BFH Urteil v. - V R 43/06 BStBl 2008 II S. 770

Umfang des Vorsteuerabzugs bei Erwerb und erheblichem Umbau eines Gebäudes, das anschließend vom Erwerber für steuerpflichtige und steuerfreie Verwendungsumsätze vorgesehen ist

Leitsatz

1. Der Senat hält für den Umfang des Vorsteuerabzugs bei Erwerb und erheblichem Umbau eines Gebäudes, das anschließend vom Erwerber für steuerpflichtige und steuerfreie Verwendungsumsätze vorgesehen ist, an seiner Rechtsprechung im Urteil vom V R 43/03 (BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417) fest.

2. Er folgt nicht der Auffassung des BMF in dessen Schreiben vom (BStBl I 2004, 1125) und vom (BStBl I 2007, 482).

Gesetze: UStG 1993 § 15 Abs. 2 und 4

Instanzenzug: (EFG 2006, 380) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Grundstücksgemeinschaft, erwarb mit Kaufvertrag vom ein mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebautes Grundstück. Gegenstand der Klägerin ist die Vermietung des erworbenen Hauses zu Wohn- und Gewerbezwecken. Dazu waren diverse Um- und Ausbauten notwendig. Der Klägerin entstanden dadurch in den Jahren 1996 und 1997 (Streitjahre) Baukosten in Höhe von ca. 1,5 Mio. DM. Mit dem Bauunternehmen hatte die Klägerin eine Festpreisvereinbarung getroffen, so dass die Abrechnungen nicht entsprechend der einzelnen Gewerke erfolgten, sondern nach Baufortschritt.

Nach der Fertigstellung des Gebäudes vermietete die Klägerin ab September 1997 das Keller- und das Erdgeschoss mit einer Fläche von insgesamt 186,71 qm an gewerblich tätige Unternehmer umsatzsteuerpflichtig. Die im Obergeschoss und im Dachgeschoss befindlichen vier Wohnungen mit einer Gesamtfläche von 250,61 qm vermietete sie umsatzsteuerfrei zu Wohnzwecken. Bezogen auf die erzielte Gesamtmiete betrugen der Anteil der umsatzsteuerpflichtigen Umsätze aus der Vermietung der Gewerbeflächen 59,07 % und der Anteil der umsatzsteuerfreien Umsätze aus der Vermietung der Wohnungen 40,93 %.

In den Umsatzsteuererklärungen 1996 und 1997 machte die Klägerin Vorsteuerbeträge in Höhe von . DM (1996) und in Höhe von . DM (1997) geltend. Diese Beträge beruhten auf einer Aufteilung der insgesamt angefallenen Vorsteuerbeträge entsprechend dem Verhältnis der umsatzsteuerpflichtigen Mietumsätze (59,07 %) zu den umsatzsteuerfreien Mietumsätzen (40,93 %).

Der Umsatzsteuererklärung für 1996 vom , die einen Überschuss in Höhe von . DM auswies, stimmte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) am gemäß § 168 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) zu. Der Umsatzsteuererklärung für 1997 vom , die einen Überschuss in Höhe von . DM auswies, stimmte das FA am gemäß § 168 Satz 2 AO zu.

Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, die von der Klägerin gewählte Vorsteuer-Aufteilungsmethode sei keine sachgerechte Schätzung i.S. des § 15 Abs. 4 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG). Vielmehr seien die Vorsteuerbeträge auf der Grundlage des Verhältnisses der Grundflächen aufzuteilen. Dem entsprechend würden nur 43,64 % —statt 59,07 %— der Vorsteuerbeträge als abziehbar berücksichtigt.

Das FA folgte der Auffassung der Prüferin und setzte die Umsatzsteuer 1996 und 1997 durch zwei Bescheide vom entsprechend fest. Die dagegen eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es führte zur Begründung aus, da die Vorsteuerbeträge —wie zwischen den Beteiligten unstreitig sei— aufgrund der Abrechnung nach dem Baufortschritt nicht eindeutig der (späteren) umsatzsteuerbaren und umsatzsteuerpflichtigen Nutzung des Gebäudes einerseits sowie der umsatzsteuerbaren, aber umsatzsteuerfreien Nutzung des Gebäudes andererseits zugeordnet und damit aufgeteilt werden könnten, habe die Klägerin die nichtabziehbaren Teilbeträge der Vorsteuer nach dem Umsatzschlüssel ermittelt. Dies habe der (BFH/NV 2002, 227) als sachgerechte Schätzung i.S. von § 15 Abs. 4 UStG anerkannt.

Ohne Erfolg berufe sich das FA darauf, dass die Aufteilung der Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 4 UStG auf solche Gebäudeteile zu beschränken sei, die tatsächlich gemischt genutzt würden. Dies widerspreche nämlich dem Gesetz. Denn nach § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG sei der Unternehmer berechtigt, die nicht abziehbaren Teilbeträge der Vorsteuer zu schätzen. Beschränkungen, wie sie das FA aufstellen wolle, sehe die Regelung nicht vor. Der Umsatzschlüssel sei —wie dargestellt— eine zulässige Schätzungsmethode.

Das Urteil ist in „Entscheidungen der Finanzgerichte” 2006, 380 veröffentlicht.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es trägt zur Begründung vor, entgegen der Auffassung des FG hätten die Voraussetzungen für die Anwendung von § 15 Abs. 4 UStG nicht vorgelegen. Die Klägerin sei nicht befugt gewesen, die abziehbaren Vorsteuerbeträge durch eine Schätzung zu ermitteln.

Die Darlegung des FG treffe nicht zu, es sei unstreitig, dass die Vorsteuerbeträge nicht eindeutig der (späteren) umsatzsteuerpflichtigen Nutzung des Gebäudes einerseits sowie der umsatzsteuerfreien Nutzung des Gebäudes andererseits zugeordnet und damit aufgeteilt werden könnten. Auch bei einer Abrechnung nach Baufortschritt könnten die Eingangsleistungen und damit die Vorsteuerbeträge den einzelnen Gebäudeteilen (Gewerbeflächen einerseits und Wohnflächen andererseits) zugeordnet werden. Dies treffe beispielsweise auf Heizkörper und Fenster zu.

In Fällen gemischt genutzter Grundstücke dürfe eine Schätzung i.S. des § 15 Abs. 4 UStG nur erfolgen, soweit es sich um Vorsteuerbeträge handele, die auf tatsächlich gemischt genutzte Gebäudeteile (z.B. Treppenhaus, Heizungskeller, Dach, Außenanlagen, Fernwärmeanschluss) entfielen. Diese Auffassung werde auch vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Schreiben vom IV A 5 -S 7306- 4/04 (BStBl I 2004, 1125) vertreten.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass sie eine einheitliche, nicht in Teilen geschuldete Leistung, nämlich die „Sanierung des gemischt genutzten Gebäudes”, bezogen habe. Diese Eingangsleistung in Form der umfassenden Sanierung des Gebäudes sei insofern wirtschaftlich zu vergleichen mit der Herstellung eines Gebäudes. Es widerspreche jeglichen Praktikabilitätsgrundsätzen, diese Eingangsleistung dann auch noch aufteilen zu müssen, z.B. hinsichtlich der Fenster.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die Vorsteuerbeträge für Lieferungen und Leistungen abziehen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

2. Ausgeschlossen ist nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG der Vorsteuerabzug u.a. für Lieferungen, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet. Verwendet der Unternehmer eine für sein Unternehmen bezogene Leistung (Lieferung oder sonstige Leistung) nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist nach § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Nach Satz 2 der Vorschrift kann der Unternehmer die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats gelten für den Umfang des Vorsteuerabzugs bei Erwerb und erheblichem Umbau eines Gebäudes, das anschließend vom Erwerber für steuerpflichtige und steuerfreie Verwendungsumsätze vorgesehen ist, folgende Grundsätze (vgl. , BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417):

Vorgreiflich ist zu entscheiden, ob es sich bei den Umbaumaßnahmen nur um Erhaltungsaufwand am Gebäude oder um anschaffungsnahen Aufwand zur Gebäudeanschaffung handelt oder ob insgesamt die Herstellung eines neuen Gebäudes anzunehmen ist. Vorsteuerbeträge, die den Gegenstand selbst (Gebäude) oder die Erhaltung, Nutzung oder Gebrauch des Gegenstands betreffen, sind gesondert zu beurteilen. Handelt es sich insgesamt um Aufwendungen für das Gebäude selbst, kommt nur eine Aufteilung der gesamten Vorsteuerbeträge nach einem sachgerechten Aufteilungsmaßstab in Betracht (§ 15 Abs. 4 UStG). Dieser kann ein Flächenschlüssel oder ein Umsatzschlüssel sein. Der Umfang der abziehbaren Vorsteuerbeträge auf sog. Erhaltungsaufwendungen an dem Gebäude kann sich danach richten, für welchen Nutzungsbereich des gemischt genutzten Gebäudes die Aufwendungen vorgenommen werden. Betreffen z.B. die Erhaltungsaufwendungen nur den zur steuerfreien Vermietung vorgesehenen Wohnteil, scheidet der Vorsteuerabzug in vollem Umfang gemäß § 15 Abs. 2 UStG aus.

b) Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Er folgt nicht der Auffassung des (BStBl I 2007, 482), wonach die Grundsätze des bezeichneten Urteils über den entschiedenen „Einzelfall” hinaus nicht anzuwenden sind.

Das BMF weist in dem Schreiben zwar zutreffend darauf hin, dass Herstellungskosten eines Gebäudes —ebenso wie Erhaltungsaufwendungen— regelmäßig aus einer Vielzahl von einzelnen Leistungsbezügen bestehen, die für sich betrachtet einzelnen Gebäudeteilen zugeordnet oder auf mehrere unterschiedliche Nutzungen aufgeteilt werden können. Gleichwohl muss nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zwischen der Verwendung des Gegenstands selbst und der Verwendung von Gegenständen und Dienstleistungen zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstands unterschieden werden, wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417, unter II.2.b im Einzelnen dargelegt hat.

Soweit das BMF die „vom BFH vorgenommene Versagung der direkten Zuordnung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bestimmten Gebäudeteilen und die damit einhergehende Unterscheidung zur Behandlung von Erhaltungsaufwendungen und nachträglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten” tadelt, trifft dies offensichtlich nicht den vom BFH entschiedenen Fall. Anschaffungs- oder Herstellungskosten betreffen jeweils die Anschaffung oder Herstellung eines bestimmten Gegenstands, bei einem Gebäude also dieses einheitliche Gebäude und nicht „bestimmte Gebäudeteile”. Werden lediglich solche „bestimmte Gebäudeteile” angeschafft oder hergestellt, so sind sie der jeweilige Gegenstand (soweit die Beurteilung als Erhaltungsaufwand am Gebäude nicht eingreift). Über einen solchen Fall hatte der BFH nicht zu entscheiden.

Der Meinung des BMF, die unterschiedliche Behandlung von ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten einerseits und nachträglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten andererseits, sei „in sich widersprüchlich”, ist deshalb nicht zu folgen.

Abgesehen von dem divergierenden Ausgangspunkt des BMF zum angegriffenen BFH-Urteil erscheint auch die vom BMF aufrechterhaltene Methode im Schreiben in BStBl I 2004, 1125 nicht ohne weiteres mit den mit der Neuregelung des § 15a Abs. 3 Satz 2 UStG (BGBl I 2006, 1972) —zusammengefasstes Berichtigungsobjekt— verfolgten Vereinfachungszielen des Gesetzgebers vereinbar.

c) Um welche Aufwendungen es sich im Streitfall handelt, lässt sich dem Urteil des FG nicht entnehmen. Auch der Bericht über die durchgeführte Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom , auf den in den angefochtenen Bescheiden verwiesen wird, erwähnt lediglich „diverse Um- und Ausbauten” mit Baukosten in Höhe von ca. 1,5 Mio. DM.

Nach der Revisionserwiderung der Klägerin waren die ausgeführten Arbeiten so umfangreich, dass sie mit der Herstellung eines Gebäudes vergleichbar sein könnten.

3. Das FG wird die entsprechenden Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachholen müssen.

4. Falls es sich insgesamt um Aufwendungen für das Gebäude selbst und nicht um (bloße) Erhaltungsaufwendungen handelt, wird das FG zu beachten haben, dass ein sachgerechter Aufteilungsmaßstab i.S. des § 15 Abs. 4 UStG für die Vorsteuerbeträge auf den Erwerb (bzw. die Herstellung) eines gemischt genutzten Gegenstands, der einem bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheid für den entsprechenden Besteuerungszeitraum zugrunde liegt, bindend und der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Das gilt zugunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen (vgl. , BFH/NV 2005, 584; , BFHE 213, 249, BStBl II 2006, 729; in BFHE 215, 335, BStBl II 2007, 417, unter II. 4.).

Im Streitfall sind die Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre nach Zustimmung durch das FA gemäß § 168 Satz 2 AO als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung im Sinne der vorstehend bezeichneten Rechtsprechung bestandskräftig geworden.

Fundstelle(n):
BStBl 2008 II Seite 770
BB 2008 S. 416 Nr. 9
BB 2008 S. 985 Nr. 19
BBK-Kurznachricht Nr. 7/2008 S. 335
BFH/NV 2008 S. 513 Nr. 3
BStBl II 2008 S. 770 Nr. 17
DB 2008 S. 448 Nr. 9
DStR 2008 S. 350 Nr. 8
DStRE 2008 S. 325 Nr. 5
DStZ 2008 S. 158 Nr. 6
GStB 2008 S. 189 Nr. 6
HFR 2008 S. 382 Nr. 4
KÖSDI 2008 S. 15933 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 8/2008 S. 610
SJ 2008 S. 15 Nr. 8
StB 2008 S. 112 Nr. 4
StBW 2008 S. 4 Nr. 4
StC 2008 S. 10 Nr. 4
StuB-Bilanzreport Nr. 5/2008 S. 198
UR 2008 S. 664 Nr. 17
UStB 2008 S. 131 Nr. 5
UVR 2008 S. 162 Nr. 6
WPg 2008 S. 370 Nr. 9
WPg 2008 S. 419 Nr. 9
MAAAC-70834