Vorbereitung auf eine Promotion als Berufsausbildung; Berufsausbildung neben Vollzeiterwerbstätigkeit
Leitsatz
Zur Berufsausbildung zählt auch die Vorbereitung auf eine Promotion, wenn diese im Anschluss an das Studium ernsthaft und nachhaltig durchgeführt wird.
Ein Kind wird auch dann im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet, wenn es währenddessen über Einkünfte und Bezüge in einer solchen Höhe verfügt, dass es auf Unterhaltsleistungen der Eltern nicht angewiesen ist.
Der Tatbestand der Berufsausbildung wird nicht durch eine daneben ausgeübte Teilzeit- oder Vollzeittätigkeit ausgeschlossen. Die daraus erzielten Einkünfte sind bei der Prüfung, ob der - ggf. anteilige - Jahresgrenzbetrag nicht überschritten wurde, einzubeziehen.
Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt für ihren 1978 geborenen Sohn, der vom bis zum Wehrdienst geleistet hatte, bis zum März 2005 Kindergeld. Der Sohn hatte in A studiert und im Januar 2005 das Examen abgelegt. Am wurde er an der Universität B als Doktorand angenommen und am von der Universität A exmatrikuliert. Seit April 2005 war er in B als Doktorand immatrikuliert. Zur Finanzierung des Promotionsstudiums nahm er am eine Teilzeitstelle an einem Universitätsinstitut in A auf. Er betreute die Neuausgabe eines umfangreichen wissenschaftlichen Werkes und leistete dafür zahlreiche Überstunden. Sein sozialversicherungspflichtiges Monatsgehalt belief sich auf 1.648,78 €.
2 Die Klägerin teilte der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) den Sachverhalt mit und bat um Einstellung der Kindergeldzahlung ab April 2005. Im ersten Quartal 2005 habe ihr Sohn nur über unerhebliche Einnahmen aus Kapitalvermögen verfügt. Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes im August 2005 wegen Überschreitens des Grenzbetrags von 7.680 € ab Januar 2005 auf und forderte das zuviel gezahlte Kindergeld zurück. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
3 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom 12 K 69/06 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1130) ab. Es bestehe kein Anspruch auf Kindergeld für die Monate Januar bis März 2005. Der Sohn habe sich während des gesamten Jahres 2005 in Ausbildung befunden. Das Promotionsstudium gehöre zur Berufsausbildung; eine Vollzeit- oder Teilzeittätigkeit während der Ausbildung stehe der Berücksichtigung als Kind nicht entgegen. Bei der Prüfung, ob der Grenzbetrag überschritten sei, seien daher die gesamten Einkünfte des Sohnes im Jahr 2005 zu berücksichtigen. Nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge verblieben für 2005 den Jahresgrenzbetrag übersteigende Einkünfte in Höhe von 10.568,74 €.
4 Mit ihrer Revision trägt die Klägerin vor, das FG-Urteil widerspreche der neueren Rechtsprechung des Senats und dem Zweck der Kindergeldregelung. Der Bundesfinanzhof (BFH) gehe seit dem Urteil vom VI R 143/99 (BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473) davon aus, dass die Berücksichtigung eines Kindes als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal das Bestehen einer typischen Unterhaltssituation voraussetze. Diese habe seit April 2005, dem Beginn der Tätigkeit des Sohnes als wissenschaftlicher Mitarbeiter, nicht mehr vorgelegen. Da das Kindergeldrecht vom Monatsprinzip beherrscht werde und Kindergeld bei Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen zu gewähren sei, könne es nicht wieder entzogen werden, weil der Jahresgrenzbetrag aufgrund der Einkünfte späterer Monate überschritten werde.
5 Der Sohn habe vom 1. April bis zum im Durchschnitt wöchentlich 15,79 Überstunden ableisten müssen. Zusammen mit den arbeitsvertraglich geschuldeten 20 Wochenstunden ergebe sich eine nicht im Zusammenhang mit der Promotion stehende Wochenarbeitszeit von 35,8 Stunden. Damit sei er voll erwerbstätig gewesen. Die in diesen 35,8 Wochenstunden geleistete Arbeit habe keinen Bezug zur Promotion gehabt.
6 Die Klägerin beantragt sinngemäß, das FG-Urteil, den Bescheid vom sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für die Monate Januar bis März 2005 festzusetzen.
7 Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
8 II. Die Revision ist unbegründet. Der Klägerin steht Kindergeld für 2005 nicht zu, weil ihr Sohn im gesamten Jahr als Kind zu berücksichtigen ist und seine Einkünfte mehr als 7.680 € betrugen.
9 1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das das 27. Lebensjahr —seit 2007: das 25. Lebensjahr— noch nicht vollendet hat, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) Anspruch auf Kindergeld, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 € im Kalenderjahr nicht übersteigen.
10 In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom III R 85/08, BFHE 224, 546, BFH/NV 2009, 1502, m.w.N.). Hierzu zählt auch die Vorbereitung auf eine Promotion, wenn diese im Anschluss an das Studium ernsthaft und nachhaltig durchgeführt wird (, BFHE 189, 103, BStBl II 1999, 708; vom VIII R 30/03, BFH/NV 2004, 1223).
11 Das FG hat bindend (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) festgestellt, dass der Sohn seine Promotion seit April 2005 ernsthaft und nachhaltig vorangetrieben habe.
12 2. Ein Kind wird auch dann i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG für einen Beruf ausgebildet, wenn es währenddessen über Einkünfte und Bezüge in einer solchen Höhe verfügt, dass es auf Unterhaltsleistungen der Eltern nicht angewiesen ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 1223).
13 3. Der Tatbestand der Berufsausbildung wird auch nicht durch eine daneben ausgeübte Teilzeit- oder Vollzeittätigkeit ausgeschlossen. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Sohn als wissenschaftlicher Mitarbeiter von April bis Dezember 2005 —wie vertraglich vorgesehen— teilzeitbeschäftigt war oder ob es sich wegen der zahlreichen Überstunden um eine Vollzeiterwerbstätigkeit handelte.
14 a) Eine Vollzeiterwerbstätigkeit kann eine Berücksichtigung als Kind nach bisheriger Rechtsprechung des BFH ausschließen, wenn das Kind sie in der Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG) und während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) ausübt (, BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481; vom VIII R 83/98, BFH/NV 2002, 1551; , BFHE 211, 452, BStBl II 2006, 305; vom III R 46/05, BFHE 212, 486, BStBl II 2008, 704; vom III R 58/05, BFH/NV 2006, 2249). Da ein solcher Sachverhalt im Streitfall nicht gegeben ist, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist.
15 b) Demgegenüber schließt eine Vollzeiterwerbstätigkeit neben einem ernsthaft und nachhaltig betriebenen Studium die Berücksichtigung als Kind in der Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) nicht aus (z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 2004, 1223; vom VIII R 9/04, BFH/NV 2005, 860; vom VIII R 44/04, BFH/NV 2005, 1039; Senatsbeschlüsse vom III B 64/07, BFHE 222, 471, BFH/NV 2008, 1932, und vom III B 102/07, BFH/NV 2009, 16).
16 Der BFH hat den Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG wegen einer Vollzeiterwerbstätigkeit zwar auch abgelehnt, wenn sie nach der Immatrikulation, aber vor tatsächlicher Aufnahme des Studiums (, BFHE 197, 383, BStBl II 2002, 484), oder nach Ablegung der Abschlussprüfung, aber vor Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses (BFH-Urteil in BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473) erfolgte. Dies beruhte aber darauf, dass bei Vollzeiterwerbstätigkeit vor dem tatsächlichen Beginn des Studiums bzw. nach der Ablegung der Abschlussprüfung die Ausbildung als noch nicht aufgenommen bzw. als bereits beendet angesehen wurde.
17 c) Der Senat hält daran fest, dass eine Vollzeiterwerbstätigkeit während der Ausbildung —hier das Promotionsstudium des Sohnes— die Berücksichtigung als Kind nicht ausschließt. Befindet sich das Kind in Ausbildung, so ist der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG auch dann erfüllt, wenn es daneben vollzeiterwerbstätig ist. Die daraus erzielten Einkünfte sind bei der Prüfung, ob der —ggf. anteilige— Jahresgrenzbetrag nicht überschritten wurde, einzubeziehen.
18 d) Da sich der Sohn im gesamten Kalenderjahr 2005 in Ausbildung befand und seine in diesem Zeitraum erzielten Einkünfte den Jahresgrenzbetrag unstreitig übersteigen, ist eine Berücksichtigung als Kind im gesamten Jahr, d.h. auch in den Monaten Januar bis März, ausgeschlossen.
19 4. Die Klägerin kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Das Kindergeld kann für zurückliegende Monate auch dann zurückgefordert werden, wenn der Jahresgrenzbetrag durch Einkünfte oder Bezüge in Folgemonaten überschritten wird.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 627 Nr. 4
JAAAD-38565