BFH Urteil v. - III R 108/06

Bei Rückforderung von Kindergeld sind die sozialrechtlichen Regelungen über Vertrauensschutz nicht anwendbar

Gesetze: EStG § 65 Abs. 1, SGB X § 45 Abs. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) bezog für ihre am geborene Tochter D Kindergeld. Ihr früherer Ehemann, der Vater von D, von dem die Klägerin seit Mitte 1997 getrennt lebt, erhielt von der Schweizerischen Ausgleichskasse eine Invalidenrente. Diese enthielt eine Kinderrente für D, von der die Klägerin nach ihrem Vortrag keine Kenntnis hatte.

Nachdem die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) von der Kinderrente erfahren hatte, änderte sie mit Bescheiden vom und vom die Festsetzung des Kindergeldes nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) für die Zeit von Januar 1996 bis Mai 2001 und forderte Kindergeld in Höhe der Beträge zurück, die der Kinderrente entsprachen (3 427,70 €). Wegen der bis einschließlich 1995 gewährten Zahlungen nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) fand ein Rechtsstreit vor dem Sozialgericht statt, der zugunsten der Klägerin endete.

Einspruch und Klage hinsichtlich des für den Folgezeitraum gewährten Kindergeldes hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, die Kinderrente sei eine im Ausland gewährte Leistung, die dem Kindergeld vergleichbar sei (§ 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des EinkommensteuergesetzesEStG—). Der Umstand, dass die Rente wohl ohne Wissen der Klägerin an ihren früheren Ehemann geflossen sei, ändere hiernach nichts.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Das FG habe übersehen, dass die Klägerin die Kinderrente nicht erhalten habe. Auch bei Anwendung der Änderungsvorschriften der AO sei ihr, der Klägerin, Vertrauensschutz zu gewähren, so wie dies für das Sozialrecht in § 45 Abs. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) geregelt sei. Durch die systemwidrige Ausgliederung des Kindergeldes habe der Gesetzgeber den nach Art. 6 des Grundgesetzes gebotenen Schutz der Familie vernachlässigt. Bei gleichem Sachverhalt habe sie, die Klägerin, in dem sozialgerichtlichen Verfahren obsiegt, welches das nach dem BKGG gewährte Kindergeld für die Zeit vor 1996 betroffen habe. Der Gesetzgeber habe bei Umgestaltung des Kindergeldrechts übersehen, eine Vertrauensschutzregelung in die AO aufzunehmen. Diese Regelungslücke rechtfertige eine Analogie.

Während des Revisionsverfahrens hat die Familienkasse unter dem Datum des einen geänderten Bescheid erlassen, durch den die Festsetzung von Kindergeld nur noch für den Zeitraum Januar 1998 bis Mai 2001 aufgehoben wurde. Hinsichtlich des Zeitraums Januar 1996 bis Dezember 1997, der ursprünglich ebenfalls streitig gewesen war und für den Verjährung eingetreten war, haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt (§ 138 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG, die Bescheide der Familienkasse vom , vom und vom sowie die Einspruchsentscheidung vom hinsichtlich des Zeitraums Januar 1998 bis Mai 2001 aufzuheben.

Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. 1. Hinsichtlich des Zeitraums Januar 1996 bis Dezember 1997 haben die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Insoweit ist das Urteil des FG gegenstandslos geworden. Im Übrigen (Kindergeld von Januar 1998 bis Mai 2001) ist die Revision unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

2. Die Familienkasse hat die Änderungsbescheide vom und vom zu Recht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt. Hiernach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen, oder, bezogen auf das Kindergeld, zu einer niedrigeren Festsetzung oder zum Wegfall von Kindergeld. Im Streitfall wurde der Familienkasse erst nachträglich bekannt, dass der frühere Ehemann der Klägerin für D eine schweizerische Kinderrente bezogen hatte. Auf ein Verschulden der Klägerin kommt es bei Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht an, ebenso wenig darauf, ob sie darauf vertrauen durfte, das erhaltene Kindergeld nicht zurückzahlen zu müssen. Mit der Übernahme des Kindergeldrechts in das Einkommensteuerrecht zum richtet sich das Verwaltungsverfahren allein nach der AO (Senatsbeschluss vom III S 19/04 (PKH), BFH/NV 2005, 2207). Diese enthält keine § 45 Abs. 2 SGB X entsprechende Vorschrift, nach der das Vertrauen in den Bestand einer gewährten Leistung in der Regel schutzwürdig ist, wenn der Begünstigte sie verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Senatsbeschluss vom III B 9/05, BFH/NV 2005, 2007). Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin liegt auch keine Regelungslücke vor, die durch analoge Anwendung des § 45 Abs. 2 SGB X zu schließen wäre. Der Gesetzgeber ging bei der Systemumstellung des Familienleistungsausgleichs zum durch das Jahressteuergesetz 1996 vom (BGBl I 1995, 1250) davon aus, dass für das nach dem EStG zu gewährende Kindergeld auch die für Steuerbescheide geltenden Änderungsvorschriften der AO Gültigkeit haben würden (vgl. BTDrucks 13/3084, S. 21). Er war nicht gehalten, eine dem § 45 Abs. 2 SGB X entsprechende Vertrauensschutzregelung in das System steuerlicher Änderungs- und Aufhebungsvorschriften aufzunehmen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom VI B 215/98, BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231; vom VI B 89/99, BFH/NV 1999, 1597; vom VI B 82/00, BFH/NV 2000, 1447; , BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123, jeweils zu § 48 SGB X). Hieran hält der Senat fest.

3. Das FG hat zutreffend entschieden, dass es sich bei der schweizerischen Kinderrente um eine ausländische Leistung handelt, die einem Kinderzuschuss aus der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar ist (BFH-Beschlüsse vom VI B 230/99, BFH/NV 2002, 491, und vom III B 15/06, BFH/NV 2007, 228; ebenso Schreiben des Bundesamtes für Finanzen vom , BStBl I 2002, 241, 247). Ein Anspruch der Klägerin auf Kindergeld war somit im streitigen Zeitraum nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Nr. 1 EStG ausgeschlossen.

4. Der Senat weist darauf hin, dass im Streitfall ein Billigkeitserlass nach § 227 AO gerechtfertigt sein könnte, weil —wie aus den Akten zu ersehen ist— das Kindergeld, auch soweit es später zurückgefordert wurde, bei der Berechnung der Höhe der Sozialhilfeleistungen als Einkommen der Klägerin angesetzt wurde und eine nachträgliche Korrektur der Leistungen zu ihren Gunsten nicht möglich ist (, Die Öffentliche Verwaltung 2004, 793, m.w.N.; s. auch Senatsurteil vom III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298 a.E.).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 138 Abs. 2 FGO, soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, im Übrigen auf § 135 Abs. 2 FGO. In dem Umfang, in dem die Familienkasse dem Klagebegehren durch den während des Revisionsverfahrens ergangenen Änderungsbescheid vom entsprochen hat, sind ihr die bis dahin entstandenen Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (Senatsurteil vom III R 32/01, BFHE 204, 108, BStBl II 2004, 270), somit in Höhe von 63 % der Klägerin und in Höhe von 37 % der Familienkasse. Die weiteren Kosten trägt die Klägerin.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 357 Nr. 3
ZAAAD-05551