Instanzenzug: BA (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, befasst sich im Wesentlichen mit dem Halten und der Finanzierung von Beteiligungen an Tochtergesellschaften. Die Beigeladenen bzw. deren Rechtsvorgänger waren zu den streitgegenständlichen Bewertungsstichtagen mit mindestens 5 v.H. am Stammkapital der Klägerin beteiligt.
Zu den streitigen Stichtagen entfielen von den Besitzposten in der Vermögensaufstellung der Klägerin 42,56 v.H. bzw. 47,52 v.H. auf Anteile an Kapitalgesellschaften und 47,81 v.H. bzw. 34,22 v.H. auf Darlehensforderungen gegen die Gesellschaften.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erließ im Anschluss an eine Außenprüfung die hier angefochtenen geänderten Bescheide über die gesonderte Feststellung des gemeinen Werts der Anteile an der Klägerin auf den 31. Dezember der Jahre 1994 und 1995. Dabei behandelte er die Klägerin als Holdinggesellschaft i.S. des Abschn. 11 Abs. 1 der Vermögensteuer-Richtlinien (VStR) 1995 und schätzte den gemeinen Wert unter Außerachtlassung der Ertragsaussichten auf den Vermögenswert.
Demgegenüber ist die Klägerin der Auffassung, sie könne nicht als Holdinggesellschaft angesehen werden, weil ihr Rohvermögen nicht zu mehr als 75 v.H. aus Anteilen an Kapitalgesellschaften bestehe (Abschn. 11 Abs. 2 VStR 1995). Der gemeine Wert sei daher nach den Regelungen des Abschn. 11 Abs. 4 VStR 1995 zu ermitteln.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 339 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den gemeinen Wert der Anteile in Abänderung der Bescheide vom zum auf 578 DM und zum auf 526 DM sowie den gemeinen Wert der Anteile ohne Einfluss auf die Geschäftsführung zum auf 520 DM und zum auf 473 DM festzustellen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
1. Das FG hat die Anteile an der Klägerin zu Unrecht nach der für reine Holdinggesellschaften geltenden Regelung des Abschn. 11 Abs. 1 VStR 1995 (entspricht R 103 Abs. 1 der Erbschaftsteuer-Richtlinien —ErbStR— 1999/2003) bewertet.
a) Der gemeine Wert von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist, wenn er —wie im Streitfall— nicht aus Verkäufen abgeleitet werden kann, die weniger als ein Jahr zurückliegen, gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen. Das Stuttgarter Verfahren, das von der Finanzverwaltung zunächst in den VStR (für die streitbefangenen Feststellungszeitpunkte Abschn. 4 ff. VStR 1995), ab 1999 dann in R 96 ff. ErbStR geregelt worden ist, ist vom Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung als geeignetes —wenn auch die Gerichte nicht bindendes— Schätzungsverfahren anerkannt worden (erstmals , BFHE 72, 241, BStBl III 1961, 92, unter II.). Mit Rücksicht auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist von diesem Verfahren nur abzuweichen, wenn es in Ausnahmefällen aus besonderen Gründen des Einzelfalls zu nicht tragbaren, d.h. offensichtlich unrichtigen Ergebnissen führt (, BFHE 112, 510, BStBl II 1974, 626, unter 2.; vom II R 15/97, BFHE 191, 393, BStBl II 2000, 251, unter II.A.1.; zuletzt , BFH/NV 2004, 471).
Im vorliegenden Fall streiten die Beteiligten nicht darüber, ob eine Abweichung von den Regelungen des Stuttgarter Verfahrens geboten ist, sondern darüber, welche der im Rahmen des Stuttgarter Verfahrens vorgesehenen Regelungen zur sachgerechten Bewertung der Anteile an Gesellschaften mit Beteiligungsbesitz im Streitfall anzuwenden ist.
b) Obwohl Abschn. 11 Abs. 1 Satz 2 VStR 1995 vorsieht, bei der Bewertung der Anteile an einer Holdinggesellschaft die Ertragsaussichten außer Ansatz zu lassen, verwirklicht diese Verwaltungsanweisung in ihrem Anwendungsbereich die gesetzliche Vorgabe des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG, den gemeinen Wert unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen. Denn im Vermögenswert der Holdinggesellschaft sind die gemeinen Werte der Beteiligungsgesellschaften enthalten. Diese sind aber ihrerseits unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Untergesellschaften geschätzt worden. Würde der gemeine Wert der Anteile an der Holdinggesellschaft nach der Regelbewertung geschätzt werden, würden die Ertragsaussichten der Untergesellschaften über den Ansatz der von ihr ausgeschütteten Dividenden bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes der Holdinggesellschaft nochmals —und damit doppelt, bei mehrstufigen Beteiligungsketten sogar mehrfach— werterhöhend erfasst. Die Regelung des Abschn. 11 Abs. 1 VStR 1995 dient der Vermeidung dieses sog. Kaskadeneffekts und bewirkt, dass die Ertragsaussichten der Untergesellschaft bei der Schätzung des gemeinen Werts der Holdinggesellschaft genau ein Mal berücksichtigt werden.
Ein derartiger Kaskadeneffekt kann bei Darlehensforderungen jedoch nicht eintreten, weil diese im Vermögenswert grundsätzlich mit ihrem Nennwert anzusetzen sind (§ 12 Abs. 1 BewG), die Ertragsaussichten (Verzinsung) aber ertragserhöhend erst für die Ermittlung des Ertragshundertsatzes —und damit genau ein Mal— von Bedeutung sind. Diese Situation entspricht derjenigen, für die die Regelbewertung konzipiert worden ist. Zwar ist bei einer besonders niedrigen oder sogar fehlenden Verzinsung auch eine Bewertung unter dem Nennwert möglich (vgl. Abschn. 17, 18 VStR 1995); diese Regelung ist im Streitfall aber zu Recht nicht angewendet worden, weil die Darlehen nicht langfristiger Natur waren.
Das Fehlen eines Kaskadeneffekts in Fällen der Darlehensgewährung ist unabhängig davon, ob sich der Darlehensgeber die erforderlichen Mittel auf dem Kapitalmarkt oder durch eine Ausschüttung der Beteiligungsgesellschaften beschafft hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Darlehen einer Beteiligungsgesellschaft oder aber einem Konzernfremden gewährt werden. Den entsprechenden Differenzierungen des FG —die zudem im Einzelfall aufwändige Ermittlungen erforderlich machen können— vermag der Senat daher nicht zu folgen.
Bei Holdinggesellschaften ist der Kaskadeneffekt nicht hinzunehmen, weil in derartigen Fällen der Gesichtspunkt der Effektensubstitution zum Tragen kommt (vgl. , BFHE 121, 93, BStBl II 1977, 235, unter 2.b; vom II R 74/94, BFH/NV 1998, 318, und in BFHE 191, 393, BStBl II 2000, 251, unter II.A.1.b). Danach stellen sich die Anteile an einer Holdinggesellschaft bei wirtschaftlicher Betrachtung als identisch mit den von ihr gehaltenen Beteiligungen dar. Diese wirtschaftliche Betrachtung versagt jedoch, wenn die Holdinggesellschaft neben ihren Beteiligungen in erheblichem Umfang auch Darlehensforderungen inne hat. Denn eine Darlehensforderung kann niemals wirtschaftlich identisch mit einer Beteiligung sein; zudem fällt eine solche Forderung —anders als Anteile oder Wertpapiere— nicht unter den Begriff der „Effekten” (vgl. dazu Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, 3. Aufl. 2001, „Effekten”). Die Betrachtungsweise, die an der grundsätzlichen wirtschaftlichen Identität der Anteile an der Holdinggesellschaft mit den von dieser gehaltenen Anteilen anknüpft, findet dort ihre Grenze, wo die Zwischenschaltung der juristisch selbständigen Holdinggesellschaft zu Veränderungen des gemeinen Werts der Anteile i.S. des § 9 BewG führt (BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 318, unter II.2.).
Entsprechend hat der BFH bereits ausdrücklich entschieden, dass nur die „reine Verwaltungs-Holdinggesellschaft” von der einschlägigen Richtlinienregelung erfasst werde (BFH-Urteil in BFHE 121, 93, BStBl II 1977, 235, unter 2.b; zur Vorläuferregelung des Abschn. 81 Abs. 2 VStR 1960). Eine Gesellschaft, die sich nicht nur mit der Verwaltung, sondern in erheblichem Umfang auch mit der Fremdfinanzierung ihrer Tochtergesellschaften befasst, fällt nicht unter den Begriff der reinen Verwaltungs-Holdinggesellschaft (vgl. auch Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, 2. Aufl. 1993, „Holding”, wo zwischen der Verwaltungsfunktion und der Finanzierungsfunktion unterschieden wird).
Zwar hat der BFH es in der angeführten Entscheidung im Hinblick auf einen vom Vermögenswert gewährten Abschlag von 10 v.H. nicht beanstandet, dass die entsprechende Verwaltungsanweisung auch auf eine Holdinggesellschaft angewendet wurde, die über anderweitiges Vermögen (Wertpapiere und Grundstücke) im Umfang von weniger als 5 v.H. des Rohbetriebsvermögens verfügte (BFH-Urteil in BFHE 121, 93, BStBl II 1977, 235, unter 2.c). Ferner hat er die Außerachtlassung der Ertragsaussichten bei einer Kapitalgesellschaft, deren Rohbetriebsvermögen zu 93,8 v.H. aus Wertpapieren bestand, nicht beanstandet (, BFH/NV 1994, 361, zu der insoweit in den VStR 1995 nicht mehr enthaltenen Regelung des Abschn. 81 Abs. 2 VStR 1974). Darüber hinaus hat der BFH die Regelung des Abschn. 81 Abs. 1 a VStR 1986/1989, wonach die Ertragsaussichten auch bei solchen Kapitalgesellschaften außer Acht zu lassen sind, die zwar keine „reinen Holdinggesellschaften” sind, deren Rohbetriebsvermögen aber zu mehr als 80 v.H. aus Anteilen an Kapitalgesellschaften besteht, unter dem Gesichtspunkt der Effektensubstitution als gerechtfertigt angesehen (BFH-Urteil in BFHE 191, 393, BStBl II 2000, 251, unter II.A.1.b).
Mit diesen Fallgestaltungen, in denen die Rechtsprechung die Außerachtlassung der Ertragsaussichten hingenommen hat, ist der Streitfall, in dem der Anteil der Beteiligungen am Rohbetriebsvermögen unter 50 v.H. liegt, jedoch nicht vergleichbar. Für einen solchen Fall hat der BFH im Urteil in BFHE 191, 393, BStBl II 2000, 251 (unter II.A.2.) vielmehr ausgeführt, dass ein Absenken auf einen Satz von 43 v.H. —der dem Anteil der Beteiligungen am Rohbetriebsvermögen der Klägerin entspricht— keinesfalls noch mit dem Gedanken der Effektensubstitution zu begründen wäre.
Danach fehlt es in Fällen, in denen das Rohbetriebsvermögen nicht in weit überwiegendem Umfang —insoweit hält der Senat die in Abschn. 11 Abs. 2 VStR 1995 (R 103 Abs. 2 ErbStR 1999/2003) genannte Grenze von 75 v.H. für noch vertretbar— aus Anteilen an Kapitalgesellschaften besteht, an einer Rechtfertigung für die Abweichung von der gesetzlichen Vorgabe des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG, wonach auch die Ertragsaussichten bei der Schätzung des gemeinen Werts zu berücksichtigen sind. Vielmehr stellt dann, wenn die Obergesellschaft Beteiligungen an anderen Kapitalgesellschaften von mehr als 50 v.H. hält, die Regelung des Abschn. 11 Abs. 4 VStR 1995 (R 103 Abs. 4 ErbStR 1999/2003) eine geeignete Schätzungsmethode dar, die sowohl den gesetzlichen Vorgaben gerecht wird als auch den Eintritt des Kaskadeneffekts vermeidet.
2. Danach war die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat —aus seiner Sicht zu Recht— keine Feststellungen zu den Schätzungsgrundlagen getroffen, die im Rahmen der Anwendung des Abschn. 11 Abs. 4 VStR 1995 maßgebend sind. Dabei wird es nicht unbesehen die von der Klägerin vorgelegte Berechnung zugrunde legen können, die in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft ist.
a) So will die Klägerin für die Anteilsbewertung auf den noch den —von ihr den VStR 1993 entnommenen— Faktor von 0,66 anwenden. Auf den streitbefangenen Stichtag ist jedoch —aufgrund der zwischenzeitlichen Entwicklung des Zinsniveaus— bereits der Faktor von 0,68 (Abschn. 8 Abs. 2 VStR 1995) anzuwenden. Die VStR 1995 gelten für den am beginnenden Hauptfeststellungs-/Hauptveranlagungszeitraum (Satz 3 der Einführung zu den VStR 1995). Die Anteilsbewertung auf den dient aber der Durchführung der Hauptfeststellung bzw. -veranlagung auf den .
b) Der von der Klägerin für beide Bewertungsstichtage angesetzte durchschnittliche Jahresertrag von 1 300 531 DM beruht nicht auf den tatsächlichen Ergebnissen der Zeiträume vor den jeweiligen Stichtagen, sondern auf einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation, die die Klägerin bereits mit ihrer Erklärung zur Anteilsbewertung auf den eingereicht hat. Diese stellt keine geeignete Schätzungsgrundlage im Rahmen des Stuttgarter Verfahrens dar. Das FG wird daher die maßgebenden tatsächlichen Betriebsergebnisse —unter Aussonderung der auf die Mehrheitsbeteiligungen fallenden Erträge und Aufwendungen (Abschn. 11 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 VStR 1995)— ermitteln müssen. Zu den auszusondernden Aufwendungen gehören auch die Allgemeinkosten für die Verwaltung der Mehrheitsbeteiligungen, insbesondere die nicht von dritter Seite erstatteten Personalkosten, soweit das Personal mit der Verwaltung der Beteiligungen befasst war. Da diese Aufwendungen nach der Ertragsstruktur der Klägerin eine bedeutsame Größenordnung erreichen, können sie im Streitfall nicht unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensvereinfachung außer Ansatz bleiben; ihren Umfang wird das FG ggf. zu schätzen haben.
Die Teilwertabschreibungen sind nach Abschn. 7 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1 Buchst. a VStR 1995, die von der Betriebsprüfung vorgenommenen Abschreibungen auf firmenwertähnliche Wirtschaftsgüter nach Abschn. 7 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1 Buchst. b VStR 1995 dem Ergebnis hinzuzurechnen. Die für das Rumpfwirtschaftsjahr 1994 ermittelten Erträge wird das FG nach dem Verhältnis der Zeitabschnitte auf ein volles Wirtschaftsjahr hochrechnen, um Wertverzerrungen zu vermeiden.
c) Die nach den vorstehenden Maßgaben ermittelten Erträge stellen zugleich die Grundlage für die Beurteilung der Frage dar, ob der von der Klägerin begehrte Abschlag wegen geringer Erträge (Abschn. 8 Abs. 3 VStR 1995) zu gewähren ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1257 Nr. 7
GmbH-StB 2006 S. 192 Nr. 7
GmbHR 2006 S. 723 Nr. 13
HFR 2006 S. 963 Nr. 10
IAAAB-87527