Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: StGB § 46 c; StGB § 49 Abs. 1; StGB § 54 Abs. 1; StGB § 306 b Abs. 2
Gründe
Dem Senat liegt ein Revisionsverfahren vor, in dem die Staatsanwaltschaft mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf den Strafausspruch beschränkten Rechtsmittel beanstandet, das Landgericht habe die wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung vorgenommene Kompensation rechtsfehlerhaft durchgeführt. Die Rüge wirft grundsätzliche Fragen zur Art und Weise derartiger Kompensationen auf. Diese sind nach Ansicht des Senats dahin zu beantworten, dass an dem bisher in der Rechtsprechung angewendeten Modell, eine Strafe auszusprechen, die durch einen bezifferten Abschlag von der in den Urteilsgründen festgelegten angemessenen Strafe zu bilden ist, nicht mehr festgehalten werden sollte. Vielmehr hält der Senat die in der Vorlegungsfrage beschriebene Vorgehensweise für vorzugswürdig. Da mit einem derartigen Systemwechsel eine völlige Abkehr von der bisherigen einhelligen Rechtsprechung verbunden wäre, hält es der Senat für erforderlich, dass diese Grundsatzfrage vom Großen Senat für Strafsachen zur Fortbildung des Rechts entschieden wird (§ 132 Abs. 4 GVG). Im Einzelnen:
I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung (§ 306 b Abs. 2 Nr. 2 StGB) und wegen versuchten Betruges (§ 263 Abs. 1 und 2, §§ 22, 23 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Im Rahmen der Strafzumessung hat es zunächst festgestellt, dass das Verfahren in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden sei, weil zwischen dem Eingang der Anklageschrift am und dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses am ein unvertretbar langer Zeitraum gelegen habe. Hiervon ausgehend hat es ausgeführt: Ohne Berücksichtigung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sei zur Ahndung der besonders schweren Brandstiftung die Mindeststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe angemessen. Da § 306 b Abs. 2 StGB die Möglichkeit einer milderen Bestrafung minder schwerer Fälle nicht vorsehe, könne die eingetretene Verfahrensverzögerung innerhalb des gesetzlich eröffneten Strafrahmens nicht berücksichtigt werden. Um die verfassungsrechtlich gebotene Kompensation der Verletzung des Beschleunigungsgebots zu ermöglichen, sei § 49 Abs. 1 StGB anzuwenden. Entsprechend dieser Vorschrift hat das Landgericht den Strafrahmen des § 306 ?Abs. 2 StGB herabgesetzt und sodann zur Kompensation der Verzögerung eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten statt der an sich verwirkten Strafe von fünf Jahren verhängt. Für den versuchten Betrug hat es mit Blick auf die überlange Verfahrensdauer eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten (statt der an sich verwirkten Strafe von einem Jahr) festgesetzt. Unter Erhöhung der Einsatzstrafe von drei Jahren und zehn Monaten hat es sodann auf die Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren erkannt; ohne die jeweiligen Strafabschläge hätte es eine solche von fünf Jahren und sechs Monaten gebildet.
II. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit Recht. Der Senat beabsichtigt daher, das Urteil auf deren Revision im gesamten Strafausspruch aufheben.
1. Allerdings sind die Einzelstrafen nicht zu beanstanden, die das Landgericht als eigentlich - ohne Berücksichtigung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung - angemessene Sanktionen für die vom Angeklagten begangenen Taten festgesetzt und der Bemessung der tatsächlich verhängten Strafen zugrunde gelegt hat. Das gilt insbesondere auch, soweit es für die besonders schwere Brandstiftung aus dem maßgeblichen Strafrahmen des § 306 b Abs. 2 StGB lediglich die Mindeststrafe als eigentlich verwirkt erachtet hat.
2. Soweit das Landgericht ausgehend von den an sich verwirkten Einzelstrafen die überlange Verfahrensdauer bei der Strafzumessung berücksichtigt hat, folgt es zunächst den hierzu in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Vorgaben. Hinsichtlich der Strafreduktion für das Brandstiftungsdelikt geht es über diese hinaus; die Auffassung, die es hierbei vertritt, begegnet indessen rechtlichen Bedenken.
a) Nach der ursprünglichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war einer Verletzung des Anspruchs auf schleunige Abwicklung des Strafverfahrens ausschließlich in der Weise Rechnung zu tragen, dass sie - wie andere relevante Umstände - bei der Zumessung der angemessenen Strafe als ein strafmildernder Gesichtspunkt berücksichtigt und gegebenenfalls als ein bestimmender Faktor in den Urteilsgründen ausgewiesen werden musste. Die Festlegung eines bestimmten Ausmaßes der Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes wurde ebenso wenig wie bei anderen strafmildernden oder -schärfenden Gesichtspunkten als notwendig angesehen (vgl. BGHSt 24, 239, 242; 27, 274, 275 f.; BGH NStZ 1982, 291, 292; ).
Diese Rechtsprechung konnte indes keinen Bestand haben, weil sie den aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Rechtstaatsgebot des Grundgesetzes resultierenden Vorgaben nicht hinreichend gerecht wurde. Ausgangspunkt für ihre Änderung war namentlich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom (EuGRZ 1983, 371 ff. - Eckle ./. Bundesrepublik Deutschland). In diesem Verfahren, in dem die beiden Beschwerdeführer die Länge der gegen sie durchgeführten Strafverfahren gerügt hatten, hat der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK festgestellt und unter anderem beanstandet, dass die angefochtenen Entscheidungen keine Hinweise auf eine Berücksichtigung der festgestellten Verzögerungen enthielten (aaO S. 381 f.). Aus den Gründen dieser Entscheidung ist geschlossen worden, dass eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK künftig formell berücksichtigt werden müsse; sie sei ausdrücklich festzustellen, Art sowie Ausmaß der gebotenen Wiedergutmachung seien erkennbar zu machen. Auf welche Art und Weise dies zu geschehen habe, ist hingegen offen geblieben (vgl. die Anm. von Kühne EuGRZ 1983, 382, 383).
Diesen Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte folgend entschied das Bundesverfassungsgericht, dass eine von den Justizbehörden zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens den Beschuldigten auch in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG auf ein rechtsstaatliches faires Verfahren verletze und - insbesondere solange es an einer gesetzlichen Regelung fehle - die daraus folgenden verfassungsrechtlich gebotenen Konsequenzen zunächst in Anwendung und Auslegung des Straf- und Strafverfahrensrechts zu ziehen seien. Komme eine angemessene Reaktion auf solche Verfahrensverzögerungen mit vorhandenen prozessualen Mitteln (§§ 153, 153 a, 154, 154 a StPO) nicht in Frage, sei eine sachgerechte, angemessene Berücksichtigung im Rechtsfolgenausspruch, bei der Strafzumessung wie auch gegebenenfalls bei der Strafaussetzung zur Bewährung und bei der Frage der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung regelmäßig verfassungsrechtlich gefordert, aber auch ausreichend (BVerfG - Vorprüfungsausschuss - NJW 1984, 967). Die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung müsse sich bei der Strafzumessung auswirken, wenn sie nicht zur Einstellung führe, die im Extrembereich auch wegen eines Verfahrenshindernisses in Betracht komme (BVerfG NJW 1993, 3254, 3255; 1995, 1277 f.). Dabei sei es erforderlich, dass die Strafgerichte, wenn sie in Anwendung des Straf- und Strafverfahrensrechts die gebotenen Folgen aus einem Verstoß gegen das Beschleunigungsverbot zögen, diesen ausdrücklich feststellten und das Ausmaß der Berücksichtigung dieses Umstandes näher bestimmten (BVerfG aaO). In seiner Entscheidung vom (NStZ 1997, 591) präzisierte das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsprechung dahin, dass das Ausmaß der vorgenommenen Herabsetzung der Strafe durch Vergleich mit der ohne Berücksichtigung der Verletzung des Beschleunigungsgebotes angemessenen Strafe exakt zu bestimmen sei.
Hieran anknüpfend entwickelte sich in der Folgezeit eine Spruchpraxis aller Senate des Bundesgerichtshofs dahin, dass der Tatrichter zunächst stets Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursache konkret festzustellen und - falls dies zur Kompensation nicht ausreichend ist und andere rechtliche Folgen nicht in Betracht kommen - in einem zweiten Schritt das Maß der Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen hat (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7, 12; BGH NJW 1999, 1198, 1199; NStZ-RR 2000, 343; StV 1998, 377; 2002, 598; wistra 1997, 347; 2001, 177; 2002, 420; StraFo 2003, 247). Dies gilt bei Bildung einer Gesamtstrafe nach § 54 Abs. 1 StGB nicht nur für diese, sondern auch für alle zugrundeliegenden Einzelstrafen (vgl. BGH NStZ 2002, 589). Dem folgend haben die Tatrichter in den Urteilsgründen für jede Einzeltat zwei Strafen auszuweisen, was sich aus Gründen der Klarheit auch für die Gesamtstrafe empfiehlt (vgl. BGH NStZ 2003, 601). In die Urteilsformel wird nicht die der Schuld angemessene, sondern allein die gemilderte Strafe aufgenommen.
b) Mit diesen Vorgaben steht die Entscheidung des Landgerichts in Einklang, soweit es mit Blick auf die Verletzung des Beschleunigungsgebots im Strafverfahren gegen den Angeklagten zunächst das Ausmaß der von der Justiz zu verantwortenden überlangen Verfahrensdauer ermittelt hat. Es hat dieses zwar nicht exakt ziffernmäßig bestimmt; jedoch ist seinen Ausführungen hinreichend deutlich zu entnehmen, dass es die zu kompensierende Verzögerung auf etwa ein Jahr und sechs Monate bemessen hat.
Soweit das Landgericht hiervon ausgehend auf die für den versuchten Betrug eigentlich verwirkte Freiheitsstrafe von einem Jahr zur Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen Strafnachlass von sechs Monaten gewährt hat, zeigt die Revision der Staatsanwaltschaft jedenfalls auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung keinen beachtlichen Mangel des Urteils zugunsten des Angeklagten auf. Dieser Nachlass ist mit der Halbierung der an sich schuldangemessenen Strafe zwar sehr hoch ausgefallen; ein durchgreifender Rechtsfehler kann hierin aber noch nicht gesehen werden.
Anders liegt es indes, soweit das Landgericht zur Kompensation der Verfahrensverzögerung bei der Festsetzung der Einzelstrafe für die besonders schwere Brandstiftung die gesetzliche Mindeststrafe des § 306 b Abs. 2 StGB unterschritten hat. Bei der Bemessung dieser Strafe hat es sich vor die Schwierigkeit gestellt gesehen, dass die Gewährung eines bezifferten Strafnachlasses auf die an sich verwirkte Strafe (nach seiner rechtlich nicht zu beanstandenden Bewertung die gesetzliche Mindeststrafe) innerhalb des gesetzlich eröffneten Strafrahmens nicht möglich gewesen ist. Da eine Kompensation dennoch geboten war, Aussagen der obergerichtlichen Rechtsprechung zu dieser besonderen Fallkonstellation bisher jedoch fehlen, hat es sich auch zu Recht veranlasst gesehen, nach neuen Lösungswegen zu suchen. Die Auffassung, die es dabei entwickelt hat, ist indessen mit dem Strafzumessungsrecht des geltenden Strafgesetzbuchs nicht in Einklang zu bringen; sie ist auch nicht aus übergeordneten rechtlichen Gesichtspunkten zu billigen. All dies gibt Anlass, die Grundsätze, die die Rechtsprechung bisher zur Durchführung der Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen entwickelt hat, in Frage zu stellen und nach einer Lösung zu suchen, die sich - bei Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben - besser in das gesetzliche System der Rechtsfolgenbemessung einfügt.
aa) Die vom Landgericht in Anwendung von § 49 Abs. 1 StGB vorgenommene Herabsetzung der in § 306 b Abs. 2 StGB angedrohten Strafe ist rechtlich nicht möglich.
Eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift scheidet aus, weil § 49 Abs. 1 StGB die Herabsetzung des Strafrahmens nur für Konstellationen regelt, in denen "eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen ist", wobei nach dem Zusammenhang der Strafzumessungsregeln nur die gesetzlich vorgeschriebene (§ 27 Abs. 2, § 28 Abs. 2, § 30 Abs. 1, § 35 Abs. 2, § 111 Abs. 2 StGB) oder zugelassene (im Strafgesetzbuch: § 13 Abs. 2, § 17, § 21, § 23 Abs. 2, § 35 Abs. 1, § 46 a, § 239 a Abs. 4 StGB) Strafmilderung gemeint ist. Eine solche gesetzliche Vorschrift, die für den Fall einer vom Staat zu verantwortenden überlangen Verfahrensverzögerung die gebotene Kompensation durch eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB vorschreibt oder zulässt, gibt es indes nicht.
Mit seiner Annahme, die Verpflichtung zur Kompensation einer überlangen Verfahrensdauer begründe einen "ungeschriebenen gesetzlichen Milderungsgrund", der die Anwendung von § 49 Abs. 1 StGB ermögliche (so wohl Krehl in StV 2006, 407, 412; ähnlich LG Bremen StV 1998, 378: allgemeine Strafrahmenminderung nach dem Rechtsgedanken der §§ 46, 49 StGB), spricht sich das Landgericht in der Sache für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift aus. Auch diese ist jedoch einfachrechtlich nicht möglich. Ihr steht zwar, weil es sich um eine analoge Anwendung zugunsten des Angeklagten handelt, nicht das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. Die analoge Anwendung scheitert indes daran, dass es dem Rechtsanwender nicht frei steht, den gesetzlichen Katalog der Vorschriften, die eine Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB vorschreiben oder zulassen, nach seinen Vorstellungen durch Festlegung eines ungeschriebenen obligatorischen oder fakultativen Milderungsgrundes zu erweitern. Dementsprechend hat auch in der bisherigen Rechtsprechung kein Senat des Bundesgerichtshofs die analoge Anwendung von § 49 Abs. 1 StGB je als zulässigen Weg zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen in Erwägung gezogen. Soweit die Verzögerung nicht derart gravierend ist, dass sie ein aus der Verfassung abzuleitendes Verfahrenshindernis begründet (vgl. BGHSt 46, 159, 171 ff.; dazu auch BVerfG NJW 2003, 2897, 2899; 2003, 2228; 1995, 1277, 1278; s. ergänzend BGHSt 35, 137, 140 ff.), hat der Bundesgerichtshof vielmehr stets - ausdrücklich oder jedenfalls der Sache nach - daran festgehalten, dass die Kompensation mit den Mitteln vorzunehmen ist, die das Straf- oder das Strafverfahrensrecht dem Rechtsanwender zur Verfügung stellt; die dadurch vorgegebenen Grenzen sind einzuhalten. So kommt etwa die Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153 a StPO nur in Betracht, wenn sich der Angeklagte keines Verbrechens schuldig gemacht hat (vgl. BGHSt 24, 239, 242). Ebenso scheidet eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) oder ein Absehen von Strafe (§ 60 StGB) aus, wenn die in der jeweiligen Vorschrift genannten Voraussetzungen für eine derartige Rechtsfolgenentscheidung nicht erfüllt sind (BGHSt 27, 274). Auch führt eine rechtsstaatswidrige Verzögerung des Verfahrens nicht dazu, dass von der gesetzlich vorgeschriebenen Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe abgesehen werden könnte (BGH NJW 2006, 1529, 1535). In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird all dies nicht anders gesehen (BVerfG - Vorprüfungsausschuss - NJW 1984, 967; BVerfG NJW 1993, 3254, 3256; 2003, 2897, 2899; NStZ 2006, 680, 681).
In Konsequenz dieser Grundsätze können sich jedoch - wie der hier zu entscheidende Fall exemplarisch zeigt - in Sachverhalten, bei denen der an sich gebotene Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung an gesetzliche Schranken stößt und daher ganz oder teilweise ausgeschlossen ist, "Kompensationslücken" ergeben. So fände hier jede Kompensation nach einfachgesetzlichem nationalen Recht bei der Mindeststrafe von fünf Jahren ihre Grenze und könnte eine weitergehende Reaktion auf eine Verletzung des Beschleunigungsgebots erst dann erfolgen, wenn diese so gravierend wäre, dass das Verfahren aus verfassungsrechtlichen Gründen eingestellt werden muss, weil dessen Fortführung mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren und daher gleichzeitig mit dem Übermaßverbot nicht mehr vereinbar wäre. Die vom Landgericht für geboten, aber auch ausreichend erachtete Reduzierung der Einzelstrafe wegen des Brandstiftungsdelikts auf drei Jahre und zehn Monate wäre danach ausgeschlossen. Ein solches Ergebnis wird sich (einfachgesetzlich) mit den von der Bundesrepublik Deutschland durch die Anerkennung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK konventionsrechtlich eingegangenen Verpflichtungen, aber auch mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips und des Übermaßverbots nicht vereinbaren lassen.
Aber auch dies führt entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht dazu, dass die analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB aus übergeordneten verfassungs- oder konventionsrechtlichen Gründen jedenfalls beschränkt auf die hier in Frage stehende Konstellation gerechtfertigt wäre, weil nur so dem Gebot der Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung Rechnung getragen werden könnte.
Dabei ist nicht von maßgeblicher Bedeutung, dass die vom Landgericht vertretene Auffassung bei allgemeiner Betrachtung ohnehin nur eine Teillösung böte, weil sie keine Antwort auf die Frage gibt, was zu geschehen hätte, wenn die notwendige Kompensation zwar nicht zu einer Verfahrenseinstellung aus verfassungsrechtlichen Gründen führt, aber die Unterschreitung des bereits analog § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens (hier: Mindeststrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe) erforderlich macht. Ausgehend von dem Grundansatz des Landgerichts müsste daher erwogen werden, ob es in all den Fällen, in denen das verfassungs- und konventionsrechtliche Gebot einer Kompensation für eine vom Staat zu verantwortende überlange Verfahrensdauer und die Bindung des Strafrichters an die gesetzlichen Strafrahmen (Art. 103 Abs. 2 GG) zueinander in Widerspruch treten, möglich ist, die Kollision dadurch aufzulösen, dass die Bindung an die Strafrahmen(unter)grenze aus übergeordneten rechtlichen Gründen entfällt; dies wäre der Sache nach eine analoge Anwendung des § 49 Abs. 2 StGB.
Der Senat hat auch erwogen, ob es rechtlich zulässig ist, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung - ungeachtet der grundsätzlichen Analogiefeindlichkeit des § 49 StGB - die Vorschrift zur Lösung eines extremen Sonderfalls doch ausnahmsweise analog heranzuziehen, wie es der Bundesgerichtshof mit seiner sogenannten Rechtsfolgenlösung zur lebenslangen Freiheitsstrafe insbesondere beim Heimtückemord in der Entscheidung BGHSt 30, 105 ff. getan hat. Es braucht hier weder entschieden zu werden, wie weit die Kritik an jener Entscheidung, die ihr eine Überschreitung der Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung vorwirft, berechtigt ist, noch bedarf es der Klärung, ob die hier in Rede stehende Konstellation derjenigen vergleichbar ist, die der Entscheidung BGHSt 30, 105 ff. zugrunde gelegen hat und dadurch geprägt war, dass im Hinblick auf extreme, außergewöhnliche Tatumstände die Verhängung der nach § 211 StGB allein zulässigen lebenslangen Freiheitsstrafe das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verletzt hätte und das Abgehen von der absoluten Strafe nur auf dem Weg über die Anwendung von § 49 StGB ermöglicht werden konnte.
All dies kann hier schon deshalb dahinstehen, weil eine verfassungs- und konventionskonforme Auslegung des Gesetzes möglich ist, die die hier gebotene Kompensation für die überlange Verfahrensdauer auf einem Weg zulässt, der aus Rechtsgründen der vom Landgericht gefundenen Lösung vorzuziehen ist.
bb) Nach Ansicht des Senats kann in Fällen der vorliegenden Art die gebotene Kompensation für eine überlange Verfahrensdauer - bei weitgehender Respektierung des geltenden Systems strafrechtlicher Rechtsfolgenbestimmung - durch eine "Anrechungs- oder Vollstreckungslösung" vorgenommen werden:
Das Gericht bestimmt in einem ersten Schritt, in dem die überlange Verfahrensverzögerung als ein kompensationspflichtiger Umstand außer Betracht bleibt, die unter Berücksichtigung aller strafzumessungsrelevanten Umstände angemessene Strafe und spricht diese in der Urteilsformel aus. Gleichzeitig legt es - ebenfalls in der Urteilsformel - fest, dass ein bestimmter Teil der Strafe, der dem Ausmaß der gebotenen Kompensation entspricht, als vollstreckt gilt.
Grundlage dieses Lösungsmodells ist eine entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB. Diese Vorschrift beruht auf dem Grundgedanken, dass der Staat die besonderen Belastungen auszugleichen hat, die er dem Angeklagten im Strafverfahren dadurch auferlegt, dass er trotz der Unschuldsvermutung - wenn auch auf gesetzlicher Grundlage (etwa §§ 112, 112 a StPO) - schon vor einer rechtskräftigen Verurteilung in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person eingreift (vgl. Franke in MünchKomm-StGB § 51 Rdn. 1; Theune in LK 12. Aufl. § 51 Rdn. 2; so schon Dreher MDR 1970, 965, 968 zu § 60 Abs. 1 StGB aF). Dieser Rechtsgedanke ist auf den hier fraglichen Sachverhalt übertragbar, in dem besondere Belastungen des Strafverfahrens für den Angeklagten zu kompensieren sind, die der Staat ihm in anderer Form als durch Freiheitsentziehung vor Abschluss des Verfahrens nicht nur ohne gesetzliche Grundlage, sondern sogar in rechtsstaatswidriger Weise zufügt.
(1) Diese Vollstreckungs- oder Anrechnungslösung in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB fügt die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung in den hier zu beurteilenden Grenzfällen stimmiger in das System strafrechtlicher Rechtsfolgenbestimmung ein als das vom Landgericht entwickelte Modell. Dies wird zunächst schon daran deutlich, dass es die Kompensation von vornherein jenseits der Strafzumessung und damit auch jenseits der Bindung an gesetzlich vorgegebene Strafrahmen des Besonderen Teils vornimmt und auf diese Weise in Sonderkonstellationen, wie der hier gegebenen, Lösungen ermöglicht, die den gesetzlich vorgegebenen Strafrahmen beachten und dessen Untergrenze nicht unterschreiten. Sie könnte daher sogar dann, wenn trotz zwingend vorgeschriebener Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ausnahmsweise einmal ein Ausgleich für eine besonders außergewöhnliche Verzögerung des Verfahrens unumgänglich wäre, eine Kompensation dadurch eröffnen, dass ein bestimmter Teil der mindestens zu verbüßenden Strafe (§ 57 a Abs. 1 Nr. 1 StGB) als vollstreckt angerechnet wird.
(2) Das Vollstreckungsmodell hebt die Kompensation von dem Akt der eigentlichen Strafzumessung ab.
Allerdings ist die - gegebenenfalls durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (mit)bedingte - überlange Dauer eines Strafverfahrens für die Bestimmung der schuldangemessenen Strafe in mehrfacher Hinsicht relevant. So nimmt - abgesehen von den Fällen der absolut angedrohten lebenslangen Freiheitsstrafe - allein schon durch einen besonders langen Zeitraum, der zwischen der Tat und dem Urteil liegt, das Strafbedürfnis allgemein ab. Außerdem wirken sich generell die Belastungen, die für den Angeklagten mit dem gegen ihn geführten Strafverfahren verbunden sind, umso stärker mildernd aus, je mehr Zeit zwischen dem Zeitpunkt, in dem er von den gegen ihn laufenden Ermittlungen erfährt, und dem Verfahrensabschluss verstreicht; dies gilt unabhängig davon, ob die Verfahrensdauer auch durch einen mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbaren Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot mitbedingt ist (BGH NJW 1999, 1198; NStZ-RR 1998, 108; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 3, 6). Die Kompensation für eine zudem rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ist zwar mit diesen Gesichtspunkten rein faktisch eng verschränkt; sie hebt sich in ihrer rechtlichen Funktion von diesen Strafzumessungserwägungen jedoch deutlich ab. Denn sie dient nicht unmittelbar Zwecken eines gerechten Ausgleichs von Unrecht und (Strafzumessungs)Schuld, sondern der Entschädigung dafür, dass der Angeklagte durch Maßnahmen staatlicher Strafverfolgung zum Opfer (vgl. Art. 25 MRK) einer mit rechtsstaatlichen Maßstäben nicht mehr zu vereinbarenden Verfahrensführung geworden ist. Dies wird daran deutlich, dass eine derartige Entschädigung grundsätzlich - in welcher Form auch immer - auch und gerade dann geboten sein wird, wenn das rechtsstaatswidrig verzögerte Verfahren nicht zu einer Verurteilung des Angeklagten, sondern zu dessen Freispruch führt.
(3) Ist der Aspekt, dass die überlange Verfahrensdauer (teilweise auch) durch einen rechtsstaatswidrigen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot verursacht wurde, somit rechtlich nicht mit Strafzumessungsgesichtspunkten zu vermengen, sondern von diesen gesondert zu bewerten und auszugleichen, so führt das Vollstreckungs- im Gegensatz zum Strafabschlagsmodell dazu, dass die Festsetzung der unrechts- und schuldangemessenen Strafe beginnend mit der Wahl der Strafart und des Strafrahmens bis hin zu ihrer konkreten Bemessung von diesem Gesichtspunkt unberührt bleibt; sie ist daher auch im Urteilstenor auszusprechen. Damit behält sie ihre Funktion, die ihr in anderen strafrechtlichen Bestimmungen, aber auch in außerstrafrechtlichen Regelungen zugewiesen ist. So bleibt - wie nach der gesetzlichen Konzeption vorgesehen - die dem Unrecht und der Schuld angemessene und nicht eine aus hiervon abzugrenzenden Gründen verminderte Strafe entscheidend etwa für die Fragen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 56 Abs. 1 - 3 StGB), ob die formellen Voraussetzungen für die Verhängung von Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 - 3 StGB), deren Vorbehalt (§ 66 a Abs. 1 StGB) oder deren nachträgliche Anordnung (§ 66 b StGB) erfüllt sind, ob der Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts eintritt (§ 45 Abs. 1 StGB), ob Führungsaufsicht angeordnet werden kann (§ 68 Abs. 1 StGB), ob eine Verwarnung mit Strafvorbehalt in Betracht kommt (§ 59 Abs. 1 StGB) oder ob von Strafe abgesehen werden kann (§ 60 Satz 2 StGB). Ebenfalls bleibt sie beispielsweise maßgeblich für Tilgungsfristen nach dem BZRG (etwa § 46 BZRG) sowie beamten- oder ausländerrechtliche Folgen der Verurteilung (s. § 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRRG; § 24 DRiG, §§ 53, 54 AufenthG).
(4) Letztlich führt die Aufnahme der Kompensationsentscheidung in den Urteilstenor auch zu einer höheren Transparenz der Rechtsfolgenbemessung, indem sie für alle Beteiligten sofort kenntlich macht, in welchem Umfang das den Angeklagten letztlich treffende geringere Strafübel allein dadurch bedingt ist, dass er einem Verfahren unterworfen war, in dem das Beschleunigungsgebot in rechtsstaatlich nicht mehr hinnehmbarer Weise missachtet worden ist.
3. Respektiert somit das Anrechnungs- oder Vollstreckungsmodell auch in Sonderfällen die Strafrahmen der Strafgesetze und fügt es sich außerdem auch allgemein stimmiger in das strafrechtliche Rechtsfolgensystem ein als das Strafabschlagsmodell, so ist es diesem vorzuziehen. Dies entspricht dem Grundsatz, dass eine verfassungsrechtlich oder wegen der Kollision mit anderen einfachgesetzlichen Regelungen gebotene Auslegung eines Gesetzes, die in dessen Wortlaut nicht angelegt ist, stets auf die schonendste Weise vorgenommen werden muss.
Die für das Brandstiftungsdelikt festgesetzte Einzelstrafe erweist sich daher als rechtsfehlerhaft; sie ist aufzuheben. An dieser Entscheidung wäre der Senat weder durch entgegenstehende Rechtsprechung anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofs noch durch verfassungsrechtliche Vorgaben gehindert, die sich der bisherigen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zur notwendigen Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen entnehmen lassen. Denn die Frage, wie der erforderliche Ausgleich vorzunehmen ist, wenn dieser nach dem Strafabschlagsmodell zu einer Unterschreitung des gesetzlichen Rahmens einer zeitigen Freiheitsstrafe führen würde, war bisher nicht Gegenstand einer Entscheidung eines der beiden Gerichte.
III. Jedoch führt der hier zu beurteilende Sachverhalt über diese Fragestellung hinaus und macht eine vertiefte Betrachtung des Problemkreises der Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen notwendig, die auch eine Prüfung der bisherigen Rechtsprechung erforderlich macht. Dazu gilt:
1. Der Senat ist - wie das Landgericht - der Ansicht, dass dem Angeklagten wegen der rechtsstaatswidrigen Verzögerung des Verfahrens zwischen dem Eingang der Anklage und dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses ein Ausgleich zu gewähren ist. Ausgehend von den oben dargelegten Rechtsgrundsätzen wären daher die Einzelstrafe für das Brandstiftungsdelikt sowie die Gesamtstrafe aufzuheben, und die Sache müsste in diesem Umfang an das Landgericht zurückverwiesen werden, damit dieses die beiden Strafen neu zumisst und sodann bestimmt, welcher Teil der neu gebildeten Gesamtstrafe zur Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als bereits vollstreckt gilt; gegebenenfalls könnte der Senat für die besonders schwere Brandstiftung selbst auf die Mindeststrafe von fünf Jahren erkennen und die Sache nur zur neuen Gesamtstrafenbildung und zur Festlegung der Kompensation nach dem Vollstreckungsmodell an das Landgericht zurückgeben. In beiden Fällen sähe sich das Landgericht jedoch vor das Problem gestellt, dass die - nach bisheriger Rechtsprechung rechtsfehlerfrei - wegen der Verzögerung im Wege des Strafabschlags auf sechs Monate bemessene Einzelfreiheitsstrafe für den versuchten Betrug weiterhin im Raum stünde und in die Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen werden müsste, von der nach der Rechtsauffassung des Senats dann im Anrechnungsmodell ein Teil als vollstreckt zu erklären wäre. Es käme damit zu einer Kollision der unterschiedlichen Kompensationssysteme.
Es kann offen bleiben, ob sich in dieser außergewöhnlichen Situation eine Lösung finden ließe, die auf dieser Grundlage einen rechtlich noch tragfähigen Rechtsfolgenausspruch ermöglichen würde. Ein insgesamt in sich ausgewogenes, stimmiges Ergebnis wäre jedenfalls nicht zu erreichen. Dies gibt dem Senat Anlass, auch die Bemessung der Einzelstrafe wegen versuchten Betruges einer nochmaligen rechtlichen Prüfung zu unterziehen. Diese ergibt, dass - entgegen bisheriger Rechtsprechung - auch die Betrugsstrafe als rechtsfehlerhaft zugemessen anzusehen ist. Denn - mit Ausnahme der Beachtung der gesetzlichen Strafrahmenuntergrenze - beanspruchen die Gründe, die bestimmend dafür sind, dass die Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung bei der Einzelstrafe wegen des Brandstiftungsdelikts nicht nach dem Strafabschlagsmodell vorzunehmen ist, auch für die Fälle Geltung, in denen die im Wege der Kompensation herabgesetzte Strafe noch innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens gefunden werden kann. Sie führen nach Ansicht des Senats dazu, dass auch hier in Zukunft das Vollstreckungsmodell angewendet werden muss. Das hat zur Folge, dass auch die Einzelstrafe wegen versuchten Betruges aufzuheben wäre. Dies erscheint im Übrigen auch deswegen geboten, weil als Konsequenz des Vollstreckungsmodells bei einer Gesamtstrafenbildung die Kompensation ohnehin nicht bei den Einzelstrafen, sondern allein bei der Gesamtstrafe ansetzt.
2. Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu konventions- oder verfassungsrechtlichen Vorgaben.
In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte findet sich kein Hinweis darauf, dass nach Ansicht des Gerichtshofs der zur Beseitigung der Opferstellung (Art. 25 MRK) erforderliche erkennbare Ausgleich für einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK in einer bestimmten Weise, gar in der Form eines bezifferten Abschlags auf die an sich schuldangemessene Strafe zu gewähren wäre. Vor dem Hintergrund, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs sehr unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen Rechnung zu tragen hat, ist dies auch nur konsequent.
In einigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts findet sich zwar die Aussage, dass das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung einen Zumessungsaspekt bilde, der bei der Festsetzung der dem Unrecht und der Schuld angemessenen Strafe zu beachten sei (z. B. BVerfG NJW 2003, 2897; 1995, 1277 f.; 1993, 3254, 3255). Dies ist aber ersichtlich nicht dahin zu verstehen, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen allein das bisher praktizierte Modell des bezifferten Strafabschlags dem Rechtsstaatsgebot und dem daraus abzuleitenden Anspruch des Angeklagten auf ein faires Verfahren oder sonstigen verfassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werden könnte, während die hier vertretene Rechtsauffassung, dass ein bezifferter Teil der ohne Berücksichtigung der rechtsstaatswidrigen Verzögerung allein nach den Maßstäben des § 46 StGB gebildeten Strafe für vollstreckt zu erklären ist, vor dem Grundgesetz keinen Bestand haben könnte; derartige Detailvorgaben wären aus der Verfassung schlicht nicht ableitbar. Andernfalls wäre auch der Gesetzgeber gehindert, das Vollstreckungsmodell in Gesetzesform zu fassen und in das Strafgesetzbuch einzustellen. Die genannten Aussagen des Bundesverfassungsgerichts sind vielmehr vor dem Hintergrund zu sehen, dass bisher weder in der fachgerichtlichen noch in der Verfassungsrechtsprechung ein anderes Modell als das Strafabschlagssystem ernsthaft in Betracht gezogen wurde und sich daher auch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ausschließlich an diesem Modell ausrichten, wobei die fachgerichtliche Rechtsprechung in rechtlicher Hinsicht nicht immer deutlich zwischen den strafzumessungsrelevanten Auswirkungen einer langen oder überlangen Verfahrensdauer einerseits und andererseits dem gebotenen Ausgleich dafür unterscheidet, dass diese Verfahrensdauer durch ein Verhalten der Strafverfolgungsbehörden verursacht wurde, das mit rechtsstaatlichen Maßstäben nicht vereinbar war.
3. Auch aus der Auffassung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, dass die unzulässige Provokation der Tat des Angeklagten einen Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des fairen Verfahrens darstellt, der bei der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten wie eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu beachten ist (BGHSt 45, 321; 47, 44), lässt sich nichts gegen das Vollstreckungsmodell herleiten. Dabei mag dahinstehen, ob dieser Ansicht überhaupt zugestimmt werden könnte. Denn jedenfalls werden durch die unzulässige Tatprovokation das Unrecht der Tat und die Schuld des Täters unmittelbar gemindert, so dass eine an den Strafausspruch anknüpfende Kompensation des rechtsstaatswidrigen Verhaltens der Strafverfolgungsorgane gegenüber dem Angeklagten hier mit Recht bei der Zumessung der Strafe nach § 46 StGB vorgenommen wird.
IV. Das vom Senat für rechtlich zutreffend erachtete Ergebnis steht - soweit die Einzelstrafe wegen versuchten Betruges betroffen ist - in Widerspruch zu der oben näher dargelegten ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wie sie sich nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in dem Verfahren Eckle ./. Bundesrepublik Deutschland aufbauend auf Judikaten des Bundesverfassungsgerichts entwickelt hat. Bei der beabsichtigten Änderung dieser Rechtsprechung handelt es sich daher um eine Fortbildung des Rechts von grundsätzlicher Bedeutung, die dem Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs unabhängig davon vorbehalten bleiben sollte, ob zwischen den Strafsenaten ein Konsens über diesen Rechtsprechungswandel hergestellt werden könnte oder nicht. Der Senat legt dem Großen Senat für Strafsachen die maßgebliche Rechtsfrage daher gemäß § 132 Abs. 4 GVG unmittelbar zur Entscheidung vor und sieht davon ab, wegen der Divergenz zu der bisherigen Rechtsprechung der übrigen Strafsenate in ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG einzutreten und die Frage zu klären, ob diese sich unter Aufgabe ihrer Rechtsauffassung der Ansicht des Senats anschließen würden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2007 S. 3294 Nr. 45
BAAAC-57610
1Nachschlagewerk: nein