Größe der Ladefläche und Zuladungsmöglichkeit für die Einstufung eines Pkw als Lkw von besonderer Bedeutung
Gesetze: KraftStG § 2 Abs. 2
Instanzenzug:
Gründe
I. Auf den Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist ein Kfz der Marke Mitsubishi zugelassen. Es handelt sich dabei um einen sog. Pick-up mit Doppelkabine, der ein zulässiges Gesamtgewicht von über 2,8 t aufweist und der mit einem Dieselmotor (Hubraum 2 477 ccm) ausgerüstet ist. Die offene Ladefläche beträgt weniger als die Hälfte der gesamten nutzbaren Fahrzeugfläche. Das Fahrzeug hat insgesamt fünf Sitzplätze und ist im Fahrzeugbrief als „LKW offener Kasten” ausgewiesen. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) hatte das Kfz ursprünglich als „anderes Fahrzeug” i.S. von § 8 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) eingestuft und es als LKW nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG der Gewichtsbesteuerung unterworfen. Unter Hinweis auf die Aufhebung der in § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) getroffenen Sonderregelung für Kombinationskraftwagen mit Wirkung vom stufte das FA das Kfz mit Änderungsbescheid vom als PKW ein und nahm eine entsprechende Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer vor.
Gegen den Änderungsbescheid legte der Antragsteller Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheides in Höhe der Differenz der Steuerschuld zwischen der Besteuerung als LKW und der Besteuerung als PKW hat das FA mit der Begründung abgelehnt, dass das Fahrzeug vorrangig zur Personenbeförderung ausgelegt und gebaut sei. Das Finanzgericht (FG) hat dagegen die begehrte AdV gewährt. Zur Begründung beruft es sich darauf, dass nach der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO auf das Gemeinschaftsrecht zurückgegriffen werden müsse. Die Einstufung eines Kfz als PKW oder LKW richte sich nunmehr ausschließlich nach der Richtlinie 2001/116/EG (RL 2001/116/EG) der Kommission vom zur Anpassung der Richtlinie 70/156/EWG (RL 70/156/EWG) des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger an den technischen Fortschritt (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002 Nr. L 18/1). Nach den Vorgaben dieser Richtlinie könne das streitgegenständliche Fahrzeug nicht als PKW der Klasse M1 angesehen werden. Denn von den Kodierungen AA bis AF werde es nicht erfasst. Auch erfülle es die im Anhang II C 1 b der RL 2001/116/EG festgelegte Bedingung P – (M + N x 68) > N x 68, d.h. dass die unter Berücksichtigung der zulässigen Gesamtmasse maximal zuladbare Nutzlast bei dem Fahrzeug größer sei, als die bei Ausnutzung sämtlicher Sitzplätze (außer dem Fahrersitz) erreichbare Personenlast. Zwischen den verkehrsrechtlichen Vorschriften an sich, zu denen die Richtlinienbestimmungen gehörten, und ihrer Anwendung sei zu unterscheiden, so dass der Einstufung nach Gemeinschaftsrecht auch eine kraftfahrzeugsteuerrechtliche Bindungswirkung zukomme.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde macht das FA insbesondere geltend, dass das vom FG angeführte Gemeinschaftsrecht im Hinblick auf die Besteuerung keine Bindungswirkung entfalten könne. Denn die RL 70/156/EWG enthalte keine Definition des Begriffes PKW. Es komme deshalb nicht darauf an, ob das Fahrzeug die in Anhang II C 1 b der RL 2001/116/EG festgelegten Bedingungen erfülle. Nach wie vor sei bei der kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Einstufung § 4 Abs. 4 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) zu beachten. Die verkehrsrechtliche Zulassung als LKW stehe einer Besteuerung als PKW nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei eine umfassende Würdigung aller technischen Merkmale vorzunehmen. Der Schwerpunkt der Nutzungsmöglichkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs, bei dem es sich um einen sog. Pick-up mit großer Fahrerkabine mit fünf Sitzplätzen handle, liege danach nicht in der überwiegenden Beförderung von Gütern. Die Ladefläche mache nicht einmal die Hälfte der gesamten Nutzfläche des Fahrzeugs aus. Die mögliche Zuladung betrage lediglich 32,4 v.H. des Gesamtgewichts des Fahrzeugs. Auch die Motorisierung und die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 142 km/h ließen nicht auf das Vorliegen eines LKW schließen. Im Internet werde das Fahrzeug vom Hersteller als PKW angeboten.
Der Antragsteller hat sich zu der Beschwerde nicht geäußert.
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses des FG und zur Ablehnung des Antrages auf AdV.
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage gelangt der beschließende Senat zu der Auffassung, dass das FG seine Entscheidung zu Unrecht ausschließlich darauf gestützt hat, dass sich das Fahrzeug nicht in die Klasse M1 der RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG einordnen lasse, und dass es deshalb weitere Umstände, wie z.B. die Größe der Ladefläche, die mögliche Zuladung oder das äußere Erscheinungsbild, von vornherein unberücksichtigt gelassen hat.
1. In seinem Beschluss vom VII B 333/05 (BStBl II 2006, 721, BFH/NV 2006, 2001) hat der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ausgeführt, dass die RL 70/156/EWG i.d.F. der RL 2001/116/EG keine Bestimmung über die Einstufung von Kfz in die Klasse der „Personenkraftwagen” enthalte. Den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen seien keine für die Mitgliedstaaten als verbindlich anzusehenden Festlegungen hinsichtlich der Einteilung von Kfz für die Zwecke der Erhebung von Kraftfahrzeug- und Zulassungssteuern zu entnehmen. Maßgebend sei demnach das nationale Recht, dem —wie § 4 Abs. 4 Nr. 1 PBefG belege— der Begriff des PKW geläufig sei.
a) Mit der Aufhebung von § 23 Abs. 6a StVZO durch die Siebenundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom (BGBl I, 2712) ist die bis dahin nur für Kombinationskraftwagen bestehende Sonderregelung ersatzlos entfallen. Daher kann auch die Rechtsprechung des Senats, nach der Kombinationskraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t ohne Rücksicht auf Typ und Erscheinungsbild des Fahrzeugs nicht als PKW zu besteuern sind (, BFHE 185, 511, BStBl II 1998, 487), keine Geltung mehr beanspruchen.
b) Auch für Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t gilt nun der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs zu beurteilen ist, ob ein LKW oder PKW vorliegt. Dabei obliegt es dem Tatsachengericht, unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Merkmale eine Bewertung der objektiven Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs vorzunehmen. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers (, BFH/NV 1992, 414; vom VII R 104/97, BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489; vom VII R 12/97, BFH/NV 1997, 810, und vom VII R 26/99, BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Dabei kann kein Merkmal von Bauart und Einrichtung des Fahrzeugs als von vornherein alleinentscheidend angesehen werden, mag auch einzelnen Merkmalen ein besonderes Gewicht zukommen und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahe legen (Senatsurteil in BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489).
c) Die Einstufung eines Fahrzeugs durch die Verkehrsbehörde hat als solche weder kraftfahrzeugsteuerrechtlich bindende Wirkung, wie sich im Umkehrschluss aus § 2 Abs. 2 Satz 2 KraftStG ergibt, noch lässt sie im Allgemeinen deshalb einen zuverlässigen Rückschluss auf die richtige kraftfahrzeugsteuerrechtliche Beurteilung zu, weil die Verkehrsbehörden insofern eine überlegene Sachkunde anwenden könnten (, BFHE 134, 367, BStBl II 1982, 82, und in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Vielmehr hat die Kraftfahrzeugsteuerstelle die Einstufung eigenverantwortlich vorzunehmen. Auch der Fahrzeugklassifikation des Herstellers und der darauf beruhenden verkehrsrechtlich orientierten Beurteilung durch das Kraftfahrtbundesamt kommt keine kraftfahrzeugsteuerrechtliche Bindungswirkung zu (Senatsurteil vom VII R 73/00, BFHE 194, 264, 269, BStBl II 2001, 368). Die Finanzbehörden sind somit an die von der Verkehrsbehörde vorgenommene Einstufung eines Fahrzeugs in die Klassen der RL 70/156/EWG nicht gebunden.
2. Entgegen der Auffassung des FG bestimmt sich die Besteuerung des streitgegenständlichen Kfz nicht nach den in der RL 2001/116/EG getroffenen Festlegungen. Daher ist es vorliegend unerheblich, ob sich das Fahrzeug in die Klasse M1 einstufen lässt oder nicht. Die Einstufung ist vielmehr aufgrund einer komplexen Gesamtwürdigung der die Bauart und Einrichtung bestimmenden Merkmale unter Berücksichtigung der hierzu entwickelten BFH-Rechtsprechung vorzunehmen. Wie bereits ausgeführt, ist die Gesamtheit der technischen Merkmale einer tatrichterlichen Würdigung zu unterziehen.
3. Im Streitfall kommt neben den anderen technischen Merkmalen der Größe der Ladefläche eine besondere, wenn auch nicht allein ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn zu den Merkmalen, denen bei der Zuordnung eines Fahrzeugs zum Typ des PKW oder des LKW besonderes Gewicht beizumessen ist, gehören nach der Senatsrechtsprechung die Größe der Ladefläche des Fahrzeugs und die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, weil diese Merkmale von besonderer Bedeutung dafür sind, ob die Möglichkeit einer Nutzung des Fahrzeugs zur Lastenbeförderung gegenüber seiner Eignung zur Personenbeförderung Vorrang hat (Senatsurteil in BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72). Im Interesse praktikabler Zuordnungsmaßstäbe und der um der Rechtssicherheit willen geforderten Vorhersehbarkeit kraftfahrzeugsteuerrechtlicher Zuordnungen hat es der Senat für gerechtfertigt erachtet, typisierend davon auszugehen, dass Fahrzeuge nicht vorwiegend der Lastenbeförderung zu dienen geeignet und bestimmt sind, wenn ihre Ladefläche oder ihr Laderaum nicht mehr als die Hälfte der gesamten Nutzfläche ausmacht (BFH-Urteil in BFHE 194, 257, 262, BStBl II 2001, 72, m.w.N.). Das streitgegenständliche Fahrzeug weist nach den Ausführungen des FA, gegen die der Antragsteller keine Einwände erhoben hat, eine Ladefläche von weniger als der Hälfte der gesamten Nutzfläche auf; auch die Zuladungsmöglichkeit ist mit ca. 32 v.H. des Gesamtgewichts des Fahrzeugs nicht als besonders hoch einzustufen. Zudem hat der Antragsteller nicht vorgetragen, ob und in welchem Ausmaß der Nutzung des Fahrzeugs als LKW dienliche Umbaumaßnahmen vorgenommen worden sind. Zur Begründung seines Einspruchs und des Antrages auf AdV hat er sich lediglich darauf berufen, dass das Fahrzeug nach der RL 70/156/EWG nicht in die Klasse M1, sondern in die Klasse N1 einzustufen sei. Wie bereits ausgeführt, kommt es jedoch auf die gemeinschaftsrechtliche Einstufung, selbst wenn diese entgegen der Auffassung des FA zutreffen sollte, nicht an. Nach der gebotenen summarischen Prüfung begegnet die vom FA vorgenommene Einstufung des Fahrzeugs als PKW keinen rechtlichen Bedenken (zur Einstufung eines Pick-up-Fahrzeugs der Marke Mitsubishi (L 200) mit Doppelkabine und kleiner Ladefläche ebenso , Umsatz- und Verkehrsteuerrecht 1996, 348, und , BFH/NV 1998, 87). Da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides somit nicht bestehen, war die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und der AdV-Antrag abzulehnen.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 505 Nr. 3
PAAAC-35653