Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Instanzenzug: ArbG Halberstadt 3 Ca 1048/05 vom
Gründe
I.
Die Parteien streiten über Schadensersatz.
Die Klägerin ist Arbeitnehmerin der S GmbH & Co. KG. Von diesem Unternehmen wurde sie als Leiharbeitnehmerin an die Firma Sch vermittelt. Gemeinsam mit einem weiteren Arbeitnehmer führte sie für dieses Unternehmen bei der Beklagten einen Auftrag aus. Bei der Arbeit verletzte sich die Klägerin, als ein Schiebetor aus der Laufschiene geriet und auf die Klägerin fiel.
Mit ihrer am beim Amtsgericht Oschersleben, Zweigstelle Wanzleben, eingegangenen Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz. Die Klageschrift ist der Beklagten erstmals am zugestellt worden.
Mit Verfügung vom hat die Richterin am Amtsgericht L der Klägerin mitgeteilt, ihrer Auffassung nach sei gem. "§ 3 I d) ArbGG" das Arbeitsgericht "sachlich zuständig", und sie um Stellungnahme zur beabsichtigten "Abgabe" des Verfahrens gebeten. Nach Zustimmung der Klägerin hat das Amtsgericht gemäß richterlicher Verfügung vom das Verfahren mit Akte an das Arbeitsgericht Halberstadt "auf Klägerantrag zuständigkeitshalber übersandt". Auf Grund einer Verfügung der Richterin am Arbeitsgericht I vom ist die Akte dem Amtsgericht Oschersleben, Zweigstelle Wanzleben, mit dem Hinweis übersandt worden, dass ein rechtkräftiger, förmlicher Verweisungsbeschluss erforderlich sei. Am hat die Richterin am Amtsgericht L dem Klägervertreter mitgeteilt:
"Ich bitte um Stellungnahme binnen 10 Tagen; soll entsprechend dem Hinweis des ArbG Verweisung beantragt werden (die formlose Abgabe reicht - offenbar - nicht aus)?"
Mit Schriftsatz vom hat die Klägerin die "Abgabe an das sachlich zuständige Arbeitsgericht Halberstadt" beantragt. In einem Vermerk der Richterin am Amtsgericht L ist festgehalten, dass nach telefonischer Rücksprache mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf Grund eines Schreibversehens statt einer Verweisung die Abgabe beantragt worden sei.
Am hat das Amtsgericht Oschersleben beschlossen:
"...
erklärt sich das Amtsgericht Oschersleben für sachlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin gemäß § 281 ZPO nach Anhörung der Gegenseite an das nach §§ 3 I d) ArbGG sachlich ausschließlich zuständige Arbeitsgericht in Halberstadt ..."
Dieser Beschluss ist der Beklagten am zugestellt worden.
Die Beklagte rügt die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen. Sie macht geltend, der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts entfalte mangels Rechtshängigkeit der Klage keine Bindungswirkung. Für die von der Klägerin erhobenen Ansprüche sei der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben.
Nach Anhörung der Parteien hat das Arbeitsgericht Halberstadt am beschlossen:
"Der Rechtsweg zum Arbeitsgericht ist unzulässig.
Der Rechtsstreit wird gemäß §§ 48 ArbGG, 17a Abs. 2 GVG an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges, das Amtsgericht Oschersleben verwiesen."
Am Ende der Gründe des Beschlusses heißt es:
"Der Rechtsstreit wird aufgrund der sich widersprechenden Verweisungsbeschlüsse in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem BAG zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes vorgelegt."
Der Beschluss ist beiden Parteien am zugestellt worden.
Gegen den Beschluss ist kein Rechtsmittel eingelegt worden.
II. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens in
entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
1. Gem. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss, der nicht hätte ergehen dürfen, ist grundsätzlich einer weiteren Überprüfung entzogen (Senat - 5 AS 1/03 - BAGE 105, 305, 307, zu B I 1 der Gründe; - 5 AS 17/98 - AP ZPO § 36 Nr. 55 = EzA ZPO § 36 Nr. 28, zu B III 1 der Gründe; - AP GVG § 17a Nr. 46, zu B 1 der Gründe; - X ARZ 138/03 - NJW 2003, 2990, zu II 1 der Gründe; -BFHE 204, 413, 415, zu 1 b der Gründe). Nur bei krassen Rechtsverletzungen kommt eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise in Betracht (Senat - 5 AS 1/03 - aaO; - aaO, S. 416, zu 1 c der Gründe). Dies ist etwa anzunehmen, wenn der Beschluss dazu führt, dass sich die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen in einer nicht mehr hinnehmbaren, willkürlichen Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt oder auf der Versagung rechtlichen Gehörs gegenüber den Verfahrensbeteiligten beruht (ebenso - aaO; einschränkend nunmehr insoweit - aaO, zu II 2 der Gründe) und damit unter Berücksichtigung elementarer rechtsstaatlicher Grundsätze nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. - NZA 2002, 813, zu II 2 der Gründe). Der Verweisungsbeschluss muss ein Beleg willkürlicher Rechtsfindung sein.
2. In entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist (Senat - 5 AS 1/03 - BAGE 105, 305, 307, zu B I 2 der Gründe; - FamRZ 2004, 434, zu II 2 der Gründe; - X ARZ 138/03 - NJW 2003, 2990, zu II 3 der Gründe; - X ARZ 266/01 - AP GVG § 17a Nr. 46, zu B 2 der Gründe; - BFHE 204, 413, 416, zu 1 d der Gründe). Erforderlich ist, dass es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung von rechtskräftigen Verweisungsbeschlüssen kommt und keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, der Rechtsstreit werde von diesem nicht prozessordnungsgemäß betrieben, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (ebenso - NZA 2002, 813, zu II 3 der Gründe). Zuständig für die Zuständigkeitsbestimmung ist derjenige oberste Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird.
III. Zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit ist in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO das zuständige Gericht zu bestimmen. Es ist das Amtsgericht Oschersleben.
1. Der Vorlagebeschluss des Arbeitsgerichts Halberstadt ist auslegungsbedürftig. In der Beschlussformel wird der Rechtsstreit an das zuständige Amtsgericht Oschersleben verwiesen. Am Ende der Beschlussbegründung heißt es dann aber, die Sache werde dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Tatsächlich hat das Arbeitsgericht den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Die Beschlussformel ist unter Berücksichtigung der Begründung des Beschlusses dahin auszulegen, dass das Bundesarbeitsgericht die Zuständigkeit des Amtsgerichts Oschersleben bestimmen solle.
2. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Oschersleben beruht auf einer krassen Rechtsverletzung und bindet deshalb nicht. Das Amtsgericht hat den Rechtsstreit vor Zustellung der Klage verwiesen. Vor Rechtshängigkeit der Klage darf jedoch keine Entscheidung ergehen (Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 261 Rn. 1). Ein vor Rechtshängigkeit der Klage ergehender Verweisungsbeschluss nach § 17a GVG entfaltet keine Bindungswirkung. Das Arbeitsgericht konnte deshalb den Rechtsstreit an das Amtsgericht Oschersleben verweisen. Die vom Arbeitsgericht in dem Verweisungsbeschluss angeführten Gründe für die Unzulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen sind nicht zu beanstanden. Zudem ist dieser Beschluss unanfechtbar geworden.
3. Soweit die Beklagte meint, das Landgericht Magdeburg sei zuständig, weil der Streitwert unter Berücksichtigung des Feststellungsantrags über 5.000,00 Euro liege, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Wert des Feststellungsantrags bemisst sich nicht nur nach der Höhe des drohenden Schadens, sondern auch danach, wie hoch oder wie gering das Risiko eines Schadenseintritts und einer tatsächlichen Inanspruchnahme der beklagten Partei durch den Feststellungskläger ist ( - NJW-RR 1991, 509, zu II 3 b der Gründe). Hierzu hat die Klägerin keine konkreten Umstände vorgetragen. Sie hat lediglich ausgeführt, weitere Folgeschäden seien nicht auszuschließen. Damit übersteigt der Wert des Feststellungsantrags nicht 1.000,00 Euro.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
DB 2006 S. 624 Nr. 11
DB 2006 S. 792 Nr. 14
NJW 2006 S. 1371 Nr. 19
JAAAB-94205
1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein