BFH Urteil v. - V R 23/02 BStBl 2004 II S. 763

Änderung nach § 174 AO, wenn zwei rkr. FG-Urteile einander widersprechen

Leitsatz

Stehen sich zwei Urteile in unvereinbarer Weise gegenüber, so ist die Wirkung der Rechtskraft, in Bezug auf einen bestimmten, unveränderten Sachverhalt Rechtsfrieden zu schaffen, aufgehoben. § 174 AO 1977 ist anwendbar.

Gesetze: AO 1977 § 174FGO § 110

Instanzenzug: (EFG 2002, 886) (Verfahrensverlauf), , , ,

Gründe

I.

Streitig ist, ob und ggf. inwieweit der Änderung des Umsatzsteuerbescheides für 1983 nach § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977) das rechtskräftige entgegenstand.

Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Konkursverwalter über das Vermögen der A-GmbH (GmbH). Diese hatte verschiedenen Sicherungsnehmern Kfz sicherungshalber übereignet, u.a. der V-Bank zwei Fahrzeuge (Fahrgestell-Nr. 817438 und Fahrgestell-Nr. 805849). Nach Eröffnung des Konkursverfahrens am gab der Kläger noch im Jahr 1982 die Kfz gegenüber der Sicherungsnehmerin aus der Konkursmasse frei. Die V-Bank verwertete die Kfz in 1983.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) war der Auffassung, mit der Verwertung der freigegebenen Kfz sei endgültig die Verfügungsmacht auf den Sicherungsnehmer, die V-Bank, übergegangen, und erfasste die Lieferung der zwei Fahrzeuge (Fahrgestell-Nr. 817438, Nettoerlös 280 014 DM und Fahrgestell-Nr. 805849, Nettoerlös 150 007 DM) im Umsatzsteuerbescheid für 1983 vom (Umsatzsteuer 55 902,73 DM). Der Kläger focht diesen Bescheid mit Einspruch und Klage an. Im Verlauf des Klageverfahrens gelangten der Kläger und das FA übereinstimmend zur Auffassung, dass dieser Umsatz im Jahr 1982 zu erfassen sei. Im Urteil vom (10 K 5042/88) stellt das FG hierzu fest:

„Im Laufe des Klageverfahrens ist zwischen den Beteiligten unstreitig geworden, dass die im angefochtenen Bescheid festgesetzte Umsatzsteuer zu ermäßigen ist um die Umsatzsteuer in Höhe von 55.902,73 DM, die aus der Verwertung durch die V-Bank angefallen ist. Die Herausgabe der sicherungsübereigneten KFZ durch den Gemeinschuldner an die V-Bank ist insoweit bereits im Jahre 1982 erfolgt, so dass die Umsatzsteuer in diesem Jahre anzusetzen ist. Die Beteiligten sind sich ferner darüber einig, dass durch weitere, nachträglich bekannt gewordene Verwertungshandlungen durch die anderen Sicherungsnehmer Mehrwertsteuer in Höhe von 22.111,86 DM in 1983 angefallen ist.”

In den Gründen führt das FG zu den an die V-Bank übereigneten Kfz lediglich aus: „Der angefochtene Bescheid ist soweit zu ändern, als über den Betrag von 22.111,86 DM hinaus Umsatzsteuer gegen den Kläger festgesetzt worden ist. Hierbei handelt es sich unstreitig um Umsatzsteuer, die, wie ausgeführt, das Jahr 1982 betrifft.”

Das FG setzte die Umsatzsteuer 1983 auf 22 111,86 DM fest. Das Urteil wurde rechtskräftig.

In Übereinstimmung hiermit hatte das FA bereits vor dem Abschluss des Klageverfahrens die Freigabe der beiden der V-Bank sicherungshalber übereigneten Fahrzeuge (Fahrgestell-Nr. 817438 und Fahrgestell-Nr. 805849) als Lieferung beurteilt und diese im geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1982 (vom ) mit 55 900 DM erfasst.

Im Einspruchsverfahren gegen diesen Bescheid teilte der Kläger die Erlöse aus der Verwertung von drei weiteren ebenfalls der V-Bank zur Sicherung übereigneten, 1982 zur Verwertung freigegebenen und 1983 verwerteten Kfz (Fahrgestell-Nrn. 806880, 817311, 805932) mit, die das FA bisher noch nicht berücksichtigt hatte. Das FA änderte danach am den Umsatzsteuerbescheid für 1982 und erhöhte die Umsatzsteuer für 1982 um 65 448,67 DM auf 121 348,67 DM (Erlös brutto 568 900 DM, netto 503 451,33 DM); zugleich wies es darauf hin, durch die Änderung des Bescheides habe sich der Einspruch nicht erledigt und werde fortgesetzt. Auf Anregung des Klägers ließ das FA dieses Einspruchsverfahren gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1982 bis zur Entscheidung des FG im Verfahren wegen Umsatzsteuer 1983 (10 K 5042/88) ruhen.

Im Anschluss an das betreffend Umsatzsteuer 1983 (10 K 5042/88) wies das FA den Einspruch des Klägers gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1982 ab.

Mit der hiergegen erhobenen Klage machte der Kläger nunmehr geltend, nicht im Jahr der Freigabe (1982), sondern erst im Jahr der Verwertung (1983) habe er die Kfz an die V-Bank, die Sicherungsnehmerin, geliefert. Dies ergebe sich aus dem (BFHE 175, 164, BStBl II 1994, 878). Danach stelle eine Vereinbarung, nach der der Sicherungsgeber dem Sicherungsnehmer das Sicherungsgut zur Verwertung freigebe und auf sein Auslöserecht verzichte, noch keine Lieferung des Sicherungsguts an den Sicherungsnehmer dar. Die Umsätze dürften deshalb —entgegen der einvernehmlich im Verfahren gegen den Umsatzsteuerbescheid für 1983 vertretenen Auffassung— nicht im angefochtenen Umsatzsteuerbescheid für 1982, sondern erst im Umsatzsteuerbescheid für 1983 erfasst werden.

Das FG wies mit Urteil vom (2 K 971/95) diese Klage unter Hinweis auf die Grundsätze von Treu und Glauben ab. Mit Urteil vom XI R 66/96 (BFH/NV 1997, 738, Deutsches Steuerrecht —DStR— 1997, 1205, mit Anm. Weber-Grellet) hob der BFH dieses Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.

Er führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der Aufhebung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids für 1982 stünden die Grundsätze von Treu und Glauben nicht entgegen, denn der Kläger habe seine Auffassung nicht treuwidrig der jeweiligen Prozesslage angepasst, sondern sich berechtigterweise an der nach Abschluss des Verfahrens über den Umsatzsteuerbescheid 1983 ergangenen BFH-Rechtsprechung (Urteil in BFHE 175, 164, BStBl II 1994, 878) orientiert. Auch stehe die Rechtskraft des FG-Urteils im Verfahren gegen den Umsatzsteuerbescheid 1983 (Urteil vom   10 K 5042/88) einer Änderung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids 1982 nicht entgegen, weil sich jenes Urteil nur mit der Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerbescheids 1983 befasst, nicht aber über die Umsatzsteuer 1982 entschieden habe. So könnten auch für einen späteren Veranlagungszeitraum die steuerlichen Konsequenzen gemäß § 174 Abs. 4 AO 1977 aus einem rechtskräftigen Urteil gezogen werden, ohne dass das FA oder sonst jemand an die in dem Urteil geäußerte Rechtsansicht gebunden wäre. Selbst wenn eine Änderung nach § 174 AO 1977 für das Folgejahr nicht möglich sein sollte, sei der angefochtene Bescheid zu ändern, da § 174 AO 1977 nur die Änderung als Folge der zuvor unzutreffenden Erfassung eines bestimmten Sachverhaltes betreffe, nicht aber die zutreffende Erfassung verhindern könne.

Das FG hob daher im zweiten Rechtsgang den Umsatzsteuerbescheid 1982 mit Urteil vom (8 K 5404/97) auf. Erst die Verwertung des Sicherungsguts in 1983 sei —als sog. Doppelumsatz— zugleich auch beim Kläger im Umsatzsteuerbescheid für 1983 zu erfassen.

Im Anschluss an dieses Urteil und unter Hinweis darauf änderte das FA durch den im vorliegenden Verfahren angefochtenen Umsatzsteuer-Änderungsbescheid vom die Umsatzsteuerfestsetzung für 1983 (Umsatzsteuerfestsetzung durch das ) gemäß § 174 Abs. 4 AO 1977 und erhöhte die Umsatzsteuerschuld für 1983 um 124 800 DM.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger wiederum Einspruch ein, mit der Begründung, § 174 Abs. 4 AO 1977 sei nicht anwendbar. Der Einspruch hatte —mit Ausnahme einer Korrektur des Erhöhungsbetrages aufgrund eines Rechenfehlers auf 121 348,67 DM— keinen Erfolg.

Das FG gab der Klage zum Teil statt. Es vertrat im Wesentlichen die Auffassung, die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO 1977 lägen vor; die Einschränkung des § 174 Abs. 4 Satz 4 AO 1977 greife nicht. Die Verwertungserlöse seien aufgrund übereinstimmender Ansicht der Beteiligten im finanzgerichtlichen Verfahren wegen Umsatzsteuer 1983 () nicht berücksichtigt worden. Dort seien alle Beteiligten davon ausgegangen, dass der Sachverhalt „Verwertungserlöse -…V-Bank” bei der Steuerfestsetzung des Jahres 1982 zu erfassen sei.

Zu Unrecht habe jedoch das FA die Umsätze aus der Verwertung der zwei Kfz mit der Fahrgestell-Nr. 817438 und 805849 in Höhe von 55 902,73 DM erfasst; denn (nur) insoweit stehe der Änderung nach § 174 Abs. 4 AO 1977 die Rechtskraft (§ 110 der FinanzgerichtsordnungFGO—) des FG-Urteils betreffend den Umsatzsteuerbescheid für 1983 vom (10 K 5042/88) entgegen. Nicht Gegenstand dieses Verfahrens sei jedoch die Verwertung der anderen drei Kfz (Fahrgestell-Nrn. 806880, 817311, 805932) gewesen; denn weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen des FG-Urteils seien die Erlöse aus den Verwertungshandlungen dieser drei Kfz erwähnt. Das FG habe die vom Kläger mit Schreiben vom im Verfahren wegen Umsatzsteuer 1982 genannten Verwertungserlöse in seine tatsächlichen Feststellungen nicht mit einbezogen. Der Lebenssachverhalt, der der Entscheidung des Verfahrens 10 K 5042/88 und der Entscheidung des Verfahrens 8 K 5404/97 zugrunde lag, sei nur teilweise identisch gewesen.

Hiergegen wenden sich sowohl das FA als auch der Kläger mit der Revision.

Der Kläger beantragt hinsichtlich der verspätet eingegangenen Revisionsbegründung Wiedereinsetzung gemäß § 56 FGO.

In der Sache trägt er vor, die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 1983 sei bereits am abgelaufen, weil an diesem Tag die Revisionsfrist gegen das ) abgelaufen sei. Hilfsweise stehe der Änderung die Rechtskraft des (Umsatzsteuer 1982) entgegen.

Er beantragt, das angefochtene Urteil vom (15 K 7740/99) und den Umsatzsteueränderungsbescheid 1983 vom i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Das FA beantragt, das ), soweit die Klage nicht abgewiesen wurde, aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Es trägt vor, bei zwei einander widersprechenden Urteilen habe, wie sich aus § 110 Abs. 2 FGO ergebe, § 174 Abs. 4 AO 1977 Vorrang.

II.

Die Revision des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Auf die Revision des FA wird das FG-Urteil aufgehoben, soweit es der Klage stattgegeben hat; die Klage wird abgewiesen.

1. Die Revision des Klägers ist zulässig. Der Kläger hat zwar die Revisionsbegründungsfrist versäumt; ihm war jedoch gemäß § 121 i.V.m. § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Das FG hat die Revision im angefochtenen Urteil zugelassen; sie war deshalb nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Revisionsbegründung des Klägers gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am zugestellte Urteil ist zwar erst am und damit verspätet beim BFH eingegangen. Dem Kläger ist jedoch gemäß § 56 Abs. 1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren; denn er war ohne Verschulden verhindert, die Frist des § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO einzuhalten.

Der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass sein Prozessbevollmächtigter am Abend des , dem Tag des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist, in der Zeit von 21.20 Uhr bis 23.31 Uhr mehrfach versucht hat, die Revisionsbegründung an den BFH zu faxen und auf Grund eines —nach den Ermittlungen des Senats seinerzeit vorliegenden— Defektes des Empfangsgerätes des BFH gehindert war, die Frist zur Revisionsbegründung einzuhalten.

2. Die Revision des Klägers ist unbegründet; die Revision des FA führt im Umfang der Klagestattgabe zur Aufhebung des Urteils und zur Abweisung der Klage.

§ 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 erlaubt für den Fall, dass aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgen gezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird (§ 174 Abs. 4 Satz 2 AO 1977).

Diese Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 lagen im Streitfall vor (a). Entgegen der Auffassung des Klägers war die Änderungsbefugnis nicht nach § 174 Abs. 4 Satz 4 AO 1977 i.V.m. § 174 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 (Festsetzungsverjährung) begrenzt (b). Der Änderung durch das FA nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 stand weder ganz —wie der Kläger meint— noch teilweise —wie vom FG vertreten— das rechtskräftige ) betreffend Umsatzsteuer 1983 entgegen (c).

a) Irrige Beurteilung i.S. § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 eines Sachverhalts bedeutet, dass sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts nachträglich als unrichtig erweist. Sachverhalt i.S. des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO 1977 ist der einzelne Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft. Der Begriff des bestimmten Sachverhalts ist dabei nicht auf eine einzelne steuererhebliche Tatsache oder ein einzelnes Merkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für diese Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex. Unerheblich ist, ob der für die rechtsirrige Beurteilung ursächliche Fehler im Tatsächlichen oder im Rechtlichen gelegen hat (z.B. , BFHE 195, 14, BStBl II 2001, 562).

Im Streitfall hat —auf entsprechenden Antrag des Klägers— das ) im Anschluss an das Urteil des BFH in BFH/NV 1997, 1204 entschieden, dass der hier streitige Sachverhalt, die Verwertung der der V-Bank sicherheitshalber übereigneten Kfz, nicht im Jahr der Freigabe, im Jahr 1982 und damit nicht im Umsatzsteuerbescheid für 1982, sondern im Jahr der tatsächlichen Verwertung der Kfz durch den Sicherungsnehmer, im Jahr 1983 und damit im Umsatzsteuerbescheid für 1983 zu erfassen ist. Das FA hat durch Erlass des geänderten Umsatzsteuerbescheides für 1983 am innerhalb eines Jahres seit der Aufhebung des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides für 1982 die Verwertung der Kfz durch die V-Bank im Umsatzsteuerbescheid für 1983 erfasst. Es hat damit die zutreffenden rechtlichen Folgerungen aus der Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides für 1982 durch das FG gezogen (§ 174 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO 1977), denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH scheidet bei Freigabe an den Sicherungsnehmer —wie hier— erst im Zeitpunkt der Veräußerung durch den Sicherungsnehmer der Gegenstand (auch wirtschaftlich) endgültig aus dem Vermögen des Sicherungsgebers aus und wird diesem i.S. des § 3 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG) die Verfügungsmacht daran verschafft. Deshalb bedeutet die Lieferung des Sicherungsnehmers an den Erwerber zugleich eine Lieferung des Sicherungsgebers an den Sicherungsnehmer (vgl. z.B. , BFHE 173, 458, BStBl II 1994, 483; vom V R 114/91, BFHE 175, 164, BStBl II 1994, 878; vom XI R 87/96, BFHE 182, 444, BStBl II 1997, 585; , BFH/NV 1999, 680).

b) Entgegen der Auffassung des Klägers stand der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 1983 durch Bescheid vom nicht der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen.

Nach § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 ist der Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 169 AO 1977) grundsätzlich unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen —wie im Streitfall— innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides gezogen werden. War allerdings die Festsetzungsfrist für den später geänderten Steuerbescheid (hier für die Umsatzsteuerfestsetzung für 1983) bereits abgelaufen, als der später aufgehobene oder geänderte Bescheid (hier der Umsatzsteuerbescheid für 1982) erlassen wurde, erlaubt § 174 Abs. 4 Satz 4 AO 1977 eine Änderung nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO 1977: Eine Änderung ist dann nur zulässig, wenn ein bestimmter Sachverhalt in einem Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt würde, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt.

Diese Voraussetzung ist im Streitfall jedoch offensichtlich erfüllt; denn zwischen den Beteiligten war auch im Verfahren wegen Umsatzsteuer 1982 allein streitig die Frage, in welchem Veranlagungszeitraum —1982 oder 1983— die Freigaben der an die V-Bank zur Sicherung übereigneten Kfz durch den Konkursverwalter, den Kläger, als Lieferungen im Umsatzsteuerbescheid für 1982 zu erfassen waren.

c) § 110 FGO, der in bestimmten Grenzen die Bindungswirkung rechtskräftiger Urteile anordnet, hinderte die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 1983 durch den Bescheid vom nicht.

Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Nach § 110 Abs. 2 FGO bleiben die Vorschriften der AO 1977 und anderer Steuergesetze über die Rücknahme, Widerruf, Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten unberührt, soweit sich aus Abs. 1 Satz 1 nichts anderes ergibt. Das ist auch dann der Fall, wenn sich —wie hier— mit dem (zur Umsatzsteuer 1983) und mit dem (zur Umsatzsteuer 1982) zwei Urteile in unvereinbarer Weise gegenüberstehen.

Denn die Rechtskraft dient —ebenso wie die als Folge des Ablaufs der Festsetzungsfrist eintretende Bestandskraft des Steuerbescheides— dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., § 151 I.). Die Rechtskraftwirkung in dem in § 110 FGO umschriebenen Rahmen soll verhindern, dass die aus einem festgestellten Sachverhalt hergeleitete Rechtsfolge, über die durch ein Urteil rechtskräftig entschieden worden ist, erneut zum Gegenstand eines Rechtsstreites gemacht werden kann. Diese Situation ist aber nicht gegeben, wenn zwei rechtskräftige Entscheidungen einander widersprechen (Weber-Grellet, DStR 1997, 1205; vgl. , nicht veröffentlicht, S. 10 a.E.).

Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 763
BB 2004 S. 2619 Nr. 48
BFH/NV 2004 S. 1125 Nr. 8
BFH/NV 2005 S. 1125
BStBl II 2004 S. 763 Nr. 18
DB 2004 S. 1650 Nr. 31
DStRE 2004 S. 1106 Nr. 18
INF 2004 S. 642 Nr. 17
NWB-Eilnachricht Nr. 50/2005 S. 4265
StB 2004 S. 326 Nr. 9
VAAAB-24346