BFH Urteil v. - III R 8/05, III R 46/05

Leitsatz

Ein Kind, das sich aus einer Erwerbstätigkeit heraus um einen Studienplatz bewirbt, kann ab dem Monat der Bewerbung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG beim Kindergeldberechtigten zu berücksichtigen sein, wenn es sich bei der Tätigkeit nicht um eine Vollzeiterwerbstätigkeit handelt.

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c, Satz 2EStG § 63 Abs. 1 Satz 2

Instanzenzug: (EFG 2005, 533) und vom   6 K 2636/03

Gründe

I.

Streitig ist, ob dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) für seinen 1978 geborenen Sohn (S) für den Zeitraum August 2001, November 2002 bis April 2003 und Oktober bis Dezember 2003 Kindergeld zusteht, obwohl dieser einer geringfügigen Beschäftigung nachging.

S beendete im Juli 2000 seinen Zivildienst. In der Zeit von August 2000 bis Juni 2001 besuchte er die Fachoberschule. Bis Juni 2001 wurde dem Kläger für S Kindergeld gewährt. Im Januar 2004 nahm S ein Fachhochschulstudium auf.

In der Zeit von August 2001 bis Dezember 2003 war er —um die Wartezeit auf einen Studienplatz zu überbrücken— stets einer geringfügigen Beschäftigung mit ca. 10,5 Wochenstunden nachgegangen, mit Ausnahme des Monats Juli 2002, in dem er mit 29 Wochenstunden teilzeitbeschäftigt war. Die Beschäftigung beruhte auf befristeten Arbeitsverträgen, die im streitigen Zeitraum mehrmals verlängert wurden, letztmals bis zum . Die Einkünfte und Bezüge des S betrugen im Jahr 2001 laut Erklärung zu den Einkünften und Bezügen insgesamt 5 427,75 DM, im Jahr 2002  4 451,74 € und im Jahr 2003  4 046,80 €.

Mit Bescheid vom setzte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) Kindergeld für S ab Mai 2003 fest, nachdem der Kläger eine Studienplatzzusage der Fachhochschule für das Wintertrimester 2004 vom vorgelegt hatte. Mit seinem dagegen gerichteten Einspruch begehrte der Kläger Kindergeld auch für die Zeit davor. Den Einspruch wies die Familienkasse mit der Begründung zurück, ein Kind, das sich aus einer Erwerbstätigkeit heraus für eine Ausbildung bewerbe, sei nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung zu berücksichtigen; auf den Umfang der Erwerbstätigkeit komme es nicht an.

Mit Bescheid vom hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für S ab Oktober 2003 wieder auf. Der Einspruch hatte keinen Erfolg; zur Begründung führte die Familienkasse auch hier aus, ein Kind, das sich aus einer Erwerbstätigkeit heraus für eine Ausbildung bewerbe, sei nicht zu berücksichtigen.

Das Finanzgericht (FG) gab den Klagen teilweise statt. Es sah den Kindergeldanspruch für den Monat August 2001, die Monate November 2002 bis April 2003 sowie für den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2003 als gegeben an. Die geringfügige Beschäftigung des S stehe einer Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht entgegen. Der Bundesfinanzhof (BFH) stelle in seiner Rechtsprechung zu Vollzeitarbeitsverhältnissen darauf ab, dass bei einem vollzeitbeschäftigten Kind keine typische Unterhaltssituation bestehe, da dieses seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten könne. Diese Argumentation passe nicht auf geringfügige Beschäftigungen, denn der maximal zulässige Monatsverdienst liege bei diesen unter dem anteiligen monatlichen Grenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Das Urteil des FG betreffend den Zeitraum Oktober bis Dezember 2003 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 533 veröffentlicht.

Dagegen wendet sich die Familienkasse mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG rügt. Ein Kind könne im Rahmen dieser Vorschriften nicht berücksichtigt werden, solange es sich aus einer Erwerbstätigkeit heraus auf einen Ausbildungsplatz bewerbe. Für die Entscheidung der Frage, ob auch eine geringfügige Beschäftigung der Berücksichtigung im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG entgegenstehe, müsse es bei einer typisierenden Betrachtungsweise bleiben. Insbesondere dürften auf dieser Prüfungsstufe nicht die konkret erzielten Einkünfte in Beziehung zum Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gesetzt werden. Es sei vielmehr danach zu fragen, ob eine Beschäftigung von mehr als zehn Stunden in der Woche die typische Unterhaltssituation zwischen Kind und Eltern entscheidend verändere. Von einer solchen einschneidenden Veränderung der Unterhaltssituation gehe die Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes —DA-FamEStG— (63.3.4 Abs. 5 Satz 2) korrekt und lebensnah aus.

Die Familienkasse beantragt, die Urteile der Vorinstanz aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.

II.

1. Der Senat hat gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Revisionsverfahren III R 8/05 und III R 46/05 zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

2. Die Revisionen sind unbegründet. Sie waren daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

Das FG hat zutreffend entschieden, dass S in den hier streitigen Monaten August 2001, November 2002 bis April 2003 und Oktober bis Dezember 2003 gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG als Kind zu berücksichtigen ist. Dem steht die gleichzeitige Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung nicht entgegen, da sie einer Vollzeiterwerbstätigkeit nicht gleichzusetzen ist.

a) Nach § 62, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG wird ein Kind, welches das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, beim Kindergeld unter anderem berücksichtigt, wenn es sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befindet (Buchst. b) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann (Buchst. c) und wenn seine Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, nicht mehr als 7 188 € (2001 = 14 040 DM) im Kalenderjahr betragen (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).

Nach ständiger Rechtsprechung sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG aber nicht erfüllt, wenn das Kind in der Übergangszeit oder während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht (, BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481; vom VIII R 83/98, BFH/NV 2002, 1551; Senatsurteil vom III R 67/04, BFH/NV 2006, 656). Dies beruht auf der typisierenden Annahme, dass —unabhängig von der Höhe der von dem Kind in diesem Zeitraum erzielten Einkünfte und Bezüge— eine Unterhaltspflicht der Eltern nicht besteht (, BFH/NV 2004, 1522, m.w.N. zur Rechtsprechung). Für die Dauer der Vollzeiterwerbstätigkeit kann das Kind daher in diesen Fällen auch dann nicht berücksichtigt werden, wenn seine Einkünfte und Bezüge —bei Einbeziehung der Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit— insgesamt den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen würden (BFH-Urteil in BFHE 197, 92, BStBl II 2002, 481; Pust in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2002, 214; Greite, Finanz-Rundschau 2003, 1294).

b) Zwischen den Beteiligten ist nicht im Streit, dass sich S in den genannten Zeiträumen um einen Studienplatz bemüht hat, den er aber erst im Januar 2004 tatsächlich erhalten hat, so dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG grundsätzlich vorlagen; streitig ist allein, ob die geringfügige Beschäftigung des S ebenso wie eine Vollzeiterwerbstätigkeit der Berücksichtigung im Rahmen dieser Vorschrift entgegensteht.

Die Verwaltung (s. DA 63.3.4 Abs. 5 Sätze 1 und 2 DA-FamEStG, BStBl I 2004, 743, 768) berücksichtigt ein Kind, das sich aus einer Erwerbstätigkeit heraus um einen Ausbildungsplatz bewirbt, erst nach Beendigung der Erwerbstätigkeit, unabhängig davon, welchen Umfang die Erwerbstätigkeit hat. Entgegen der Auffassung der Verwaltung ist ein grundsätzlich bestehender Kindergeldanspruch auch in einem solchen Fall nur dann ausgeschlossen, wenn wegen der Beschäftigung des Kindes keine typische Unterhaltssituation mehr besteht. Insoweit besteht kein Unterschied zu den anderen Fallkonstellationen, in denen der Kindergeldanspruch mangels einer typischen Unterhaltsituation nur bei einer Vollzeiterwerbstätigkeit entfällt; die Verwaltung selbst nimmt in jenen Fällen erst dann eine Vollzeiterwerbstätigkeit an, wenn ein Arbeitsverhältnis vertraglich an allen Kalendertagen eines Monats besteht und über drei Viertel der branchenüblichen, tariflichen oder allgemein betriebsintern festgesetzten Arbeitszeit abgeschlossen ist (vgl. DA 63.3.2.6 Abs. 2 a Satz 2 DA-FamEStG).

Der Senat kann offen lassen, ab welchem zeitlichen Umfang eine Vollzeiterwerbstätigkeit anzunehmen ist und damit keine typische Unterhaltssituation mehr besteht. Jedenfalls genügen —unabhängig von der Höhe der jeweiligen Einkünfte und Bezüge— 10,5 Arbeitsstunden pro Woche im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung nicht, um eine Vollzeiterwerbstätigkeit im Sinne der Rechtsprechung anzunehmen.

3. Die Einkünfte und Bezüge des S lagen bei einem Stundenlohn von 13,50 DM bzw. 325 €/Monat deutlich unter den jeweiligen (anteiligen) Jahresgrenzbeträgen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 32 Abs. 4 Sätze 5 und 6 EStG (a.F.) bzw. § 32 Abs. 4 Sätze 6 und 7 EStG (n.F.) von 599 € (August 2001) und 1 198 € (November und Dezember 2002) sowie 7 188 € (Januar bis Dezember 2003).

Fundstelle(n):
BB 2006 S. 1210 Nr. 22
BFH/NV 2006 S. 1391 Nr. 7
DStRE 2006 S. 789 Nr. 13
DStZ 2006 S. 389 Nr. 12
FR 2006 S. 743 Nr. 16
NJW 2006 S. 2350 Nr. 32
NWB-Eilnachricht Nr. 22/2007 S. 1855
StB 2006 S. 241 Nr. 7
StuB-Bilanzreport Nr. 11/2006 S. 441
NAAAB-83876