Instanzenzug:
Gründe
I. Im Streitjahr 1985 führte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) kraft Vollmacht derselben Komplementärin die Geschäfte der E-GmbH & Co. KG (E-GmbH) und der S-GmbH & Co. KG (S-GmbH).
Im Jahre 1985 erteilte die S-GmbH auf Veranlassung des Klägers der E-GmbH Rechnungen über 413 157,89 DM zuzüglich 57 842,10 DM Umsatzsteuer und 318 693,97 DM zuzüglich 44 617,15 DM Umsatzsteuer. Die Nettoerlöse verbuchte sie auf dem Verrechnungskonto der E-GmbH, die Umsatzsteuer (insgesamt 102 459,25 DM) wurde weder verbucht noch angemeldet.
Am erteilte die E-GmbH der S-GmbH eine Rechnung über die Lieferung einer kompletten Schließanlage in Höhe von 375 000 DM. Die darin ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von 52 500 DM machte die S-GmbH in ihrer Umsatzsteuervoranmeldung als Vorsteuer geltend. Die E-GmbH gab für 1985 weder Steuererklärungen noch Umsatzsteuervoranmeldungen ab.
Nach einer Fahndungsprüfung setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) mit —bestandskräftigem— Bescheid vom gegen die E-GmbH Umsatzsteuer in Höhe von 52 500 DM für 1985 fest.
Der Kläger wurde 1990 —insbesondere aufgrund seines Geständnisses— wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen, u.a. wegen Nichtabführung der 52 500 DM Umsatzsteuer für die E-GmbH in 1985, durch die Große Strafkammer des Landgerichts (LG) verurteilt.
Mit Haftungsbescheid vom nahm das FA den Kläger als Haftungsschuldner nach §§ 71, 191 der Abgabenordnung (AO 1977) u.a. wegen der nicht abgeführten Umsatzsteuer 1985 in Höhe von 52 500 DM in Anspruch. Einspruch und Klage, die der Kläger im Wesentlichen darauf stützte, dass wegen der vom LG festgestellten Vorsteuern aus den Rechnungen der S-GmbH an die E-GmbH keine Umsatzsteuerzahllast, sondern ein Vorsteuererstattungsanspruch in Höhe von 49 959 DM verblieben sei, blieben insoweit erfolglos. Das Finanzgericht (FG) bestätigte die ermessensfehlerfreie Heranziehung des Klägers für die Umsatzsteuer 1985 auch ohne nähere Darlegung der Ermessenserwägungen dem Grunde, der Höhe und der Auswahl nach, weil die Ermessensentscheidung zur Haftungsinanspruchnahme im Falle der vorsätzlichen Steuerhinterziehung vorgeprägt sei.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die Wahrung der Rechtsprechungseinheit und mangelnde Sachaufklärung geltend. Er meint, das FG habe sich wegen der Besonderheit des Streitfalles nicht auf die Rechtsprechung zur Vorprägung der Ermessensentscheidung stützen dürfen. Es habe festgestellt und berücksichtigt werden müssen, dass dem FA aus der Nichtabführung der Umsatzsteuer kein Vermögensschaden entstanden sei, weil die E-GmbH abziehbare Vorsteuern aus einem weiteren Umsatzgeschäft nicht geltend gemacht habe.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Es ist schon zweifelhaft, ob der Kläger die geltend gemachten Zulassungsgründe in der nach § 115 Abs. 2 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Form dargelegt hat. Sie liegen jedenfalls nicht vor.
1. Die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Notwendigkeit einer höchstrichterlichen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO) liegen schon deshalb nicht vor, weil die vom Kläger sinngemäß aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Vorprägung der Ermessensentscheidung zur Haftungsinanspruchnahme im Falle der Steuerhinterziehung entfällt, wenn beim Fiskus ein der Haftungssumme entsprechender Vermögensschaden nicht eingetreten ist, zum einen bereits entschieden ist und sich zum anderen im Streitfall gar nicht stellt.
a) Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass bei einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung eine Haftungsinanspruchnahme nach den §§ 191, 71 AO 1977 auch ohne nähere Darlegung der Ermessenserwägungen im Haftungsbescheid oder in der Einspruchsentscheidung als ermessensgerecht nach § 102 FGO anzusehen ist; dabei ist diese Vorprägung nicht nur für die Inanspruchnahme dem Grunde nach, sondern auch für die Inanspruchnahme der Höhe nach gegeben. Eine den Zweck des § 71 AO 1977 berücksichtigende und an § 5 AO 1977 orientierte Ermessensausübung kann regelmäßig nur dazu führen, dass die Höhe des Haftungsanspruchs durch die Verwirklichung des Tatbestandes des § 71 AO 1977 vorgegeben ist.
Eine Beschränkung der Haftung auf Beträge unterhalb des nicht realisierten Steueranspruchs erachtet der BFH im Hinblick auf das bei der Ermessensausübung stets zu beachtende Übermaßverbot für geboten, wenn und soweit sich der Hinterziehungsvorsatz des Täters nicht auf den vollen Steuerbetrag bezogen hat (vgl. Senatsurteil vom VII R 3/90, BFH/NV 1991, 504, m.w.N.) Denn die Haftung gemäß § 71 AO 1977 ist keine zusätzliche Strafsanktion für steuerunehrliches Verhalten, sondern soll allein den durch die Hinterziehungshandlung verursachten Vermögensschaden des Fiskus ausgleichen. Aus dem Grundgedanken der Akzessorietät der Haftung folgert der BFH außerdem, dass ein Haftungsschuldner nur in Höhe einer (im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung) noch bestehenden Steuerschuld in Anspruch genommen werden kann (, BFHE 175, 489, BStBl II 1995, 198, m.w.N.; vom VII R 7/77, BFHE 129, 13, BStBl II 1980, 58).
Damit ist geklärt, dass der Umfang der Haftung nach §§ 71, 191 AO 1977 —unabhängig von der Vorprägung des Entschließungsermessens zur Heranziehung als Haftungsschuldner— auf den Betrag des vom Hinterziehungsvorsatz umfassten noch nicht erfüllten Steueranspruchs beschränkt ist.
b) Beim Fiskus ist durch die Nichtanmeldung und -abführung der von der E-GmbH 1985 in Rechnung gestellten Umsatzsteuer in Höhe von 52 500 DM ein Vermögensschaden eingetreten. Denn in dieser Höhe ist der Umsatzsteueranspruch nicht nur materiell entstanden, diese Umsatzsteuer ist darüber hinaus mit Bescheid vom bestandskräftig festgesetzt worden und war (jedenfalls im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung) noch nicht beglichen. Auf die materielle Richtigkeit dieser Festsetzung und damit auf die Frage, ob bei steuerehrlicher und ordnungsgemäßer Erklärung der Umsatzsteuer für die E-GmbH Vorsteuern aus Rechnungen der S-GmbH hätten gegengerechnet werden können, kommt es nicht (mehr) an.
Da der Kläger nach den insoweit mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des FG den in der Rechnung vom ausgewiesenen Steuerbetrag vorsätzlich nicht als Umsatzsteuer angemeldet hat, liegen die Voraussetzungen vor, unter denen die Rechtsprechung von der Vorprägung der Ermessensentscheidung bei der Haftungsinanspruchnahme des Hinterziehers ausgeht.
2. Durch die als Verfahrenmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gerügte unterlassene Beiziehung der Strafakten hat das FG weder gegen seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 76 Abs. 1 FGO) noch gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen. Denn es bedurfte, wie oben ausgeführt, keiner Aufklärung, ob „rund 150 000 DM durch spätere Verrechnung mit Vorsteuererstattungsansprüchen wieder gutgemacht worden sind”. Da das FG zu Recht wegen festgestellter Steuerhinterziehung von der Vorprägung der Ermessensentscheidung hinsichtlich der Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner ausgegangen ist, konnte sich eine angebliche spätere „Wiedergutmachung” des Hinterziehungsschadens auf die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides nicht auswirken.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 1254 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 11/2008 S. 954
BAAAB-84343