BSG Urteil v. - B 13 RJ 40/05 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGB VI § 118 Abs 3

Instanzenzug: LSG Nordrhein-Westfalen L 14 R 68/05 vom SG Düsseldorf S 22 RJ 65/04

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Rückforderung von Rentenzahlungen in Höhe von insgesamt € 1.209,75, die nach dem Tode des Rentenberechtigten auf dessen Konto bei der beklagten Sparkasse überwiesen worden waren.

Der klagende Rentenversicherungsträger zahlte dem am verstorbenen W. L. (L.) zuletzt Altersrente aus eigener Versicherung in Höhe von brutto € 1.227,21 (nach Abzug von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen: € 1.144,66) sowie Hinterbliebenenrente nach seiner Ehefrau I. L. in Höhe von brutto € 69,79 im Monat (abzüglich Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen: € 65,09). Die Klägerin überwies diese Leistungen nach dem Tod des Rentenberechtigten noch für den Monat Februar 2004 auf dessen Girokonto bei der Beklagten.

Nach dem Inhalt der Kontoauszüge stand das Konto am bei minus € 2.394,66. Am wurden € 1.227,21, € 69,79 (beide: "Rentenservice") und € 118,00 ("Buka-Trier") gutgeschrieben; am selben Tag wurde das Konto mit € 900,00 (Abhebung durch den Sohn des L.) belastet. Das Sollsaldo belief sich nun auf minus € 1.879,66. Am wurde das Konto mit € 500,00 und am mit € 20,00 (jeweils Abhebungen durch den Sohn des L.) belastet; das Saldo betrug somit minus € 2.399,66. Das am eingegangene Rückforderungsverlangen des Rentenservice der Deutschen Post AG lehnte die Beklagte ab; sie wies im Folgenden darauf hin, dass der Sohn des L. bereits über die Beträge verfügt habe.

Der Leistungsklage hat das Sozialgericht Düsseldorf (SG) unter dem stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin € 1.209,75 zurückzuzahlen. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) mit Urteil vom zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, das SG habe zu Recht auf Grundlage des § 118 Abs 3 Satz 2 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) zur Zahlung verurteilt. Ein Entreicherungseinwand sei nicht gegeben. Dieser sei nur zulässig, wenn das betreffende Konto bei Eingang des Rückforderungsverlangens kein ausreichendes Guthaben aufweise und das Geldinstitut den Kontostand nicht durch Verfügungen zur Befriedigung eigener Forderungen unter den Wert der Sozialleistung gesenkt habe (Hinweis auf ). Das Geldinstitut bleibe erstattungspflichtig, wenn der Wert auf ein im Soll stehendes Konto übertragen werde und sich dadurch das Vermögen des Kontoinhabers bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise vermehre, dass sich seine Schulden gegenüber dem Geldinstitut verminderten (Hinweis auf ). Das relative Befriedigungsverbot in § 118 Abs 3 Satz 4 SGB VI in Verbindung mit dem Rückforderungsvorbehalt in Satz 1 dieser Vorschrift führe zur Unwirksamkeit der Verrechnung im Verhältnis zum Rentenversicherungsträger und dem Bankkunden. Das Gericht folge der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG). Hiernach sei der Entreicherungseinwand ausgeschlossen, weil die Gutschrift auf ein durchgehend bis zum Eingang der Rückforderung im Soll befindliches Konto erfolgt sei. Die der Rentengutschrift folgenden Verfügungen Dritter aus dem weiterhin im Soll befindlichen Konto seien nicht geeignet, den Einwand der Entreicherung zu eröffnen. Dies entspreche nicht der von § 118 Abs 3 und 4 SGB VI beabsichtigten Risikoverteilung unter Berücksichtigung des Interesses der Versichertengemeinschaft. Das Kreditrisiko habe allein die Bank zu tragen, die dies kenne und im wirtschaftlichen Interesse übernommen habe. Wegen dieses Ausfallrisikos werde ein Dispositionskredit nur gegen erhebliche Zinsen eingeräumt.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 118 Abs 3 (insbesondere Satz 3) SGB VI. Zur Begründung führt sie aus, bereits die Entstehungsgeschichte spreche gegen den Ausschluss des Entreicherungseinwands bei einem durchgehend vom Zeitpunkt der Gutschrift bis zum Eingang der Rückforderung im Soll stehenden Konto. Ursprünglich habe sich die Kreditwirtschaft durch eine freiwillige Vereinbarung mit den Spitzenverbänden der Renten- und Unfallversicherungsträger im Jahr 1982 verpflichtet, unter Verzicht auf Aufrechnungen mit eigenen Forderungen überzahlte Renten zurückzuzahlen. Dabei sei eine Minderung des Rückzahlungsbetrags um sämtliche nach Eingang der Rentenüberweisung vorgenommenen Verfügungen vereinbart worden. Diese Vereinbarung sei in der Praxis stets befolgt worden und unproblematisch gewesen. Aus rechtsstaatlichen Gründen sei diese Praxis 1992 in § 118 Abs 3 SGB VI überführt worden. Diese Vorschrift stelle einen typischen Interessenausgleich zwischen der Bank und dem Leistungsträger dar. Die Bank solle keinen offensichtlichen wirtschaftlichen Vorteil ziehen, aber auch keinen Nachteil erleiden, wenn sie bis zum Eingang der Rückforderung noch Verfügungen berechtigter Personen ausführe. Daran ändere sich auch nichts, wenn das Konto durchgehend im Soll stehe. Dies folge bereits aus dem Wortlaut des § 118 Abs 3 Satz 3 SGB VI. Die Rücküberweisungspflicht bestehe nicht, soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Verfügung bereits anderweitig verfügt worden sei, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen könne. Letzterer Ausnahme hätte es nicht bedurft, wenn die Rücküberweisungspflicht bei einem Konto im Soll ohnehin bestünde. Die anders lautende Auslegung des 4. Senats des BSG stehe zudem mit dem Charakter des § 118 Abs 3 Satz 3 SGB VI als Schutzvorschrift für die Bank nicht in Einklang. Aus Satz 4 der Vorschrift folge nichts anderes. Demgegenüber könne das Risiko der Abhebung durch Dritte nicht im Interesse der Versichertengemeinschaft dem Geldinstitut zur Last gelegt werden. Dem stehe entgegen, dass mit der gesetzlichen Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers, Renten bargeldlos zu übermitteln, auch das Rückabwicklungsrisiko korrespondiere. Die Ansicht des 4. Senats des BSG würde die Banken veranlassen, Rentnern in diskriminierender Weise die üblichen Kredite zu verweigern.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Das Urteil des 4. Senats des - bestätige ihre Auffassung. Bei einem durchgehend im Soll stehenden Konto könne sich die Beklagte nicht auf den Entreicherungseinwand berufen.

II

Die zulässige Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.

Auf der Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen kann nicht abschließend entschieden werden, ob und inwieweit der klagende Rentenversicherungsträger nach § 118 Abs 3 Satz 2 SGB VI die Rücküberweisung der von ihm an die Beklagte auf das Girokonto des verstorbenen Versicherten für die Zeit nach dessen Tod überwiesenen Geldleistung verlangen kann.

1. Die in § 118 Abs 3 Satz 1 und 2 SGB VI geregelten Voraussetzungen dieses Anspruchs sind erfüllt: Der Träger der Rentenversicherung oder die überweisende Stelle fordert eine Geldleistung als zu Unrecht erbracht zurück, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen wurde.

Streitig ist die Rückforderung in Höhe des Antrags der Klägerin. Die Zahlungen für den Monat Februar 2004 sind zu Unrecht erbracht worden, weil nach § 102 Abs 5 SGB VI ein Anspruch auf Zahlung dieser Renten nur bis zum Ende des Kalendermonats besteht, in dem der Berechtigte gestorben ist, hier also bis zum . Rentenleistungen für den Februar entbehren somit einer Rechtsgrundlage. Die Rückforderung ist am bei der Beklagten eingegangen.

2. Das Rücküberweisungsverlangen scheitert auch nicht bereits deshalb, weil der von der Klägerin auf das Girokonto des L. überwiesene Betrag sofort dadurch "verbraucht" wurde, dass er das Minus-Saldo des Kontos (teilweise) abdeckte. Hieraus folgt kein Entreicherungseinwand iS des § 118 Abs 3 Satz 3 SGB VI. Denn das Geldinstitut darf nach Satz 4 dieser Vorschrift den überwiesenen Betrag nicht zur Befriedigung eigener Forderungen verwenden. Nichts anderes aber geschieht mit einem Überweisungsbetrag, der auf einem Debet-Konto verrechnet wird und dadurch die Darlehensforderung des Geldinstituts gegenüber dem Kontoinhaber mindert.

3. Ein Rücküberweisungsanspruch der Klägerin besteht jedoch nicht, "soweit über den entsprechenden Betrag bei Eingang der Rückforderung bereits anderweitig verfügt wurde, es sei denn, dass die Rücküberweisung aus einem Guthaben erfolgen kann" (§ 118 Abs 3 Satz 3 SGB VI). Entgegen der Rechtsmeinung des LSG können auch bei einem durchgehend im Soll stehenden Konto anderweitige, nach Wirksamwerden der Gutschrift veranlasste Verfügungen berechtigter Dritter zu berücksichtigen sein. Das LSG hat, seinem Rechtsstandpunkt folgend, nicht sämtliche für die Anwendung dieser Vorschrift erforderlichen Tatsachen festgestellt.

a) Das LSG geht davon aus, dem Entreicherungseinwand der Beklagten stehe bereits der Umstand entgegen, dass die zu Unrecht überwiesene Geldleistung einem im Soll befindlichen Girokonto gutgeschrieben worden und das Konto bis zur Rückforderung im Soll verblieben sei. Entgegen der Meinung des LSG kann es sich jedoch insoweit nicht auf die Rechtsprechung des 4. Senats des BSG berufen. Denn dieser gewährt den Entreicherungseinwand auch bei einer derartigen Fallkonstellation unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass der bisherige Kreditrahmen (Verfügungsrahmen) ausgeschöpft und auch über einen Betrag in Höhe der gutgeschriebenen Rentenzahlung (den "Wert des Schutzbetrags") anderweitig verfügt (dieser weitergeleitet) wurde (so BSG 4. Senat vom - B 4 R 89/06 R, RdNr 51). Demnach braucht das Geldinstitut nach Meinung des 4. Senats dann nichts zurückzuüberweisen, wenn die Rentenüberweisung den Kontostand wieder über das zuvor ausgeschöpfte Dispositionslimit gehoben und die anderweitigen Verfügungen diese Gutschrift wieder aufgezehrt haben. Der erkennende Senat kann im gegenwärtigen Stand des Verfahrens offen lassen, ob er dem folgt oder - weitergehend - mit dem 9. Senat des BSGE 83, 176 = SozR 3-2600 § 118 Nr 4) den Entreicherungseinwand bei einem durchgehend im Soll stehenden Konto auch ohne Rücksicht auf die Ausschöpfung eines Kreditrahmens zulässt - wozu er neigt. Denn ob die Beklagte dem Versicherten einen Kreditrahmen eingeräumt hatte und, wenn ja, welchen, hat das LSG nicht festgestellt. Damit aber bleibt denkbar, dass im Gegensatz zu den Ausführungen des LSG die Leistungsklage auch nach der Rechtsprechung des 4. Senats begründet ist.

b) Die vorliegende Fallgestaltung nötigt auch nicht zu einer abschließenden Entscheidung zwischen beiden Rechtsmeinungen. Denn die Sache ist auch dann nicht entscheidungsreif, wenn man die Rechtsauffassung des 9. Senats des BSG (aaO) zugrunde legt. Es fehlen Feststellungen zur zeitlichen Abfolge der Gutschrift der Renten und der Abhebung von € 900,00 am . Diese Abfolge ist auch für die Lösung nach der unter a) geschilderten Rechtsmeinung des 4. Senats erheblich, sollte ein hiernach relevanter Kreditrahmen festgestellt werden können.

Auf das durchgehend im Debet befindliche Konto des Versicherten wurden am überwiesen: € 1.297,00 von der Klägerin, € 118,00 aus anderer Quelle. Eindeutig danach (nämlich am 30.1. und am ) hat der - wie aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG zu entnehmen ist - hierzu berechtigte Sohn des Versicherten € 520,00 abgehoben. Damit wurde über den der Überweisung der Klägerin "entsprechenden Betrag" bis zum Eingang der Rückforderung lediglich in Höhe von € 402,00 verfügt. Nur insoweit können die Abhebungen als "entsprechender Betrag" (vom 4. Senat des BSG als "Schutzbetrag" bezeichnet: zB Urteil vom - B 4 R 89/06 R, RdNr 50) gewertet werden. Denn nur in dieser Höhe kann festgestellt werden, dass sie zu Lasten der Überweisungen der Klägerin gingen. Von den € 520,00 ist nämlich zunächst der Betrag der weiteren Gutschrift (€ 118,00) abzusetzen. Jedenfalls den Restbetrag (€ 402,00) aber kann die Klägerin nicht mehr verlangen, von der Beklagten zurücküberwiesen zu bekommen.

Wäre jedoch auch die Barabhebung von € 900,00 vom , dem Tag der Gutschrift der Renten, erst nach dieser Gutschrift erfolgt, läge hierin ebenfalls eine "anderweitige Verfügung" mit der Folge, dass auch diese den Rücküberweisungsanspruch mindern würde. Dann aber stünden den überwiesenen Rentenbeträgen von (€ 1.227,21 und € 69,79) zusammen € 1.297,00 "anderweitige Verfügungen" in Höhe von (€ 402,00 und € 900,00) zusammen € 1.302,00 gegenüber, die den Rücküberweisungsanspruch überstiegen. Eine Abhebung der € 900,00 vor Gutschrift der Renten könnte hingegen nicht als anderweitige Verfügung über den der Rentenüberweisung "entsprechenden Betrag" gewertet werden. Die Reihenfolge der Gutschriften bzw Abbuchungen wird das LSG noch festzustellen haben (hierzu im Einzelnen BSG 4. Senat vom - B 4 R 89/06 R, RdNr 37 ff). Kann insoweit keine Klärung erfolgen, trägt die Beklagte, die den "Entreicherungseinwand" des § 118 Abs 3 Satz 3 SGB VI zu ihren Gunsten geltend macht, die Feststellungs(Beweis-)last.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Fundstelle(n):
WM 2008 S. 629 Nr. 14
MAAAC-68012