Kraftfahrzeugsteuerrechtliche Einstufung eines Landrovers
Gesetze: KraftStG § 2; KraftStG § 8 Nr. 2; KraftStG § 9
Instanzenzug: Kfz
Gründe
I. Auf den Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist ein Kfz des Herstellers Rover zugelassen. Es handelt sich um einen Geländewagen (Typ Landrover „Discovery II”), der ein zulässiges Gesamtgewicht von über 2,8 t aufweist und der mit einem Dieselmotor (Hubraum 2 495 ccm) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug hat vier Seitentüren, eine Hecktür und fünf Sitzplätze. In den Fahrzeugpapieren ist es als „PKW geschlossen” eingestuft. Das Fahrzeug wurde vom Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt —FA—) zunächst als „anderes Fahrzeug” i.S. von § 8 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) eingestuft und nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG der Gewichtsbesteuerung unterworfen. Mit Änderungsbescheid vom hat das FA unter Hinweis auf die Aufhebung der in § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) getroffenen Sonderregelung für Kombinationsfahrzeuge mit Wirkung zum eine Einstufung des Fahrzeugs als PKW und eine entsprechende Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer vorgenommen.
Gegen den Änderungsbescheid legte der Antragsteller Einspruch ein. Über den Rechtsbehelf ist noch nicht entschieden worden. Seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheids in dem Umfang, in dem sich ab dem eine höhere Steuer als die nach § 8 Nr. 2 KraftStG zu erhebende Steuer ergebe, lehnte das FA ab. Daraufhin hat der Antragsteller einen AdV-Antrag gleichen Inhalts beim Finanzgericht (FG) gestellt. Das FG hat dem Antrag mit der Begründung stattgegeben, dass die Einstufung des Fahrzeugs nach der Richtlinie 2001/116/EG (RL 2001/116/EG) der Kommission vom zur Anpassung der Richtlinie 70/156/EWG (RL 70/156/EWG) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger an den technischen Fortschritt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002 Nr. L 18/1) zu erfolgen habe. Die verkehrsrechtliche Einstufung entfalte auch für die Besteuerung Bindungswirkung. Nach den Vorgaben der RL 70/156/EWG könne das Fahrzeug des Antragstellers nicht der Klasse M1 (PKW) zugeordnet werden, denn es erfülle die im Anhang II.C.1.b der RL 2001/116/EG festgelegte Bedingung P – (M + N x 68) > N x 68, d.h. die unter Berücksichtigung der zulässigen Gesamtmasse maximal zuladbare Nutzlast sei bei dem Fahrzeug größer, als die bei Ausnutzung sämtlicher Sitzplätze (außer dem Fahrersitz) erreichbare Personenlast. Dahingestellt könne bleiben, ob das Fahrzeug als Geländefahrzeug im Sinne der Klasse G angesehen werden könne.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA geltend, dass das FG eine unzutreffende Einstufung des Fahrzeugs in die Klasse AF der RL 70/156/EWG vorgenommen habe. Bei dem Fahrzeug handle es sich nämlich nicht um ein Mehrzweckfahrzeug der Klasse M1 AF, sondern um eine Kombilimousine der Klasse M1 AC bzw. M1 G AC. Deshalb sei die vom FG herangezogene Lastenformel nicht anwendbar. Es gäbe auch keinen allgemein anerkannten Grundsatz, wonach Fahrzeuge des Typs Land Rover der Fahrzeugklasse M1 AF zuzuordnen wären.
Der Antragsteller ist der Beschwerde entgegengetreten und verweist auf die vom FG zutreffend vorgenommene Einstufung in die Klasse M1 AF sowie auf die Erfüllung der Lastenformel.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass das FG seine Entscheidung zu Unrecht darauf gestützt hat, dass sich das Fahrzeug nicht in die Klasse M1 der RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG einordnen lasse und dass es daher weitere Umstände, wie z.B. die Größe der Ladefläche, die mögliche Zuladung oder das äußere Erscheinungsbild, von vornherein unberücksichtigt gelassen hat.
1. In seinem Beschluss vom VII B 333/05 (BStBl II 2006, 721, BFH/NV 2006, 2001) hat der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ausgeführt, dass die RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG keine Bestimmung über die Einstufung von Kfz in die Klasse der „Personenkraftwagen” enthalte. Den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen seien keine für die Mitgliedstaaten als verbindlich anzusehenden Festlegungen hinsichtlich der Einteilung von Kfz für die Zwecke der Erhebung von Kraftfahrzeug- und Zulassungssteuern zu entnehmen. Maßgebend sei demnach das nationale Recht, dem —wie § 4 Abs. 4 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes belege— der Begriff des PKW geläufig sei.
a) Mit der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO durch die Siebenundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom (BGBl I, 2712) ist die bis dahin nur für Kombinationskraftwagen bestehende Sonderregelung ersatzlos entfallen. Daher kann auch die Rechtsprechung des Senats, nach der Kombinationskraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t ohne Rücksicht auf Typ und Erscheinungsbild des Fahrzeugs nicht als PKW zu besteuern sind (, BFHE 185, 511, BStBl II 1998, 487), keine Geltung mehr beanspruchen.
b) Auch für Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t gilt nun der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu beurteilen ist, ob ein LKW oder PKW vorliegt. Dabei obliegt es dem Tatsachengericht, unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Merkmale eine Bewertung der objektiven Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs vorzunehmen. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers (, BFH/NV 1992, 414; vom VII R 104/97, BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489; vom VII R 12/97, BFH/NV 1997, 810, und vom VII R 26/99, BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Dabei kann kein Merkmal von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs als von vornherein alleinentscheidend angesehen werden, mag auch einzelnen Merkmalen ein besonderes Gewicht zukommen und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahe legen (Senatsurteil in BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489).
c) Die Einstufung eines Fahrzeugs durch die Verkehrsbehörde hat als solche weder kraftfahrzeugsteuerrechtlich bindende Wirkung, wie sich im Umkehrschluss aus § 2 Abs. 2 Satz 2 KraftStG ergibt, noch lässt sie im Allgemeinen deshalb einen zuverlässigen Rückschluss auf die richtige kraftfahrzeugsteuerrechtliche Beurteilung zu, weil die Verkehrsbehörden insofern eine überlegene Sachkunde anwenden könnten (, BFHE 134, 367, BStBl II 1982, 82, und in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Vielmehr hat die Kraftfahrzeugsteuerstelle die Einstufung eigenverantwortlich vorzunehmen. Auch der Fahrzeugklassifikation des Herstellers und der darauf beruhenden verkehrsrechtlich orientierten Beurteilung durch das Kraftfahrtbundesamt kommt keine kraftfahrzeugsteuerrechtliche Bindungswirkung zu (Senatsurteil vom VII R 73/00, BFHE 194, 264, 269, BStBl II 2001, 368). Die Finanzbehörden sind somit an die von der Verkehrsbehörde vorgenommene Einstufung eines Fahrzeugs in die Klassen der RL 70/156/EWG nicht gebunden.
2. Entgegen der Auffassung des FG und des FA bestimmt sich die Besteuerung des streitgegenständlichen Kfz nicht nach den in der RL 2001/116/EG getroffenen Festlegungen. Daher ist es vorliegend unerheblich, ob sich das Fahrzeug als Mehrzweckfahrzeug der Klasse M1 AF oder als Kombilimousine der Klasse M1 AC einstufen lässt. Die Einstufung ist vielmehr aufgrund einer komplexen Gesamtwürdigung der die Bauart und Einrichtung bestimmenden Merkmale unter Berücksichtigung der hierzu entwickelten BFH-Rechtsprechung vorzunehmen. Wie bereits ausgeführt, ist die Gesamtheit der technischen Merkmale einer tatrichterlichen Würdigung zu unterziehen. Im Streitfall sind daher evtl. vorgenommene Umbaumaßnahmen, die Größe der Ladefläche, die mögliche Zuladung, die Höchstgeschwindigkeit und das äußere Erscheinungsbild einer Gesamtbeurteilung zu unterziehen. Da das FG dies außer Acht gelassen hat, war der Beschluss aufzuheben. Obwohl der BFH im Streitfall Tatsacheninstanz ist, erscheint es dem Senat zweckmäßig, die Sache an das FG zurückzugeben. Eine Zurückverweisung ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH auch im Beschwerdeverfahren möglich (Senatsentscheidungen vom VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363, und vom VII B 61/95, BFH/NV 1996, 105).
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 777 Nr. 4
FR 2007 S. 357 Nr. 7
KÖSDI 2007 S. 15419 Nr. 2
KÖSDI 2007 S. 15421 Nr. 2
KÖSDI 2007 S. 15422 Nr. 2
KÖSDI 2007 S. 15422 Nr. 2
KÖSDI 2007 S. 15422 Nr. 2
UAAAC-37160