BFH Urteil v. - II R 55/08 BStBl 2009 II S. 969

"Tatsächlich für die früheren Erwerbe zu entrichtende Steuer" i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG ist die Steuer, die bei zutreffender Beurteilung der Sach- und Rechtslage festzusetzen gewesen wäre

Leitsatz

Die „tatsächlich für die in die Zusammenrechnung einbezogenen früheren Erwerbe zu entrichtende Steuer” i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG ist die Steuer, die bei zutreffender Beurteilung der Sach- und Rechtslage für diese Erwerbe festzusetzen gewesen wäre, und nicht die dafür wirklich festgesetzte Steuer.

Gesetze: ErbStG § 14 Abs. 1

Instanzenzug: (EFG 2009, 676) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin (Klägerin) erhielt im Jahr 1997 von ihrer Mutter u.a. einen landwirtschaftlichen Betrieb mit einem Steuerwert von 55 000 DM geschenkt (Vorerwerb). Der Wert des Erwerbs betrug insgesamt 427 000 DM. Bei der bestandskräftig gewordenen Festsetzung der Schenkungsteuer in Höhe von 1 890 DM (966,34 €) gewährte der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Steuervergünstigungen des § 13a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) nicht. Die Klägerin zahlte die festgesetzte Steuer.

Im Jahr 2002 wurde die Klägerin Miterbin nach ihrer Mutter (Letzterwerb). Das FA setzte gegen die Klägerin für diesen Erwerb zuletzt mit Bescheid vom Erbschaftsteuer in Höhe von 6 514 € fest. Im Rahmen der Zusammenrechnung der Erwerbe nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG berücksichtigte es die Steuervergünstigungen des § 13a ErbStG weiterhin nicht. Das FA zog als tatsächlich zu entrichtende Steuer für den Vorerwerb nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG die im Schenkungsteuerbescheid festgesetzte Steuer von 966 € ab, da diese aufgrund der Steuerberechnung auf Euro-Basis (nicht exakte Umrechnung des Freibetrags, Rundungsdifferenzen) höher war als die von ihm errechnete fiktive anrechenbare Steuer nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG (931 €). Das FA ermittelte die Steuer für den Letzterwerb im Einzelnen wie folgt:


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Letzterwerb 2002
54 712 €
+ Vorerwerb 1997
+ 218 321 €
Zwischensumme
273 033 €
./. Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG
./. 205 000 €
steuerpflichtiger Erwerb, abgerundet
68 000 €
Steuersatz
11 v.H.
Steuer vor Anrechnung
7 480 €
./.tatsächlich zu entrichtende Steuer    für Vorerwerb
  ./. 966 €
festzusetzende Erbschaftsteuer
6 514 €

Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung der ergangenen Erbschaftsteuerbescheide und der Einspruchsentscheidung begehrte, nur insoweit statt, als es die Erbschaftsteuer auf 5 271 € herabsetzte. Bei der Zusammenrechnung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG berücksichtigte es zwar für den Vorerwerb den Bewertungsabschlag nach § 13a Abs. 2 ErbStG in Höhe von 11 248 €, nicht aber den Freibetrag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ErbStG, da dieser nur auf Antrag zu gewähren sei, der wegen der Bestandskraft des Schenkungsteuerbescheids nicht mehr gestellt werden könne. Von der bei einem steuerpflichtigen Erwerb von nunmehr 56 700 € ermittelten Steuer von 6 237 € sei gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG nicht die unter Berücksichtigung des Bewertungsabschlags berechnete Schenkungsteuer auf den Vorerwerb (179 €) abzuziehen, sondern die höhere im Steuerbescheid festgesetzte und gezahlte Steuer (966 €). Dies ergebe sich aus Wortlaut, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte des § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG. Die Vorentscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 676 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG, da die richtig berechnete Schenkungsteuer auf den Vorerwerb (179 €) abzuziehen sei und nicht die im Schenkungsteuerbescheid festgesetzte (966 €). Bei der Berechnung der Steuer auf den steuerpflichtigen Erwerb von 56 700 € sei zugunsten der Klägerin der Härteausgleich nach § 19 Abs. 3 ErbStG zu berücksichtigen.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und den Erbschaftsteuerbescheid vom dahingehend abzuändern, dass die Steuer auf 5 811 € festgesetzt wird.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen und die Erbschaftsteuer auf 5 024 € herabzusetzen.

Diese Steuer ergebe sich bei Berücksichtigung des in § 19 Abs. 3 ErbStG geregelten Härteausgleichs. Im Übrigen sei die Vorentscheidung nicht zu beanstanden.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Festsetzung der Erbschaftsteuer auf 5 811 €.

1. Entgegen der Auffassung des FG ist nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG nicht die zu hohe, aber bestandskräftig festgesetzte Steuer auf den Vorerwerb abzuziehen, sondern die Steuer, die bei zutreffender Beurteilung der Sach- und Rechtslage für den Vorerwerb festzusetzen gewesen wäre.

a) Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile in der Weise zusammengerechnet, dass dem letzten Erwerb die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert zugerechnet werden. Von der Steuer für den Gesamtbetrag wird gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG die Steuer abgezogen, die für die früheren Erwerbe nach den persönlichen Verhältnissen des Erwerbers und auf der Grundlage der geltenden Vorschriften zur Zeit des letzten Erwerbs zu erheben gewesen wäre. Anstelle dieser fiktiven anrechenbaren Steuer ist nach dem durch Gesetz vom (BGBl I 1996, 2049) eingeführten § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG die tatsächlich für die in die Zusammenrechnung einbezogenen früheren Erwerbe zu entrichtende Steuer abzuziehen, wenn diese höher ist als die fiktive anrechenbare Steuer nach Satz 2 der Vorschrift.

§ 14 ErbStG will verhindern, dass durch die Aufteilung einer beabsichtigten Zuwendung in mehrere zeitlich folgende Teilübertragungen durch mehrfache Gewährung der persönlichen Freibeträge und die Vermeidung der Steuerprogression Steuervorteile erlangt werden. Die von der Vorschrift angeordnete Zusammenrechnung gewährleistet, dass die Freibeträge innerhalb des zehnjährigen Zusammenrechnungszeitraums nur einmal zur Anwendung gelangen und sich für mehrere Erwerbe gegenüber einer einheitlichen Zuwendung in gleicher Höhe kein Progressionsvorteil ergibt (vgl. BTDrucks VI/3418, 69, zu § 14; , BFHE 122, 330, BStBl II 1977, 664; vom II R 121/88, BFHE 164, 107, BStBl II 1991, 522; vom II R 78/99, BFHE 197, 280, BStBl II 2002, 316; vom II R 43/03, BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728; vom II R 48/07, BFH/NV 2009, 1204).

Die Vorschrift ändert nichts daran, dass die einzelnen Erwerbe als selbständige steuerpflichtige Vorgänge jeweils für sich der Steuer unterliegen. Weder werden die früheren Steuerfestsetzungen für den letzten Erwerb zusammengefasst noch werden die einzelnen Erwerbe innerhalb eines Zehnjahreszeitraums zu einem einheitlichen Erwerb verbunden. Die Vorschrift enthält lediglich eine besondere Anordnung für die Berechnung der Steuer, die für den letzten Erwerb innerhalb des Zehnjahreszeitraums festzusetzen ist (BFH-Urteile in BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728, und in BFH/NV 2009, 1204).

b) Aufgrund der Selbständigkeit der Besteuerung der einzelnen Erwerbe sind die in die Zusammenrechnung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG einzubeziehenden Vorerwerbe dem letzten Erwerb nicht mit materiell-rechtlich unzutreffenden Werten hinzuzurechnen, selbst wenn sie den vorangegangenen Steuerfestsetzungen für diese Erwerbe zu Grunde gelegt worden waren, sondern mit den ihnen (damals) zukommenden materiell-rechtlich zutreffenden Werten. Dieser richtige Wertansatz ist auch für die Berechnung der nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG abziehbaren fiktiven Steuer maßgebend. Die für die Vorerwerbe ergangenen Steuerbescheide entfalten keine Bindungswirkung etwa im Sinn von Grundlagenbescheiden (BFH-Urteil in BFHE 164, 107, BStBl II 1991, 522).

Nichts anderes gilt auch für die Berechnung der nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG abziehbaren Steuer. Zwar deutet der Wortlaut „tatsächlich…zu entrichtende Steuer” auf den ersten Blick darauf hin, dass es auf die durch die Steuerbescheide für die Vorerwerbe begründeten, bereits erfüllten oder noch offenen Zahlungspflichten ankomme. Diese Auslegung ist aber mit der Selbständigkeit der Besteuerung der einzelnen Erwerbsvorgänge nicht vereinbar. § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG verfolgt nicht das Ziel, eine Korrekturmöglichkeit für Fehler zu eröffnen, die bei der Steuerfestsetzung für die Vorerwerbe zugunsten oder zulasten des Steuerpflichtigen unterlaufen sind. Der Gesetzgeber wollte durch § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG lediglich unbillige Folgen für Steuerpflichtige vermeiden, die sich durch für sie günstige Rechtsänderungen wie höhere Freibeträge oder niedrigere Steuersätze bei einem Übergang zu neuem Recht ergeben können (BFH-Urteil in BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728). Derartige Änderungen können dazu führen, dass die nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG anzurechnende Steuer niedriger ausfällt, als die für den Vorerwerb „tatsächlich” zu entrichtende Steuer. Ist hingegen zwischen dem Vorerwerb und dem Letzterwerb keine zugunsten des Steuerpflichtigen wirkende Änderung der Rechtslage oder der persönlichen Verhältnisse eingetreten, muss die nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG berechnete abzuziehende Steuer der nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG abzuziehenden fiktiven Steuer entsprechen.

Das in § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG verwendete Wort „tatsächlich” ist demnach im Sinn einer Abgrenzung gegenüber § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG zu verstehen, nämlich dahingehend, dass es bei der Steuerberechnung nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG anders als bei Satz 2 der Vorschrift nicht „fiktiv” auf die persönlichen Verhältnisse des Erwerbers und die geltenden Vorschriften zur Zeit des letzten Erwerbs ankommt, sondern die Steuer anzurechnen ist, die bei zutreffender Beurteilung der Sach- und Rechtslage für den Vorerwerb festzusetzen war.

Da das FG von einer anderen Ansicht ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben.

2. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist teilweise begründet. Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit die Steuer höher als 5 811 € festgesetzt wurde (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Damit entspricht die Entscheidung im Ergebnis dem vom FA im Revisionsverfahren gestellten Antrag.

a) Der Vorerwerb ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG mit dem ihm (damals) zukommenden richtigen Wert von 207 073 € unter Berücksichtigung des nicht antragsabhängigen Bewertungsabschlags (§ 13a Abs. 2 ErbStG) anzusetzen und nicht mit dem Wert von 218 321 €, der der Steuerfestsetzung für den Vorerwerb zugrunde gelegt worden war. Nicht zu berücksichtigen ist der Freibetrag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ErbStG; denn seine Gewährung konnte nur bis zur Bestandskraft des Schenkungsteuerbescheids beantragt werden (, BFH/NV 2005, 1308). Dies ist aber nicht geschehen.

b) Wegen des durchzuführenden Härteausgleichs (§ 19 Abs. 3 ErbStG) beträgt die Steuer für den danach vom FG zutreffend ermittelten steuerpflichtigen Erwerb von 56 700 € vor dem Abzug der anrechenbaren Steuer 5 990 € (52 000 € x 7 v.H. + 4 700 x 50 v.H. = 5 990 €).

c) Hiervon ist nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG die Schenkungsteuer abzuziehen, die bei zutreffender Beurteilung der Sach- und Rechtslage für den Vorerwerb festzusetzen gewesen wäre und die höher ist als die fiktive Steuer nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG. Die nach § 14 Abs. 1 Satz 3 ErbStG abziehbare Steuer berechnet sich wie folgt:


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  Wert des Erwerbs laut Schenkungsteuerbescheid
427 000 DM
./. Bewertungsabschlag
./.  22 000 DM
./. persönlicher Freibetrag
./. 400 000 DM
steuerpflichtiger Erwerb
5 000 DM
Steuersatz
7 v.H.
Schenkungsteuer
350 DM = 179 €

Die fiktive Steuer nach § 14 Abs. 1 Satz 2 ErbStG berechnet sich unter Berücksichtigung der in den BFH-Urteilen in BFHE 209, 153, BStBl II 2005, 728, und vom II R 20/05 (BFH/NV 2006, 2260) dargelegten Grundsätze wie folgt:


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Wert des Erwerbs laut Schenkungsteuerbescheid ./. Bewertungsabschlag
    405 000 DM
    207 073,21 € 
./. persönlicher Freibetrag
./. 400 000 DM
./. 204 516,75 €
steuerpflichtiger Erwerb, abgerundet
 
  2 500 €
Steuersatz
 
7 v.H.
Schenkungsteuer
 
175 €

d) Die festzusetzende Erbschaftsteuer beträgt danach 5 990 € ./. 179 €, also 5 811 €.

III.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 4 FGO). Das FG hat zwar den nach den Berechnungsregeln des § 19 Abs. 3 ErbStG vorzunehmenden Härteausgleich übersehen. Dies hat aber über die bereits aufgrund der Revision des FA erfolgte Aufhebung des FG-Urteils keine Konsequenzen. Im Ergebnis ist die Steuer entsprechend den Revisionsanträgen des FA festzusetzen (oben II.).

Fundstelle(n):
BStBl 2009 II Seite 969
BB 2009 S. 2395 Nr. 45
BFH/NV 2009 S. 2056 Nr. 12
BFH/PR 2010 S. 69 Nr. 2
BStBl II 2009 S. 969 Nr. 23
DB 2009 S. 2417 Nr. 45
DStR 2009 S. 2243 Nr. 44
DStRE 2009 S. 1412 Nr. 22
DStZ 2009 S. 913 Nr. 24
EStB 2009 S. 428 Nr. 12
FR 2010 S. 245 Nr. 5
HFR 2009 S. 1212 Nr. 12
KÖSDI 2009 S. 16716 Nr. 11
NJW-RR 2010 S. 81 Nr. 2
NWB-EV 2010 S. 45 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 45/2009 S. 3477
SJ 2009 S. 12 Nr. 23
StB 2009 S. 421 Nr. 12
StBW 2009 S. 7 Nr. 23
StC 2010 S. 8 Nr. 2
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2009 S. 822
WPg 2009 S. 1256 Nr. 24
KAAAD-31022