Aufrechnung des Finanzamts mit Steuerforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
Gesetze: AO §§ 226, 220; BGB § 387; InsO §§ 87, 95
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Verwalter in dem im Mai 2001 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der X-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Er hat im August 2001 bei dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) eine berichtigte Lohnsteueranmeldung für Dezember 2000 eingereicht, aus der sich ein Guthaben von 7 033,60 DM ergab. Das FA hat der Anmeldung im Oktober 2001 zugestimmt. Im August 2001 hat das FA Forderungen gegenüber der Schuldnerin in Höhe von rund 77 000 DM zur Insolvenztabelle angemeldet, und zwar Umsatzsteuer Januar 2001. Der Kläger hat der Anmeldung im Prüfungstermin widersprochen. Im Oktober 2001 hat das FA gegen das Lohnsteuerguthaben der Schuldnerin mit der Umsatzsteuer Januar 2001 aufgerechnet. Als der Kläger der Aufrechnung widersprach, erließ das FA unter dem einen Abrechnungsbescheid, nach dessen Inhalt das Lohnsteuerguthaben erloschen ist. Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) den Abrechnungsbescheid dahin geändert, dass der Anspruch auf Erstattung von Lohnsteuer Dezember 2000 in Höhe von 7 033,60 DM nicht erloschen sei. Es urteilte, im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung des FA habe es an der Fälligkeit des Anspruches auf Umsatzsteuer gefehlt. § 18 Abs. 1 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sei insoweit nicht anwendbar. Durch die Anmeldung zur Tabelle sei die Fälligkeit nicht bewirkt worden. Aufgrund des Widerspruchs des Klägers gelte die Forderung des FA auch nicht als festgestellt. Ob der Aufrechnung die Verbote nach §§ 95 und 96 der Insolvenzordnung (InsO) entgegenstünden, könne offen bleiben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom FG zugelassene Revision des FA. Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Nach § 226 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 387 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist die vom FA erklärte Aufrechnung nur wirksam und der angefochtene Abrechnungsbescheid folglich rechtmäßig, wenn die Forderung auf Umsatzsteuervorauszahlungen Januar 2001, mit der das FA gegen die der Schuldnerin zustehende Lohnsteuererstattungsforderung aufgerechnet hat, im Zeitpunkt der Abgabe der Aufrechnungserklärung fällig gewesen ist. Dies war indes, anders als das FG meint, der Fall.
Nach § 220 Abs. 1 AO 1977 richtet sich die Fälligkeit von Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis wie dem zwischen dem FA und der Schuldnerin bestehenden in erster Linie nach den Vorschriften der Steuergesetze. Greifen spezielle steuergesetzliche Fälligkeitsbestimmungen i.S. des § 220 Abs. 1 AO 1977 nicht ein, wird ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 220 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 —von dem hier nicht gegebenen Fall eines abweichenden Leistungsgebots abgesehen— grundsätzlich mit seiner Entstehung fällig. Die Gegenforderung des FA ist, was auch das FG und die Beteiligten nicht in Zweifel ziehen, im Oktober 2001 entstanden gewesen; denn der Anspruch des FA auf Umsatzsteuervorauszahlungen entsteht mit dem Ende des letzten Tages des maßgeblichen Voranmeldungszeitraums —hier: — (vgl. , BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716).
Vorgenannten Grundsatz schränkt § 220 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 zwar ein. Denn nach dieser Vorschrift tritt die Fälligkeit erst mit der Bekanntgabe der Steuerfestsetzung ein, wenn sich in den Fällen des § 220 Abs. 2 Satz 1 AO 1977, also bei Steuern, für die keine spezialgesetzliche Fälligkeitsbestimmung getroffen ist, der betreffende Anspruch aus der Festsetzung der Steuer ergibt. Diese Einschränkung greift freilich dann nicht Platz, wenn der Anspruch des FA keiner Festsetzung durch Steuerbescheid nach § 218 Abs. 1 AO 1977 zugänglich ist, weil das FA wegen Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch § 87 InsO gehindert ist, seine Steuerforderungen durch Steuerbescheid festzusetzen (vgl. , BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630). Das hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom VII R 45/03 (BFHE 205, 409, BStBl II 2004, 815) entschieden. Da das FA nach Verfahrenseröffnung einstweilen nicht einmal einen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO 1977 erlassen kann, weil es bis zum Bestreiten seiner Forderung durch einen dazu Berechtigten an der Erforderlichkeit eines solchen Bescheides fehlt (vgl. BFH-Entscheidungen vom V R 80/77, BFHE 141, 7, BStBl II 1984, 545, und vom V B 73/99, BFH/NV 2000, 548), greift § 220 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 nicht ein. Die Fälligkeit der Forderung des FA richtet sich dann folglich nach § 220 Abs. 2 Satz 1 AO 1977.
Da das Urteil des FG dieser Rechtslage nicht entspricht, ist es aufzuheben (§ 126 Abs. 3 FGO). Die Sache ist spruchreif. Der Aufrechnung des FA stehen Aufrechnungsverbote (§§ 95, 96 InsO) nicht entgegen, insbesondere nicht § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Danach ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Die Forderung, gegen die das FA aufgerechnet hat, war zwar bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht festgesetzt bzw. ein Lohnsteuererstattungsanspruch durch dessen Anmeldung und die Zustimmung des FA hierzu steuerrechtlich noch nicht entstanden; die Erstattungsforderung war jedoch bereits vor Verfahrenseröffnung dadurch begründet, dass Lohnsteuer auf tatsächlich nicht gezahlte Löhne zu Unrecht angemeldet worden ist, was die Anwendung vorgenannter Vorschrift ausschließt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom VII R 45/90, BFH/NV 1991, 791). Die Aufrechnung des FA war auch nicht nach § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ausgeschlossen, weil die Forderung der Schuldnerin fällig geworden wäre, bevor die Aufrechnung erfolgen konnte, bevor also die Gegenforderung des FA fällig geworden ist. Denn die Forderung der Schuldnerin auf Erstattung von Lohnsteuer ist erst mit der Zustimmung des FA zu der diesbezüglichen Anmeldung im Oktober 2001 fällig geworden, während die Gegenforderung des FA, wie ausgeführt, bereits seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgerechnet werden konnte.
Substantiierte Einwendungen gegen das Bestehen der aufgerechneten Forderungen des FA sind nicht erhoben worden, so dass der erkennende Senat keinen Anlass hat, den Rechtsstreit um einer diesbezüglichen tatrichterlichen Prüfung willen an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Die Klage ist vielmehr abzuweisen, weil der angefochtene Abrechnungsbescheid rechtmäßig ist.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1211
BFH/NV 2005 S. 1211 Nr. 8
XAAAB-54882