BAG Urteil v. - 6 AZR 800/08

Leitsatz

Leitsatz:

Verweigert der Personalrat die nach dem Landespersonalvertretungsrecht vor Ausspruch einer Probezeitkündigung erforderliche Zustimmung, kann die Kündigung auch dann erst nach Ablauf der gesetzlichen Äußerungsfrist wirksam erfolgen, wenn die für die Zustimmungsverweigerung angeführten Gründe rechtlich unbeachlich sind.

Gesetze: PersVG Berlin § 79; PersVG Berlin § 87 Nr. 8; BPersVG § 108 Abs. 2; BetrVG § 102

Instanzenzug: LAG Berlin-Brandenburg, 23 Sa 418/08 vom ArbG Berlin, 86 Ca 17939/07 vom Veröffentlichungen: Für die Amtliche Sammlung: Ja

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer innerhalb der Probezeit des Ausbildungsverhältnisses erklärten Kündigung.

Der Kläger wird seit dem beim beklagten Land zum Gärtner ausgebildet. Im Ausbildungsvertrag ist eine Probezeit von drei Monaten vereinbart. Der Kläger verspätete sich zum Arbeitsbeginn zwischen dem und dem insgesamt vier Mal zwischen fünf und 50 Minuten. Das beklagte Land kündigte das Ausbildungsverhältnis mit Schreiben vom , das dem Kläger am selben Tag zuging, "fristlos". Zuvor hatte es den Personalrat in einem diesem am zugegangen Schreiben unter Mitteilung der Verspätungen des Klägers um Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung gebeten. Der Personalrat hatte mit Schreiben vom , das dem beklagten Land am selben Tag zuging, die Zustimmung zur Kündigung verweigert. Er hatte darauf hingewiesen, dass zwei Ausbilder von einem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung ausgingen. Für die längste Verspätung habe der Kläger einen triftigen Grund angegeben.

Ein für den Kläger zuständiger Schlichtungsausschuss iSd. § 111 Abs. 2 ArbGG besteht im Land Berlin nicht. Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der streitbefangenen Kündigung geltend gemacht. Er hat vorgetragen, die Kündigung sei unwirksam, weil das beklagte Land sie erklärt habe, ohne das im Landespersonalvertretungsrecht vorgesehene Mitbestimmungsverfahren vollständig durchzuführen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung vom beendet worden ist und auch nicht durch die Umdeutung der fristlosen Kündigung zu einem späteren Zeitpunkt endet;

2. das beklagte Land zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Auszubildenden weiterzubeschäftigen.

Das beklagte Land hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags vorgetragen, seine Kündigungsentscheidung sei letztlich nicht justiziabel. Der Personalrat habe die Zustimmungsverweigerung nicht auf Gründe gestützt, die eine Unwirksamkeit der Kündigung jedenfalls als möglich erscheinen ließen. Sie sei deshalb unbeachtlich, so dass das Verfahren vor der Einigungsstelle nicht habe durchgeführt werden müssen. Es sei eine reine Förmelei, die Frist zur Zustimmungsfiktion abwarten zu müssen, bevor die Kündigung erklärt werden könne. Dann könne zudem die Probezeit nicht voll ausgeschöpft werden. Jedenfalls sei die Begründung des Personalrats abschließend gewesen. Auch deshalb habe die Frist des § 79 Abs. 2 PersVG Berlin nicht abgewartet werden müssen. Insoweit seien die für das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG entwickelten Grundsätze anzuwenden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat das beklagte Land bereits vor Zustellung Berufung eingelegt und begründet. Nach Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils hat das beklagte Land seine Argumentation innerhalb der Berufungsbegründungsfrist vertieft. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt das beklagte Land sein Begehren auf Klageabweisung weiter.

Gründe

Die Revision ist unbegründet. Die Kündigung des beklagten Landes vom ist vor Eintritt der Zustimmungsfiktion des § 79 Abs. 2 Satz 4 1. Halbs. PersVG Berlin ausgesprochen worden und daher nach §§ 79, 87 Nr. 8 PersVG Berlin iVm. § 108 Abs. 2 BPersVG unwirksam. Das hat das Landesarbeitsgericht zu Recht festgestellt.

I. Die Revision ist nicht bereits deshalb unbegründet, weil die Berufung des beklagten Landes unzulässig gewesen wäre. Gegen ein Urteil kann bereits vor dessen Zustellung ein Rechtsmittel eingelegt und begründet werden, sofern dieses Urteil bereits verkündet ist ( - Rn. 10, AP ZPO § 189 Nr. 1 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 116). Das beklagte Land hat sich mit dem Urteil des Arbeitsgerichts bereits in der Berufungsbegründung hinreichend auseinandergesetzt und diese Begründung noch innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist vertieft.

II. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtende Vorschrift des § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG (vgl. - RzK IV 3a Nr. 15) steht der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen, weil ein entsprechender Ausschuss nicht bestand (vgl. Senat - 6 AZR 776/77 - AP ArbGG 1953 § 111 Nr. 3 = EzA ArbGG 1979 § 111 Nr. 1).

III. Das beklagte Land hat das Ausbildungsverhältnis des Klägers nach § 22 BBiG gekündigt, bevor das in §§ 79, 87 Nr. 8 PersVG Berlin geregelte Mitbestimmungsverfahren abgeschlossen war. Die Kündigung ist deshalb gemäß § 108 Abs. 2 BPersVG unwirksam.

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Personalvertretungsgesetzes des Landes Berlin idF vom (GVBl. S. 337), wobei im Zeitpunkt der Kündigung § 87 idF vom (GVBl. S. 263) galt, lauten wie folgt:

"§ 4

Begriffsbestimmungen

(1) Arbeitnehmer sind Angehörige des öffentlichen Dienstes, die nach ihrem Arbeitsvertrag als Arbeitnehmer beschäftigt werden. Als Arbeitnehmer gelten auch Angehörige des öffentlichen Dienstes, die sich in einer beruflichen Ausbildung befinden.

...

§ 79

Mitbestimmung

(1) Soweit eine Maßnahme der Mitbestimmung der Personalvertretung unterliegt, bedarf sie ihrer vorherigen Zustimmung.

(2) Die Dienststelle unterrichtet die Personalvertretung von der beabsichtigten Maßnahme und beantragt die Zustimmung. Die Personalvertretung kann verlangen, dass die Dienststelle die beabsichtigte Maßnahme begründet. Der Beschluss der Personalvertretung ist der Dienststelle innerhalb von zwei Wochen, im Falle der außerordentlichen Kündigung innerhalb einer Woche seit Zugang des Antrages schriftlich mitzuteilen und im Falle der Ablehnung zu begründen. Die Maßnahme gilt als gebilligt, wenn nicht die Personalvertretung innerhalb der genannten Frist die Zustimmung schriftlich verweigert; dies gilt nicht, wenn die Personalvertretung schriftlich Fristverlängerung beantragt hat. Ist die Dienststelle nach allgemeinen Vorschriften an eine Frist gebunden, so kommt eine Fristverlängerung höchstens bis zu einer Woche vor Ablauf dieser Frist in Betracht; hat die Personalvertretung bis zum Ablauf der Fristverlängerung die Zustimmung nicht schriftlich verweigert, so gilt die Maßnahme als gebilligt.

§ 87

Arbeitnehmer

In Angelegenheiten der Arbeitnehmer bestimmt der Personalrat mit bei

...

8. Kündigung."

2. Das Personalvertretungsgesetz für das Land Berlin findet auch auf den Kläger Anwendung. Gemäß § 4 Abs. 1 PersVG Berlin gelten als Arbeitnehmer auch die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die sich in einer beruflichen Ausbildung befinden. Dazu gehört auch die Ausbildung nach dem Berufsbildungsgesetz (vgl. für den insoweit gleichlautenden § 4 Abs. 3 Satz 2 BPersVG Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber BPersVG Stand Januar 2006 § 4 Rn. 79).

3. Der Personalrat hat mit Schreiben vom die beantragte Zustimmung zur Kündigung des Klägers verweigert. Ob dies nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen beachtlich war ( 6 P 11.93 - BVerwGE 97, 154; - Rn. 22, BAGE 123, 175; vgl. auch Senat - 6 AZR 27/05 - Rn. 28 f., AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 151 = EzBAT BAT § 53 Beteiligung des Personalrats Nr. 29), etwa weil sich dem Schreiben entnehmen ließe, der Personalrat habe einwenden wollen, das beklagte Land habe seinem Kündigungsentschluss einen unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt (zur Beachtlichkeit eines solchen Einwands auch bei Ermessens- und Beurteilungsspielräumen des Arbeitgebers Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber BPersVG Stand Oktober 2007 § 69 Rn. 60; vgl. 6 P 34.87 - AP BPersVG § 77 Nr. 3 für eine Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 GG), kann dahinstehen. Auch wenn die Zustimmungsverweigerung des Personalrats unbeachtlich gewesen wäre und die Dienststelle deshalb das Einigungsverfahren nicht hätte einleiten müssen, konnte sie nicht sofort nach Eingang des Verweigerungsschreibens rechtswirksam kündigen. Vielmehr hätte erst nach Ablauf der gesetzlichen Äußerungsfrist die beabsichtigte Maßnahme als gebilligt gegolten (Senat - 6 AZR 317/06 - Rn. 37, BAGE 120, 239; - Rn. 22, BAGE 123, 175; 6 P 35.92 - AP BAT SR 2y § 2 Nr. 13 = EzBAT BAT SR 2y Nr. 10). Das beklagte Land hat jedoch die Kündigung bereits mit Schreiben vom , das dem Kläger am selben Tag zugegangen ist, erklärt. Zu diesem Zeitpunkt war die für die Probezeitkündigung als entfristete ordentliche Kündigung (zu diesem Rechtscharakter - AP BBiG § 15 Nr. 8 = EzA BBiG § 15 Nr. 7) einzuhaltende zweiwöchige Äußerungsfrist des § 79 Abs. 2 Satz 3 1. Halbs. PersVG Berlin noch nicht abgelaufen.

a) Entgegen der Auffassung des beklagten Landes konnte es die streitbefangene Kündigung nicht bereits deshalb am rechtswirksam erklären, weil der Personalrat in seinem Schreiben vom abschließend zur Kündigung Stellung genommen hätte. Die vom beklagten Land angeführte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG abgeschlossen ist, wenn der Betriebsrat abschließend Stellung genommen hat, und der Arbeitgeber deshalb bereits vor Ablauf der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG wirksam kündigen kann ( - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 142 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 10), kann auf das Mitbestimmungsverfahren nach dem Vertretungsrecht des Landes Berlin jedenfalls für den Fall der Zustimmungsverweigerung durch den Personalrat nicht übertragen werden. Im Berliner Personalvertretungsrecht gilt gemäß § 79 Abs. 1, § 87 Nr. 8 PersVG Berlin auch im hier vorliegenden Fall der Kündigung innerhalb der Probezeit nach §§ 20, 22 Abs. 1 BBiG das positive Konsensprinzip. Danach kann eine Maßnahme nur mit vorheriger Zustimmung der Personalvertretung durchgeführt werden (vgl. zu diesem Begriff - zu II 1 c der Gründe, AP LPVG NW § 72 Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 47; - 2 AZR 513/75 - zu I 2 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 9 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 21; Germelmann/Binkert PersVG Berlin 2. Aufl. § 79 Rn. 5). Darauf, ob innerhalb der noch laufenden Äußerungsfrist noch weitere, eventuell beachtliche Einwände zu erwarten sind, kommt es für das formell geregelte Verfahren des § 79 PersVG Berlin nicht an. Anders als im Rahmen des § 102 BetrVG, in dem lediglich ein negatives Konsensprinzip gilt, ist es deshalb selbst bei einer unbeachtlichen Zustimmungsverweigerung im Geltungsbereich des Personalvertretungsrechts des Landes Berlin kein übertriebener Formalismus, nach Eingang der Stellungnahme von der Dienststelle noch zu verlangen, den Ablauf der Äußerungsfrist abzuwarten. Die Zustimmung, die zwingend auch vor einer Probezeitkündigung nach §§ 20, 22 Abs. 1 BBiG vorliegen muss, gilt nach dem Personalvertretungsrecht des Landes Berlin erst mit Ablauf der zweiwöchigen Äußerungsfrist und nicht bereits mit Eingang einer unbeachtlichen, abschließenden Stellungnahme als erteilt (ebenso - ZTR 2009, 277, rkr.; vgl. für § 61 PersVG Brandenburg LAG Berlin-Brandenburg - 9 Sa 269/05 -; Klapproth/Eylert/Förster/Keilhold/Ladner Das Personalvertretungsrecht in Brandenburg Stand Februar 1999 § 63 Rn. 292). Ob dies anders zu beurteilen wäre, wenn der Personalrat eindeutig und abschließend erklärt hätte, er wolle gar keine Stellungnahme abgeben (in diesem Sinne - zu 2.2 der Gründe; Altvater/Hamer/Kröll/Lemcke/Peiseler BPersVG 6. Aufl. § 69 Rn. 28), kann dahinstehen. Mit seinem Schreiben vom hat der Personalrat inhaltlich zur beabsichtigten Kündigung Stellung genommen und seine Zustimmung verweigert.

b) Das beklagte Land weist zutreffend darauf hin, dass es die Probezeit nicht voll ausschöpfen könne, wenn es den Personalrat so rechtzeitig beteiligen müsse, dass das Mitbestimmungsverfahren am letzten Tag der Probezeit abgeschlossen sei. Das ist jedoch Folge des nach dem Landespersonalvertretungsrecht des Landes Berlin dem Personalrat auch für Probezeitkündigungen von Ausbildungsverhältnissen uneingeschränkt eingeräumten Mitbestimmungsrechts. Dieses Mitbestimmungsrecht können die Behörden des beklagten Landes nicht dadurch konterkarieren, dass sie unter Hinweis auf Schwierigkeiten in der praktischen Handhabung des Mitbestimmungsverfahrens von seiner ordnungsgemäßen Durchführung absehen. Das Landespersonalvertretungsrecht ist von den Behörden des beklagten Landes zu beachten. Sofern das beklagte Land das gegenwärtige Mitbestimmungsverfahren bei Probezeitkündigungen für nicht sachgerecht hält, bleibt es ihm unbenommen, die landesgesetzlichen Regelungen der Beteiligung des Personalrats in diesen Fällen zu ändern.

4. Anders als das beklagte Land in den Vorinstanzen geltend gemacht hat, ist die Kündigung unwirksam, wenn das gesetzliche Mitbestimmungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist. Dies ergibt sich aus der unmittelbar für das Landespersonalvertretungsrecht geltenden Bestimmung des § 108 Abs. 2 BPersVG ( - BAGE 31, 343, 345 f.). Danach ist eine Kündigung wegen mangelnder Beteiligung der Personalvertretung in allen Fällen unwirksam, in denen das Landesrecht eine Beteiligung des Personalrats vorschreibt. Die ordnungsgemäße Durchführung des jeweiligen vom Landesgesetzgeber vorgeschriebenen Beteiligungsverfahrens ist Wirksamkeitsvoraussetzung jeder Kündigung ( - BVerfGE 51, 43, 52 f.; Lorenzen/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak/Faber BPersVG Stand Juli 2006 § 108 Rn. 10). Das gilt auch, wenn die Kündigung erklärt worden ist, bevor die Zustimmung des Personalrats als erteilt gilt (KR/Etzel 9. Aufl. §§ 72, 79, 108 Abs. 2 BPersVG Rn. 55).

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BB 2010 S. 243 Nr. 5
NJW 2010 S. 890 Nr. 12
ZAAAD-35450