Leitsatz
Es ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn ein FA nach Ergehen eines Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragt und gleichzeitig den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem es einen Abhilfebescheid entsprechend dem Gerichtsbescheid erlassen hat.
Gesetze: FGO § 90a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3
Instanzenzug: (EFG 2004, 743) (Verfahrensverlauf),
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) reichte beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) im Oktober 1997 eine Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1996 (Streitjahr) ein. Das FA lehnte durch Bescheid vom eine Umsatzsteuerfestsetzung ab, weil die Klägerin keine Unternehmerin sei.
Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Untätigkeitsklage. Nachdem das FA im Laufe des Klageverfahrens eine Einspruchsentscheidung erlassen hatte, beantragte die Klägerin, das FA zur Durchführung der Umsatzsteuerveranlagung 1996 entsprechend den Angaben in der Steuererklärung zu verpflichten, die Umsatzsteuer auf ./. 207 847 DM festzusetzen.
Durch Gerichtsbescheid vom gab das Finanzgericht (FG) der Klage teilweise statt. Es verpflichtete das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom in Form der Einspruchsentscheidung, „die Umsatzsteuerveranlagung 1996 nicht mit der Begründung abzulehnen, die Klägerin sei nicht unternehmerisch tätig geworden”. Soweit die Klägerin beantragt hatte, das FA zur erklärungsgemäßen Festsetzung der Umsatzsteuer zu verpflichten, verwarf das FG die Klage als unzulässig.
Am ging beim FG folgender Schriftsatz des FA vom ein:
„Hiermit beantrage ich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Gleichzeitig erkläre ich den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Der Beklagte hat mit Bescheid vom heutigen Tag den Bescheid vom in Form der Einspruchsentscheidung vom über die Ablehnung einer Umsatzsteuerveranlagung 1996 gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO aufgehoben. Eine Abschrift des Bescheides füge ich gemäß § 68 Satz 3 FGO bei. Weiterhin verpflichtet sich der Beklagte, die Umsatzsteuerveranlagung 1996 nicht mit der Begründung abzulehnen, die Klägerin sei nicht unternehmerisch tätig geworden.”
Eine Begründung enthielt der Schriftsatz nicht.
Am wies der Berichterstatter des FG darauf hin, dass Zweifel an der Wirksamkeit des Antrags des FA bestünden. Die Klägerin beantragte daraufhin festzustellen, dass der „Vorbescheid” vom als Urteil wirkt. Das FA beantragte, die Klage als unzulässig zu verwerfen.
Das FG stellte in seinem in „Entscheidungen der Finanzgerichte” (EFG) 2004, 743 veröffentlichten Urteil fest, der Gerichtsbescheid vom wirke als Urteil. Es vertrat die Auffassung, das FA habe den Antrag auf mündliche Verhandlung rechtsmissbräuchlich gestellt. Das Recht, einen Gerichtsbescheid durch Antrag auf mündliche Verhandlung als nicht ergangen zu behandeln, solle dem Beteiligten, der durch eine in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht unrichtige Entscheidung des Gerichts benachteiligt sei, die Möglichkeit geben, eventuelle Fehler der Entscheidung zu beseitigen. Ein berechtigtes Interesse eines Beteiligten an einem Antrag auf mündliche Verhandlung setze deshalb voraus, dass der Beteiligte den Antrag stelle, um einen für ihn günstigeren Ausgang des Verfahrens zu erreichen (Verweis auf Renz, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 1986, 166). Im Streitfall habe das FA keinen günstigeren Verfahrensausgang herbeiführen wollen, sondern —einem zum wiederholten Mal von ihm gehandhabten Verfahren entsprechend— mündliche Verhandlung beantragt und gleichzeitig erklärt, dass es mit den Ausführungen des Gerichtsbescheides einverstanden sei. Dieses Verhalten sei in sich widersprüchlich und unüblich. Es sei nur vor dem Hintergrund der vom FA angestrebten kostenrechtlichen Konsequenzen plausibel. Durch den Antrag auf mündliche Verhandlung wolle das FA vermeiden, dass eine Verhandlungsgebühr (§ 117 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte —BRAGO—) anfalle. Unabhängig davon, ob das FA dadurch diese kostenrechtlichen Folgen auch tatsächlich auslösen könne, sei ein Antrag, der allein aus kostenrechtlichen Motiven erfolge, rechtsmissbräuchlich.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 90a Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es meint, sein Antrag auf mündliche Verhandlung sei nicht rechtsmissbräuchlich. Ebenso wie ein Kläger nach einem Antrag auf mündliche Verhandlung die Klage noch zurücknehmen könne, müsse es, das FA, die Möglichkeit haben, der Klage abzuhelfen. Mit der Möglichkeit des FA, nach § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO einer Klagerücknahme nicht zuzustimmen, korrespondiere die Möglichkeit der Klägerin, ihr Klagebegehren im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) weiterzuverfolgen.
Überdies sei der Grund für dieses Vorgehen nicht rechtsmissbräuchlich. Mit der Zielrichtung einer möglichst kostengünstigen Erledigung des Rechtsstreits nehme es, das FA, ein legitimes Verfahrensinteresse wahr, das dem Gebot der sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln Rechnung trage. Durch die Beantragung der mündlichen Verhandlung entstehe keine Verhandlungsgebühr i.S. des § 117 BRAGO. Für den Ansatz einer Erledigungsgebühr nach § 24 BRAGO seien keine Gründe ersichtlich.
Da der Gerichtsbescheid vom als nicht ergangen gelte und es, das FA, der Klage mit Schriftsatz vom abgeholfen habe, sei eine Erledigung der Hauptsache eingetreten. Das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin sei hierdurch entfallen und die Klage unzulässig geworden, weil die Klägerin dennoch weder die Hauptsache für erledigt erklärt habe noch zur Fortsetzungsfeststellungsklage übergegangen sei.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unzulässig abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Die Vorentscheidung war aufzuheben, weil das FG zu Unrecht angenommen hat, das FA habe den Antrag auf mündliche Verhandlung missbräuchlich gestellt. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, weil noch keine Erledigung der Hauptsache eingetreten und die Sache nicht spruchreif ist.
1. Nach § 90a Abs. 1 FGO kann das Gericht in geeigneten Fällen ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden. Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides mündliche Verhandlung beantragen (§ 90a Abs. 2 Satz 1 FGO). Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen (§ 90a Abs. 3 FGO). Entsteht Streit über die Frage, ob ein Antrag auf mündliche Verhandlung unzulässig ist, muss hierüber im Klageverfahren durch Urteil entschieden werden (vgl. , BFHE 134, 216, BStBl II 1982, 128).
2. Der Gerichtsbescheid vom ist durch den Antrag des FA vom gegenstandslos geworden.
a) Das Schreiben des FA vom ist unmissverständlich als Antrag auf mündliche Verhandlung formuliert. Das FA ist durch den Gerichtsbescheid beschwert, weil das FG der Klage zum Teil stattgegeben hat. Der Antrag ist zudem fristgemäß gestellt worden.
b) Entgegen der Auffassung des FG ist der Antrag des FA nicht wegen Rechtsmissbrauchs unbeachtlich. Das FA hat damit vielmehr ein durch § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO zuerkanntes Recht zulässigerweise ausgeübt.
Zwar kann die Ausübung verfahrensrechtlich zuerkannter Rechte in Ausnahmefällen rechtsmissbräuchlich sein (vgl. , BFHE 167, 303, BStBl II 1992, 673). Der BFH hat jedoch bereits entschieden, dass ein Antrag auf mündliche Verhandlung auch dann gestellt werden darf, wenn sich der Antragsteller nicht gegen die sachliche Richtigkeit des Gerichtsbescheids wehrt, sondern die Entscheidung tatsächlich annimmt (vgl. , BFH/NV 2006, 874, m.w.N.; a.A. Renz, DStZ 1986, 166 f.; Tipke in Tipke/Kruse, Finanzgerichtsordnung, § 90a Rz. 11). Deshalb darf ein Kläger nach Ergehen eines Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragen und die Klage zurücknehmen (z.B. , BFHE 160, 304, BStBl II 1990, 695; vom I R 134/90, BFH/NV 1992, 564). Ebenso darf ein FA einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen, um der Klage abzuhelfen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom IX R 8/02, BFH/NV 2004, 1290; vom I R 87/00, BFH/NV 2003, 785). Ob die Abhilfe erst im weiteren Verlauf des Verfahrens oder —wie im Streitfall— gleichzeitig mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung erfolgt, spielt keine Rolle.
3. Die Sache ist nicht spruchreif.
a) Entgegen der Auffassung des FA ist die Klage nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin unzulässig geworden.
aa) Ein Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, wenn nach Rechtshängigkeit ein Ereignis eintritt, das das gesamte Klagebegehren objektiv gegenstandslos macht (, BFHE 180, 365, BStBl II 1996, 608; vom VII R 71/99, BFHE 195, 19, BStBl II 2001, 683, unter 2., jeweils m.w.N.). Erklärt bei Vorliegen dieser Voraussetzungen das FA die Erledigung der Hauptsache und hält der Kläger seinen Sachantrag aufrecht, hat das Gericht die Klage mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig abzuweisen (vgl. , BFH/NV 1996, 776; vom IX R 19/92, BFH/NV 1995, 596). Voraussetzung für die Klageabweisung ist allerdings insbesondere die Gewissheit des Gerichts darüber, dass der Rechtsmittelführer seinen Sachantrag aufrechterhält; bei Ungewissheit hierüber hat nach § 76 Abs. 2 FGO der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt oder unklare Anträge erläutert werden (, BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375, unter II.5.a). Im Hinblick auf die Besonderheiten der Prozesslage nach Erledigung der Hauptsache ist auch zu prüfen, wie das Schweigen eines Beteiligten zu werten ist (vgl. dazu nunmehr § 138 Abs. 3 FGO n.F.).
bb) Nach diesen Grundsätzen ist die Verpflichtungsklage (vgl. , BFHE 143, 112, BStBl II 1985, 303) der Klägerin schon deshalb nicht unzulässig geworden, weil die Hauptsache nicht insgesamt erledigt ist. Das FA hat zwar am den Ablehnungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufgehoben, sich zur Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts in dem nicht mehr existenten Gerichtsbescheid verpflichtet sowie die Erledigung der Hauptsache erklärt, aber dem weiter gehenden Antrag, die Umsatzsteuer erklärungsgemäß festzusetzen, nicht entsprochen.
b) Der Senat kann über die Begründetheit der Klage nicht selbst entscheiden. Es steht bereits nicht fest, ob die Klägerin an ihrem früheren Sachantrag noch festhält. Sie hat sich zu der Erledigungserklärung des FA noch nicht geäußert. Gegen ein solches Festhalten spricht zwar der Umstand, dass sie nach Erlass des Gerichtsbescheids nicht ihrerseits mündliche Verhandlung beantragt hat, obwohl sie mit ihrem Sachantrag teilweise unterlegen ist. Dies ist jedoch nicht eindeutig.
Das FG wird deshalb zunächst der Klägerin nach § 76 Abs. 2 FGO Gelegenheit geben müssen, sich zu der Erledigungserklärung des FA zu äußern. Erklärt die Klägerin den Rechtsstreit ebenfalls für erledigt, werden die Urteile des FG und des Senats gegenstandslos und das FG hat nur noch über die Kosten des gesamten Verfahrens zu entscheiden (vgl. , BFH/NV 2005, 1847, m.w.N.). Sollte die Klägerin an ihrem Antrag unverändert festhalten oder zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) übergehen, wird das FG hierüber befinden und ggf. erforderliche tatsächliche Feststellungen nachholen müssen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 542
AO-StB 2006 S. 172 Nr. 7
BB 2006 S. 1319 Nr. 24
BFH/NV 2006 S. 1405 Nr. 7
BStBl II 2006 S. 542 Nr. 12
DB 2006 S. 1302 Nr. 24
DStR 2006 S. 990 Nr. 23
DStRE 2006 S. 768 Nr. 12
HFR 2006 S. 790 Nr. 8
INF 2006 S. 489 Nr. 13
KÖSDI 2006 S. 15157 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 23/2006 S. 1906
NWB-Eilnachricht Nr. 36/2007 S. 3146
SJ 2006 S. 12 Nr. 14
StB 2006 S. 244 Nr. 7
StBW 2006 S. 5 Nr. 12
StuB-Bilanzreport Nr. 23/2006 S. 940
FAAAB-84787