Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz; Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2; FGO § 96
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) dargelegten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) sowie die gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. §§ 76, 96 Abs. 1 FGO) liegen nicht vor.
1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
a) Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen § 127 der Abgabenordnung (AO) in teleologischer bzw. grundrechtskonformer Auslegung dahingehend einengend anzuwenden ist, dass die Aufhebung eines Verwaltungsakts ausnahmsweise dann beansprucht werden kann, wenn die Behörde, die ihn erlassen hat, bewusst gegen die gesetzlichen Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit verstoßen hat, ist nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Finanzgerichts (FG) nicht entscheidungserheblich und damit auch nicht klärungsfähig. Denn das FG stellt ausdrücklich fest, dass es auf diese Frage nicht ankomme, weil dem Senat für eine derartige bewusste Gesetzesverletzung durch den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) keine Anhaltspunkte vorlägen.
Darüber hinaus stellt das FG die materielle Richtigkeit der streitigen Feststellungsbescheide fest. Die Klägerin begehrt also die Aufhebung der streitigen Bescheide allein wegen einer angeblich vorsätzlichen Verletzung der örtlichen Zuständigkeitsregelung, obwohl nach der insoweit maßgeblichen Rechtsanwendung des FG im Einzelfall die Bescheide inhaltlich nicht geändert werden könnten. Eine derartige teleologische Reduktion von § 127 AO kommt jedoch nicht in Betracht, da sie der Zwecksetzung der Norm widerspräche, den Zuständigkeitsregelungen lediglich dienende Funktion gegenüber der Erzielung einer materiell richtigen Entscheidung einzuräumen. In § 127 AO kommt gerade der Rechtsgedanke zum Ausdruck, dass das Interesse an einer Gesetz- und gleichmäßigen Steuerfestsetzung dasjenige der Steuerpflichtigen an einem formal rechtmäßigen Verfahren überwiegt. § 127 AO ist auch im gerichtlichen Verfahren anzuwenden (vgl. , BFHE 131, 180, BStBl II 1980, 684, unter II. 3. a). Aus § 127 AO folgt, dass der Betroffene nicht schon deshalb in seinen Rechten verletzt sein soll, weil ein gegen ihn ergangener Verwaltungsakt mit dem Rechtsfehler der örtlichen Unzuständigkeit behaftet ist (BFH-Urteil in BFHE 131, 180, BStBl II 1980, 684, unter II. 3. b bb). Die ratio legis von § 127 AO, im Interesse der Prozessökonomie zu verhindern, dass ein Verwaltungsakt allein wegen formaler Mängel aufgehoben wird, wenn ein Verwaltungsakt gleichen Inhalts erneut erlassen werden müsste (Begründung zum Entwurf einer Abgabenordnung —AO 1974—, BTDrucks VI/1982, zu § 132) greift unabhängig davon, aus welcher Motivation des FA der formale Mangel verursacht wurde.
b) Auch der von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen es über die zivilrechtlichen Rechtsinstitute der konkludenten Genehmigung und der Rechtsscheinhaftung in Form der Duldungsvollmacht sowie die Rechtsfolgen des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben bzw. des Unterlassens einer unverzüglichen Rüge von Mängeln einer Kaufsache im Handelsrecht hinaus noch einen steuerrechtlichen Duldungstatbestand sui generis dahingehend gibt, dass eine Rechtshandlung, die gegenüber dem Steuerpflichtigen zivilrechtlich keine Wirkung entfaltet, steuerrechtlich schon dann wirksam ist, wenn der Steuerpflichtige nicht alle erdenklichen, sondern nur ausgewählte, seines Erachtens zielführende Gegenmaßnahmen ergriffen hat, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Gleiches gilt für die weitere aufgeworfene Rechtsfrage, ob und inwieweit dem Steuerpflichtigen bei seinen Gegenmaßnahmen ein Ermessensspielraum einzuräumen ist und ob und inwieweit das FG die Zweckmäßigkeitserwägungen des Steuerpflichtigen überprüfen und verwerten darf. Denn das FG hat nicht über die Wirksamkeit einer Willenserklärung bzw. die Entgegennahme der Mietzahlungen seitens der Mieter als Erfüllung von deren Mietverpflichtung gegenüber der Klägerin entschieden, sondern über den Zufluss (§ 11 des Einkommensteuergesetzes —EStG—) der Mietzahlungen bei der Klägerin. Insoweit geht es nicht um einen etwaigen Widerspruch zwischen Steuer- und Zivilrecht. Das FG würdigt das Verhalten der Klägerin nicht aus zivilrechtlicher Sicht. In der Sache wendet sich die Klägerin insoweit gegen die tatrichterliche Würdigung des FG. Mit der Rüge der unzutreffenden Tatsachenwürdigung und fehlerhaften Rechtsanwendung durch das FG werden materiell-rechtliche Fehler, also die inhaltliche Unrichtigkeit des FG-Urteils, geltend gemacht; damit kann aber, wenn eine willkürliche oder greifbare gesetzwidrige Beurteilung wie im Streitfall nicht ersichtlich ist, die Zulassung der Revision nicht erreicht werden (, BFH/NV 2006, 802, unter 4., m.w.N.).
2. Auch die von der Klägerin behauptete Divergenz des finanzgerichtlichen Urteils zur Rechtsprechung des BFH sowie des FG Düsseldorf besteht nicht.
a) Der dem (BFHE 170, 383, BStBl II 1994, 615) zugrunde liegende Sachverhalt hat ein Treuhandverhältnis zum Gegenstand und ist insoweit dem vorliegend streitigen nicht vergleichbar.
b) Im Hinblick auf das (BFH/NV 2002, 1556) beruft sich die Nichtzulassungsbeschwerde darauf, dass das FG hätte prüfen müssen, ob die dort aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen für eine Einkünftezurechnung gegenüber der Klägerin vorlagen. Insoweit geht es der Klägerin nicht um die Feststellung einer Abweichung des FG vom im Grundsätzlichen, sondern um eine etwaige fehlerhafte Anwendung der vom BFH dort statuierten Rechtsgrundsätze im Einzelfall. Insofern beruft sich die Klägerin auf eine materielle Unrichtigkeit der finanzgerichtlichen Entscheidung, was, wie dargelegt, die Revisionszulassung nicht rechtfertigen kann.
c) Auch eine Abweichung im Grundsätzlichen vom , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— (1994, 104) besteht nicht. Vielmehr nimmt das FG auf die Entscheidung des FG Düsseldorf Bezug und sieht keinen wesentlichen Unterschied hierzu. Das Vorbringen der Klägerin zielt auch insoweit lediglich darauf, dass das FG im Streitfall die vom FG Düsseldorf aufgestellten Grundsätze nicht richtig angewandt hat. Auch dies kann die Revisionszulassung nicht rechtfertigen.
d) Schließlich ist auch eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG) nicht feststellbar. Denn beide behandeln die vorliegend streitige Frage des Zuflusses nach § 11 EStG nicht. Auch hat das FG im Vorfeld der Prüfung von § 11 EStG keine zivilrechtlichen Rechtsgrundsätze aufgestellt, die in grundsätzlicher Weise von solchen der genannten Zivilgerichte abweichen würden. Vielmehr widmet sich das FG der Zivilrechtslage nur am Rande.
3. Auch die geltend gemachten Verfahrensfehler der Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO, des Verstoßes gegen § 96 Abs. 1 FGO, § 96 Abs. 2 FGO und § 76 Abs. 2 FGO liegen, geht man von schlüssigen Rügen aus, jedenfalls nicht vor.
a) Die Klägerin macht geltend, das FG hätte eine bewusste Gesetzesverletzung seitens des FA feststellen müssen, indem es dem FA aufgeben hätte müssen, schlüssig darzulegen, inwieweit trotz entsprechender Indizien in den Akten lediglich ein Irrtum, nicht aber Vorsatz vorgelegen habe. Mangels entsprechenden Beweisantrags hätte sich eine solche weitere Tatsachenfeststellung (vgl. , BFH/NV 1999, 743, unter 2. b) dem FG aber aufdrängen müssen (vgl. , BFH/NV 2005, 921, unter II. 3. b). Hiervon ist jedoch angesichts der Einlassung des FA in der mündlichen Verhandlung sowie im Hinblick darauf, dass es nach dem Wortlaut von § 127 AO auf den Vorsatz des FA nicht ankommt, nicht auszugehen.
b) Das FG hat auch nicht gegen § 96 Abs. 1 FGO verstoßen. Darauf, dass der Vortrag des Beigeladenen unbestritten geblieben ist, kommt es in dem vom Untersuchungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) beherrschten Finanzgerichtsprozess nicht an. Zwar verpflichtet § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO das FG, den gesamten Prozessstoff vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. z.B. , BFH/NV 2005, 1354), ohne dass allerdings alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern sind. Davon, dass das FG die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und erwogen hat, kann aber grundsätzlich ausgegangen werden, sofern nicht besondere Umstände des konkreten Falls auf einen diesbezüglichen Verstoß hindeuten (, BFH/NV 2000, 235, unter 1.). Das FG hat sich jedoch mit der Frage des Vorsatzes, wenn auch im Urteilstext knapp, auseinandergesetzt. Die Klägerin wendet sich in der Sache gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des FG. Dass das FG aber den Akteninhalt nicht entsprechend den klägerischen Vorstellungen gewürdigt hat oder der Klägerin die Würdigung fehlerhaft erscheint, führt nicht zu einem Verfahrensverstoß; es könnte sich allenfalls um materiell-rechtliche Fehler handeln, welche die Revisionszulassung nicht rechtfertigen.
c) Es liegt auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—, § 96 Abs. 2 FGO). Eine solche ergibt sich nicht daraus, dass das FG in der mündlichen Verhandlung bzw. davor nicht zu erkennen gegeben hat, dass es für einen vorsätzlichen Verstoß des Beklagten gegen die Zuständigkeitsregelungen den Tatsachenvortrag der Kläger für unzureichend erachtet habe. Denn das Gericht hat im Hinblick auf beide Aspekte nicht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und so dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht hat rechnen müssen (, BFH/NV 2006, 1872, unter 2. der Gründe). Das Gericht ist nicht dazu verpflichtet, die maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte mit den Verfahrensbeteiligten vorher umfassend zu erörtern oder ihnen im Einzelnen die für die Entscheidung des Gerichts erheblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (, BFH/NV 2006, 568, m.w.N.). Die Motivation des FA zur Bejahung seiner eigenen Zuständigkeit war Gegenstand auch der mündlichen Verhandlung. Verdeckte Stellvertretung hat das FG in seinem Urteil nicht als zivilrechtliches Problem thematisiert, vielmehr geht es ihm allein um § 11 EStG.
d) Das FG hat schließlich auch nicht gegen die richterliche Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO verstoßen. Denn bei im Klageverfahren steuerlich beratenen und durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten stellt das Unterlassen eines (nach ihrer Ansicht notwendigen) Hinweises gemäß § 76 Abs. 2 FGO regelmäßig keinen Verfahrensmangel dar (, BFH/NV 2006, 2269). Im Übrigen gilt das zu § 96 Abs. 2 FGO Gesagte entsprechend im Hinblick auf § 76 Abs. 2 FGO.
Fundstelle(n):
JAAAC-45790