BFH Urteil v. - VIII R 75/00

Kein Kindergeld während einer Übergangszeit von mehr als vier Monaten

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die 1976 geborene T, die Tochter des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger), brach Ende Februar 1997 ein Studium ab. Im Februar 1997 bewarb sie sich für ein Diakonisches Jahr in X (Ausland). Im März 1997 nahm sie an einem Auswahlwochenende teil und entschied sich am für die Teilnahme an dem Diakonischen Jahr. Sie leistete es vom bis zum in X ab. Dabei handelt es sich, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, um die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) hob die Festsetzung des Kindergeldes für T für die Zeit von März bis August 1997 auf und forderte danach zuviel gezahltes Kindergeld in Höhe von 1 320 DM zurück. Auf den Einspruch des Klägers änderte der Beklagte den Bescheid dahin gehend, dass er die Festsetzung des Kindergeldes nur noch für die Monate April bis August 1997 aufhob und danach zuviel gezahltes Kindergeld in Höhe von 1 100 DM zurückforderte. Im Übrigen wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 382 veröffentlichten Gründen statt.

Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, dass T im streitigen Zeitraum weder für einen Beruf ausgebildet worden sei noch sich in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befunden habe.

Der Beklagte beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Dem Kläger steht Kindergeld für T für die Zeit von April bis August 1997 nicht zu. Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wurde im Streitjahr 1997 für das Kindergeld berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wurde (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG), sich in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten von höchstens vier Monaten befand (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG), eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen konnte (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG) oder ein freiwilliges soziales Jahr oder ein freiwilliges ökologisches Jahr ableistete (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG). Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, wurde gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG außerdem dann berücksichtigt, wenn es arbeitslos war und der Arbeitsvermittlung im Inland zur Verfügung stand. Keine dieser Voraussetzungen ist im Streitfall gegeben.

a) T vollendete zwar das 21. Lebensjahr erst im Mai 1997 und war in der Zeit von April bis August 1997 arbeitslos. Sie stand jedoch im Zeitraum April und Mai 1997 nicht der Arbeitsvermittlung im Inland zur Verfügung und kann deshalb nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG für das Kindergeld berücksichtigt werden.

b) Unstreitig absolvierte T in der Zeit von April bis August 1997 auch keine Ausbildung und leistete kein freiwilliges soziales oder freiwilliges ökologisches Jahr, so dass ihre Berücksichtigung für das Kindergeld weder nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG noch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG in Betracht kommt.

c) T ist auch nicht deshalb gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG zu berücksichtigen, weil sie darauf wartete, ihren Platz für die Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres antreten zu können. Die Ableistung eines freiwilligen sozialen Jahres ist nämlich grundsätzlich keine Berufsausbildung i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG mit der Folge, dass das Warten auf den Beginn des freiwilligen Dienstes regelmäßig nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG begünstigt ist.

In Berufsausbildung befindet sich derjenige, der sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (, BFHE 189, 88, 92, BStBl II 1999, 701, 703). Der Vorbereitung dienen hierbei alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523, m.w.N.).

Ein freiwilliges soziales Jahr ist danach grundsätzlich keine Berufsausbildung, denn es dient in der Regel nicht der Vorbereitung auf einen konkret angestrebten Beruf, sondern der Erlangung sozialer Erfahrungen und der Stärkung des Verantwortungsbewusstseins für das Gemeinwohl (§ 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom , BGBl I 1964, 640). Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Ableistung eines solchen freiwilligen sozialen Jahres grundsätzlich keine Berufsausbildung darstellt (vgl. BTDrucks IV/2138, S. 2).

Dies schließt allerdings nicht aus, dass in Einzelfällen ein solcher freiwilliger Dienst der Vorbereitung auf ein konkretes Berufsziel, z.B. den Beruf des Sozialarbeiters (BTDrucks IV/2138, S. 2), dienen kann. Nach den vom FG getroffenen Feststellungen sind im Streitfall hierfür sprechende Umstände jedoch nicht ersichtlich.

§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ist auch nicht sinngemäß auf den Fall anwendbar, dass ein Kind auf eine Stelle zur Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres warten muss. Eine Gesetzeslücke besteht insoweit nicht. Wie sich aus den Ausführungen unter 1.c) ergibt, wertet der Gesetzgeber die Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres grundsätzlich nicht als Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG.

d) T befand sich auch nicht in einer Übergangszeit i.S. von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung.

aa) Hierbei kann offen bleiben, ob diese Vorschrift in der vor der Einführung des Zweiten Gesetzes zur Familienförderung vom (BGBl I, 2074) geltenden Fassung die Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres überhaupt erfasst (so Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes —DA-FamEStG— 63.3.3 Abs. 2, BStBl I 1997, 3, 7, 14; Korn/Greite, Einkommensteuergesetz, § 32 Rz. 48; Jachmann in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 32 Rdnr. C 22; a.A. Heuermann in Blümich, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, § 32 EStG Rz. 82a; , EFG 2000, 18; , EFG 2001, 1304).

Selbst wenn § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG auch in der bis zum geltenden Fassung auf eine solche Übergangszeit anzuwenden sein sollte, würde die Vorschrift im Streitfall nicht eingreifen, weil sie nur eine Übergangszeit von höchstens vier Monaten begünstigt; dieser Zeitraum ist hier überschritten. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift kommt bei Überschreiten der Übergangszeit eine Begünstigung auch nicht für die ersten vier Monate in Betracht. Die Gesetzesentwicklung bestätigt diese Auslegung. Durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom (BGBl I, 1566) hat der Gesetzgeber eine § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG vergleichbare Regelung —§ 2 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes— eingeführt. In der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass ein Kind, welches Übergangs- und Wartezeiten von mehr als vier Monaten zu überbrücken hat, sich darauf einstellen kann und muss, während dieser Zeit einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (BTDrucks 9/842, S. 54).

bb) Gegen diese Beschränkung der Begünstigung bestehen auch dann keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Kind nicht mit einem Überschreiten der Übergangszeit von vier Monaten rechnen musste.

Dass der Gesetzgeber einen Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen hat, ist anerkannt (vgl. z.B. , 70/63, BVerfGE 21, 12, 27, und , BVerfGE 96, 1, m.w.N.). Er darf atypische Fälle unberücksichtigt lassen, wenn eine Einbeziehung nur unter Schwierigkeiten zu bewältigen wäre und hiervon nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen ist (ständige Rechtsprechung des , BVerfGE 100, 59, 90, m.w.N.).

§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG ist in erster Linie zugeschnitten auf Übergangszeiten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten. Wird in einem solchen Fall die Viermonatsfrist überschritten, dann greift § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG als Auffangtatbestand ein (so zutreffend Korn/Greite, a.a.O., § 32 Rz. 50), wenn die Fristüberschreitung darauf beruht, dass das Kind sich zwar rechtzeitig und ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht hat, eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes aber nicht beginnen oder fortsetzen kann.

Wie der Senat im Urteil vom VIII R 77/00 (zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden hat, wirkt § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht in dem Sinne restriktiv auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ein, dass auch im Rahmen der zuletzt genannten Vorschrift die Viermonatsfrist zu beachten ist.

Soweit wie im Streitfall § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG nicht eingreift (s. oben bei c) und daher § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG nicht ergänzt, bestehen hiergegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber durfte bei typisierender Betrachtung davon ausgehen, dass es regelmäßig möglich ist, innerhalb der Viermonatsfrist eine Stelle zur Ableistung des freiwilligen sozialen Jahres oder vergleichbarer Dienste anzutreten. Den Ausnahmefall, in dem dies nicht möglich ist, durfte er vernachlässigen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in einem solchen Fall, sofern die Fristüberschreitung für das Kind nicht absehbar ist und es deshalb nicht auf seine Erwerbsobliegenheit verwiesen werden kann, eine steuerliche Entlastung der Eltern im Rahmen von § 33a Abs. 1 EStG möglich ist.

e) Schließlich lässt sich ein Kindergeldanspruch des Klägers nicht aus einer Gesamtschau der Tatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis d EStG herleiten. Der Gesetzgeber hat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise diejenigen Fälle, in denen er typisierend vom Bestehen einer Unterhaltspflicht der Eltern ausging, als Berücksichtigungstatbestände für das Kindergeld ausgestaltet. Soweit, wie im hier zu entscheidenden Fall, keiner dieser Tatbestände erfüllt ist, durfte er die Gewährung von Kindergeld versagen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2004 S. 171 Nr. 2
CAAAB-13805