Frage der Unvereinbarkeit von DDR-Steuerbescheiden mit rechtsstaatlichen Grundsätzen bereits höchstrichterlich geklärt
Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; EinigVtr Art. 19
Instanzenzug:
Gründe
Die Beschwerde des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt —FA—) hat keinen Erfolg. Die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht geboten.
1. Die vom FA aufgeworfenen Fragen, unter welchen rechtlichen und insbesondere steuerrechtlichen Voraussetzungen Verwaltungsakte der Steuerbehörden der ehemaligen DDR nach Art. 19 Satz 2 des Einigungsvertrages (EinigVtr) aufgehoben werden können, und ob es insbesondere zulässig ist, die Aufhebung der Verwaltungsakte auf die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags und/oder allein auf die Feststellungen eines Gerichts (hier: Kammergericht) in einem Rehabilitierungsverfahren zu stützen (quasi als Grundlagenbescheide zu betrachten), hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
a) Es fehlt an der für die Revisionszulassung nach ständiger Rechtsprechung erforderlichen Klärungsbedürftigkeit der vom FA aufgeworfenen Rechtsfragen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Anm. 28; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 115 FGO Rz. 105 f.; Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 115 FGO Rz. 106; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 115 FGO Tz. 50). Sie sind durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt. Es sind keine neuen Gesichtspunkte erkennbar, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Rechtsfragen durch den BFH geboten erscheinen lassen (vgl. , BFH/NV 1996, 300).
Mit Urteil vom X R 146/93 (BFHE 177, 317, BStBl II 1995, 686) hat der beschließende Senat grundlegend zur Anwendung des Art. 19 Satz 2 EinigVtr auf vor dem Wirksamwerden des Beitritts der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland ergangene Steuerbescheide der früheren DDR-Steuerbehörden Stellung genommen. Danach ist ein Steuerbescheid i.S. von Art. 19 Satz 2 EinigVtr „mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar”, wenn er sich bei Würdigung seines Inhalts und der seinen Erlass begleitenden Gesamtumstände nach dem nicht widerlegten äußeren Anschein als mutmaßlich politisch motivierte Willkürmaßnahme darstellt. Weiter heißt es in der Entscheidung: Es bedarf einer Auslegung des Art. 19 EinigVtr, die zum einen dem in Satz 1 zum Ausdruck kommenden Ziel Rechnung trägt, „vor-rechtsstaatliche” Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung grundsätzlich wirksam bleiben zu lassen. Zum anderen ist es erforderlich, die Generalklausel des Art. 19 Satz 2 EinigVtr in ein Gesamtsystem einer Bewältigung des vielfältigen und vielgestaltigen DDR-Unrechts…einzuordnen und darüber hinaus zur besseren Handhabbarkeit rechtstechnisch zu präzisieren.…„Unvereinbar mit rechtsstaatlichen Grundsätzen” sind hiernach jedenfalls Verwaltungsakte, die einen Bezug zu einer alltäglichen sozialistischen „Gesetzlichkeit” nicht mehr erkennen lassen, weil sie…das Willkürverbot verletzen und/oder gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Solches ist vor allem dann anzunehmen, wenn ein Verwaltungsakt an schwerwiegenden Rechtsfehlern leidet und konkrete Umstände des Einzelfalls die Annahme einer politisch-sachwidrigen Motivation der DDR-Behörden, mithin einen Missbrauch des Steuerrechts zu sachwidrigen Zwecken, nahe legen. Unter dieser Voraussetzung kann es nicht dem Steuerpflichtigen obliegen nachzuweisen, dass eine vor allem politisch motivierte Willkür tatsächlich ursächlich für eine gesetzwidrige Besteuerung war.…Auf der Grundlage des EinigVtr ist eine Reihe von Gesetzen zur Aufarbeitung einer „vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit” geschaffen worden. Das Recht der Rehabilitierung bietet Anhaltspunkte dafür, dass Maßnahmen insbesondere der politisch motivierten Willkür und die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht hingenommen werden.…Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz —VwRehaG— vom , BGBl I 1994, 1311) sind bestimmte Maßnahmen von Behörden der ehemaligen DDR auf Antrag aufzuheben, „soweit sie mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechthin unvereinbar (sind) und ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken”. Mit den tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates unvereinbar sind „Maßnahmen, die in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstoßen und die der politischen Verfolgung gedient oder Willkürakte im Einzelfall dargestellt haben” (§ 1 Abs. 2 VwRehaG).…Zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen, die eine Aufhebung rechtfertigen, rechnet die Begründung zum Regierungsentwurf die Elemente des formellen Rechtsstaatsbegriffs und die materiellen Elemente Gerechtigkeit, Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit. Nur Verstöße erheblicher Intensität vermögen diesen Kernbestand zu verletzen. Ein besonderes Indiz für einen solchen Verstoß sind Maßnahmen der politischen Verfolgung oder Willkürakte im Einzelfall.…Das VwRehaG findet keine Anwendung u.a. auf Verwaltungsentscheidungen in Steuersachen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG). Die Begründung zum Regierungsentwurf (BTDrucks 12/4994, S. 22) führt hierzu aus, für den Bereich der Steuerverwaltung habe der Bundesminister der Finanzen (BMF) im Schreiben vom (BStBl I 1991, 793) die Voraussetzungen für die Anwendung des Art. 19 EinigVtr festgelegt. Die dort aufgestellten Grundsätze für ein Wiederaufgreifen abgeschlossener Verfahren entsprächen „weitgehend den Regelungen des VwRehaG”.
Damit ist rechtsgrundsätzlich geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein von DDR-Steuerbehörden erlassener Steuerverwaltungsakt gemäß Art. 19 Satz 2 EinigVtr aufgehoben werden kann. Insbesondere macht die Senatsentscheidung die vom FA angesprochene Frage der Bedeutung des Rechts der Rehabilitierung im Rahmen einer Entscheidung nach Art. 19 Satz 2 EinigVtr deutlich.
b) Im Übrigen hat das FA keine genügenden (substantiierten) Ausführungen zur Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen gemacht. Sie ist auch nicht gegeben. Denn das Finanzgericht (FG) hat sich nicht, wie das FA offensichtlich annimmt, an die Beurteilung des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags und des Kammergerichts gebunden gefühlt, sondern unter Berücksichtigung der Ermittlungsergebnisse bzw. der dort getroffenen Feststellungen eine eigene Entscheidung entsprechend den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung getroffen. So ist das FG nach eingehender Würdigung des Inhalts der streitigen Steuerverwaltungsakte zu dem Ergebnis gekommen, dass die angenommene Rechtswidrigkeit nicht „nur” auf (einfacher) fehlerhafter Rechtsanwendung beruht, sondern Ausdruck einer politisch motivierten Willkürmaßnahme ist, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaats schlechthin i.S. des Art. 19 EinigVtr unvereinbar ist mit der Folge, dass diese Bescheide aufzuheben sind.
2. Die Ausführungen des FA genügen nicht den Anforderungen an die schlüssige Darlegung eines Zulassungsgrunds i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO. Dieser Zulassungsgrund (Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung”) erfasst zwar auch die vom FA behauptete Abweichung der angefochtenen Vorentscheidung von Entscheidungen des BFH oder anderer Gerichte. Voraussetzung für eine erfolgreiche Divergenzrüge ist jedoch, dass das FG seinem Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit einem entscheidungserheblichen Rechtssatz des BFH oder eines anderen Gerichts nicht übereinstimmt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 46). Um eine Abweichung feststellen zu können, müssen in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die voneinander abweichenden abstrakten Rechtssätze herausgearbeitet und gegenübergestellt werden (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Anm. 42; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 116 FGO Rz. 186).
Daran fehlt es im Streitfall. Soweit das FA eine Abweichung der angefochtenen Vorentscheidung von dem (BFH/NV 1996, 874) gerügt hat, hat es keinen in dem angegriffenen FG-Urteil enthaltenen Rechtssatz benennen können, der von der zitierten Aussage in dem bezeichneten BFH-Urteil, „dass das VwRehaG keine Anwendung u.a. auf Verwaltungsentscheidungen in Steuersachen findet”, abweicht. Das Vorbringen des FA, das FG habe auf Seite 17 seines Urteils ausgeführt, „dass die Entscheidung des Kammergerichts tragend für die eigene Entscheidung sei und das FG hieran 'gebunden' sei”, ist nicht nachvollziehbar. Eine solche Aussage findet sich im angefochtenen Urteil nicht.
Soweit das FA des Weiteren beanstandet hat, dass das FG „von einer bewussten und willkürlichen Schätzung der Besteuerungsgrundlagen” ausgegangen sei, „ohne sich mit den vom BFH aufgestellten Grundsätzen für die Schätzung im sog. Verkaufswertverfahren…auseinander zu setzen”, fehlt es an der Herausarbeitung und Gegenüberstellung von bestimmten abstrakten und tragenden Rechtssätzen sowohl aus der angefochtenen Vorentscheidung als auch aus der vermeintlichen Divergenzentscheidung des BFH. Letzteres trifft auch in Bezug auf die weitere Rüge des FA zu, das FG sei von dem abgewichen.
3. Die gegen die Entscheidung des FG erhobenen Einwände des FA stellen sich zumindest in Teilen der Sache nach als Einwendungen gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils dar. Diese können im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg führen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom X B 25/99, BFH/NV 1999, 1612, m.w.N. der Rechtsprechung).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 166
BFH/NV 2005 S. 166 Nr. 2
DAAAB-36846