Kraftfahrzeugsteuerrechtliche Einstufung eines Geländewagens der Marke Toyota
Gesetze: KraftStG § 2; KraftStG § 8 Nr. 2; KraftStG § 9
Instanzenzug:
Gründe
I. Auf die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist ein Kfz des Herstellers Toyota zugelassen. Es handelt sich um einen Geländewagen, der ein zulässiges Gesamtgewicht von über 2,8 t aufweist und der mit einem Dieselmotor (Hubraum 4 164 ccm) ausgerüstet ist. Die Zahl der Sitzplätze betrug ursprünglich fünf Plätze; seit einem vor über elf Jahren vorgenommenen Umbau verfügt das Fahrzeug außer dem Fahrersitz nur noch über einen weiteren Sitzplatz. Ferner enthält der Fahrzeugbrief unter Ziffer 33 den Vermerk: „fest eingebautes Schutzgitter hinter Fahrer-/Beifahrersitz, Ladeflächenlänge 1 700 mm, Gurt- u. Sitzbefestigungspunkte hint. d. eingeschweisste Schrauben unbrauchbar gemacht”. Das Fahrzeug wurde vom Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt —FA—) zunächst als „anderes Fahrzeug” i.S. von § 8 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) eingestuft und nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG der Gewichtsbesteuerung unterworfen. Mit Bescheid vom hat das FA unter Hinweis auf die Aufhebung der in § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) getroffenen Sonderregelung für Kombinationsfahrzeuge mit Wirkung zum eine Einstufung des Fahrzeugs als PKW und eine entsprechende Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer vorgenommen.
Gegen den Änderungsbescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein. Über den Rechtsbehelf ist noch nicht entschieden worden. Ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheides lehnte das FA ab. Daraufhin hat die Antragstellerin einen AdV-Antrag beim Finanzgericht (FG) gestellt und ausgeführt, dass die Ladefläche mehr als das Doppelte der Fahrgastfläche betrage und dass das Fahrzeug ausschließlich für Zwecke der Jagd verwendet werde. Das FG hat dem Antrag, soweit er sich auf den Differenzbetrag zwischen der bisherigen Besteuerung als LKW und der vom FA vorgenommenen Besteuerung als PKW bezieht, mit der Begründung stattgegeben, dass die Einstufung des Fahrzeugs nach der Richtlinie 2001/116/EG (RL 2001/116/EG) der Kommission vom zur Anpassung der Richtlinie 70/156/EWG (RL 70/156/EWG) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger an den technischen Fortschritt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002 Nr. L 18/1) zu erfolgen habe. Die verkehrsrechtliche Einstufung entfalte auch für die Besteuerung Bindungswirkung. Denn die Finanzbehörden seien zur Beachtung einer in nationales Recht umgesetzten EU-Richtlinie verpflichtet. Nach den Vorgaben der RL 70/156/EWG könne das Fahrzeug der Antragstellerin nicht der Klasse M1 (PKW) zugeordnet werden, da die Kodierungen AA bis AF nicht zuträfen. Auch erfülle es die im Anhang II.C.1.b der RL 2001/116/EG festgelegte Bedingung P – (M + N x 68) > N x 68, d.h. dass die unter Berücksichtigung der zulässigen Gesamtmasse maximal zuladbare Nutzlast bei dem Fahrzeug größer sei, als die bei Ausnutzung sämtlicher Sitzplätze (außer dem Fahrersitz) erreichbare Personenlast. Dahingestellt könne bleiben, ob das Fahrzeug als Geländefahrzeug im Sinne der Klasse M1 G angesehen werden könne.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA geltend, dass das FG die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht beachtet habe, nach der sich die Einstufung eines Kfz als PKW oder LKW ausschließlich nach den objektiven Beschaffenheitskriterien, insbesondere nach Bauart, Einrichtung und dem äußeren Erscheinungsbild des Fahrzeugs, richte. Diese Beschaffenheit sei dabei unter Berücksichtigung aller Merkmale in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Die verkehrsrechtliche Zuordnung eines Kfz nach Fahrzeugklassen und Typen nach der RL 70/156/EWG sei für die Finanzbehörden nicht bindend. Die Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO habe lediglich zur Folge, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien nunmehr auch auf Fahrzeuge anwendbar seien, deren zulässiges Gesamtgewicht mehr als 2,8 t betrage. Im Streitfall könne eine objektive Beschaffenheit des Fahrzeugs zur überwiegenden Beförderung von Gütern nicht festgestellt werden. Zwar betrage die Ladefläche nach den Angaben der Antragstellerin mehr als die Hälfte der gesamten nutzbaren Fahrzeugfläche, doch könne dieses Merkmal allein eine Einstufung als LKW nicht rechtfertigen. Zu berücksichtigen sei, dass der Umbau die mögliche Zuladung wesentlich verringert habe. Diese mache nur 18,4 v.H. des zulässigen Gesamtgewichts aus. Auch das äußere Erscheinungsbild, die Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h und die Seitenfenster im Fonds sprächen für die Einstufung als PKW. An der Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides bestünden daher keine ernstlichen Zweifel.
Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten und verweist auf die erfolgten Umbaumaßnahmen. Im Übrigen sei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h infolge der Einstufung als LKW auf 100 km/h begrenzt worden.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass das FG seine Entscheidung zu Unrecht ausschließlich darauf gestützt hat, dass sich das Fahrzeug nicht in die Klasse M1 der RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG einordnen lasse, und dass es weitere Umstände, wie z.B. die Größe der Ladefläche, die mögliche Zuladung oder das äußere Erscheinungsbild, von vornherein unberücksichtigt gelassen hat.
1. In seinem Beschluss vom VII B 333/05 (BStBl II 2006, 721, BFH/NV 2006, 2001) hat der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ausgeführt, dass die RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG keine Bestimmung über die Einstufung von Kfz in die Klasse der „Personenkraftwagen” enthalte. Den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen seien keine für die Mitgliedstaaten als verbindlich anzusehenden Festlegungen hinsichtlich der Einteilung von Kfz für die Zwecke der Erhebung von Kraftfahrzeug- und Zulassungssteuern zu entnehmen. Maßgebend sei demnach das nationale Recht, dem —wie § 4 Abs. 4 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes belege— der Begriff des PKW geläufig sei.
2. Mit der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO durch die Siebenundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom (BGBl I, 2712) ist die bis dahin nur für Kombinationskraftwagen bestehende Sonderregelung ersatzlos entfallen. Daher kann auch die Rechtsprechung des Senats, nach der Kombinationskraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t ohne Rücksicht auf Typ und Erscheinungsbild des Fahrzeugs nicht als PKW zu besteuern sind (, BFHE 185, 511, BStBl II 1998, 487), keine Geltung mehr beanspruchen.
3. Auch für Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t gilt nun der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu beurteilen ist, ob ein LKW oder PKW vorliegt. Dabei obliegt es dem Tatsachengericht, unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Merkmale eine Bewertung der objektiven Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs vorzunehmen. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers (, BFH/NV 1992, 414; vom VII R 104/97, BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489; vom VII R 12/97, BFH/NV 1997, 810, und vom VII R 26/99, BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Dabei kann kein Merkmal von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs als von vornherein alleinentscheidend angesehen werden, mag auch einzelnen Merkmalen ein besonderes Gewicht zukommen und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahe legen (Senatsurteil in BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489).
4. Die Einstufung eines Fahrzeugs durch die Verkehrsbehörde hat als solche weder kraftfahrzeugsteuerrechtlich bindende Wirkung, wie sich im Umkehrschluss aus § 2 Abs. 2 Satz 2 KraftStG ergibt, noch lässt sie im Allgemeinen deshalb einen zuverlässigen Rückschluss auf die richtige kraftfahrzeugsteuerrechtliche Beurteilung zu, weil die Verkehrsbehörden insofern eine überlegene Sachkunde anwenden könnten (, BFHE 134, 367, BStBl II 1982, 82, und in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Vielmehr hat die Kraftfahrzeugsteuerstelle die Einstufung eigenverantwortlich vorzunehmen. Auch der Fahrzeugklassifikation des Herstellers und der darauf beruhenden verkehrsrechtlich orientierten Beurteilung durch das Kraftfahrtbundesamt kommt keine kraftfahrzeugsteuerrechtliche Bindungswirkung zu (Senatsurteil vom VII R 73/00, BFHE 194, 264, 269, BStBl II 2001, 368). Somit sind die Finanzbehörden entgegen der Auffassung des FG an die von der Verkehrsbehörde vorgenommene Einstufung eines Fahrzeugs in die Klassen der RL 70/156/EWG nicht gebunden.
5. Entgegen der Auffassung des FG bestimmt sich die Besteuerung des streitgegenständlichen Kfz nicht nach den in der RL 2001/116/EG getroffenen Festlegungen, sondern nach einer komplexen Gesamtwürdigung der die Bauart und Einrichtung bestimmenden Merkmale unter Berücksichtigung der hierzu entwickelten BFH-Rechtsprechung. Wie bereits ausgeführt, ist die Gesamtheit der technischen Merkmale einer tatrichterlichen Würdigung zu unterziehen. Im Streitfall sind daher auch die vorgenommenen Umbaumaßnahmen, die Größe der Ladefläche, die mögliche Zuladung, die Höchstgeschwindigkeit und das äußere Erscheinungsbild einer Gesamtbeurteilung zu unterziehen. Da das FG dies außer Acht gelassen hat, war der Beschluss aufzuheben. Obwohl der BFH im Streitfall Tatsacheninstanz ist, erscheint es dem Senat zweckmäßig, die Sache an das FG zurückzugeben. Eine Zurückverweisung ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH auch im Beschwerdeverfahren möglich (Senatsentscheidungen vom VII B 318/03, BFH/NV 2004, 1363, und vom VII B 61/95, BFH/NV 1996, 105).
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG die Rechtsprechung des Senats zu beachten haben, nach der ein Kfz vorwiegend der Lastenbeförderung zu dienen geeignet und bestimmt ist, wenn seine Ladefläche oder der Laderaum mehr als die Hälfte der gesamten Nutzfläche ausmacht (BFH-Entscheidungen in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72, und vom VII B 103/97, BFH/NV 1998, 87, sowie , Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1996, 348). Allerdings ist zu beachten, dass es sich bei dem Anteil der Ladefläche an der Nutzfläche nur um eines von mehreren Zuordnungskriterien handelt, wenn ihm auch in der Regel ausschlaggebende Bedeutung beizumessen sein wird (Senatsurteil in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Zu berücksichtigen sind im Streitfall insbesondere die Größe der Ladefläche, die mehr als die Hälfte der gesamten Nutzfläche beträgt, und der Umstand, dass die Sitzbefestigungspunkte dauerhaft unbrauchbar gemacht worden sind, so dass ein Wiedereinbau der entfernten Sitze nur mit erheblichem Aufwand möglich ist. Bei dieser Betrachtung kommt nach Ansicht des Senats den unverblecht gebliebenen Seitenfenstern keine entscheidende Bedeutung zu.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 773 Nr. 4
FAAAC-37152