Kraftfahrzeugsteuerrechtliche Einstufung eines Pick-Up Mazda B
Gesetze: KraftStG § 2; KraftStG § 8 Nr. 2; KraftStG § 9
Instanzenzug:
Gründe
I. Auf den Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist ein Kfz der Marke Mazda (B 2500) zugelassen. Es handelt sich dabei um einen sog. Pick-up mit Doppelkabine mit vier Türen und fünf Sitzplätzen, der ein zulässiges Gesamtgewicht von über 2,8 t aufweist. Die offene Ladefläche beträgt weniger als die Hälfte der gesamten nutzbaren Fahrzeugfläche. Im Fahrzeugbrief ist das Fahrzeug als „LKW offener Kasten” ausgewiesen. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) hat das Kfz ursprünglich als „anderes Fahrzeug” i.S. von § 8 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) eingestuft und es als LKW nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG der Gewichtsbesteuerung unterworfen. Unter Hinweis auf die Aufhebung der in § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) getroffenen Sonderregelung für Kombinationskraftwagen mit Wirkung vom stufte das FA das Kfz mit Änderungsbescheid vom als PKW ein und nahm eine entsprechende Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer vor.
Gegen den Änderungsbescheid legte der Antragsteller Einspruch ein. Seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheides insoweit, als in ihm für die Zeit ab dem eine Besteuerung nach Hubraum vorgenommen werde, hat das FA abgelehnt. Das Finanzgericht (FG) hat dagegen die begehrte AdV gewährt. Zur Begründung beruft es sich darauf, dass zur Zeit vom Bundesrat die steuerliche Klärung des Begriffes des PKW angestrebt werde. In einem am beschlossenen Gesetzentwurf (BRDrucks 229/1/05) zur Änderung des KraftStG werde vorgeschlagen, Pick-ups zukünftig als PKW zu besteuern. Ohne die vorgeschlagene gesetzliche Bestimmung könne ein Pick-up nicht ohne weiteres als PKW eingestuft werden. Zwar sei der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass bei Pick-ups die PKW-typischen Beschaffenheitsmerkmale jedenfalls dann überwiegen würden, wenn sie —wie der Mazda B 2500— mit einer Doppelkabine ausgestattet seien. Es sei aber bemerkenswert, dass in der Gesetzesinitiative des Landes Nordrhein-Westfalen, auf die der Gesetzentwurf des Bundesrates zurückgehe, Pick-ups als andere Fahrzeuge i.S. des § 8 Nr. 2 KraftStG und eben nicht als PKW eingestuft würden. Infolgedessen könne die Rechtslage noch nicht als geklärt angesehen werden.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA insbesondere geltend, dass die vom FG angeführte Unsicherheit in der steuerlichen Behandlung von Pick-ups nicht gegeben sei. Auch nach der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO könne auf die Definitionen in § 4 Abs. 4 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) zurückgegriffen werden. Gemeinschaftsrecht stünde den in dieser Vorschrift aufgeführten Begriffsbestimmungen nicht entgegen. Die Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO habe lediglich zur Folge, dass die von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entwickelten Abgrenzungskriterien auch auf Fahrzeuge Anwendung fänden, die ein zulässiges Gesamtgewicht von über 2,8 t aufwiesen. Daran könne auch die Gesetzesinitiative des Bundesrates nichts ändern, zumal die beabsichtigte Regelung lediglich klarstellenden Charakter habe. Auch die verkehrsrechtliche Zulassung als „LKW offener Kasten” stehe einer Besteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs als PKW nicht entgegen.
Nach der von der Rechtsprechung des BFH geforderten umfassenden Würdigung aller technischen Merkmale ließe sich eine Bestimmung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zur überwiegenden Güterbeförderung nicht feststellen. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die zur Personenbeförderung dienende Bodenfläche größer sei als die Ladefläche. Auch die für das Ladegut verbleibende nicht unbedeutende Nutzlast von ca. 690 kg sei nicht geeignet, den Schwerpunkt der Zweckbestimmung des Fahrzeugs im Transport von Gütern zu sehen. Denn die bei Vollbesetzung der Doppelkabine insgesamt mögliche Zuladung mache weniger als 25 % des zulässigen Gesamtgewichts aus. In den Werbeprospekten sehe der Hersteller die Vorzüge dieses Fahrzeugtyps nicht in seinem Ladevolumen, sondern in seiner vielseitigen Verwendbarkeit. Sowohl die Bereifung als auch die Motorisierung und die hierdurch erreichbare Höchstgeschwindigkeit von 145 km/h seien typische Merkmale eines PKW.
Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen und verweist auf die Gesetzesinitiativen und auf die Entscheidungen mehrerer FG, die zur Einstufung eines Fahrzeugs als PKW oder LKW eine unmittelbare Anwendung des Gemeinschaftsrechts, nämlich der Richtlinie 2001/116/EG (RL 2001/116/EG) der Kommission vom zur Anpassung der Richtlinie 70/156/EWG (RL 70/156/EWG) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger an den technischen Fortschritt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002 Nr. L 18/1), nahelegen. Für die Annahme des FA, dass es sich bei dem Begriff „Personenkraftwagen” um einen unbestimmten Rechtsbegriff handle, sei kein Raum. Ein Rückgriff auf § 4 Abs. 4 PBefG verbiete sich bereits deshalb, weil das einschlägige Gemeinschaftsrecht nationales Recht breche. Die RL 70/156/EWG, die eine Definition des Begriffes „Personenkraftwagen” enthalte, sei geltendes Verkehrsrecht und daher nach § 2 Abs. 2 KraftStG zu beachten. Im Übrigen widerspreche § 4 Abs. 4 Nr. 3 PBefG evident der Richtlinienterminologie, die Fahrzeuge in die Klassen M, N und O einteile und als PKW nur solche Fahrzeuge ansehe, die eine bestimmte Aufbauart (AA bis AF) aufwiesen. Ein Fahrzeug mit offener Ladefläche falle unter keine der aufgeführten Aufbauarten. Die vom FA angeführten Kriterien, wie z.B. die Anzahl der Sitzplätze oder die mögliche Zuladung, würden in der RL 70/156/EWG zur Bestimmung der Klasse N1 (LKW) nicht verwendet und seien daher ohne Entscheidungsrelevanz. Einen PKW mit offener Ladefläche gebe es verkehrsrechtlich nicht. De lege lata sei ein Pick-up ein Nutzfahrzeug und kein PKW. Schließlich seien die Gesetzesinitiativen des Bundesrates entgegen der Auffassung des FA nicht nur klarstellender, sondern rechtsgestaltender Natur.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses des FG und zur Ablehnung des Antrages auf AdV.
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass das FG seine Entscheidung zu Unrecht darauf gestützt hat, dass die Rechtslage aufgrund der Gesetzesinitiative des Bundesrates noch nicht hinreichend geklärt sei. Denn nach der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO kann die BFH-Rechtsprechung zur Einstufung von Fahrzeugen als PKW oder LKW mit einem zulässigen Gesamtgewicht von unter 2,8 t in vollem Umfang Geltung beanspruchen, ohne dass die RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG dem entgegenstehen würde.
1. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat der Senat in seinem Beschluss vom VII B 333/05 (BStBl II 2006, 721, BFH/NV 2006, 2001) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ausgeführt, dass die RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG keine Bestimmung über die Einstufung von Kfz in die Klasse der „Personenkraftwagen” enthalte. Den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen seien keine für die Mitgliedstaaten als verbindlich anzusehenden Festlegungen hinsichtlich der Einteilung von Kfz für die Zwecke der Erhebung von Kraftfahrzeug- und Zulassungssteuern zu entnehmen. Maßgebend sei demnach das nationale Recht, dem —wie § 4 Abs. 4 Nr. 1 PBefG belege— der Begriff des PKW geläufig sei.
a) Mit der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO durch die Siebenundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom (BGBl I, 2712) ist die bis dahin nur für Kombinationskraftwagen bestehende Sonderregelung ersatzlos entfallen. Daher kann auch die Rechtsprechung des Senats, nach der Kombinationskraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t ohne Rücksicht auf Typ und Erscheinungsbild des Fahrzeugs nicht als PKW zu besteuern sind (, BFHE 185, 511, BStBl II 1998, 487), keine Geltung mehr beanspruchen.
b) Auch für Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t gilt nun der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu beurteilen ist, ob ein LKW oder PKW vorliegt. Dabei obliegt es dem Tatsachengericht, unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Merkmale eine Bewertung der objektiven Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs vorzunehmen. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers (, BFH/NV 1992, 414; vom VII R 104/97, BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489; vom VII R 12/97, BFH/NV 1997, 810, und vom VII R 26/99, BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Dabei kann kein Merkmal von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs als von vornherein alleinentscheidend angesehen werden, mag auch einzelnen Merkmalen ein besonderes Gewicht zukommen und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahe legen (Senatsurteil in BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489).
c) Die Einstufung eines Fahrzeugs durch die Verkehrsbehörde hat als solche weder kraftfahrzeugsteuerrechtlich bindende Wirkung, wie sich im Umkehrschluss aus § 2 Abs. 2 Satz 2 KraftStG ergibt, noch lässt sie im Allgemeinen deshalb einen zuverlässigen Rückschluss auf die richtige kraftfahrzeugsteuerrechtliche Beurteilung zu, weil die Verkehrsbehörden insofern eine überlegene Sachkunde anwenden könnten (, BFHE 134, 367, BStBl II 1982, 82, und in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Vielmehr hat die Kraftfahrzeugsteuerstelle die Einstufung eigenverantwortlich vorzunehmen. Auch der Fahrzeugklassifikation des Herstellers und der darauf beruhenden verkehrsrechtlich orientierten Beurteilung durch das Kraftfahrtbundesamt kommt keine kraftfahrzeugsteuerrechtliche Bindungswirkung zu (Senatsurteil vom VII R 73/00, BFHE 194, 264, 269, BStBl II 2001, 368). Die Finanzbehörden sind somit an die von der Verkehrsbehörde vorgenommene Einstufung eines Fahrzeugs in die Klassen der RL 70/156/EWG nicht gebunden.
2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers bestimmt sich die Besteuerung des streitgegenständlichen Kfz nicht nach den in der RL 2001/116/EG getroffenen Festlegungen. Daher ist es vorliegend unerheblich, ob sich das Fahrzeug in die Klasse M1 einstufen lässt oder nicht. Die Einstufung ist vielmehr aufgrund einer komplexen Gesamtwürdigung der die Bauart und Einrichtung bestimmenden Merkmale unter Berücksichtigung der hierzu entwickelten BFH-Rechtsprechung vorzunehmen. Wie bereits ausgeführt, ist die Gesamtheit der technischen Merkmale einer tatrichterlichen Würdigung zu unterziehen.
3. Der Begründung des vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfs lässt sich nichts entnehmen, was zu einer anderen Beurteilung der geltenden Rechtslage führen könnte. Denn die in die Zukunft gerichtete Initiative vermag die bestehende Rechtslage nicht zu beeinflussen. Sie indiziert auch nicht, wie das FG meint, eine Unsicherheit in der Bewertung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen. Die Zuordnung des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist vielmehr unter Beachtung der umfangreichen Senatsrechtsprechung zur Einstufung von Kfz als PKW oder LKW und in Anlehnung an die damit übereinstimmenden Definitionen in § 4 Abs. 4 PBefG vorzunehmen.
4. Im Streitfall kommt neben den anderen technischen Merkmalen der Größe der Ladefläche eine besondere, wenn auch nicht allein ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn zu den Merkmalen, denen bei der Zuordnung eines Fahrzeugs zum Typ des PKW oder des LKW besonderes Gewicht beizumessen ist, gehören nach der Senatsrechtsprechung die Größe der Ladefläche des Fahrzeugs und die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, weil diese Merkmale von besonderer Bedeutung dafür sind, ob die Möglichkeit einer Nutzung des Fahrzeugs zur Lastenbeförderung gegenüber seiner Eignung zur Personenbeförderung Vorrang hat (Senatsurteil in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Im Interesse praktikabler Zuordnungsmaßstäbe und der um der Rechtssicherheit willen geforderten Vorhersehbarkeit kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Zuordnungen hat es der Senat für gerechtfertigt erachtet, typisierend davon auszugehen, dass Fahrzeuge nicht vorwiegend der Lastenbeförderung zu dienen geeignet und bestimmt sind, wenn ihre Ladefläche oder ihr Laderaum nicht mehr als die Hälfte der gesamten Nutzfläche ausmacht (BFH-Urteil in BFHE 194, 257, 262, BStBl II 2001, 72, m.w.N.).
Nach den Ausführungen des FA ist bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug die zur Personenbeförderung dienende Bodenfläche größer als die Ladefläche. Dieser Einschätzung ist der Antragsteller in der Beschwerdeschrift nicht substantiiert entgegengetreten. Zu Recht verweist das FA darauf, dass die Fläche der Heckklappe, die gewöhnlich vor Fahrtantritt geschlossen wird, nicht zur Ladefläche hinzugerechnet werden kann. Das bei den Akten befindliche Foto des mit einer großen Menge an Strohballen beladenen Fahrzeugs vermag über das tatsächliche äußere Erscheinungsbild, das sich ohne die Beladung darstellen würde, nicht hinwegzutäuschen. Das Fahrzeug verfügt über eine Doppelkabine mit fünf Sitzplätzen. Eine Durchführung von Umbaumaßnahmen, wie z.B. der Ausbau von Sitzen und die Unbrauchbarmachung der Sitzbefestigungspunkte, lässt sich dem Vortrag des Antragstellers nicht entnehmen. Zur Begründung seiner Beschwerde beruft sich der Antragsteller vielmehr darauf, dass das Fahrzeug nach der RL 70/156/EWG nicht in die Klasse M1, sondern in die Klasse N1 einzustufen sei. Wie bereits ausgeführt, kommt es jedoch auf die gemeinschaftsrechtliche Einstufung, selbst wenn diese zutreffen sollte, nicht an. Nach der gebotenen summarischen Prüfung begegnet die vom FA vorgenommene Einstufung des Fahrzeugs als PKW keinen rechtlichen Bedenken (zur Einstufung eines Pick-up-Fahrzeugs der Marke Mitsubishi (L 200) mit Doppelkabine und kleiner Ladefläche ebenso , Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1996, 348, und , BFH/NV 1998, 87). Da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides somit nicht bestehen, war die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und der AdV-Antrag abzulehnen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 774 Nr. 4
DAAAC-37157