Mehrwertsteuer: Einführung oder Beibehaltung alter Regelungen zum Recht auf Vorsteuerabzug (Ausschlussregeln für Kraftfahrzeugimporte)
Leitsatz
[1] 1 Die Mitgliedstaaten durften gemäß Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie 67/228 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern Vorschriften, die das Recht zum Abzug der beim Erwerb von Kraftfahrzeugen, die der Steuerpflichtige für die Zwecke seiner steuerpflichtigen Umsätze verwendet, anfallenden Mehrwertsteuer allgemein ausschließen, selbst dann einführen oder beibehalten und dürfen sie gemäß Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie 77/388 beibehalten, wenn die Fahrzeuge unentbehrliche Arbeitsgeräte für die Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Steuerpflichtigen gewesen sind oder wenn die Fahrzeuge im Einzelfall von dem betreffenden Steuerpflichtigen nicht privat haben genutzt werden können.
2. Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern, der bestimmt, daß der Rat vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem Inkrafttreten der Richtlinie festlegt, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist, und daß die Mitgliedstaaten bis zum Inkrafttreten der entsprechenden Bestimmungen alle Ausschlüsse beibehalten können, die in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind, ist in dem Sinn auszulegen, daß die Mitgliedstaaten die Ausschlüsse vom Recht auf Vorsteuerabzug beibehalten dürfen, obwohl der Rat vor dem Ablauf der genannten Frist nicht festgelegt hat, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist.
Gesetze: Richtlinie 67/228 Art. 11 Abs. 4; Richtlinie 77/388 Art. 17 Abs. 6
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 Der Court of Appeal (England and Wales) hat mit Beschluß vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vier Fragen nach der Auslegung des Artikels 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (ABl. 1967, Nr. 71, S. 1303; im folgenden: Zweite Richtlinie) und des Artikels 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit, der von drei Gruppen von Klägerinnen, nämlich der Royscot Leasing Ltd und der Royscot Industrial Ltd (im folgenden: Royscot), der T. C. Harrison Ltd (im folgenden: Harrison) und der Allied Domecq plc (im folgenden: Domecq), gegen die Commissioners of Customs and Excise (im folgenden: Commissioners) wegen der Verweigerung des Abzugs der beim Erwerb von Kraftfahrzeugen anfallenden Mehrwertsteuer geführt wird.
Gemeinschaftsrecht
3 Artikel 11 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie, mit dem das Recht auf Vorsteuerabzug eingeführt worden ist, sieht folgendes vor:
"Soweit Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke des Unternehmens verwendet werden, wird der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die Mehrwertsteuer, die ihm für an ihn gelieferte Gegenstände und an ihn erbrachte Dienstleistungen in Rechnung gestellt wird;
b)... "
Artikel 11 Absatz 4 lautet:
"Bestimmte Gegenstände und bestimmte Dienstleistungen können vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen werden, und zwar insbesondere die Gegenstände und Dienstleistungen, die ganz oder teilweise für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen oder seines Personals verwendet werden können."
4 Gemäß Artikel 37 der Sechsten Richtlinie ersetzt diese die Zweite Richtlinie.
5 Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt in der Fassung des Artikels 28f, der durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1) in die Sechste Richtlinie aufgenommen und durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom zur Änderung der Richtlinie 77/388 und zur Einführung weiterer Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer - Geltungsbereich bestimmter Steuerbefreiungen und praktische Einzelheiten ihrer Durchführung (ABl. L 102, S. 18) geändert wurde:
"(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a) die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden;
b)..."
6 Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie sieht eine Regelung über den Ausschluß des Rechts auf Vorsteuerabzug vor; er lautet:
"Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einstimmig fest, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist. Auf jeden Fall werden diejenigen Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen.
Bis zum Inkrafttreten der vorstehend bezeichneten Bestimmungen können die Mitgliedstaaten alle Ausschlüsse beibehalten, die in den in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind."
7 Die in dieser Bestimmung vorgesehenen Gemeinschaftsvorschriften sind noch nicht erlassen worden.
Nationales Recht
8 Im Vereinigten Königreich ist der Abzug der Mehrwertsteuer beim Erwerb von Kraftfahrzeugen seit 1973 aufgrund mehrerer aufeinanderfolgender Verordnungen (im folgenden: Cars Orders) verboten. Artikel 4 der VAT (Cars) Order 1972 bestimmt:
"Die Steuer auf die Lieferung oder Einfuhr eines Kraftfahrzeugs darf nicht als Vorsteuer abgezogen werden..., es sei denn:
a) bei der Lieferung handelt es sich um eine Vermietung oder
b) das Kraftfahrzeug wird zum Zweck seines Umbaus zu einem Fahrzeug, das kein Kraftfahrzeug ist, geliefert oder eingeführt oder
c) das Kraftfahrzeug ist ungebraucht und wird zum Zweck des Verkaufs geliefert oder eingeführt."
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen
9 Royscot übt das Leasinggeschäft aus, das darin besteht, Autos zu kaufen und sie zu einem Preis, der die Mehrwertsteuer einschließt, an seine Kunden zu verleasen. Royscot nimmt die Fahrzeuge nicht körperlich in Besitz; diese werden vom Hersteller unmittelbar an die Leasingnehmer geliefert. Royscot oder seine Mitarbeiter können daher die Fahrzeuge nicht zu Privatzwecken nutzen.
10 Harrison ist vertretungsberechtigtes Mitglied einer Mehrwertsteuerorganschaft, innerhalb deren bestimmte Mitgliedsunternehmen drei verschiedene Tätigkeiten ausüben. Die erste Tätigkeit besteht in langfristigem Autoleasing, wie es auch Royscot betreibt. Die zweite Tätigkeit besteht in der kurzfristigen Autovermietung. Sind die betreffenden Autos nicht vermietet, stehen sie den Mitarbeitern zur kostenlosen Nutzung ausserhalb ihrer Arbeitszeit zur Verfügung. Die dritte Tätigkeit besteht im Kraftfahrzeughandel, der in Franchiseform betrieben wird. Der Franchisevertrag sieht vor, daß für die Kunden und das Personal eine Flotte von Vorführwagen bereitsteht. Einige Mitarbeiter dürfen die Vorführwagen kostenlos für private Zwecke nutzen.
11 Domecq ist vertretungsberechtigtes Mitglied einer Mehrwertsteuerorganschaft, von der einige Mitgliedsunternehmen Einzelhandel betreiben. Sie beschäftigen Handelsreisende und Techniker, die für die Ausübung ihrer Tätigkeit Kraftfahrzeuge benötigen. Die Mitarbeiter dürfen diese Fahrzeuge in angemessenem Umfang gegen Entgelt auch privat nutzen. Domecq erwirbt ausserdem Kraftfahrzeuge für die geschäftliche und private Nutzung durch seine höheren Angestellten gemäß deren Beschäftigungsverträgen. Mitarbeiter, die solche Fahrzeuge besitzen, brauchen für deren private Nutzung nichts zu bezahlen.
12 Royscot, Harrison und Domecq stellten Anträge auf Abzug der beim Erwerb der Kraftfahrzeuge anfallenden Mehrwertsteuer, wobei sie geltend machten, Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie und Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie ließen es nicht zu, daß das Vereinigte Königreich einen Ausschluß vom Vorsteuerabzugsrecht, wie er in den Cars Orders vorgesehen sei, einführe oder beibehalte.
13 Die Anträge von Royscot und Domecq bezogen sich auf Zeiträume, für die die Sechste Richtlinie gilt; der Antrag von Harrison betraf dagegen einen Zeitraum, der bis auf das Jahr 1973 zurückging, als noch die Zweite Richtlinie galt.
14 Die Commissionners lehnten diese Anträge mit der Begründung ab, daß der Vorsteuerabzug durch die Cars Orders verboten sei. Royscot, Harrison und Domecq legten Rechtsmittel zum VAT and Duties Tribunal ein, die erfolglos blieben. Nachdem der High Court of Justice ein weiteres Rechtsmittel verworfen hatte, wandten sie sich an den Court of Appeal, der das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:
1. Durften die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie des Rates vom 11. April 1967 nationale Rechtsvorschriften, die das Recht zum Abzug der beim Erwerb von Kraftfahrzeugen, die ein Steuerpflichtiger für die Zwecke seiner steuerpflichtigen Umsätze verwendet, anfallenden Mehrwertsteuer uneingeschränkt ausschließen, einführen oder beibehalten, und dürfen sie sie gemäß Artikel 17 Absatz 6 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom beibehalten?
2. Darf das Vorsteuerabzugsrecht insbesondere ausgeschlossen werden,
a) selbst wenn die Fahrzeuge insofern wesentliche Arbeitsgeräte für die Unternehmenstätigkeit sind, als diese begrifflich ohne sie nicht existieren würde (wie das Autoleasinggeschäft der Royscot-Firmen und das Autoleasing- und -vermietungsgeschäft der T. C. Harrison-Gruppe)?
b) selbst wenn die Fahrzeuge niemals für eine private Nutzung durch den Steuerpflichtigen oder sein Personal zur Verfügung stehen (wie beim Autoleasinggeschäft der Royscot-Firmen und der T. C. Harrison-Gruppe)?
c) selbst wenn der Steuerpflichtige sein Unternehmen ohne die Fahrzeuge überhaupt nicht betreiben könnte (wie bei den Vorführwagen, die von einem Unternehmen der T. C. Harrison-Gruppe im Rahmen seines Handels mit Fahrzeugen erworben werden)?
d) selbst wenn die Mitarbeiter des Steuerpflichtigen ihre Aufgaben ohne die Fahrzeuge nicht wahrnehmen könnten (wie die bei der Allied Domecq-Gruppe beschäftigten Handelsreisenden)?
e) trotz der unter a, c und d genannten Sachverhalte mit der Begründung, daß die Mitarbeiter des Steuerpflichtigen die Fahrzeuge nebenbei ausserhalb der Arbeitszeit in gewissem Umfang auch privat nutzen dürfen?
3. Ist es für Frage 2 e erheblich, ob
a) sich die Ausgaben für die Fahrzeuge auf die geschäftliche und die private Nutzung aufteilen lassen?
b) die Erlaubnis zur privaten Nutzung der Fahrzeuge mehrwertsteuerlich gesehen ein steuerbarer Umsatz ist, weil der Steuerpflichtige von seinen Mitarbeitern ein Entgelt für diese Nutzung verlangt?
4. Erlosch die den Mitgliedstaaten in Artikel 17 Absatz 6 Unterabsatz 2 erteilte Berechtigung am Ende des in Unterabsatz 1 genannten Zeitraums von vier Jahren?
Zu den ersten beiden Fragen
15 Mit der ersten und der zweiten Frage, die gemeinsam zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie Vorschriften, die das Recht zum Abzug der beim Erwerb von Kraftfahrzeugen, die der Steuerpflichtige für die Zwecke seiner steuerpflichtigen Umsätze verwendet, anfallenden Mehrwertsteuer allgemein ausschließen, selbst dann einführen oder beibehalten durften und gemäß Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie beibehalten dürfen, wenn
- die Fahrzeuge unentbehrliche Arbeitsgeräte für die Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Steuerpflichtigen waren oder wenn
- die Fahrzeuge im Einzelfall von dem betreffenden Steuerpflichtigen nicht privat genutzt werden konnten.
16 Royscot, Harrison und Domecq sind der Auffassung, daß Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie die Ausschlusstatbestände auf diejenigen Fälle beschränke, in denen die Kraftfahrzeuge für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen oder seines Personals benutzt werden könnten. Bei der Auslegung dieser Bestimmung sei nämlich das in Artikel 11 Absatz 1 niedergelegte Grundprinzip der Gewährung des Vorsteuerabzugsrechts zu berücksichtigen. Artikel 11 Absatz 4 sei daher auch dann nicht anwendbar, wenn es um wesentliche Arbeitsgeräte für die Unternehmenstätigkeit des Steuerpflichtigen gehe oder wenn es möglich sei, den Anteil der Vorsteuerbelastung gemäß Artikel 11 Absatz 2 zu bestimmen.
17 Im Hinblick auf Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie vertreten Royscot, Harrison und Domecq die Auffassung, daß die in dieser Bestimmung enthaltene Standstill-Klausel es nicht erlaube, Ausschlüsse beizubehalten, die nicht durch Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie gerechtfertigt gewesen seien. Im übrigen berechtige Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie, in seinem Kontext ausgelegt, die Mitgliedstaaten nur zur Beibehaltung von Ausschlüssen für solche Ausgaben, die ein nichtgeschäftliches Element enthielten oder enthalten könnten, das sich nicht mittels der in Artikel 17 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Abgrenzung von dem geschäftlichen Element trennen lasse.
18 Die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die dänische, die französische, die irische, die finnische und die schwedische Regierung machen demgegenüber geltend, aus dem Wortlaut des Artikels 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie ergebe sich eindeutig, daß die Mitgliedstaaten Ausgaben für den Erwerb bestimmter Gegenstände wie Kraftfahrzeuge von der Vorsteuerabzugsregelung ausschließen könnten; diese Ausschlüsse könnten gemäß Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie beibehalten werden.
19 Nach Auffassung der Kommission gestatten es Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie und Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie den Mitgliedstaaten wegen der Bedeutung des Vorsteuerabzugsrechts für das Mehrwertsteuersystem nicht, Ausgaben für wesentliche Arbeitsgeräte für die Unternehmenstätigkeit des Steuerpflichtigen vom Recht auf Vorsteuerabzug auszuschließen. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission vorgetragen, aus dem Urteil vom in der Rechtssache C-43/96 (Kommission/Frankreich, Slg. 1998, I-3903) folge, daß das Vereinigte Königreich ursprünglich zur Beibehaltung der streitigen Ausschlüsse des Vorsteuerabzugsrechts berechtigt gewesen sei. Es habe diese Berechtigung jedoch infolge einer unter Verletzung der "Standstill-Klausel" des Artikels 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie erfolgten Änderung des nationalen Rechts verloren.
20 Wie der Gerichtshof bereits in den Randnummern 18 und 19 des Urteils Kommission/Frankreich entschieden hat, ergibt sich aus dem Wortlaut und aus der Entstehungsgeschichte von Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie, daß diese Vorschrift so auszulegen ist, daß sich der Ausdruck "alle Ausschlüsse" auch auf Ausgaben mit streng geschäftlichem Charakter bezieht. Daher dürfen die Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung nationale Vorschriften beibehalten, die das Vorsteuerabzugsrecht nicht nur für Transportmittel, die das eigentliche Arbeitsgerät des Steuerpflichtigen darstellen, ausschließen, sondern auch für solche Kraftfahrzeuge, die im Einzelfall nicht privat genutzt werden können.
21 Zwar setzt Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie - wie Royscot, Harrison und Domecq betonen - voraus, daß die Ausschlüsse, die die Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung beibehalten dürfen, nach der Zweiten Richtlinie, die der Sechsten Richtlinie vorausging, rechtmässig waren.
22 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß Artikel 11 der Zweiten Richtlinie, der in Absatz 1 das Recht auf Vorsteuerabzug begründete, in Absatz 4 vorsah, daß die Mitgliedstaaten bestimmte Gegenstände und Dienstleistungen vom Vorsteuerabzug ausschließen können.
23 Aus dem klaren und eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, daß die Mitgliedstaaten berechtigt waren, selbst Ausgaben mit streng geschäftlichem Charakter vom Recht auf Vorsteuerabzug auszuschließen. Aus dem zweiten Halbsatz von Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie, nach dem die Ausschlüsse insbesondere Gegenstände und Dienstleistungen betreffen können, die ganz oder teilweise für den privaten Bedarf verwendet werden können, lässt sich nämlich nicht schließen, daß die Mitgliedstaaten nur Ausgaben für derartige Gegenstände und Dienstleistungen ausschließen durften. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber durch die Verwendung des Begriffes "insbesondere" klar zum Ausdruck gebracht, daß er die zulässigen Ausschlüsse nicht auf Ausgaben für Gegenstände und Dienstleistungen beschränken wollte, die für den privaten Bedarf verwendet werden können.
24 Allerdings räumte Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie, wie Royscot, Harrison und Domecq betonen, den Mitgliedstaaten kein uneingeschränktes Ermessen ein, alle oder praktisch alle Gegenstände und Dienstleistungen vom Vorsteuerabzug auszuschließen und auf diese Weise die Regelung in Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie gegenstandslos zu machen.
25 Das Vereinigte Königreich hat jedoch nicht mit dem Ausschluß bestimmter Gegenstände wie Kraftfahrzeuge vom Vorsteuerabzug das allgemeine System des Vorsteuerabzugs beeinträchtigt, sondern lediglich von der in Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie enthaltenen Berechtigung Gebrauch gemacht. Dies gilt um so mehr, als es sich bei den Fahrzeugen um Gegenstände handelt, die ihrer Natur nach ganz oder teilweise für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen oder seines Personals verwendet werden können.
26 Auf die erste und die zweite Frage ist daher zu antworten, daß die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 11 Absatz 4 der Zweiten Richtlinie Vorschriften, die das Recht zum Abzug der beim Erwerb von Kraftfahrzeugen, die der Steuerpflichtige für die Zwecke seiner steuerpflichtigen Umsätze verwendet, anfallenden Mehrwertsteuer allgemein ausschließen, selbst dann einführen oder beibehalten durften und gemäß Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie beibehalten dürfen, wenn
- die Fahrzeuge unentbehrliche Arbeitsgeräte für die Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Steuerpflichtigen waren oder wenn
- die Fahrzeuge im Einzelfall von dem betreffenden Steuerpflichtigen nicht privat genutzt werden konnten.
Zur dritten Frage
27 In Anbetracht der Antwort auf die ersten beiden Fragen ist die dritte Frage gegenstandslos geworden, so daß sich eine Antwort erübrigt.
Zur vierten Frage
28 Royscot, Harrison und Domecq vertreten die Auffassung, die Standstill-Klausel in Artikel 17 Absatz 6 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie verweise auf Unterabsatz 2 Satz 1 und diese Verweisung sei ebenfalls zeitlich begrenzt. Seit die vorgesehenen Regelungen nicht mehr in Kraft treten könnten, weil die in Unterabsatz 1 enthaltene Vierjahresfrist abgelaufen sei, sei auch die vorübergehende Berechtigung der Mitgliedstaaten zur Beibehaltung innerstaatlicher Ausschlußvorschriften erloschen.
29 Aus dem Wortlaut des Artikels 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie ergibt sich jedoch eindeutig, wie sämtliche Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, geltend machen, daß die Berechtigung der Mitgliedstaaten zur Beibehaltung der bestehenden Regelungen zum Ausschluß des Vorsteuerabzugsrechts so lange bestehen bleibt, bis der Rat die in diesem Artikel vorgesehenen Bestimmungen erlässt.
30 Diese Auslegung steht im Einklang mit dem, was der Gerichtshof in dem Urteil vom in der Rechtssache C-165/88 (ORO Amsterdam Beheer en Concerto, Slg. 1989, 4081) zu dem früheren Artikel 32 der Sechsten Richtlinie ausgeführt hat, der eine Artikel 17 Absatz 6 ähnliche Übergangsregelung für Gebrauchtgegenstände enthielt. In Randnummer 24 dieses Urteils entschied der Gerichtshof nämlich, daß, solange der Gemeinschaftsgesetzgeber unter Versäumung der entsprechenden Frist nicht tätig geworden war, Artikel 32 der Sechsten Richtlinie angewendet werden musste, der den Mitgliedstaaten, die eine Sonderregelung für die Mehrwertsteuer auf Gebrauchtgegenstände anwandten, lediglich gestattete, diese Regelung beizubehalten. Artikel 32 der Sechsten Richtlinie wurde durch die Richtlinie 94/5/EG des Rates vom zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388 - Sonderregelung für Gebrauchtgegenstände, Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten (ABl. L 60, S. 16) aufgehoben.
31 Auch bei Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie ist es Sache des Gemeinschaftsgesetzgebers, eine Gemeinschaftsregelung der Ausschlüsse vom Vorsteuerabzugsrecht zu erlassen und so die schrittweise Harmonisierung des nationalen Rechts im Bereich der Mehrwertsteuer zu verwirklichen.
32 Auf die vierte Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie in dem Sinn auszulegen ist, daß die Mitgliedstaaten die in Unterabsatz 2 genannten Ausschlüsse vom Recht auf Vorsteuerabzug beibehalten dürfen, obwohl der Rat vor dem Ablauf der in Unterabsatz 1 vorgesehenen Frist nicht festgelegt hat, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist.
Kostenentscheidung:
Kosten
33 Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der dänischen, der griechischen, der französischen, der irischen, der finnischen und der schwedischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
LAAAB-72709
1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg