Übergangsregelungen für verbrauchsteuerpflichtige Waren in Duty-Free-Shops - Umfang der Klagebefugnis natürlicher und juristischer Personen vor einem nationalen Gericht gegen Richtlinienbestimmungen
Leitsatz
[1] 1. Eine natürliche oder
juristische Person kann vor einem nationalen Gericht die Ungültigkeit von
Richtlinienbestimmungen wie Artikel 1 Nummer 22 der Richtlinie 91/680/EWG des
Rates vom zur Ergänzung des gemeinsamen
Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der
Richtlinie 77/388/EWG im
Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen und Artikel 28 der Richtlinie
92/12/EWG des Rates vom über das allgemeine System, den
Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren
auch dann geltend machen, wenn sie gegen diese Bestimmungen keine
Nichtigkeitsklage im Sinne von Artikel 173 EG-Vertrag erhoben hat und wenn
bereits eine Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats in einem
gesonderten Verfahren vorliegt.
2. Die
Prüfung der vorgelegten Fragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit
von Artikel 1 Nummer 22 der Richtlinie 91/680 und Artikel 28 der Richtlinie
92/12 beeinträchtigen könnte.
3 Eine
natürliche oder juristische Person kann vor einem nationalen Gericht die
Ungültigkeit von Richtlinienbestimmungen wie Artikel 1 Nummer 22 der
Richtlinie 91/680 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und
zur Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der
Steuergrenzen und Artikel 28 der Richtlinie 92/12 über das allgemeine
System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle
verbrauchsteuerpflichtiger Waren auch dann geltend machen, wenn sie gegen diese
Bestimmungen keine Nichtigkeitsklage im Sinne von Artikel 173 des Vertrages
erhoben hat und wenn bereits eine Entscheidung eines Gerichts eines anderen
Mitgliedstaats in einem gesonderten Verfahren vorliegt.
Soweit es um die Gültigkeit von Bestimmungen in Gemeinschaftsrichtlinien geht, die sich in allgemeiner Form an die Mitgliedstaaten und nicht an natürliche oder juristische Personen richten und die auf die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer nicht unmittelbar anwendbar sind, ist nämlich nicht offenkundig, daß eine auf Artikel 173 des Vertrages gestützte Klage gegen diese Bestimmungen zulässig gewesen wäre. Was die Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats anbelangt, so ist es im Rahmen des Verfahrens gemäß Artikel 177 des Vertrages nicht Sache des Gerichtshofes, die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens anhand einer Entscheidung zu überprüfen, die ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen eines gesonderten Verfahrens zu einem ähnlichen Problem getroffen hat.
4 Die Pflicht, das Parlament in den vom Vertrag vorgesehenen Fällen während des Gesetzgebungsverfahrens anzuhören, erfordert immer dann eine erneute Anhörung, wenn der endgültig verabschiedete Text als Ganzes gesehen in seinem Wesen von dem Text abweicht, zu dem das Parlament bereits angehört worden ist, sofern die Änderungen nicht im wesentlichen einem vom Parlament selbst geäusserten Wunsch entsprechen.
In bezug auf die Vorschläge für die Richtlinien 91/680 und 92/12, deren Ziel darin bestand, das Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuersystem dem Bestehen eines Binnenmarktes anzupassen, war eine erneute Anhörung des Parlaments zu den Artikeln 1 Nummer 22 der Richtlinie 91/680 und 28 der Richtlinie 92/12 nicht erforderlich.
Diese Bestimmungen, die es den Mitgliedstaaten gestatten, bis zum für Lieferungen durch Tax-free-Verkaufsstellen in bestimmtem Umfang Steuerfreiheit zu gewähren, sollen nämlich die Beibehaltung einer früheren Regelung ermöglichen, wenn die Mitgliedstaaten dies wünschen, und sind als Option für Ausnahmen anzusehen, die auf den Anwendungsbereich der Richtlinien 91/680 und 92/12 begrenzt sind; sie können daher nicht als wesentliche Änderungen eingestuft werden.
Zudem hat der Rat durch den Beschluß, die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Gewährung von Steuerfreiheit während einer Übergangszeit beizubehalten, im wesentlichen den Wünschen des Parlaments entsprochen, das nicht nur Gelegenheit hatte, sich zur Frage steuerfreier Verkäufe zu äussern, sondern im übrigen auch ihre Beibehaltung befürwortet hat, indem es in seiner Stellungnahme zur Richtlinie 91/680 Änderungen vorschlug, die mit der endgültigen Fassung der Richtlinie voll und ganz im Einklang stehen, und in seiner Stellungnahme zur Richtlinie 92/12 die befristete Beibehaltung der bestehenden Ausnahmeregelung für verbrauchsteuerfreie Verkäufe bis zum vorschlug.
Gesetze: EG-Vertrag Art. 173; Richtlinie 77/388 Art. 28k; Richtlinie 91/680 Art. 1 Nr. 22; Richtlinie 92/12 Art. 28
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
1 Das Tribunal de commerce Paris hat mit Urteil vom 27. November 1995, beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Gültigkeit der Übergangsregelung für "Duty-Free-Shops", die sich zum einen aus Artikel 28k der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie), eingefügt durch Artikel 1 Nummer 22 der Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1), und zum anderen aus Artikel 28 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. L 76, S. 1) ergibt, zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen den Gesellschaften französischen Rechts Eurotunnel SA und France Manche SA sowie den Gesellschaften englischen Rechts Eurotunnel plc und The Channel Tunnel Group Ltd (im folgenden: Klägerinnen), die gemeinsam die feste Eisenbahnverbindung im Tunnel unter dem Ärmelkanal betreiben, einerseits und einem auf dem Ärmelkanal tätigen Schiffahrtsunternehmen, der Firma SeaFrance (im folgenden: Beklagte), andererseits.
3 Die Richtlinie 91/680 hat die Schaffung der Bedingungen, die zur Beseitigung der Steuergrenzen innerhalb der Gemeinschaft für die Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen erforderlich sind, ab dem zum Ziel.
4 Die Richtlinie 91/680 wurde durch die Richtlinie 94/4/EG des Rates vom zur Änderung der Richtlinien 69/169/EWG und 77/388/EWG sowie zur Erhöhung der Freibeträge für Reisende aus Drittländern und der Hoechstgrenzen für steuerfreie Käufe im innergemeinschaftlichen Reiseverkehr (ABl. L 60, S. 14) geändert. Durch die Richtlinie 94/4 wurden die Freibeträge für Reisende innerhalb der Gemeinschaft von 23 auf 90 ECU erhöht, während die Freibeträge für Reisende aus Drittländern auf 175 ECU angehoben wurden.
5 Die dreizehnte Begründungserwägung der Richtlinie 91/680 lautet:
"Die Übergangszeit für die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs muß genutzt werden, um die erforderlichen Maßnahmen zur Linderung der sozialen Auswirkungen in den betroffenen Bereichen und zugleich der regionalen Schwierigkeiten, insbesondere in den Grenzgebieten, zu treffen, die aufgrund der Beseitigung der Besteuerung bei der Einfuhr und der Steuerfreiheit bei der Ausfuhr im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten entstehen könnten. Daher soll den Mitgliedstaaten gestattet werden, während eines am ablaufenden Zeitraums für die Lieferungen von Gegenständen Steuerfreiheit zu gewähren, die innerhalb der vorgesehenen Grenzen durch Tax-free-Verkaufsstellen steuerfrei im Rahmen der Personenbeförderung auf dem Luft- oder Seeweg zwischen den Mitgliedstaaten durchgeführt werden."
6 In Artikel 28k der Sechsten Richtlinie heisst es:
"Für die Zeit bis zum 30. Juni 1999 gelten folgende Bestimmungen:
1. Die Mitgliedstaaten können für Lieferungen von Gegenständen durch Tax-free-Verkaufsstellen zur Mitführung im persönlichen Gepäck von Reisenden, die sich im innergemeinschaftlichen Luft- oder Seeverkehr in einen anderen Mitgliedstaat begeben, Steuerfreiheit gewähren.
Im Sinne dieser Bestimmung bedeutet:
a) "Tax-free-Verkaufsstelle" jede Verkaufsstelle innerhalb eines Flug- oder Seehafens, welche die Bedingungen erfuellt, die von den zuständigen Behörden insbesondere in Anwendung der Nummer 5 aufgestellt werden;
b) "Reisende, die sich in einen anderen Mitgliedstaat begeben" alle Reisenden, die im Besitz eines Flugscheines oder einer Schiffsfahrkarte sind, worin als unmittelbarer Bestimmungsort ein Flug- oder Seehafen in einem anderen Mitgliedstaat genannt ist;
c) "innergemeinschaftlicher Luft- oder Seeverkehr" jede Beförderung im Luft- oder Seeverkehr, die im Inland im Sinne von Artikel 3 beginnt und deren tatsächlicher Bestimmungsort in einem anderen Mitgliedstaat liegt.
Den Lieferungen von Gegenständen durch Tax-free-Verkaufsstellen gleichgestellt sind Lieferungen von Gegenständen an Bord eines Flugzeugs oder Schiffes während der innergemeinschaftlichen Beförderung von Reisenden.
Diese Befreiung gilt auch für Lieferungen von Gegenständen durch Tax-free-Verkaufsstellen auf dem Gelände der beiden Kanaltunnel-Terminals im Falle von Reisenden, die einen gültigen Fahrausweis für die Strecke zwischen den beiden Terminals besitzen.
..."
7 Die Richtlinie 92/12 hat die Schaffung der Bedingungen für die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Rahmen des Binnenmarktes ohne Steuergrenzen ab dem zum Ziel.
8 Die dreiundzwanzigste Begründungserwägung der Richtlinie 92/12 hat nahezu den gleichen Wortlaut wie die dreizehnte Begründungserwägung der Richtlinie 91/680. Dasselbe gilt für den Wortlaut von Artikel 28 der Richtlinie 92/12 und Artikel 1 Nummer 22 der Richtlinie 91/680, durch den der neue Artikel 28k in die Sechste Richtlinie eingefügt wurde (im folgenden: die streitigen Artikel 28).
9 Mit dem Gesetz Nr. 92-677 vom zur Durchführung der Richtlinien 91/680 und 92/12 (JORF vom , S. 9700) machte die Französische Republik von der Befreiungsmöglichkeit in den streitigen Artikeln 28 durch deren wörtliche Übernahme Gebrauch. Dazu befreit die Französische Republik bis zum die Lieferungen durch Tax-free-Verkaufsstellen innerhalb eines Flug- oder Seehafens und des Kanaltunnel-Terminals in dem in den streitigen Artikeln 28 vorgesehenen Umfang von der Mehrwertsteuer (Artikel 17 II des Gesetzes Nr. 92-677) und den Verbrauchsteuern (Artikel 59 des Gesetzes Nr. 92-677). Das Dekret Nr. 93-1139 vom erging in Anwendung der Artikel 17 und 59 des Gesetzes Nr. 92-677 (JORF vom , S. 13769).
10 Dem Vorlagebeschluß ist zu entnehmen, daß die Klägerinnen der Beklagten vorwerfen, daß sie seit dem unlauteren Wettbewerb betreibe, indem sie an Bord ihrer Schiffe Waren mehrwert- und verbrauchsteuerfrei verkaufe; dies ermögliche es ihr, unter den Gestehungskosten liegende Beförderungspreise auszugleichen. Da die Klägerinnen der Ansicht sind, daß diese Praxis auf der sowohl in dem durch Artikel 1 Nummer 22 der Richtlinie 91/680 eingefügten Artikel 28k der Sechsten Richtlinie als auch in Artikel 28 der Richtlinie 92/12 enthaltenen Befugnis beruhe, stellten sie vor dem vorlegenden Gericht die Gültigkeit der genannten Artikel in Frage; dieses Gericht hat es für angebracht gehalten, den Gerichtshof anzurufen.
11 Vor der Stellung seiner Fragen hat das vorlegende Gericht zunächst die International Duty Free Confederation (IDFC), die Airport Operators Association Ltd (AOA), die Bretagne Angleterre Irlande SA (BAI) und die Passenger Shipping Association Ltd (PSA) als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Beklagten zugelassen.
12 Das vorlegende Gericht hat sodann festgestellt, daß der Verlustverkauf von Dienstleistungen im Gegensatz zu dem von Waren in Frankreich nicht verboten sei. Daher könnten die Klägerinnen im Rahmen der von ihnen erhobenen Klage wegen unlauteren Wettbewerbs nur die Gültigkeit der Richtlinien des Rates in Frage stellen, auf die sich die Beklagte bei dem von ihr angebotenen steuerfreien Verkauf von Waren gestützt habe.
13 Das Gericht hat schließlich darauf hingewiesen, daß die Klägerinnen am auch beim High Court of Justice beantragt hätten, die Rechtmässigkeit der Maßnahmen zur Umsetzung der streitigen Artikel 28 durch das Vereinigte Königreich zu überprüfen.
14 Insoweit geht aus den Akten des Ausgangsverfahrens hervor, daß der High Court of Justice mit Urteil vom den Antrag der Klägerinnen abgelehnt und dies hauptsächlich damit begründet hat, daß sie ihren Antrag nicht fristgerecht gestellt hätten und daß nicht nur den gegnerischen Parteien, sondern auch zahlreichen im Vereinigten Königreich sowie in der Gemeinschaft ansässigen Personen ein schwerer Schaden entstehen würde, wenn dem Antrag stattgegeben würde. Die Klägerinnen haben gegen diese Entscheidung des High Court kein Rechtsmittel eingelegt. Der High Court hat ihnen allerdings gestattet, einen neuen Antrag wegen des steuerfreien Verkaufs von Waren bei Kurzreisen, sogenannten "booze-cruises", zu stellen, die nach Ansicht der Klägerinnen keine echten innergemeinschaftlichen Fahrten sind. Die Klägerinnen haben von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.
15 Unter diesen Umständen hat das Tribunal de commerce Paris beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist angesichts des Umstands, daß Eurotunnel gegen die Richtlinien 91/680 und 92/12 des Rates, soweit diese die Steuerregelung (Mehrwert- und sonstige Verbrauchsteuern) für die Ärmelkanalverbindungen betreffen, keine Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 erhoben hat und daß ihre Anträge durch eine Entscheidung des High Court of Justice vom zurückgewiesen wurden, der Antrag von Eurotunnel zulässig, diese Richtlinien auf der Grundlage des Artikels 177 des Vertrages für nichtig zu erklären?
2. Falls die erste Frage zu bejahen ist: Hat der Rat diese Richtlinien ordnungsgemäß erlassen?
Hilfsweise: Heilt die Richtlinie 94/4 eine etwaige Nichtigerklärung dieser beiden Richtlinien?
3. Für den Fall der Nichtigerklärung: Ist es der SNAT SA - Nouvelle d'armement transmanche - als Fehlverhalten zuzurechnen, daß sie die aufgrund dieser Richtlinien ergangenen Steuergesetze angewandt hat? Zu welchem Zeitpunkt hätte dieses Fehlverhalten begonnen?
16 Mit diesen drei Fragen möchte das Tribunal de commerce Paris im wesentlichen wissen, ob die Klägerinnen im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens die Ungültigkeit der streitigen Artikel 28 geltend machen können, obwohl sie gegen diese Bestimmungen keine Nichtigkeitsklage im Sinne von Artikel 173 EG-Vertrag erhoben haben. Bejahendenfalls fragt es, ob der Rat die fraglichen Bestimmungen ordnungsgemäß erlassen hat. Schließlich wird der Gerichtshof für den Fall der Ungültigkeit ersucht, die Folgen einer etwaigen Feststellung der Ungültigkeit der streitigen Artikel 28 für die Beklagte anzugeben.
Zur Zulässigkeit der vorgelegten Fragen
17 Die Beklagte und die Streithelfer des Ausgangsverfahrens machen geltend, daß die Fragen unzulässig seien, so daß der Gerichtshof sie nicht beantworten dürfe. Sie tragen insoweit vor, daß das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht fiktiven Charakter habe und daß die gestellten Fragen für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit unerheblich seien.
18 Sie sind ebenso wie die französische Regierung der Ansicht, daß eine Haftung der Beklagten nicht in Frage komme, da sie nur die in Anwendung von Gemeinschaftsrichtlinien ergangenen nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften befolgt habe; dies gelte auch dann, wenn die Richtlinien für ungültig erklärt würden. Allein der Rat als Urheber der streitigen Artikel 28 könne eventuell haften. Da jedes Verschulden der Beklagten ausgeschlossen sei, sei die vor dem vorlegenden Gericht anhängige Klage wegen unlauteren Wettbewerbs gegenstandslos, und die gestellten Fragen würden damit unerheblich. Schließlich sei der wirkliche Gegenstand der Klage ohnehin die Gültigkeit der streitigen Artikel 28 und nicht die etwaige Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz.
19 Es ist Sache des nationalen Gerichts, vor dem eine Frage nach der Gültigkeit einer Rechtshandlung der Gemeinschaftsorgane aufgeworfen wird, zu beurteilen, ob für seine Entscheidung eine Klärung dieses Punktes erforderlich ist, und den Gerichtshof gegebenenfalls zu ersuchen, über diese Frage zu befinden. Betreffen die vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen die Gültigkeit einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden.
20 Dem Gerichtshof obliegt es jedoch, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem vorlegenden Gericht angerufen worden ist. Denn der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, verlangt, daß das vorlegende Gericht seinerseits beachtet, daß dem Gerichtshof die Aufgabe übertragen ist, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben (vgl. u. a. Urteil vom in der Rechtssache C-412/93, Leclerc-Siplec, Slg. 1995, I-179, Randnr. 12).
21 In Anbetracht dieser Aufgabe hat sich der Gerichtshof ausserstande gesehen, über eine von einem nationalen Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage zu befinden, wenn offensichtlich ist, daß die vom vorlegenden Gericht erbetene Auslegung oder Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, oder wenn das Problem hypothetischer Natur ist und der Gerichtshof nicht über die rechtlichen und tatsächlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile vom in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 61, und vom in der Rechtssache C-105/94, Celestini, Slg. 1997, I-2971, Randnr. 22).
22 Was zunächst die Realität des Ausgangsrechtsstreits angeht, begehren die Klägerinnen vom vorlegenden Gericht die Feststellung, daß die Beklagte unlauteren Wettbewerb betrieben hat, indem sie die ihr nach nationalem Recht gebotene Möglichkeit genutzt hat, auf den Ärmelkanalverbindungen Waren steuerfrei zu verkaufen, obwohl dieses nationale Recht auf Gemeinschaftsrichtlinien beruht, die nach Ansicht der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens ungültig sind. Die Beklagte widerspricht dagegen jedem der dem nationalen Gericht von den Klägerinnen vorgetragenen Argumente. Dies zeigt, daß zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens tatsächlich ein echter Rechtsstreit besteht.
23 Was sodann die geltend gemachte fehlende Erheblichkeit der vorgelegten Fragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits anbelangt, so ist es zwar richtig, daß das vorlegende Gericht keine ausreichenden Angaben macht, denen der Gerichtshof klar entnehmen könnte, inwiefern die etwaige Ungültigkeit der streitigen Artikel 28 den Ausgang der Klage wegen unlauteren Wettbewerbs und insbesondere die Schadensersatzforderung der Klägerinnen gegenüber der Beklagten beeinflussen könnte.
24 Insoweit genügt jedoch die Feststellung, daß die etwaige Ungültigkeit der Richtlinien dem nationalen Gericht zumindest ermöglichen würde, der Beklagten - wie von den Klägerinnen verlangt - aufzugeben, die steuerfreien Verkäufe künftig zu unterlassen.
25 Nach alledem sind die vorgelegten Fragen zu beantworten.
Zur ersten Frage
26 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob eine natürliche oder juristische Person wie die Klägerinnen vor einem nationalen Gericht die Ungültigkeit von Richtlinienbestimmungen wie den streitigen Artikeln 28 auch dann geltend machen kann, wenn sie gegen diese Bestimmungen keine Nichtigkeitsklage im Sinne von Artikel 173 des Vertrages erhoben hat und wenn bereits eine Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats in einem gesonderten Verfahren vorliegt.
27 In bezug auf den ersten Teil der Frage hat das vorlegende Gericht Zweifel, ob sich die Klägerinnen angesichts des Urteils vom 9. März 1994 in der Rechtssache C-188/92 (TWD Textilwerke Deggendorf, Slg. 1994, I-833) vor ihm im Wege der Einrede auf die Ungültigkeit der streitigen Artikel 28 berufen können, da die Klägerinnen innerhalb der in Artikel 173 des Vertrages vorgesehenen Frist keine Nichtigkeitsklage gegen sie erhoben haben.
28 Im Urteil TWD Textilwerke Deggendorf ging es um eine Gesellschaft, die unstreitig berechtigt war, eine Nichtigkeitsklage gegen den Rechtsakt der Gemeinschaft zu erheben, dessen Rechtswidrigkeit sie vor einem nationalen Gericht im Wege der Einrede geltend gemacht hatte, und die dieses Recht auch kannte.
29 Da es sich hier um Gemeinschaftsrichtlinien handelt, deren streitige Bestimmungen sich in allgemeiner Form an die Mitgliedstaaten und nicht an natürliche oder juristische Personen richten, ist es nicht offenkundig, daß eine auf Artikel 173 des Vertrages gestützte Klage gegen die streitigen Artikel 28 zulässig gewesen wäre (vgl. zu einer Verordnung das Urteil vom in der Rechtssache C-241/95, Accrington Beef u. a., Slg. 1996, I-6699, Randnr. 15).
30 Die Klägerinnen können jedenfalls von den streitigen Artikeln 28 nicht unmittelbar betroffen sein. Mit der durch die genannten Bestimmungen eingeführten Befreiungsregelung wird nämlich den Mitgliedstaaten nur eine Befugnis eingeräumt. Folglich sind die streitigen Artikel 28 auf die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer, d. h. die Personenbeförderer und die Reisenden, nicht unmittelbar anwendbar.
31 Zum zweiten Teil der ersten Frage genügt die Feststellung, daß es im Rahmen des Verfahrens gemäß Artikel 177 des Vertrages nicht Sache des Gerichtshofes ist, die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens anhand einer Entscheidung zu überprüfen, die ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen eines gesonderten Verfahrens zu einem ähnlichen Problem getroffen hat.
32 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß eine natürliche oder juristische Person vor einem nationalen Gericht die Ungültigkeit von Richtlinienbestimmungen wie den streitigen Artikeln 28 auch dann geltend machen kann, wenn sie gegen diese Bestimmungen keine Nichtigkeitsklage im Sinne von Artikel 173 des Vertrages erhoben hat und wenn bereits eine Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats in einem gesonderten Verfahren vorliegt.
Zur zweiten Frage
33 Die Klägerinnen tragen vor, das vorlegende Gericht wolle mit seiner zweiten Frage nicht nur wissen, ob das Parlament ordnungsgemäß angehört worden sei, sondern auch, ob alle von ihnen in ihrer Klageschrift geltend gemachten Ungültigkeitsgründe Auswirkungen auf die Gültigkeit der streitigen Artikel 28 haben könnten. Diese anderen Klagegründe beträfen die mangelnde Begründung, die Verletzung der Artikel 7a, 92, 93 und 99 EG-Vertrag, den vom Rat begangenen Ermessensmißbrauch sowie den Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, der Verhältnismässigkeit und der Gleichbehandlung.
34 Insoweit geht aus der Begründung der Vorlageentscheidung und dem Wortlaut der zweiten Frage klar hervor, daß die einzigen Ungültigkeitsgründe, auf die das vorlegende Gericht Bezug nimmt, mit etwaigen Verfahrensmängeln beim Erlaß der streitigen Artikel 28 zusammenhängen und auf das angebliche Fehlen eines Vorschlags der Kommission und einer erneuten Anhörung des Parlaments gestützt werden. Dies wird im übrigen durch die ergänzende Frage des vorlegenden Gerichts nach den Folgen des - in bezug auf die Rechte des Parlaments - ordnungsgemässen Erlasses der Richtlinie 94/4 für die Rechtmässigkeit der streitigen Artikel 28 bestätigt.
Zum Fehlen eines Vorschlags der Kommission
35 Die Klägerinnen und das Parlament machen geltend, die streitigen Artikel 28 beruhten entgegen Artikel 99 EWG-Vertrag nicht auf einem Vorschlag der Kommission.
36 Der Rat erwidert, daß die von ihm vorgenommenen Änderungen der Vorschläge für die Richtlinien 91/680 und 92/12 innerhalb des in den ursprünglichen Vorschlägen der Kommission festgelegten Anwendungsbereichs dieser Richtlinien blieben.
37 Aufgrund seiner Änderungsbefugnis, die sich zu der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit aus Artikel 149 Absatz 1 EWG-Vertrag (nunmehr Artikel 189a Absatz 1 EG-Vertrag) ergab, konnte der Rat den Vorschlag der Kommission durch einstimmigen Beschluß ändern, wobei diese Einstimmigkeit nach Artikel 99 des Vertrages, der Rechtsgrundlage beider Richtlinien, ohnehin erforderlich war.
38 Im übrigen fällt die zeitlich begrenzte Beibehaltung der Regelung über die Befreiung der Lieferungen von Gegenständen durch Duty-Free-Shops von der Mehrwertsteuer und den Verbrauchsteuern ungeachtet des Widerstands der Kommission gegen ihre Beibehaltung bei innergemeinschaftlichen Reisen voll und ganz in den Anwendungsbereich der Richtlinien 91/680 und 92/12, die zur Schaffung der Bedingungen, die für den Verkehr mehrwert- oder verbrauchsteuerpflichtiger Waren und Dienstleistungen im Rahmen eines Binnenmarktes ohne Steuergrenzen erforderlich sind, ab dem dienen.
39 Da die vom Rat vorgenommenen Änderungen der Vorschläge für die Richtlinien 91/680 und 92/12 innerhalb des in den ursprünglichen Vorschlägen der Kommission festgelegten Anwendungsbereichs dieser Richtlinien bleiben, hat der Rat folglich die ihm nach Artikel 149 des Vertrages zustehende Änderungsbefugnis nicht überschritten.
Zum Erfordernis einer erneuten Anhörung des Parlaments
40 Die Klägerinnen und das Parlament tragen vor, daß die streitigen Artikel 28 in ihrer verabschiedeten Fassung wesentliche Änderungen gegenüber den Vorschlägen der Kommission enthielten, die nicht den Wünschen des Parlaments entsprächen.
41 Zu Artikel 28k der Sechsten Richtlinie macht das Parlament geltend, die vom Rat vorgenommenen Änderungen führten sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht zu erheblichen Abweichungen von den Texten, zu denen es angehört worden sei. Im übrigen habe das Parlament eine solche Ausnahmeregelung nie vorgeschlagen.
42 Zu Artikel 28 der Richtlinie 92/12 führt das Parlament aus, der letztlich vom Rat angenommene Text entspreche nicht dem Sinn der Änderungen Nummern 25 und 38 des Parlaments, da er erstens ein anderes Datum enthalte (in der Änderung sei der und in der Richtlinie der vorgesehen) und da zweitens in der Änderung nur "Häfen" und "Flughäfen", nicht aber der Kanaltunnel, ausdrücklich erwähnt würden.
43 Die Beklagte, die IDFC, die AOA, die BAI sowie die spanische und die französische Regierung, der Rat und die Kommission sind der Ansicht, daß der Erlaß der Richtlinien 91/680 und 92/12 nicht mit einem Verfahrensmangel behaftet sei. Die Unterschiede, die zwischen dem Text, zu dem das Parlament Stellung genommen habe, und dem letztlich verabschiedeten Text bestuenden, seien nicht grundlegend, und die beiden Richtlinien stimmten als Ganzes gesehen im wesentlichen mit dem Wortlaut der ursprünglichen Vorschläge der Kommission überein, die dem Parlament unterbreitet worden seien.
44 Die Beklagte, die IDFC, die AOA, die BAI, die spanische und die französische Regierung sowie der Rat vertreten die Auffassung, daß es jedenfalls keiner erneuten Anhörung bedurft habe, da die an den genannten Richtlinien vorgenommenen Änderungen den Wünschen des Parlaments entsprächen, das die Beibehaltung der Regelung für "Duty-Free-Shops" gewollt habe. Es habe daher nicht erneut angehört zu werden brauchen.
45 Die ordnungsgemässe Anhörung des Parlaments stellt in den vom Vertrag vorgesehenen Fällen ein wesentliches Formerfordernis dar, dessen Nichtbeachtung die Nichtigkeit der betreffenden Handlung zur Folge hat. Die wirksame Beteiligung des Parlaments am Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft gemäß den im Vertrag vorgesehenen Verfahren stellt nämlich ein wesentliches Element des vom Vertrag gewollten institutionellen Gleichgewichts dar. Diese Befugnis ist Ausdruck des grundlegenden demokratischen Prinzips, daß die Völker durch eine repräsentative Versammlung an der Ausübung der Hoheitsgewalt beteiligt sind (vgl. u. a. Urteil vom in der Rechtssache C-392/95, Parlament/Rat, Slg. 1997, I-3213, Randnr. 14).
46 Nach ständiger Rechtsprechung erfordert die Pflicht, das Parlament in den vom Vertrag vorgesehenen Fällen während des Gesetzgebungsverfahrens anzuhören, immer dann eine erneute Anhörung, wenn der endgültig verabschiedete Text als Ganzes gesehen in seinem Wesen von dem Text abweicht, zu dem das Parlament bereits angehört worden ist, sofern die Änderungen nicht im wesentlichen einem vom Parlament selbst geäusserten Wunsch entsprechen (vgl. Urteil Parlament/Rat, a. a. O., Randnr. 15).
47 Was zunächst Artikel 28k der Sechsten Richtlinie anbelangt, so geht er auf den ursprünglichen Vorschlag der Kommission vom (ABl. C 252, S. 2) zurück, der zweimal geändert wurde, nämlich am (ABl. C 176, S. 8) und am (ABl. C 131, S. 3). In ihrem ursprünglichen, dem Parlament unterbreiteten Vorschlag, der insoweit durch die beiden anderen Vorschläge nicht geändert wurde, hatte die Kommission vorgeschlagen, daß die Richtlinie 69/169/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Befreiung von den Umsatzsteuern und Sonderverbrauchsteuern bei der Einfuhr im grenzueberschreitenden Reiseverkehr (ABl. L 133, S. 6) am im Innenverhältnis der Gemeinschaft unwirksam wird.
48 Nach der Begründung des am vorgelegten Berichts des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik des Parlaments über den Richtlinienvorschlag zur Änderung der Sechsten Richtlinie (Bericht Fuchs, A3-0271/90) sollte die Lage der mit den steuerfreien Verkäufen befassten Branche und des dabei eingesetzten Personals geprüft werden, um festzustellen, ob spezielle Maßnahmen erforderlich sind.
49 Das Parlament schlug am die Änderungen Nummern 6 und 31 vor, die folgenden Wortlaut haben:
"Die Übergangszeit muß dazu genutzt werden, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sowohl die sozialen Auswirkungen in den betroffenen Berufszweigen aufzufangen als auch die regionalen Schwierigkeiten zu bekämpfen, die insbesondere in den grenznahen Regionen aufgrund des Wegfalls der Steuergrenzen entstehen könnten" (Begründungserwägung 4f).
"Die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Vollendung des Binnenmarktes bei abgabenfreien Verkäufen werden in einem Bericht beurteilt, der von der Kommission ausgearbeitet und dem Rat und dem Europäischen Parlament vorgelegt wird" (Begründungserwägung 4g).
50 In ihrem vorgenannten geänderten Vorschlag vom schlug die Kommission die Hinzufügung der folgenden neunten Begründungserwägung vor:
"Die Übergangszeit muß dazu genutzt werden, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sowohl die sozialen Auswirkungen in den betroffenen Berufszweigen aufzufangen als auch die regionalen Schwierigkeiten zu bekämpfen, die insbesondere in den grenznahen Regionen aufgrund des Wegfalls der Steuergrenzen entstehen können."
51 Was schließlich das Verfahren zum Erlaß von Artikel 28 der Richtlinie 92/12 anbelangt, so enthielt der am vorgelegte Vorschlag der Kommission (ABl. C 322, S. 1) keine Bestimmung über die Möglichkeit für Reisende innerhalb der Gemeinschaft, von Verbrauchsteuern befreite Waren zu erwerben.
52 Aus der Begründung des am vorgelegten Berichts des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik des Parlaments über den Vorschlag für die Verbrauchsteuerrichtlinie (Bericht Patterson, A3-0137/91) geht hervor, daß in Ermangelung des Berichts über die Lage der mit den steuerfreien Verkäufen befassten Branche und des dabei eingesetzten Personals die letztlich verabschiedete Änderung der endgültigen Formulierung nicht vorgreife.
53 Das Parlament schlug am eine Änderung von Artikel 18 durch Hinzufügung folgenden Satzes vor:
"Die Vorschriften dieser Richtlinie gelten nicht für [bestehende] Vereinbarungen über den Verkauf von verbrauchsteuerpflichtigen Waren in Duty-free-Läden in Häfen und auf Flughäfen sowie an Bord von Flugzeugen in der Luft bzw. Schiffen auf See bis zum ."
54 Die Kommission änderte ihren Vorschlag letztmals am 24. Januar 1992 (ABl. C 45, S. 10), ohne jedoch dem Vorschlag des Parlaments Rechnung zu tragen.
55 Daher ist zu prüfen, ob die von den Klägerinnen und vom Parlament angeführten Änderungen die Texte als Ganzes gesehen in ihrem Wesen berühren.
56 Das Ziel der dem Parlament von der Kommission vorgelegten Vorschläge für die Richtlinien 91/680 und 92/12 bestand darin, das Mehrwertsteuer- und Verbrauchsteuersystem dem Bestehen eines als Raum ohne Binnengrenzen definierten Binnenmarktes anzupassen.
57 Die streitigen Artikel 28 sollen ihrerseits die Beibehaltung einer früheren Regelung ermöglichen, wenn die Mitgliedstaaten dies wünschen. Sie sind daher als Option für Ausnahmen mit begrenztem Anwendungsbereich anzusehen. Die Möglichkeit des steuerfreien Verkaufs ist nämlich bestimmten Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern vorbehalten und in der Höhe (90 ECU) sowie zeitlich () begrenzt.
58 Daraus folgt, daß die durch die streitigen Artikel 28 eingefügten Änderungen nicht geeignet sind, den Kern der durch die Richtlinien 91/680 und 92/12 geschaffenen Regelungen zu beeinträchtigen, und daher nicht als wesentliche Änderungen eingestuft werden können.
59 Hinzu kommt, daß das Parlament jedenfalls nicht nur Gelegenheit hatte, sich zur Frage steuerfreier Verkäufe zu äussern, sondern daß es im übrigen auch ihre Beibehaltung befürwortet hat.
60 So hatte das Parlament in seiner Stellungnahme zur Richtlinie 91/680 die oben genannten Änderungen Nummern 6 und 31 vorgeschlagen, die mit der endgültigen Fassung der Richtlinie voll und ganz im Einklang stehen. Darin wurde empfohlen, die Übergangszeit zu nutzen, um den sozialen Auswirkungen und den regionalen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, die insbesondere in den grenznahen Regionen aufgrund des Wegfalls der Steuergrenzen entstehen könnten.
61 In seiner Stellungnahme zur Richtlinie 92/12 hat das Parlament ausdrücklich die befristete Beibehaltung der bestehenden Ausnahmeregelung für verbrauchsteuerfreie Verkäufe bis zum 31. Dezember 1995 vorgeschlagen.
62 Durch den Beschluß, die steuerfreien Verkäufe bis zum beizubehalten, um die sozialen Auswirkungen in diesem Bereich zu lindern, hat der Rat folglich im wesentlichen den Wünschen des Parlaments entsprochen.
63 Unter diesen Umständen war eine erneute Anhörung des Parlaments zu den streitigen Artikeln 28 nicht erforderlich.
64 Nach alledem hat die Prüfung der vorgelegten Fragen nichts ergeben, was die Gültigkeit der streitigen Artikel 28 beeinträchtigen könnte.
65 Angesichts dieser Antwort braucht weder der zweite Teil der zweiten Frage zum späteren Erlaß der Richtlinie 94/4 noch die dritte Frage beantwortet zu werden.
Kostenentscheidung:
Kosten
66 Die Auslagen der französischen, der griechischen und der spanischen Regierung sowie des Europäischen Parlaments, des Rates der Europäischen Union und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
WAAAB-72792
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg