Zulassung der Revision zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung; Anfechtung des Gewerbesteuermessbescheids
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, FGO § 116 Abs. 6, FGO § 105 Abs. 2 Nr. 5, FGO § 42, AO § 351 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb einen Großhandel mit Videofilmen sowie mehrere Videotheken. Ab dem Jahr 1995 verpachtete er 27 der Videotheken, den Großhandel verpachtete er ab dem . Die Pachteinnahmen behandelte er als nicht gewerbesteuerpflichtig. Nach zunächst antragsgemäßer Veranlagung gelangte die vormals zuständige Finanzbehörde nach einer Betriebsprüfung zu der Auffassung, es habe sich nicht um eine Verpachtung von Teilbetrieben gehandelt, die mit einer Aufgabe dieser Teilbetriebe einhergegangen sei. Sie erließ am Änderungsbescheide für 1996 bis 1998 über den Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer und hob die gesonderten Feststellungen des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den , und auf. Die Einsprüche blieben in der Einspruchsentscheidung des nunmehr zuständigen Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) vom erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.
2 Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie Verfahrensmängel geltend (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
3 II. 1. Die Beschwerde ist begründet, soweit sie die Nichtzulassung der Revision gegen das klageabweisende Urteil des FG wegen Gewerbesteuermessbeträge 1996 bis 1998 betrifft. Sie führt insoweit gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
4 a) Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert.
5 Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung liegt vor, wenn das FG in dem angefochtenen Urteil einen die Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem —ebenfalls tragenden— abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BFH abweicht (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 1999, 38). Ein abstrakter Rechtssatz in diesem Sinne muss nicht notwendig nach Art eines Leitsatzes in den Gründen des angefochtenen Urteils formuliert sein; er kann sich auch aus scheinbar nur fallbezogenen Rechtsausführungen des FG ergeben. Auch in diesem Fall muss sich jedoch der vom FG konkludent aufgestellte Rechtssatz deutlich aus dem gedanklichen Zusammenhang der Entscheidungsgründe entnehmen lassen. Aus diesem Grund liegt keine Divergenz vor, wenn das FG —ohne einen abstrakten Rechtssatz aufzustellen— das „Gesamtbild der Verhältnisse” des Einzelfalls tatsächlich würdigt (§ 118 Abs. 2 FGO) und dabei trotz teilweise vergleichbarer Umstände zu einem anderen Ergebnis als in einem vom BFH entschiedenen Fall kommt (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1999, 38, und vom I B 190/03, BFH/NV 2004, 1642).
6 So verhält es sich im Streitfall jedoch nicht. Zwar hat das FG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt, es schließe sich der ständigen BFH-Rechtsprechung (s. stellvertretend , BFH/NV 2002, 336) an, wonach unter einem Teilbetrieb ein organisatorisch geschlossener, mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter Teil eines Gesamtbetriebs zu verstehen sei, der für sich betrachtet alle Merkmale eines Betriebs im Sinne des Einkommensteuergesetzes aufweise und als solcher nach Art eines selbständigen Zweigbetriebs lebensfähig sei. Ob ein Betriebsteil die für die Annahme eines Teilbetriebs erforderliche organisatorische Selbständigkeit habe, sei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Den von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Abgrenzungsmerkmalen (räumliche Trennung vom Hauptbetrieb, eigener Wirkungskreis, gesonderte Buchführung, eigenes Personal, eigene Verwaltung, selbständige Organisation, eigenes Anlagevermögen, ungleichartige betriebliche Tätigkeit, eigener Kundenstamm) komme dabei unterschiedliches Gewicht zu, und zwar abhängig davon, ob es sich um einen Fertigungs-, Handels- oder Dienstleistungsbetrieb handle. Die Merkmale müssten nicht kumulativ erfüllt sein; der Teilbetrieb erfordere nur eine gewisse Selbständigkeit gegenüber dem Hauptbetrieb.
7 Entgegen diesen Rechtsgrundsätzen lässt das angefochtene Urteil jedoch die Selbständigkeit der Videotheken gegenüber dem Hauptbetrieb des Klägers bereits daran scheitern, dass die vor Abschluss der Pachtverträge eingesetzten Geschäftsführer nur scheinbar in ihren die jeweiligen Videotheken betreffenden Entscheidungen frei gewesen seien. Damit entbehrt das Urteil nicht nur einer Gewichtung o.g. Merkmale, sondern es verleiht dem Merkmal der selbständigen Organisation eine Bedeutung oder gar Alleinstellung, die ihm nicht zukommt. Zudem setzt es sich in Widerspruch zum (BFH/NV 2007, 2093), wonach eine völlig selbständige Organisation für die Annahme eines Teilbetriebs nicht erforderlich ist, da eine solche bereits den eigenständigen Gesamtbetrieb im Gegensatz zum bloßen Teilbetrieb kennzeichnet (vgl. auch , BFHE 95, 323, BStBl II 1969, 397).
8 b) Begründet ist auch die Verfahrensrüge des Klägers. Das FG-Urteil ist insoweit nicht mit Gründen versehen, als es keine Ausführungen zu der Frage enthält, ob bzw. aus welchen Gründen es sich bei der Verpachtung des Großhandels (nicht) um die Verpachtung eines Teilbetriebs handelt (§ 119 Nr. 6 FGO). In den Entscheidungsgründen wird lediglich erläutert, weshalb in der Verpachtung der Videotheken keine Verpachtung von Teilbetrieben zu erkennen sei.
9 Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO sind Urteile zu begründen. Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren (§ 96 Abs. 1 Sätze 1 und 3 FGO). Im Streitfall können die Ausführungen des FG zur Stellung der Videotheken im Betrieb des Klägers bereits aufgrund ungleichartiger betrieblicher Tätigkeiten sowie unterschiedlicher Einkaufs- und Verkaufsbeziehungen nicht ohne weiteres auf die Stellung des Großhandels übertragen werden.
10 c) Liegt ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Verfahrensmangel vor, kann der BFH statt der Zulassung der Revision das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). Die Zurückverweisung ist ermessensgerecht, wenn auch im Falle der Zulassung das Revisionsverfahren voraussichtlich zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führt (Senatsbeschluss vom III B 114/03, BFH/NV 2004, 1109). Unter dieser Voraussetzung ist eine Zurückverweisung auch dann sachgerecht, wenn der Beschwerdeführer neben dem Verfahrensmangel noch andere Zulassungsgründe geltend macht (vgl. , BFH/NV 2002, 1321).
11 Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des FG könnte der Senat im Falle der Zulassung der Revision über die Frage, ob der Großhandel oder die jeweilige Videothek einen Teilbetrieb darstellt, nicht abschließend entscheiden und müsste die Sache an das FG zurückverweisen. Da der Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 6 FGO zwar nur die Streitjahre 1997 und 1998 berührt, in denen der Kläger auch den Großhandel verpachtete, dem FG jedoch auch für das Streitjahr 1996 wie für 1997 und 1998 eine Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls obliegt, hält es der Senat für sachgerecht, das Verfahren wegen Gewerbesteuermessbetrag 1996 nicht abzutrennen, sondern das FG-Urteil wegen Gewerbesteuermessbeträge sämtlicher Streitjahre aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
12 2. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit sie die Festsetzungen der Gewerbesteuer 1996 bis 1998 sowie die gesonderten Feststellungen des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den , und betrifft.
13 Nach § 42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) können Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid nur durch Anfechtung dieses Bescheids, nicht auch durch Anfechtung des Folgebescheids, angegriffen werden. Grundlagenbescheid ist nach § 171 Abs. 10 AO u.a. ein Steuermessbescheid, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist. So verhält es sich bei der Gewerbesteuer, die gemäß § 16 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) aufgrund des nach § 14 GewStG festgesetzten einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags festgesetzt wird. Das hat zur Folge, dass Einwendungen gegen die Höhe des gewerblichen Gewinns nur durch Anfechtung des Gewerbesteuermessbescheids geltend gemacht werden können, da der Gewerbeertrag (§ 7 GewStG) unselbständige Besteuerungsgrundlage für die Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags nach § 11 GewStG ist (, BFH/NV 1997, 114). Entsprechendes gilt für die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes, da nach § 35b Abs. 2 Sätze 2 und 3 GewStG Verlustfeststellungsbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern sind, soweit sich die Besteuerungsgrundlagen ändern (vgl. , BFHE 144, 133, BStBl II 1985, 605).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 667 Nr. 4
FAAAD-38562