Keine Bindung des Finanzamts an seine frühere Rechtsauffassung (Grundsatz der Abschnittsbesteuerung)
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Instanzenzug: , F
Gründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
1. Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) für die Streitjahre (1993 bis 1996) an einer Rechtsauffassung nicht mehr festgehalten hat, die er infolge einer Betriebsprüfung für die Vorjahre 1991 und 1992 abweichend von den Steuerbilanzen und Steuererklärungen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) vertreten hatte. Zu der ursprünglich für die Jahre 1991 und 1992 vertretenen Auffassung hatte der Betriebsprüfer ausgeführt, zwischen der Klägerin und der X-GmbH (GmbH) liege zwar unstreitig eine Betriebsaufspaltung vor. Die Auffassung der Klägerin, dass es sich bei den Beteiligungen der im finanzgerichtlichen Verfahren Beigeladenen an der Betriebs-GmbH um notwendiges Sonderbetriebsvermögen bei der GbR (Klägerin) handele, werde jedoch nicht geteilt. Im Anschluss an Knobbe-Keuk (Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., Seite 884) sei davon auszugehen, dass die entsprechende Rechtsprechung nicht überzeugend sei. Im Einvernehmen mit der Klägerin, würden die Beteiligungen an der GmbH in der Prüferbilanz zum nicht ausgewiesen, sondern dem Privatvermögen der Gesellschafter zugerechnet (Tz. 12 des Betriebsprüfungsberichts vom ).
Demgegenüber rechnete das FA aufgrund einer späteren Betriebsprüfung die GmbH-Anteile wiederum dem Sonderbetriebsvermögen der Beigeladenen bei der Klägerin zu und erfasste in den Streitjahren Gewinnausschüttungen und Veräußerungserlöse als Betriebseinnahmen.
2. Es entspricht dem von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz der Abschnittsbesteuerung, dass das FA in jedem Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen hat. Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung muss es zum frühest möglichen Zeitpunkt aufgeben; dies grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs —BFH— vom X R 100/89, BFH/NV 1991, 217; vom X R 106/97, BFH/NV 2001, 160; vom X B 153/01, BFH/NV 2003, 621, jeweils mit Nachweisen der Rechtsprechung des BFH). Dies gilt auch dann, wenn die —fehlerhafte— Auffassung im Prüfungsbericht niedergelegt worden ist (, BFHE 80, 446, BStBl III 1964, 634, und vom IX R 3/92, BFH/NV 1994, 698, sowie Senatsbeschluss vom IV B 137/97, BFH/NV 1999, 1188) oder wenn die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hatte (, BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749). Das FA ist an eine bei einer früheren Veranlagung zugrunde gelegten Rechtsauffassung auch dann nicht gebunden, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert hat (BFH-Entscheidungen vom X R 17/85, BFHE 157, 516, BStBl II 1989, 879; vom IV R 51/02, BFH/NV 2004, 1393; vom IX B 41/04, BFH/NV 2005, 68, m.w.N.).
3. Die Besonderheit des Streitfalls gegenüber den bisher vom BFH entschiedenen Fällen sieht die Klägerin darin, dass hier das FA in der Vergangenheit nicht etwa eine für sie, die Klägerin, günstige Rechtsauffassung nicht beanstandet, sondern die von ihr vertretene Rechtsauffassung zu Ungunsten ihrer Gesellschafter korrigiert habe. Der Umstand, dass das FA die Anteile an der Betriebs-GmbH nicht dem Sonderbetriebsvermögen der Beigeladenen bei der Klägerin (Besitz-Personengesellschaft) zugerechnet habe, habe nämlich dazu geführt, dass sie bei den Beigeladenen als Privatvermögen der Vermögensteuer unterlegen hätten.
4. Die Frage, wie derartige Fälle zu lösen sind, kann nicht abstrakt ohne Einbeziehung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls allgemeingültig beantwortet werden. Ihr kommt daher keine grundsätzliche Bedeutung für die Allgemeinheit zu. Das zeigt sich gerade am Streitfall. Zum einen war die vom Prüfer der Vorbetriebsprüfung vertretene Auffassung für die Klägerin selbst (GbR) uneingeschränkt günstig, weil dadurch die Verstrickung der GmbH-Anteile als Betriebsvermögen vermieden wurde. Inwieweit es für die Beigeladenen ungünstig war, dass die GmbH-Anteile bei ihnen nicht über den „Umweg” als Anteil am Betriebsvermögen der Klägerin, sondern unmittelbar als Privatvermögen der Vermögensteuer unterlagen, hat die Klägerin nicht dargelegt. Aber auch wenn man insoweit einen Nachteil der Beigeladenen unterstellt, stellt sich die Frage, warum sie die für sie nachteiligen Verwaltungsakte nicht angefochten haben. Insoweit kommt in Betracht, dass sie sich von der ursprünglichen Behandlung durch das FA per Saldo einen Vorteil erhofften. Derartige Fälle werden bei Abwägung zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Vertrauensschutz regelmäßig nicht anders zu behandeln sein, als die, in denen das FA eine unzutreffende, für den Steuerpflichtigen günstige Rechtsauffassung nicht beanstandet hat. Denkbar sind aber auch Fälle, in denen der Steuerpflichtige eine Anfechtung unterlässt, weil sie ihm angesichts der vom FA vertretenen Rechtsauffassung aussichtslos erscheint. Der Senat braucht nicht dazu Stellung zu nehmen, ob und ggf. unter welchen Umständen eine solche Fallgestaltung das FA daran hindern könnte, in späteren Veranlagungszeiträumen eine abweichende Auffassung zu vertreten. Jedenfalls unter den dem Streitfall zugrunde liegenden Umständen wäre es nicht gerechtfertigt, den Grundsatz der Abschnittsbesteuerung gegenüber dem Vertrauensschutz zurücktreten zu lassen. Denn aus dem Betriebsprüfungsbericht (Tz. 12) ergab sich eindeutig, dass sich die Auffassung des Prüfers auf eine Literaturmeinung stützte, die von der Rechtsprechung nicht geteilt wurde. Es war demnach auch aus damaliger Sicht höchst wahrscheinlich, dass eine gerichtliche Anfechtung dieser Auffassung Erfolg haben würde.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 2028 Nr. 11
VAAAC-16483