BFH Beschluss v. - I B 35/05

Spontanauskunft in die Russische Föderation

Gesetze: DBA-Russland Art. 26,AO § 30, AO § 117

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsgegner und Beschwerdegegner, das gemäß Art. 1 und Art. 6 des Gesetzes zur Neuorganisation der Bundesfinanzverwaltung und zur Schaffung eines Refinanzierungsregisters vom (BGBl I 2005, 2809) mit Wirkung vom an die Stelle des bisherigen Bundesamts für Finanzen (BfF) getretene Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), berechtigt ist, der russischen Steuerverwaltung eine sog. Spontanauskunft über die Höhe der von einem russischen Staatsangehörigen vereinnahmten Provisionen aus einer Handelsvertretertätigkeit für die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), einer inländischen GmbH & Co. KG, zu erteilen.

Unternehmensgegenstand der Antragstellerin ist u.a. die Herstellung und der Vertrieb von Elektrogeräten. Für den Vertrieb auf dem russischen Markt hat sie im Februar 1997 einen Vertrag mit dem in Moskau ansässigen X, der russischer Staatsangehöriger ist, abgeschlossen (Aufgabenbereiche: Akquisition, Durchführung von Marktuntersuchungen, Berichterstattung über Konkurrenzunternehmen und die wirtschaftliche Entwicklung im Vertragsgebiet, Unterstützung von Personal der Antragstellerin bei Aufenthalten in der Russischen Föderation). Der Vertrag sieht eine monatliche Pauschalvergütung von 2 000 DM vor (später erhöht auf 3 000 DM). Im Zuge einer Außenprüfung wurden folgende Zahlungen (Grundvergütung und umsatzabhängige Provisionen) an X festgestellt (im Wesentlichen auf Konten bei inländischen Banken, z.T. auch bar bzw. in Höhe von 10 000 $ auf ein Konto in Moskau): 388 547,79 DM (1997), 227 297,81 DM (1998), 85 144,06 DM (1999), 125 770,66 DM (2000), 220 313,14 DM (2001) - Gesamtsumme: 1 047 073,40 DM.

Das Finanzgericht (FG) Münster hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des Inhalts, dass dem BfF (bzw. BZSt) eine Unterrichtung der russischen Steuerverwaltung über die an X gezahlten Honorare untersagt werde, durch Beschluss vom 4 V 5580/04 S (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 754) abgelehnt.

Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes weiter.

Die Antragstellerin beantragt, die angefochtene Entscheidung des aufzuheben und die einstweilige Anordnung entsprechend dem Antrag vom zu erlassen, damit dem BZSt —bis zur Entscheidung über die vorbeugende Unterlassungsklage— zu untersagen, die beabsichtigte Spontanauskunft über in den Jahren 1997 bis 2001 von der Antragstellerin gezahlte Provisionen an einen Handelsvertreter in Moskau der russischen Steuerverwaltung zu erteilen.

Das BZSt beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die zulässige Beschwerde (§ 128 Abs. 3 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen. Das FG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 114 Abs. 1 und 3 FGO sind nicht erfüllt.

1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Begehren der Antragstellerin, die Erteilung der Auskunft auf Dauer oder zumindest vorläufig zu unterlassen, im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 FGO zu verfolgen ist (z.B. Senatsbeschluss vom I B 218/04, BFH/NV 2005, 1503; , BFH/NV 1998, 424).

2. Im Streitfall fehlt es an einem von der Antragstellerin glaubhaft gemachten (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung) Rechtsanspruch auf ein Unterlassen der Auskunft (§ 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuchs analog i.V.m. § 30 der AbgabenordnungAO 1977—; allgemein zu dieser Rechtsgrundlage die Senatsbeschlüsse vom I B 12/92, BFHE 167, 11, BStBl II 1992, 645, und vom I B 118/94, BFHE 177, 242, BStBl II 1995, 497).

a) Die Informationen, die das BZSt über die Provisionszahlungen erhielt, unterliegen zwar gemäß § 30 AO 1977 dem Steuergeheimnis. Die Antragstellerin kann daher vom BZSt verlangen, dass die beim BZSt tätigen Amtsträger (§ 7 AO 1977) und für den öffentlichen Dienst besonders verpflichteten Personen (§ 30 Abs. 3 Nr. 1 AO 1977) dieses Geheimnis wahren (§ 30 Abs. 1 AO 1977). Der Umfang dieses Anspruchs ist aber eingeschränkt. Die Antragstellerin kann nur verlangen, dass ihre Verhältnisse nicht unbefugt offenbart oder verwertet werden (§ 30 Abs. 2 und 4 AO 1977).

b) Die vom BZSt beabsichtigte Auskunft ist keine unbefugte Offenbarung der Verhältnisse der Antragstellerin, da sie durch Gesetz ausdrücklich zugelassen ist (§ 30 Abs. 4 Nr. 2 AO 1977). Rechtsgrundlage der beabsichtigten Auskunft —als Auskunft ohne besonderes Ersuchen (sog. Spontanauskunft)— ist § 117 Abs. 2 AO 1977 i.V.m. dem Zustimmungsgesetz vom (BGBl II 1996, 2710, BStBl I 1996, 1490) zum Abkommen vom zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen —DBA-Russland— (BGBl II 1996, 2711, BStBl I 1996, 1491 - in Kraft getreten am , s. Bekanntmachung vom , BGBl II 1997, 752, BStBl I 1997, 363).

aa) Nach § 117 Abs. 2 AO 1977 können die Finanzbehörden zwischenstaatliche Rechts- und Amtshilfe u.a. aufgrund innerstaatlich anwendbarer völkerrechtlicher Vereinbarungen leisten. Eine derartige Vereinbarung ist das DBA-Russland, dessen Art. 26 aufgrund des Zustimmungsgesetzes vom innerstaatlich anwendbares Recht ist. Nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBA-Russland können die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Informationen austauschen, die zur Durchführung des Abkommens oder des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten betreffend die unter das Abkommen fallenden Steuern erforderlich sind.

bb) Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBA-Russland gestattet auch sog. Spontanauskünfte (im Ergebnis ebenso Wagner in Debatin/ Wassermeyer, Russland Art. 26 Rz. 2 [durch Verweis auf Eilers, ebenda, MA Art. 26 Rz. 6, 25 und MA Art. 26 MK 9 Buchst. c]; Engelschalk in Vogel/Lehner, DBA, 4. Aufl., Art. 26 Rz. 21, 73). Denn der Austausch einer Information setzt nach dem Wortlaut der Bestimmung ein Ersuchen des anderen Vertragsstaates nicht voraus; das 1996 vereinbarte Abkommen folgt damit dem Text des Art. 26 OECD-Musterabkommen 1977/1992 und der Beschreibung der Befugnisse im Musterkommentar zu Art. 26 (zu diesem Ausgangspunkt der Interpretation insbesondere Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 117 AO Rz. 145a, m.w.N.; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 117 AO Tz. 16). Die beabsichtigte Spontanauskunft betrifft auch die Durchführung des innerstaatlichen Rechts betreffend Steuern der Russischen Föderation, auf die sich das DBA-Russland bezieht. Denn die Tatsachen, die das BZSt den russischen Behörden mitteilen will, sind für die dortige Festsetzung der Einkommensteuer (Art. 2 Abs. 3 Buchst. a DBA-Russland) des in der Russischen Föderation ansässigen Provisionsempfängers möglicherweise von Bedeutung. Da die ernstliche Möglichkeit besteht, dass Russland abkommensrechtlich ein Besteuerungsrecht hat und ohne die Auskunft von dem Gegenstand des Besteuerungsrechts —gerade mit Blick auf die Überweisung auf inländische Bankkonten oder die Barzahlungen— keine Kenntnis erlangt, ist die Auskunft auch i.S. des Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DBA-Russland „erforderlich” (s. zu diesem Tatbestandsmerkmal Senatsbeschluss in BFH/NV 2005, 1503).

cc) Dem FG ist auch darin zu folgen, dass der Auskunftserteilung Art. 26 Abs. 2 DBA-Russland nicht entgegensteht. Der Umstand und die Höhe von Provisionszahlungen ist nicht als „Handels-, Industrie-, Gewerbe- oder Berufsgeheimnis” oder als „ein Geschäftsverfahren” (Art. 26 Abs. 2 Buchst. c DBA-Russland) anzusehen; es fehlt jedenfalls an einer Nutzbarkeit für Dritte (s. dazu , BFHE 127, 104, BStBl II 1979, 268; , BStBl I 1999, 228, Tz. 3.3.1.4; ausführlich Söhn in HHSp, § 117 AO Rz. 120 ff.).

c) Der damit im Streitfall bestehenden völkerrechtlichen Möglichkeit der Auskunftserteilung steht der grundrechtliche Steuerdatenschutz für die Antragstellerin nicht entgegen. Das Zustimmungsgesetz zum DBA ist —auch mit Blick auf die in Art. 26 Abs. 1 Sätze 3, 4 und Abs. 3 DBA-Russland bestimmten Geheimhaltungs- bzw. Datenschutzregelungen— ausreichende Eingriffsgrundlage für die auf einen Einzelfall bezogene und vom Steuerpflichtigen in ihrer Relevanz für die ausländische Besteuerung einschätzbare Auskunft (s. allgemein Senatsurteil vom I R 25/92, BFHE 172, 488, BStBl II 1994, 210, in II.A.2.c der Gründe; BMF-Schreiben in BStBl I 1999, 228, Tz. 1.4.2; wohl auch Oldiges in Menck/Ritter u.a., Internationale Steuerauskunft und deutsches Verfassungsrecht, 1987, S. 86, 101; a.A.: Hendricks, Internationale Informationshilfe im Steuerverfahren, 2004, S. 169 f.).

d) Ob sich die Antragstellerin auf eine fehlende „Gegenseitigkeit” (§ 117 Abs. 3 Nr. 1 AO 1977) berufen kann (dazu z.B. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 117 AO Tz. 54; Brenner, Finanz-Rundschau 1989, 236, 240) oder ob die „Wahrung der Gegenseitigkeit” eine Bedingung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Rechtssphäre des inländischen Steuerpflichtigen ist, da nur die „Gegenseitigkeit” —mittelbar— eine Förderung der Gleichmäßigkeit der deutschen Besteuerung bewirkt (so Hendricks, ebenda, S. 172 f.), kann offen bleiben. Denn das BZSt hat in einem ausreichenden Maße dargelegt, dass auch die Russische Föderation Informationen auf der Grundlage des Art. 26 DBA-Russland erteilt und damit eine „Gegenseitigkeit” besteht.

e) Ein Anordnungsanspruch der Antragstellerin kann schließlich nicht daraus abgeleitet werden, dass das BZSt mit der Wahrnehmung seiner Auskunftsmöglichkeit ermessensfehlerhaft handeln würde, weil durch eine Auskunftserteilung unverhältnismäßig in die Rechte der Antragstellerin eingegriffen würde. Insbesondere hat die Antragstellerin weder durch ihre allgemeine Unterstellung einer Nichtbeachtung von rechtlichen Regelungen im Empfängerstaat noch durch den Hinweis auf durch Presseveröffentlichungen bekannt gewordene innerstaatliche Vorgänge um das Unternehmen „Yukos” ausreichend glaubhaft gemacht, dass gerade in ihrem Fall die Information zweckwidrig und entgegen der Regelung des Art. 26 Abs. 1 und 3 DBA-Russland an andere Stellen gelangen könnte (s. insoweit Senatsbeschlüsse vom I B 72/87, BFHE 152, 50, BStBl II 1988, 412, und vom I B 207/90, juris; BMF-Schreiben in BStBl I 1999, 228, Tz. 1.3.2) und ihr selbst daraus ins Gewicht fallende Nachteile erwachsen könnten.

3. Mit seinem Beschluss vom I B 28/86 (BFH/NV 1988, 313) hat der erkennende Senat entschieden, dass die Gefahr der Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehungen zu einem ausländischen Geschäftspartner wegen eines Auskunftsersuchens an eine ausländische Steuerbehörde im Rahmen der zwischenstaatlichen Rechts- und Amtshilfe keine wesentlichen Nachteile i.S. des § 114 FGO begründet, die durch eine einstweilige Anordnung abzuwenden wären. Denn diese Nachteile folgen letztlich aus der mit dem Auskunftsersuchen erstrebten zutreffenden Besteuerung der Antragsteller und ihrer Geschäftspartner; eine sich ergebende Einschränkung der Geschäftsbeziehungen oder sogar deren Abbruch wäre ein Schaden, der dem Zweck des Auskunftsersuchens unterzuordnen wäre (zustimmend z.B. Söhn in HHSp, § 117 AO Rz. 131; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 117 AO Tz. 54; a.A. Oldiges in Menck/Ritter, a.a.O., S. 97). Der Senat hält daran fest.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 922 Nr. 5
JAAAB-80840