufungsgerichts gegeben sind (Senatsbeschluss vom , aaO, Tz. 10, 13; , IPRspr 2006, 341, unter II 3).

bb) Der Beklagte zu 1 hat im ersten Rechtszug einen bei Rechtshängigkeit bestehenden Wohnsitz des Klägers in England mehrfach unter Vortrag entsprechender Indiztatsachen und dafür angetretener Beweise bestritten. Zumindest hat er - was einer Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG ebenfalls entgegengestanden hätte (vgl. Senatsbeschluss vom , aaO) - behauptet, dass der Kläger neben einem Wohnsitz in England nach wie vor schwerpunktmäßig seinen Wohnsitz in H. gehabt habe (dazu Senatsbeschluss vom , aaO, Tz. 15). Dieses erhebliche Vorbringen hätte das Berufungsgericht nicht übergehen, sondern auf seine sachliche Berechtigung überprüfen und - gegebenenfalls nach Beweiserhebung - die erforderlichen Feststellungen treffen müssen.

III.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts kann nach alledem keinen Bestand haben. Da es tatsächlicher Feststellungen zum Wohnsitz des Klägers bei Eintritt der Rechtshängigkeit bedarf, ist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Fundstelle(n):
IAAAD-40297