BFH Beschluss v. - IX B 41/04

Kein Vertrauensschutz aufgrund früherer Veranlagungspraxis des FA

Gesetze: FGO § 96 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde, deren Verfahrensgegner das Finanzamt (FA) X nach der Zusammenlegung der Finanzämter A und B geworden ist, ist unbegründet.

1. Entgegen der Ansicht der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erfordert die Rechtsfrage,

ob die jahrelange Anerkennung eines steuermindernden Tatbestands durch das FA eine geänderte Beurteilung in einem späteren Veranlagungszeitraum zulässt, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Veranlagungspraxis Unterlagen zum Nachweis des steuermindernden Tatbestands nicht mehr aufbewahrt hat und deshalb das Vorliegen des Tatbestands nicht mehr nachweisen kann,

keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil diese Rechtsfrage geklärt ist.

a) So gebietet der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass das FA in jedem Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut prüft und rechtlich würdigt.

Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung muss es zum frühest möglichen Zeitpunkt aufgeben, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut haben sollte (, BFH/NV 1991, 217, mit Nachweisen der BFH-Rechtsprechung). Dies gilt selbst dann, wenn die —fehlerhafte— Auffassung im Prüfungsbericht niedergelegt worden ist (, BFHE 80, 446, BStBl III 1964, 634), die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige, für den Steuerpflichtigen günstige Auffassung vertreten hat (, BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749) oder der Steuerpflichtige im Vertrauen darauf disponiert hat (, BFHE 157, 516, BStBl II 1989, 879; vom IX R 17/90, BFHE 171, 452, BStBl II 1993, 834).

b) Vertrauensschutz kommt nach dieser Rechtsprechung nur in Betracht, soweit der Vorsteher oder der zuständige Sachgebietsleiter dem Steuerpflichtigen eine bestimmte rechtliche Behandlung zugesagt oder das FA —anders als im Streitfall— durch sein früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (, BFHE 170, 41, BStBl II 1993, 289, unter 5.b). Für die Annahme eines solchen Vertrauenstatbestandes genügt es nicht, dass das FA in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen einen streitigen Werbungskostenüberschuss berücksichtigt hat (, BFHE 184, 406, BStBl II 1998, 771).

c) In der Rechtsprechung des BFH ist des Weiteren geklärt, dass die Regeln einer strengen Überzeugungsbildung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) bei einer durch die langjährige Praxis des FA veranlassten Beweisnot des Steuerpflichtigen bei plötzlich geänderter tatsächlicher Würdigung durch das FA angemessen abzumildern sind, wenn die frühere Sachverhaltswürdigung tatsächlich möglich war und nicht —im Sinne der Ausführungen unter 1.a— auf einem in der Folgezeit korrigierbaren Rechtsfehler beruht (vgl. , BFHE 188, 264, BStBl II 1999, 407; vom XI R 36/99, BFH/NV 2000, 1196). Dies setzt allerdings voraus, dass der Steuerpflichtige bei der späteren erneuten Überprüfung alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts beiträgt (, BFHE 199, 335, BStBl II 2003, 578).

d) Der Vortrag der Kläger weist keine in der vorbezeichneten Rechtsprechung unerörtert gebliebenen wesentlichen Gesichtspunkte aus, die eine erneute Befassung des BFH mit der Frage des Vertrauensschutzes aufgrund früherer rechtlicher oder tatsächlicher Würdigungen des FA aufwerfen könnten.

Insbesondere ergibt der Hinweis der Kläger auf § 444 der Zivilprozessordnung (ZPO) eine solche Notwendigkeit nicht. Die Vorschrift gehört zu den beweisrechtlichen Regelungen der ZPO, die der Gesetzgeber bewusst nicht in die FGO übernommen hat, um die richterliche Beweiswürdigung im finanzgerichtlichen Verfahren nicht einzuengen; sie können daher allenfalls beachtlich sein, soweit sie allgemeine Rechtsgrundsätze enthalten (vgl. dazu , BFHE 95, 395, BStBl II 1969, 444, vom VIII R 36-37/69, BFHE 108, 141, BStBl II 1973, 271).

Dementsprechend kann § 444 ZPO für den Bereich der FGO allenfalls der allgemeine Rechtsgedanke entnommen werden, dass eine arglistige oder jedenfalls vorsätzliche Vereitelung der Urkundenvorlage im Rahmen freier Beweiswürdigung zugunsten des gegnerischen Vorbringens gewertet werden kann (Stöcker in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 82 FGO Rz. 231).

Mit einer solchen Beweisvereitelung kann eine bestimmte rechtliche oder tatsächliche Würdigung durch das FA im Rahmen einer früheren Steuerveranlagung entgegen der Auffassung der Kläger offenkundig nicht gleichgesetzt werden. Diese ist regelmäßig ausschließlich auf das jeweilige Veranlagungsverfahren bezogen; die daraus vom Steuerpflichtigen gezogenen Schlüsse (ggf. auch hinsichtlich der Notwendigkeit einer Beweisvorsorge in künftigen Veranlagungszeiträumen) sind infolgedessen allein der Verantwortungssphäre des Steuerpflichtigen zuzurechnen (vgl. BFH-Urteil in 157, 516, BStBl II 1989, 879 zur grundsätzlich fehlenden Bindung des FA an seine in Vorjahren vertretene Auffassung zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Sachspenden).

2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Insoweit fehlt es schon an der gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO und der dazu ergangenen Rechtsprechung notwendigen Darlegung, von welchen Entscheidungen anderer Gerichte das angefochtene Urteil abgewichen ist (vgl. dazu , BFH/NV 2003, 803).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 68
BFH/NV 2005 S. 68 Nr. 1
IAAAB-35868