Bindung an die bisherigen Besteuerungsgrundlagen bei Änderung der Veranlagungsart
Leitsatz
Beantragen Eheleute innerhalb der Frist für einen Einspruch gegen den Zusammenveranlagungsbescheid die getrennte Veranlagung oder die besondere Veranlagung im Jahr der Eheschließung, ist das FA bei der daraufhin für jeden durchzuführenden getrennten oder besonderen Veranlagung an die tatsächliche und rechtliche Beurteilung der Besteuerungsgrundlagen im Zusammenveranlagungsbescheid gebunden. Den Zusammenveranlagungsbescheid hat es aufzuheben.
Gesetze: AO 1977 § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 aAO 1977 §§ 173 bis 177EStG § 25EStG § 26 Abs. 1EStG § 26aEStG § 26bEStG § 26cEStG § 33ZPO § 623 Abs. 1 Satz 1
Instanzenzug: (EFG 2004, 1219) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wurde im Januar 2000 geschieden und heiratete im Oktober 2000 erneut. Für das Streitjahr 2000 beantragte sie die Zusammenveranlagung mit ihrem neuen Ehemann. In der Einkommensteuererklärung 2000 machten die Eheleute Vorsorgeaufwendungen und Steuerberatungskosten als Sonderausgaben und die Scheidungskosten der Klägerin sowie die Prozesskosten für den Rechtsstreit auf Zugewinnausgleich in Höhe von 11 923,64 DM als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Ehemann erzielte im Streitjahr 2000 keine Einkünfte.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid 2000 die Aufwendungen antragsgemäß.
Mit dem Einspruch begehrten die Klägerin und ihr Ehemann Weiterbildungskosten des Ehemannes als vorab entstandene Werbungskosten zu berücksichtigen. Das FA gab dem Einspruch durch Änderung des Einkommensteuerbescheids 2000 statt und setzte die Einkommensteuer auf 0 DM fest.
Innerhalb der Einspruchsfrist beantragten die Klägerin und ihr Ehemann zunächst getrennte Veranlagung und führten aus, die Sonderausgaben seien vollständig der Klägerin zuzuordnen. In den dazu abgegebenen Einkommensteuererklärungen beantragten sie jedoch die besondere Veranlagung für das Jahr der Eheschließung (§ 26c des Einkommensteuergesetzes —EStG—).
Daraufhin hob das FA den Zusammenveranlagungsbescheid nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) auf. Für den Ehemann erließ es einen Einkommensteuerbescheid für 2000 über 0 DM und einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs. In dem Einkommensteuerbescheid 2000 für die Klägerin berücksichtigte das FA nur die Prozesskosten für die Scheidung, nicht aber die von der Klägerin ebenfalls als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Prozesskosten für den Rechtsstreit um den Zugewinnausgleich. Die Sonderausgaben ließ es in gleichem Umfang wie im Zusammenveranlagungsbescheid zum Abzug zu. Es setzte die Einkommensteuer der Klägerin auf 2 855,05 € (= 5 584 DM) fest.
Den Einspruch der Klägerin wies das FA als unbegründet zurück. Es führte im Wesentlichen aus: Aufgrund des zulässigen Antrags, anstelle der Zusammenveranlagung die besondere Veranlagung nach § 26c EStG durchzuführen, sei der Zusammenveranlagungsbescheid aufzuheben. Damit verliere die ursprüngliche Steuerfestsetzung ihre Wirkungen. Da das Begehren der Klägerin nicht auf Anfechtung des Zusammenveranlagungsbescheids, sondern auf Durchführung einer erneuten —im Streitfall— besonderen Veranlagung nach § 26c EStG gerichtet sei, habe das FA nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung die Besteuerungsgrundlagen neu festzustellen und den Sachverhalt sowie die Rechtslage neu zu prüfen. Eine Bindung an die Behandlung bei der Zusammenveranlagung bestehe nicht.
Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 1219 veröffentlicht ist, wies die Klage ab.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, Prozesskosten, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Scheidung, also für die sogenannten Verbundsachen i.S. des § 623 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), entstünden, seien ebenso wie die Scheidungskosten selbst zwangsläufig i.S. des § 33 EStG. Im Übrigen sei fraglich, ob das FA bei Beantragung getrennter Veranlagung berechtigt sei, die zunächst als außergewöhnliche Belastungen anerkannten Prozesskosten zu versagen.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Einkommensteuerbescheid 2000 i.d.F. der Einspruchsentscheidung dahin zu ändern, dass weitere 6 096 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
Entgegen der Auffassung des FG war das FA bei der auf Antrag der Kläger durchgeführten besonderen Veranlagung nach § 26c EStG an die Anerkennung der Kosten des Zugewinnausgleichs als außergewöhnliche Belastung im ursprünglichen Zusammenveranlagungsbescheid gebunden.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann das Veranlagungswahlrecht bis zur Unanfechtbarkeit eines Einkommensteuerbescheides ausgeübt und eine einmal getroffene Wahl der Veranlagungsart —vorbehaltlich rechtsmissbräuchlicher oder willkürlicher Antragstellung— widerrufen werden (, BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408, und vom III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980, jew. m.w.N.). Im Streitfall haben die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG, nach dem Ehegatten zwischen der besonderen Veranlagung (§ 26c EStG) und der Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) wählen können, unstreitig vorgelegen.
2. Bei der Durchführung der besonderen Veranlagung sind die im vorangegangenen Zusammenveranlagungsbescheid berücksichtigten Sachverhalte und Beträge den Ehegatten nach Maßgabe des § 26c Abs. 1 i.V.m. § 26a EStG zuzurechnen. Sofern innerhalb der Rechtsbehelfsfrist der Zusammenveranlagungsbescheid nicht angefochten, sondern nur eine andere Veranlagungsart beantragt wird, eröffnet die erneute Ausübung des Veranlagungswahlrechts weder den Steuerpflichtigen noch dem FA die Möglichkeit, diese Besteuerungsgrundlagen zu ändern.
a) Der Antrag auf besondere Veranlagung nach Erlass eines Zusammenveranlagungsbescheides ist —wie der Antrag auf getrennte Veranlagung— weder ein Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid noch ein Änderungsantrag, sondern ein —erstmaliger— Antrag auf Durchführung der besonderen Veranlagung nach § 26 Abs. 2 Satz 1 EStG. Ein neues Veranlagungsverfahren ist durchzuführen. Denn Einzelveranlagung (§ 25 EStG), Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) und getrennte bzw. besondere Veranlagung (§ 26a und § 26c EStG) stellen jeweils wesensverschiedene Veranlagungsverfahren dar (Senatsurteil in BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980, m.w.N.).
b) Mit der Ausübung des Veranlagungswahlrechts durch die Ehegatten innerhalb der Frist für den Einspruch gegen den Bescheid, mit dem der ursprüngliche Zusammenveranlagungsbescheid antragsgemäß geändert worden war, ist dieser Bescheid hinsichtlich der Veranlagungsart der Zusammenveranlagung rechtswidrig geworden. Entsprechend ihrem Antrag waren die Kläger neu zu veranlagen und der bereits ergangene Einkommensteuerbescheid i.d.F. des Änderungsbescheides war insoweit aufzuheben.
Gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 darf ein Einkommensteuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, unter anderem aufgehoben oder geändert werden, soweit der Steuerpflichtige zustimmt oder seinem Antrag der Sache nach entsprochen wird (Buchst. a) oder soweit dies sonst gesetzlich (in §§ 173 bis 177 AO 1977 oder in den Einzelsteuergesetzen) zugelassen ist (Buchst. d). Die §§ 172 bis 177 AO 1977 regeln die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden außerhalb eines Einspruchsverfahrens. Nach dem Korrektursystem der §§ 172 ff. AO 1977 ist ein Bescheid nur insoweit aufzuheben oder zu ändern, als der einzelne Korrekturgrund reicht (, BFHE 198, 20, BStBl II 2002, 450, m.w.N.). Darüber hinaus ist das FA nur im Rahmen eines Einspruchsverfahrens zur erneuten Überprüfung der Sache und —nach Anhörung des Einspruchsführers mit der Möglichkeit der Rücknahme des Einspruchs— zur Verböserung berechtigt (§ 367 Abs. 2 AO 1977).
Nach dem bereits vom FG in Bezug genommenen Senatsurteil vom III R 32/91 (BFHE 171, 407, BStBl II 1993, 824) ist das Begehren auf Änderung der Veranlagungsart nicht als Anfechtung zu verstehen. Es handelt sich vielmehr um ein auf Durchführung einer erneuten —in jenem Fall einer getrennten— Veranlagung gerichtetes Verpflichtungsbegehren, das allerdings notwendigerweise auch ein Anfechtungsbegehren enthält. Die Wahl der Veranlagungsart durch die Ehegatten löst nur die Rechtsfolgen der §§ 26a bis 26c EStG aus, lässt im Übrigen aber die Besteuerungsgrundlagen unberührt.
Im Beschluss vom III ER -S- 4/97 (BFH/NV 1999, 160) und im Urteil in BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408 hat der Senat nochmals hervorgehoben, dass eine erneute Ausübung des Wahlrechts anlässlich einer nach den Änderungsvorschriften der AO 1977 geänderten Steuerfestsetzung nur die Rechtsfolgen der §§ 26a bis 26c EStG auslöse, im Übrigen die von der jeweiligen Änderungsvorschrift der AO 1977 nicht betroffenen Besteuerungsgrundlagen aber unberührt lasse.
Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass die materiellen Besteuerungsgrundlagen von der Wahl der Veranlagungsart nicht betroffen sind. Die jeweilige Veranlagungsart bewirkt nur eine unterschiedliche Zurechnung des Gesamtbetrags der zunächst für jeden Ehegatten getrennt ermittelten Einkünfte und der außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen in § 26a Abs. 2 EStG genannten Beträge sowie die Anwendung des Grund- oder des Splittingtarifs nach § 32a Abs. 1 bis 3 bzw. Abs. 5 und 6 EStG. Nur insoweit wird der bereits ergangene Einkommensteuerbescheid durch die Wahl der anderen Veranlagungsart rechtswidrig und nur insoweit ist die Durchbrechung der Bestandskraft und damit eine Aufhebung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AO 1977 gerechtfertigt.
Begehren Eheleute nach einer Zusammenveranlagung innerhalb der Einspruchsfrist ausschließlich die getrennte oder —wie hier— die besondere Veranlagung nach § 26c EStG, hat das FA daher eine erneute Veranlagung entsprechend § 26a bzw. § 26c EStG auf der Grundlage der bisherigen Besteuerungsgrundlagen des Zusammenveranlagungsbescheids durchzuführen. Eine Abweichung von den Besteuerungsgrundlagen kommt nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen einer Korrekturnorm (§ 129, §§ 172 bis 177 AO 1977) vorliegen.
3. Offen bleiben kann im Streitfall, ob materielle Fehler der vorausgegangenen Veranlagung im Rahmen der Neuveranlagung nach Ausübung des Veranlagungswahlrechts nach § 177 AO 1977 berichtigt werden könnten. Die Voraussetzungen des § 177 AO 1977 liegen im Streitfall nicht vor. Für die Klägerin ergibt sich bei der besonderen Veranlagung eine höhere Einkommensteuer als bei der Zusammenveranlagung, da der Verlustausgleich mit den negativen Einkünften des Ehemannes entfällt. Die Möglichkeit der Saldierung, die § 177 AO 1977 voraussetzt, besteht nicht.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2005 S. 1264 Nr. 23
BFH/NV 2005 S. 1177 Nr. 7
BStBl. II 2005 S. 564 Nr. 14
DB 2005 S. 1308 Nr. 24
DStR 2005 S. 963 Nr. 23
EStB 2005 S. 244 Nr. 7
FR 2005 S. 900 Nr. 17
HFR 2005 S. 758 Nr. 8
INF 2005 S. 484 Nr. 13
KFR 2005 S. 385 Nr. 10
KÖSDI 2005 S. 14702 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 35/2006 S. 2920
NWB-Eilnachricht Nr. 52/2006 S. 4502
StB 2005 S. 241 Nr. 7
RAAAB-53714