BFH Beschluss v. - II B 172/08

Beendigung der Anlaufhemmung durch eine unvollständige Anzeige; Anwendung von § 17 Abs. 3a GrEStG

Gesetze: AO § 109 Abs. 1, AO § 169 Abs. 2, AO § 170 Abs. 2, GrEStG § 17 Abs. 3a, GrEStG § 19, GrEStG § 20

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist im Zuge der Verschmelzung der B-AG auf die P-AG gemäß Verschmelzungsvertrag vom entstanden. Die Verschmelzung wurde am in das Handelsregister eingetragen. Aufgrund der Verschmelzung waren mehr als 95 v.H. der Anteile der B-AG u.a. an der C-AG, zu deren Vermögen zahlreiche inländische Grundstücke gehörten, auf die Antragstellerin i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 4 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) übergegangen.

Die Antragstellerin übersandte dem Finanzamt M (Feststellungsfinanzamt) mit Schreiben vom zum Nachweis der Rechtswirksamkeit der Verschmelzung eine Kopie des Handelsregisterauszugs und mit weiterem Schreiben vom eine Liste der „Sitzadressen” aller Gesellschaften, bei denen im Zusammenhang mit der Verschmelzung der B-AG auf die P-AG Steuertatbestände des GrEStG verwirklicht worden waren. Schließlich übermittelte die Antragstellerin dem Feststellungsfinanzamt mit Schreiben vom eine ca. 200 inländische Grundstücke umfassende Liste der zum Vermögen der C-AG gehörenden Grundstücke.

Mit Bescheid über die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer vom stellte das Feststellungsfinanzamt für die aufgrund Verschmelzung verwirklichte Übertragung von mindestens 95 v.H. der Anteile der C-AG auf die Antragstellerin die Besteuerungsgrundlagen gesondert fest.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) setzte mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) ergangenen Bescheid vom , geändert durch Bescheid vom , gegen die Antragstellerin Grunderwerbsteuer in Höhe von 137.578,42 € fest. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Mit der dagegen erhobenen Klage, über die das Finanzgericht (FG) noch nicht entschieden hat, macht die Antragstellerin Festsetzungsverjährung geltend und begehrt die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids sowie der Einspruchsentscheidung.

FA und FG lehnten den Antrag der Antragstellerin ab, die Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung auszusetzen. Nach Auffassung des FG war keine Festsetzungsverjährung eingetreten, weil die Antragstellerin ihrer Anzeigepflicht erst mit Benennung der betroffenen Grundstücke im Schreiben vom nachgekommen sei.

Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, das Feststellungsfinanzamt sei schon aufgrund der Angaben in ihrem Schreiben vom in der Lage gewesen, das Veranlagungsverfahren einzuleiten. Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ende bereits, sobald das Finanzamt Anhaltspunkte für das Entstehen des Steueranspruchs habe und es dem Finanzamt möglich sei, den steuerlichen Sachverhalt selbst zu ermitteln. Anders als etwa § 16 Abs. 5 GrEStG verlange § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht, dass die Anzeige ordnungsgemäß oder vollständig sein müsse. Aufgrund der bei Erstellung der dem Schreiben vom beigefügten Grundstücksliste bereits geleisteten Vorarbeiten (u.a. durch Bezeichnung der jeweiligen wirtschaftlichen Einheiten und Angabe der die Einheitsbewertung betreffenden Aktenzeichen) sei die Bearbeitungszeit nicht zum Nachteil des Feststellungsfinanzamts verkürzt worden. Der Grunderwerbsteuerbescheid hätte daher innerhalb der Zweijahresfrist des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO erlassen werden müssen.

Die Antragstellerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des FG die Vollziehung des Grunderwerbsteuerbescheids vom , geändert durch Bescheid vom in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom , bis einen Monat nach Abschluss des Klageverfahrens auszusetzen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das FG hat den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zu Recht abgelehnt.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen kann (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom II B 148/05, BFH/NV 2006, 1627; vom II B 58/08, BFH/NV 2009, 418).

2. Solche gewichtigen Gründe sind nicht ersichtlich. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids nicht ernstlich zweifelhaft.

a) Bei einem nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG steuerbaren Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung von mindestens 95 v.H. der Anteile einer Gesellschaft begründet, werden die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GrEStG durch das Geschäftsleitungsfinanzamt gesondert festgestellt, wenn —wie vorliegend— ein außerhalb des Bezirks des Geschäftsleitungsfinanzamts belegenes Grundstück betroffen ist. Gegenstand der nach § 17 Abs. 2 und 3 GrEStG zu treffenden gesonderten Feststellung sind die Besteuerungsgrundlagen. Dazu gehört in den Fällen des § 1 Abs. 3 GrEStG die verbindliche Entscheidung über die Steuerpflicht dem Grunde nach, über die als Steuerschuldner in Betracht kommenden Personen sowie über die Finanzämter, die zur Steuerfestsetzung berufen sind. Der Feststellungsbescheid ist ein Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO und für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer durch die jeweils zuständigen Finanzämter bindend (§ 182 Abs. 1 AO). In die gesonderte Feststellung u.a. im Fall des § 17 Abs. 3 GrEStG sind gemäß § 17 Abs. 3a GrEStG nicht die Werte i.S. des § 138 Abs. 2 und 3 des Bewertungsgesetzes aufzunehmen, wenn —wie im Streitfall— die Steuer nach § 8 Abs. 2 GrEStG zu bemessen ist. § 17 Abs. 3a GrEStG, der durch das Steueränderungsgesetz 2001StÄndG 2001— (BGBl I 2001, 3794) eingefügt wurde, ist zwar gemäß Art. 39 Abs. 5 StÄndG 2001 erst am und damit erst nach Verwirklichung der hier fraglichen Erwerbsvorgänge in Kraft getreten. § 17 Abs. 3a GrEStG ist jedoch, weil nicht in die Übergangsvorschrift des § 23 Abs. 7 GrEStG einbezogen, auf alle vom ab durchzuführenden gesonderten Feststellungen nach § 17 Abs. 2 und 3 GrEStG unabhängig davon anzuwenden, zu welchem Zeitpunkt der Erwerbsvorgang verwirklicht wurde (Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 8. Aufl., § 23 Rz 19; Pahlke/Franz, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 3. Aufl., § 17 Rz 1).

b) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel, dass dem angegriffenen Grunderwerbsteuerbescheid Festsetzungsverjährung nicht entgegensteht.

aa) Gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO u.a. dann, wenn eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Diese Bestimmungen gelten gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO sinngemäß auch für die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen. Die Abhängigkeit der Anlaufhemmung von der Voraussetzung des Bestehens einer Steuererklärungspflicht verhindert, dass der Steuerpflichtige durch —ggf. gezielt— verspätete Abgabe seiner Erklärung den Handlungszeitraum des FA verkürzt (BFH-Entscheidungen vom II B 79/99, BFHE 190, 220, BStBl II 2000, 233; vom II R 36/06, BFHE 222, 83, BStBl II 2009, 232).

Im Streitfall hatte die Antragstellerin hinsichtlich der zum Vermögen der C-AG gehörenden Grundstücke gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 7 GrEStG dem Feststellungsfinanzamt (§ 19 Abs. 4 Satz 1 GrEStG) Anzeige zu erstatten. Da der den Verschmelzungsvertrag beurkundende Notar keine Anzeige nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG in einer den Anforderungen des § 20 GrEStG entsprechenden Weise erstattet hat, wäre die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nur dann bereits mit Ablauf des Jahres 2001 eingetreten, wenn die Antragstellerin —wie sie geltend macht— bereits durch ihre Schreiben vom 4. Mai und ihre Anzeigepflicht erfüllt hätte.

Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine nach § 19 GrEStG zu erstattende Anzeige —diese steht gemäß § 19 Abs. 5 GrEStG einer Steuererklärung im Sinne der AO gleich— muss den in § 20 GrEStG vorgeschriebenen Inhalt haben und insbesondere das Grundstück nach Grundbuch, Kataster, Straße und Hausnummer bezeichnen sowie die Größe des Grundstücks und bei bebauten Grundstücken die Art der Bebauung angeben (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GrEStG). Diese Angaben hat die Antragstellerin dem Feststellungsfinanzamt erstmals mit Schreiben vom und der diesem beigefügten Grundstücksliste übermittelt.

bb) Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO endete auch nicht etwa deshalb mit Ablauf des Jahres 2001, weil das Feststellungsfinanzamt schon aufgrund der Schreiben der Antragstellerin vom 4. Mai und in ein Verfahren zur Feststellung der Besteuerungsgrundlagen hätte eintreten können.

Zwar beginnt nach der Rechtsprechung des BFH (Entscheidungen vom IV R 39/04, BFH/NV 2005, 1229; vom I B 18/07, BFH/NV 2008, 18, jeweils m.w.N.) die Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist i.S. von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auch dann mit Abgabe der Steuer- bzw. Feststellungserklärung, wenn die abgegebene Erklärung teilweise unvollständig oder unrichtig ist. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Erklärung derart lückenhaft ist, dass dies praktisch auf das Nichteinreichen der Erklärung hinausläuft. Ebenso beendigt eine teilweise unvollständige oder unrichtige Erklärung die Anlaufhemmung dann nicht, wenn das Gesetz zwingend bestimmte Angaben vorschreibt (Ruban in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 170 AO Rz 19).

Verringerte Anforderungen an die Erfüllung der Anzeigepflicht ergeben sich —entgegen der Auffassung der Antragstellerin— nicht etwa daraus, dass der Wortlaut des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO im Gegensatz zu § 16 Abs. 5 GrEStG keine ordnungsgemäße Anzeige voraussetzt. Die Regelung des § 16 Abs. 5 GrEStG ist allein auf den speziellen Tatbestand des § 16 GrEStG zugeschnitten (vgl. dazu , BFHE 208, 456, BStBl II 2005, 492, m.w.N.) und kann nicht etwa dahin verallgemeinert werden, dass auch jede nicht ordnungsgemäße Anzeige die Beendigung der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bewirkt. Ob eine unvollständige Anzeige die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beendet, ist daher entsprechend dem Normzweck dieser Vorschrift (dazu vorstehend unter II. 2.b aa) danach zu beurteilen, ob insoweit die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wurde.

Für die Beendigung der Anlaufhemmung ist es schließlich auch ohne Bedeutung, ob der Antragstellerin im Hinblick auf die Anzeigefrist des § 19 Abs. 3 GrEStG eine Fristverlängerung gemäß § 109 Abs. 1 AO gewährt worden war. Durch eine solche Fristverlängerung wird lediglich der Eintritt der an den Fristablauf geknüpften Rechtsfolgen hinausgeschoben. Hiervon unberührt bleibt jedoch die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO; diese endet erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Anzeigeerstattung, jedoch spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres seit Ablauf des Steuerentstehungsjahres.

cc) Nach diesen Grundsätzen kommt einer Anzeige nach § 19 GrEStG jedenfalls dann keine die Anlaufhemmung beendende Wirkung zu, wenn ihr die nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG erforderlichen Angaben vollständig fehlen. Dies folgt bereits aus dem mit den Anzeigepflichten nach §§ 18 und 19 GrEStG verfolgten Ziel, der zuständigen Finanzbehörde eine positive Kenntnis von Erwerbsvorgängen zu vermitteln (, BFH/NV 2008, 1876). Eine solche positive Kenntnis, die erstmals durch die in § 20 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG verlangte Bezeichnung des von einem Erwerbsvorgang betroffenen Grundstücks vermittelt wird, ist unabdingbare Voraussetzung zur Durchführung des Festsetzungs- bzw. Feststellungsverfahrens. Insbesondere kann erst aufgrund konkreter Bezeichnung des Grundstücks geprüft werden, ob die Voraussetzungen einer gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 17 Abs. 3 GrEStG erfüllt sind. Es liegt demgemäß auf der Hand, dass eine Anzeige ohne die nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG erforderlichen Angaben die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt.

Soweit ein Beteiligter —wie hier— die nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG erforderlichen Angaben zu einem späteren Zeitpunkt nachholt, endet die Anlaufhemmung innerhalb der Drei-Jahres-Grenze des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des betreffenden Kalenderjahres. Auch eine nachträglich vorgelegte „qualitativ hochwertige Grundstücksliste”, wie sie nach Meinung der Antragstellerin dem Feststellungsfinanzamt mit ihrem Schreiben vom vorgelegt worden ist, bewirkt keine rückwirkende Beendigung der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO auf einen Zeitpunkt innerhalb des Drei-Jahreszeitraums.

dd) Dem angegriffenen Grunderwerbsteuerbescheid steht auch nicht die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 10 Satz 1 AO entgegen. Nach dieser Bestimmung endet die Festsetzungsfrist für den Folgebescheid nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe eines Grundlagenbescheids. Die Ablaufhemmung verlängert die Festsetzungsfrist, kann sie aber nicht verkürzen (Frotscher in Schwarz, AO, § 171 Rz 78). Demgemäß verblieb es im Streitfall bei einer Beendigung der Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Jahres 2007.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1970 Nr. 12
BAAAD-29970