BGH Beschluss v. - VI ZB 83/04

Leitsatz

[1] Die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erfordert nicht die Feststellung, daß die Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist.

Gesetze: ZPO § 520 Abs. 2

Instanzenzug: AG Berlin

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten aus einem Verkehrsunfall vom aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Tochter A. auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom abgewiesen. Dieses Urteil ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am zugestellt worden. Der Kläger hat am Berufung eingelegt und am um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gebeten. Am teilte die Richterin K.-W. der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten des Klägers telefonisch mit, es sei unklar, wann das amtsgerichtliche Urteil zugestellt worden sei. Ein Empfangsbekenntnis liege nicht vor. Darauf erklärte die Büroangestellte S., sie könne derzeit keine Auskunft über das Zustellungsdatum geben, weil die Akte für sie nicht greifbar sei; sie werde jedoch noch am selben Tage das Empfangsbekenntnis per Fax direkt an das Landgericht übermitteln. Mit Schreiben vom , abgesandt am , wiederholte die Richterin ihren Hinweis. Gleichzeitig wies sie darauf hin, daß über den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht entschieden werden könne, solange die Rechtzeitigkeit der Berufungseinlegung nicht geklärt sei. Mit Schreiben vom , abgesandt am , teilte der Richter W. der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten mit, bisher sei weder die gerichtliche Anfrage vom noch das Schreiben vom beantwortet worden. Deswegen könne die beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht gewährt werden. Die Kammer beabsichtige, die Berufung durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen. Am ging die Berufungsbegründung beim Landgericht ein. Am wurde das Empfangsbekenntnis vom per Telefax übermittelt. Mit Schreiben vom wies der Vorsitzende der Zivilkammer den Prozeßbevollmächtigten des Klägers darauf hin, eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei aus den am telefonisch sowie mit Schreiben vom 22. Juli und mitgeteilten Gründen nicht gewährt worden. Da das Empfangsbekenntnis erst am und somit nach Ablauf der beantragten zu verlängernden Frist eingegangen sei, sei auch eine nachträgliche Fristverlängerung nicht in Betracht gekommen.

Mit Beschluß vom , dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers zugestellt am , hat das Landgericht die Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht fristgerecht begründet worden sei. Die Berufungsbegründungsfrist habe am geendet. Dem stehe der am gestellte Verlängerungsantrag nicht entgegen. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers sei darauf hingewiesen worden, daß eine Verlängerung nicht in Betracht komme, weil die Rechtzeitigkeit der Berufung nicht überprüft werden könne. Der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist sei durch Verfügung der stellvertretenden Vorsitzenden vom , spätestens mit der Verfügung des Vorsitzenden der Kammer vom abgelehnt worden. Ohne Darlegung des Zeitpunkts der Urteilszustellung durch den Kläger sei eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht in Betracht gekommen, da die Möglichkeit bestanden habe, daß die Frist zur Einlegung der Berufung nicht eingehalten worden sei. Aufgrund der erteilten richterlichen Hinweise und der am erfolgten Ablehnung habe der Kläger auch nicht auf eine Fristverlängerung vertrauen dürfen. Ob sein Vortrag zutreffe, das Empfangsbekenntnis sei am per Telefax übermittelt worden, könne dahinstehen, denn aufgrund des Schreibens vom habe er gewußt, daß es jedenfalls nicht zur Akte gelangt sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil der Kläger einen solchen Antrag nicht gestellt habe. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluß verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz aufgrund von Anforderungen zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Partei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen mußte (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f. = NJW 1989, 1147; BVerfGE 88, 118, 123 f. = NJW 1993, 1635; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004, 1005).

1. Das Berufungsgericht hat die Berufung verfahrensfehlerhaft als unzulässig verworfen. Wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hätte die Berufung nur dann verworfen werden dürfen, wenn der Antrag des Klägers auf Verlängerung dieser Frist abgelehnt gewesen wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom - II ZB 7/81 - VersR 1982, 1191, 1192; vom - IV b ZB 19/88 - NJW-RR 1988, 581 und vom - VII ZB 37/00 - VersR 2003, 222). Das war hier nicht der Fall. Über die beantragte Fristverlängerung hat gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO der Vorsitzende zu entscheiden. Daran fehlt es. Die telefonische Mitteilung des Gerichts vom und die Schreiben vom 22. Juli und lassen schon nicht erkennen, daß sie von dem Vorsitzenden oder seinem Vertreter herrühren. Zudem handelt es sich inhaltlich nicht um Entscheidungen, sondern um gerichtliche Hinweise, denn es wird lediglich mitgeteilt, daß über den Verlängerungsantrag nicht entschieden werden könne, weil das Empfangsbekenntnis nicht vorliege. Auch das Schreiben des Vorsitzenden vom enthält keine Entscheidung über die beantragte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Dieses Schreiben enthält einen Hinweis darauf, daß und weshalb dem Antrag nicht entsprochen worden sei. Eine Ablehnung der begehrten Fristverlängerung liegt darin schon deswegen nicht, weil dem Kläger noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird und eine Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist grundsätzlich auch noch nach deren Ablauf ergehen kann, sofern der Antrag rechtzeitig gestellt worden ist (BGHZ [GSZ] 83, 217; vgl. auch BGHZ 102, 37, 38).

2. Die noch ausstehende Entscheidung über die Fristverlängerung muß im Streitfall nachgeholt werden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts erfordert die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht die Feststellung, daß die Berufung rechtzeitig eingelegt worden ist. Es bedarf dazu auch keiner Darlegung durch den Rechtsmittelführer. Die Frage der Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels stellt sich erst, wenn über dessen Zulässigkeit zu entscheiden ist. Stellt sich dabei heraus, daß die Frist zur Einlegung der Berufung nicht gewahrt ist, ist diese unabhängig davon, ob die Begründungsfrist verlängert worden ist, als unzulässig zu verwerfen.

3. Sollte eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum im Streitfall abgelehnt werden, würde sich die Frage einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen, die gemäß § 236 Abs. 2 ZPO gegebenenfalls auch von Amts wegen zu gewähren sein kann (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 236, Rdnr. 5). Dabei wäre zu berücksichtigen, daß das Empfangsbekenntnis vom entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht erst am , sondern bereits am per Telefax bei Gericht eingegangen ist. Es war, wie sich aus Blatt 74 in Verbindung mit Blatt 118 der Gerichtsakte ergibt, zwar an das Amtsgericht adressiert, aber so, wie mit der Richterin K.-W. am telefonisch besprochen, an das Landgericht unter dessen Faxnummer übermittelt worden. Bei dieser Sachlage durfte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers darauf vertrauen, daß seinem rechtzeitig gestellten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entsprochen werden würde (vgl. BVerfGE 79, 372 = NJW 1989, 1147; - NJW 1999, 430 m.w.N.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BAAAC-02623

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja