BFH Beschluss v. - II B 39/04

Anwendung des § 41 Abs. 1 AO bei Besteuerung von Oddset-Wetten gemäß § 17 RennwLottG

Gesetze: RennwLottG §§ 17, 19; AO § 41

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bietet den Abschluss von Wetten auf den Eintritt bestimmter Ergebnisse ausgewählter Sportereignisse an. Der Kunde erhält beim Eintritt des von ihm vorausgesagten Ergebnisses seinen Einsatz multipliziert mit einer vom Kläger vorgegebenen Quote als Wettgewinn, andernfalls verfällt der Einsatz.

Ursprünglich legte der Kläger die Quote bereits vor Abschluss der jeweiligen Wette verbindlich fest. Kurz vor der zum in Kraft getretenen Ergänzung des § 17 des Rennwett- und Lotteriegesetzes (RennwLottG) um einen Tatbestand zur Besteuerung von Oddset-Wetten (Gesetz vom , BGBl I 2000, 715) nahm der Kläger in seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die folgende Regelung auf: „15. Die angegebenen Quoten sind variable Quoten. Sie fluktuieren auch nach Abschluss einer Wette. Die Wettquoten werden nach Wettannahmeschluss des gewetteten Ereignisses ermittelt.”

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) setzte gegen den Kläger für die Zeiträume April 2000 bis Dezember 2001 Rennwett- und Lotteriesteuer in Höhe von ... DM fest. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, der Kläger habe Wetten zu festen Quoten angeboten, weil Nr. 15 der AGB gegen § 10 Nr. 4 des —im Streitzeitraum noch anwendbaren— Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBG) verstoße und unwirksam sei. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass die Vertragsparteien das wirtschaftliche Ergebnis des unwirksamen Rechtsgeschäfts gleichwohl hätten eintreten und bestehen lassen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 der AbgabenordnungAO 1977—). Denn der Kläger habe auf eine entsprechende Anfrage des Gerichts für den Streitzeitraum lediglich zwei nachträgliche Quotenänderungen in der 20. Kalenderwoche des Jahres 2000 (richtig: 2001) angegeben.

Mit seiner wegen der Nichtzulassung der Revision erhobenen Beschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel.

II. Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein vom Kläger geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Die Rüge des Klägers, das FG habe schriftsätzliches Vorbringen übergangen, ist als Rüge der Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO zu werten.

Zum Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten (, BFH/NV 1986, 288). Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und damit eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die angefochtene Entscheidung darauf beruht (zusammenfassend , BFH/NV 2003, 337, m.w.N.).

2. Das FG hat ausgeführt, der Kläger habe „lediglich eine zweimalige Quotenänderung in der 20. Kalenderwoche des Jahres 2000 angegeben”. Tatsächlich hat der Kläger aber mit den umfangreichen Anlagen zu seinem Schriftsatz vom Vermerke über eine Vielzahl von Quotenänderungen vorgelegt und in dem Schriftsatz auf den Inhalt dieser Anlagen hingewiesen. Dabei kommt es im Rahmen dieses Verfahrens nicht darauf an, ob sich aus den vorgelegten Notizen der Mitarbeiter des Klägers für den Streitzeitraum 61 Quotenänderungen (so das FA) oder aber „weit über 100” Änderungen (so der Kläger) ergeben.

Anhaltspunkte dafür, dass das FG dieses Vorbringen des Klägers zwar zur Kenntnis genommen hat, die internen Notizen aber als nicht hinreichend beweiskräftig hat würdigen wollen, liegen nicht vor. Denn das FG geht davon aus, der Kläger habe von vornherein lediglich zwei Quotenänderungen „angegeben”. Dies entspricht indes nicht der Aktenlage.

Das angefochtene Urteil kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Zum einen ist das FG davon ausgegangen, dass nur Wetten zu festen Quoten den für Oddset-Wetten geltenden Steuertatbestand des § 17 RennwLottG erfüllen. Zum anderen kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass das FG hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 vorliegen, zu einem anderen Ergebnis —ggf. nach Durchführung weiterer Sachaufklärung— gekommen wäre, wenn es erkannt hätte, dass der Kläger eine größere Zahl von Quotenänderungen angegeben hatte.

3. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

Für das weitere Verfahren weist der Senat —ohne Bindungswirkung für das FG— darauf hin, dass die steuerrechtliche Beurteilung derjenigen Wetten, die tatsächlich nach einer von Anfang an vorgegebenen und unverändert gebliebenen Quote abgewickelt worden sind, durch § 41 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nicht beeinflusst wird. Insoweit handelt es sich wegen der zivilrechtlichen Unwirksamkeit von Nr. 15 der AGB —in der sich der Kläger eine weder tatbestandlich noch zeitlich begrenzte einseitige Änderungsbefugnis vorbehalten hat— um Wetten zu festen Odds.

§ 41 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist nur anwendbar, soweit die Vertragsparteien das wirtschaftliche Ergebnis eines unwirksamen Rechtsgeschäfts eintreten lassen. Dies bedeutet für den Streitfall, dass allenfalls insoweit Wetten zu variablen Quoten anzunehmen sind, als tatsächlich eine auf Nr. 15 der AGB gestützte nachträgliche Änderung der Quoten vorgenommen worden ist und der durch die Änderung benachteiligte Wettkunde dies akzeptiert hat bzw. —im Falle einer für den Wettkunden günstigen Änderung der Quoten— der Kläger tatsächlich Auszahlungen auf Basis der erhöhten Quote vorgenommen hat. Die Feststellungslast (objektive Beweislast) hierfür trägt der Kläger.

Das FG wird insbesondere auch darüber zu entscheiden haben, ob eine Anwendung des § 41 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 überhaupt zu einem rückwirkenden Wegfall des bereits entstandenen Steueranspruchs führen kann. Denn gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 RennwLottG entsteht die Steuer —auf der Grundlage der wegen der Unwirksamkeit von Nr. 15 der AGB zunächst vereinbarten festen Quoten— bereits, wenn die Wette verbindlich geworden ist. Dem erkennenden Senat ist eine Entscheidung dieser Rechtsfrage im Rahmen der anhängigen Nichtzulassungsbeschwerde verwehrt. Denn eine analoge Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde setzt voraus, dass die „anderen Gründe”, die die Entscheidung des FG trotz einer Verletzung des bestehenden Rechts als im Ergebnis richtig erscheinen lassen, ihrerseits frei von Zulassungsgründen sind (, BFH/NV 2004, 906, unter I.2.c bb). Die Frage des Verhältnisses zwischen § 19 Abs. 1 Satz 3 RennwLottG, § 41 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 und den Grundsätzen über die rückwirkende Beeinflussung bereits entstandener Steueransprüche ist jedoch selbst von grundsätzlicher Bedeutung.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1150 Nr. 7
KAAAB-52552