BVerwG Beschluss v. - 7 B 9.07

Leitsatz

Das (Bundes-)Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (IHKG) schließt die Befugnis der Länder nicht aus, durch ein allgemeines Informationsfreiheitsgesetz Ansprüche auf Zugang zu amtlichen Informationen außerhalb konkreter Verwaltungsverfahren auch gegenüber Industrie- und Handelskammern einzuräumen (hier entschieden für das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen).

Gesetze: GG Art. 72 Abs. 1 a.F.; GG Art. 74 Abs. 1 Nr. 11; GG Art. 84 Abs. 1 a.F.; IHKG § 12 Abs. 1; IFG NRW § 2 Abs. 1; IFG NRW § 4 Abs. 1

Instanzenzug: VG Düsseldorf VG 3 K 2/03 vom OVG Münster OVG 8 A 1679/04 vom Fachpresse: ja BVerwGE: nein

Gründe

I

Der Kläger begehrte von der beklagten Industrie- und Handelskammer Einsicht in Unterlagen für die Wahl zur Vollversammlung der Beklagten im Jahre 2001. Der Kläger ist Geschäftsführer einer Gesellschaft, die Mitglied der Beklagten ist. Er selbst wurde im Jahre 2001 als ordentliches Mitglied in die Vollversammlung der Beklagten gewählt. Seinen Anspruch auf Einsicht in die Wahlunterlagen stützte er auf das Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen - IFG NRW - vom - GV.NRW S. 806).

Auf eine Untätigkeitsklage des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger entsprechend seinem Antrag Einsicht in die Wahlunterlagen zu gewähren. Nachdem die Beklagte dem Kläger während des Berufungsverfahrens ohne Anerkennung einer Rechtspflicht Einsicht in bestimmte Wahlunterlagen gewährt hatte, hat das Oberverwaltungsgericht auf den nunmehr gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag des Klägers die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, dem Kläger auf dessen Antrag Einsicht in im Einzelnen bezeichnete Wahlunterlagen zu gewähren. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt: Dem Kläger habe für die ursprünglich erhobene Verpflichtungsklage nicht das erforderliche Rechtsschutzinteresse gefehlt. Zwar sei ihm als Geschäftsführer seiner Gesellschaft in einem von dieser betriebenen Verwaltungsprozess um die Einsichtnahme in bestimmte Wahlunterlagen die Möglichkeit zur Einsicht in die dort beigezogenen Beiakten eingeräumt worden. Auch habe die Beklagte in jenem Verfahren den Inhalt der Akten mitgeteilt, in welche der Kläger Einsicht begehrte. Dadurch sei das Rechtsschutzinteresse des Klägers aber nicht entfallen, weil die Beklagte dem Kläger damit noch keine tatsächliche Einsicht in die Unterlagen gewährt habe, die Gegenstand der jetzt erhobenen Verpflichtungsklage seien. Der Kläger habe bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses einen Anspruch auf Einsicht in die von ihm bezeichneten Wahlunterlagen gehabt. Das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen sei auf Industrie- und Handelskammern anwendbar. Dem Landesgesetzgeber fehle nicht die Gesetzgebungskompetenz dafür, Ansprüche auf freien Zugang zu Informationen gegenüber den Industrie- und Handelskammern zu begründen.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beklagten.

II

Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Die Beklagte wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob der nordrhein-westfälische Landesgesetzgeber befugt gewesen sei, mit dem Informationsfreiheitsgesetz in die Organisation der beklagten Industrie- und Handelskammer einzugreifen, die im IHKG als Bundesrecht geregelt sei.

Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil die Antwort sich ohne weiteres aus den einschlägigen Bestimmungen des Grundgesetzes über die Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes und der Länder ergibt.

Der Bund hat mit dem Gesetz zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (IHKG) von seiner Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG nicht in einer Weise Gebrauch gemacht, die dem Land Nordrhein-Westfalen die Gesetzgebungsbefugnis für den Erlass der § 2 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 IFG NRW insoweit nahm, als diese Vorschriften jeder natürlichen Person gegenüber den der Aufsicht des Landes unterstehenden Industrie- und Handelskammern einen Anspruch auf Zugang zu den dort vorhandenen amtlichen Informationen einräumt.

Die Gesetzgebungsbefugnis des Landes aus Art. 70 GG war insbesondere nicht nach Art. 84 Abs. 1 GG in der Fassung ausgeschlossen, die diese Bestimmung bei Erlass des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen noch hatte. Nach Art. 84 Abs. 1 GG a.F. regeln die Länder die Errichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, wenn sie Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, es sei denn, ein Bundesgesetz bestimmt mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes. Das IHKG mag im Sinne von Art. 84 Abs. 1 GG a.F. bezogen auf die Ausführung des IHKG das Verwaltungsverfahren regeln. Die Einräumung eines Anspruchs auf freien Zugang zu amtlichen Informationen nach § 4 Abs. 1 IFG NRW ist jedoch keine Regelung des Verwaltungsverfahrens. Vorschriften über Ansprüche auf Auskunft oder Akteneinsicht betreffen das Verwaltungsverfahren dann, wenn sie einem Beteiligten in einem laufenden materiellrechtlich auf ein anderes Ziel gerichteten Verwaltungsverfahren eingeräumt sind, wie dies etwa auf §§ 25, 29 VwVfG zutrifft. § 4 Abs. 1 IFG NRW räumt hingegen einen eigenständigen Anspruch auf freien Zugang zu amtlichen Informationen ein, der unabhängig von einem anhängigen Verwaltungsverfahren besteht und selbst Gegenstand eines eigenen Verwaltungsverfahrens ist. Der eingeräumte Informationsanspruch gestaltet nicht ein Verwaltungsverfahren aus, sondern seine Erfüllung ist selbst materielles Ziel eines eigenen Verwaltungsverfahrens. Der Anspruch wird wegen der Information selbst eingeräumt, nicht aber nur zur besseren verfahrensrechtlichen Durchsetzung eines anderen materiellen Rechts.

Aus diesem Grund kommt auch § 12 Abs. 1 IHKG keine rechtliche Bedeutung für die Beantwortung der aufgeworfenen Frage zu. Diese Vorschrift zählt zwar abschließend die Regelungsgegenstände auf, zu denen die Länder ergänzende Vorschriften erlassen können. Diese Beschränkung besteht aber nur für Vorschriften, die im Verständnis von Art. 84 Abs. 1 GG a.F. die Durchführung des IHKG betreffen. Zu diesen Vorschriften gehört das IFG NRW nicht.

Die § 2 Abs. 1 Satz 1 und § 4 Abs. 1 IFG NRW sind auch nicht deshalb teilweise unwirksam, weil das IHKG jedenfalls für Wahlunterlagen generell abschließend regelt, in welchem Umfang sie wem gegenüber offengelegt werden müssen, mit der Folge, dass weitergehende landesrechtliche Informationspflichten nach Art. 72 Abs. 1 GG a.F. mangels Gesetzgebungskompetenz des Landes nichtig sind. Die Beklagte hat eine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage des Bundesrechts in diesem Zusammenhang nicht sinngemäß insoweit aufgeworfen, als sie zutreffend darauf verweist, § 4 Nr. 2 IHKG und § 5 Abs. 3 IHKG ermächtige die Industrie- und Handelskammer als Selbstverwaltungskörperschaften zum Erlass einer Wahlordnung. Es mag sein, dass schon wegen des Grundsatzes der geheimen Wahl die Ermächtigung zum Erlass einer Wahlordnung auch die Ermächtigung zum Erlass von Vorschriften umfasst, welche die Vertraulichkeit von Wahlunterlagen und -vorgängen betreffen.

Dennoch bedürfte in dem angestrebten Revisionsverfahren keiner Entscheidung, ob § 4 Nr. 2 IHKG und § 5 Abs. 3 IHKG als abschließende Regelung in dem Sinne zu verstehen sind, dass allein die Industrie- und Handelskammer durch Satzung bestimmt, welche Wahlunterlagen (im weitesten Sinne) wem in welchem Verfahren zugänglich gemacht werden müssen. Eine Normenkollision kann insoweit nämlich nicht eintreten.

Soweit besondere Rechtsvorschriften über den Zugang zu amtlichen Informationen, die Auskunftserteilung oder die Gewährung von Akteneinsicht bestehen, gehen sie nach § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW den Vorschriften dieses Gesetzes vor. Soweit nach bundesrechtlichen Vorschriften ein eingeschränkter und insoweit abschließend normierter Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen besteht, hat es damit sein Bewenden. Eine solche bundesrechtliche Vorschrift schließt schon nach dem Geltungsanspruch des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen einen Anspruch nach diesem Gesetz aus. Das Oberverwaltungsgericht hat die Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW auch auf Satzungsrecht angewandt, das auf einer bundesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage beruht und Einsichtspflichten regelt. Es hat allerdings in Auslegung und Anwendung irrevisiblen Landesrechts angenommen, dass die hier in Rede stehenden Bestimmungen der Wahlordnung der Beklagten lediglich Mindestanforderungen für eine ordnungsgemäße Bekanntgabe des Wahlergebnisses aufstellen, einen weitergehenden Informationsanspruch aber nicht regeln und damit auch nicht ausschließen.

Für das angestrebte Revisionsverfahren unerheblich ist schließlich der weitere Hinweis der Beklagten auf § 3 Abs. 6 IHKG, der die Industrie- und Handelskammern ermächtigt, für die Inanspruchnahme besonderer Tätigkeiten Gebühren zu erheben. Ob § 11 IFG NRW, der die Erhebung von Gebühren für Amtshandlungen nach dem Informationsfreiheitsgesetz regelt, mit § 3 Abs. 6 IHKG insoweit vereinbar ist, als § 11 IFG NRW auch auf Amtshandlungen von Industrie- und Handelskammern anwendbar sein soll, bedürfte in dem angestrebten Revisionsverfahren keiner Entscheidung. Die Erhebung von Gebühren für die begehrten Amtshandlungen steht hier nicht in Rede.

2. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf dem behaupteten Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

Das Oberverwaltungsgericht hat nicht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt. Das Oberverwaltungsgericht hat sich mit ihrem Vortrag auseinandergesetzt, dem Kläger habe für die ursprünglich erhobene Verpflichtungsklage das erforderliche Rechtsschutzinteresse gefehlt. Das Oberverwaltungsgericht ist dabei davon ausgegangen, dass der Kläger als Geschäftsführer einer GmbH als Klägerin eines Parallelverfahrens nicht in alle Unterlagen, die in diesem Verfahren in Rede stehen, tatsächlich Einsicht genommen hat. Hieraus hat das Oberverwaltungsgericht den nachvollziehbaren und zutreffenden Schluss gezogen, es habe ein Rechtsschutzinteresse des Klägers für die hier erhobene Verpflichtungsklage bestanden. Die Beklagte zieht mit ihrer Beschwerde selbst nicht in Zweifel, dass der Kläger tatsächlich nicht alle Unterlagen, um die es hier geht, eingesehen hat. Sie geht selbst davon aus, dass der Kläger in einige der in Rede stehenden Unterlagen in dem Parallelverfahren als Geschäftsführer der dortigen Klägerin durch Akteneinsicht hätte Kenntnis erhalten können. Davon geht auch das Oberverwaltungsgericht aus. Es hat diese Möglichkeit der Kenntnisnahme indes nicht ausreichen lassen, und zwar, wie sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils ergibt, letztlich deshalb, weil dem Kläger in der mündlichen Verhandlung des Parallelprozesses durch das Berufungsgericht zwar die Einsicht in die vorgelegten Unterlagen angeboten worden ist, dies aber mit dem Hinweis verbunden war, die Unterlagen seien für den seinerzeitigen Prozess irrelevant, und der Kläger deshalb von einer Einsichtnahme in diese Akten Abstand genommen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Fundstelle(n):
TAAAC-63773