Wiedereinsetzung bei Versäumung der Revisionsbegründungsfrist wegen eines Büroversehens
Gesetze: FGO § 56
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) begehren die Anerkennung von geleisteten Unterhaltszahlungen an ihren am geborenen Sohn als außergewöhnliche Belastung nach § 33a des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ließ in den Einkommensteuerbescheiden für 1999 und 2000 die Unterhaltsleistungen unberücksichtigt unter Hinweis darauf, dass kein Nachweis für die Unterhaltsbedürftigkeit des Sohnes erbracht worden sei. Die Einsprüche waren erfolglos. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 1167 veröffentlicht ist, wies die Klage als unbegründet ab.
Das Urteil des FG ist den Klägern am zugestellt worden. Daraufhin haben die Kläger —vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten— am Revision eingelegt unter Hinweis darauf, dass eine Begründung mit separatem Schriftsatz folgen werde. Die unter dem Datum des gefertigte Revisionsbegründung ist am beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen. Mit Schriftsatz vom —Eingang ebenfalls am — begehren die Kläger hinsichtlich der abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Zur Begründung trägt der Prozessbevollmächtigte der Kläger vor, in seinem Büro werde üblicherweise die Ausgangspost um 16.00 Uhr in den Briefkasten in der Nähe des Büros eingeworfen. Am sei jedoch um 16.00 Uhr noch nicht die gesamte Ausgangspost geschrieben gewesen, weshalb zunächst die bis zu diesem Zeitpunkt fertige Ausgangspost zum Briefkasten gebracht worden sei. Die seit über zwanzig Jahren im Büro tätige und sehr zuverlässige Sekretärin Frau (W) sei beauftragt worden, die restliche Post einschließlich der Revisionsbegründung zum Postamt zu bringen. Auf die Wichtigkeit der Revisionsbegründung sei Frau W hingewiesen worden. Die Post sei auch von ihr zum Postamt gebracht und eingeworfen worden. Durch einen nicht klärbaren Umstand sei die Revisionsbegründung jedoch unbemerkt im Wagen von Frau W geblieben und dort erst am von ihr gefunden worden. Den Vorfall habe Frau W umgehend dem Prozessbevollmächtigten gemeldet. Diese Angestellte habe in der Vergangenheit keine Fehler begangen, die Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit begründet hätten. Es habe somit keinen Anlass gegeben, die tatsächliche Absendung der Revisionsbegründung nachträglich nochmals zu kontrollieren. Dies hätte überdies auch nicht zur Entdeckung des Fehlers geführt, da die Angestellte bis zum Auffinden des Briefes in ihrem PKW selbst von der fristgerechten Absendung ausgegangen sei.
Der Schriftsatz vom trägt neben der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Kläger auch diejenige seiner Angestellten Frau W.
Zur Glaubhaftmachung des Vortrages hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Ablichtung einer Seite seines Postausgangsbuchs vom vorgelegt. Diese enthält unter der laufenden Nummer 11461 in der Spalte 1 den Vermerk „BFH Revisionsbegr.…ESt 99 und 2000”, wobei die nächste Eintragung unmittelbar in der nächsten Zeile unter der Nummer 11463 vorgenommen wurde. Im Übrigen ist die Nummernfolge in der Spalte 1 fortlaufend.
Die Kläger beantragen, unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist das Urteil des FG aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1999 und 2000 in der Fassung der Einspruchsentscheidungen dahin gehend zu ändern, dass Unterhaltsleistungen im Jahr 1999 in Höhe von 13 020 DM und im Jahr 2000 in Höhe von 13 500 DM als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluss zu verwerfen (§§ 124 Abs. 1 Satz 2, 126 Abs. 1 FGO).
1. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Im Streitfall ist diese Frist für das am zugestellte Urteil nach § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs am abgelaufen. Die erst am beim BFH eingegangene Revisionsbegründung der Kläger war mithin verspätet, da die Revisionsbegründungsfrist nicht verlängert worden war (§ 120 Abs. 2 Satz 3 FGO).
2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann nicht gewährt werden.
a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 150/02, BFH/NV 2002, 1489, und vom XI B 186/02, BFH/NV 2003, 1589). Hiernach schließt jedes Verschulden —also auch einfache Fahrlässigkeit— die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
b) Im Streitfall scheitert die Wiedereinsetzung daran, dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger die vorgetragenen Wiedereinsetzungsgründe nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht hat.
aa) Wenn —wie im Streitfall— Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt wird, muss spätestens innerhalb von zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses substantiiert und in sich schlüssig vorgetragen werden, wie die Fristen im Büro des Prozessbevollmächtigten überwacht werden, wer für den rechtzeitigen Versand der fristwahrenden Schriftsätze verantwortlich war und weshalb diese Person kein Verschulden an der Versäumung der Frist trifft. Es ist insbesondere darzulegen, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die geeignet sind, die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (BFH-Beschlüsse vom V B 241/02, nicht veröffentlicht —n.v.—, juris, und in BFH/NV 2003, 1589). Dabei ist zu beachten, dass die Revisionsbegründungsfrist nicht zu den üblichen, häufig vorkommenden und einfach zu berechnenden Fristen gehört. Der Prozessbevollmächtigte ist daher bei der Prüfung und Überwachung des Personals zu besonderer Sorgfalt verpflichtet (, BFH/NV 2000, 470; , BFH/NV 2000, 1210; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 56 Anm. 20 —Büroversehen—).
Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Kläger in seinem Schriftsatz vom , seine seit über 20 Jahren bei ihm tätige Angestellte habe stets sehr zuverlässig gearbeitet und sei vorab auf die Wichtigkeit der Revisionsbegründungsschrift hingewiesen worden, genügt nicht den genannten Anforderungen zur Feststellung der ordnungsgemäßen Überwachung der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist. Insoweit fehlt zunächst jegliche Darstellung des Prozessbevollmächtigten der Kläger zur regelmäßigen Handhabung der Fristenkontrolle in seinem Büro und zur Überprüfung seines Personals bei der Einhaltung der Fristen. Dem Senat ist es daher aus diesem Grunde schon nicht möglich, das Fehlen eines Organisationsmangels des Prozessbevollmächtigten der Kläger bei der Einhaltung der Revisionsbegründungsfrist festzustellen. Der weitere Vortrag des Prozessbevollmächtigten der Kläger in seinem Schriftsatz vom ist erst mehrere Monate nach der am abgelaufenen Zweiwochenfrist und damit verspätet eingegangen. Abgesehen davon enthält auch dieser Schriftsatz keine Darlegung zur Einhaltung der Fristenkontrolle in seinem Büro.
Ferner ist im Streitfall auch die geschilderte konkrete Verfahrensweise des Prozessbevollmächtigten nicht geeignet, einen Wiedereinsetzungsgrund —und damit fehlendes Verschulden— zu begründen. Angesichts der Tatsache, dass die Revisionsbegründungsschrift nicht am mit der üblichen Geschäftspost bis 16.00 Uhr abgesandt wurde, sondern später mit weiterer Post von der Angestellten des Prozessbevollmächtigten der Kläger zum Briefkasten einer Post gebracht wurde, hätte es dem Prozessbevollmächtigten im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Revisionsbegründungsfrist und dem vom Üblichen etwas abweichenden Geschehensablauf oblegen, sich umgehend —spätestens am nächsten Morgen— bei der Angestellten nach dem Einwurf der Revisionsbegründungsschrift in den Briefkasten zu erkundigen. Es ist nicht auszuschließen, dass ihr der fehlende Einwurf dieses Umschlags in den Postbriefkasten aufgefallen wäre und sie sodann in ihrem PKW danach gesucht hätte. Das Unterlassen dieser Nachfrage durch den Prozessbevollmächtigten der Kläger ist insoweit zumindest als fahrlässig zu bewerten.
bb) Als präsentes Beweismittel i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 294 Abs. 2 ZPO hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger lediglich eine Ablichtung der Seite des Postausgangsbuchs vom vorgelegt. Diese ist jedoch schon deshalb nicht geeignet, die Richtigkeit seines Vortrages zu belegen, weil in der Zeile unmittelbar im Anschluss an die Eintragung der Revisionsbegründungsschrift unter der Nummer 11461 die Nummernfolge der Spalte 1 nicht eingehalten wurde, sondern die anschließende Nummer 11462 fehlt. Der nächste Absendevermerk ist schon unter der Nummer 11463 eingetragen. Alle anderen Eintragungen unter dem Datum des sind demgegenüber unter fortlaufenden Nummern vorgenommen worden. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Eintragung über die Absendung der Revisionsbegründungsschrift unter der Nummer 11461 erst nachträglich angebracht wurde, wofür im Übrigen auch das sich von allen anderen Eintragungen deutlich unterscheidende Schriftbild spricht.
Ferner fehlt vollständig die Vorlage einer Ablichtung des Fristenkontrollbuchs mit der Eintragung und Löschung der Frist aufgrund des festgestellten Postausgangs, das neben dem Postausgangsbuch als unabdingbares Mittel der Glaubhaftmachung für die aus Sicht des Prozessbevollmächtigten rechtzeitige Absendung der Revisionsbegründungsschrift gilt (BFH-Beschlüsse vom III B 146/96, BFH/NV 1997, 674; vom V B 184/02, n.v., juris, und vom X R 42/01, BFH/NV 2002, 533). Auch insoweit konnte sich der Senat daher nicht von der Richtigkeit des Vortrages des Prozessbevollmächtigten der Kläger überzeugen.
Schließlich ist als weiteres mögliches Mittel der Glaubhaftmachung auch keine eidesstattliche Versicherung zur Richtigkeit der Sachverhaltsschilderung des Prozessbevollmächtigten der Kläger durch seine Angestellte abgegeben worden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 533). Die Unterschrift der Angestellten unter die schriftliche Darstellung der Wiedereinsetzungsgründe stellt kein Mittel der Glaubhaftmachung i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 294 ZPO dar.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1312 Nr. 8
LAAAB-52984