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Grundlagen - Stand: 08.04.2020

Vertrauensschutz bei der Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden

Alexander v. Wedelstädt

I. Definition

Im Steuerrecht gibt es keine allgemeine gesetzliche Regelung des Vertrauensschutzes nach dem Grundsatz von Treu und Glauben. Es ist aber anerkannt, dass der in §§ 242, 157 BGB geregelte Grundsatz von Treu und Glauben auch im Steuerrecht gilt, und zwar sowohl für den Steuerpflichtigen als auch für die Finanzbehörde. Die AO enthält einige Vorschriften, die einen Vertrauensschutz regeln. Dazu zählt auch § 176 AO.

§ 176 AO schützt nicht das Vertrauen in den Bestand einer den Steuerpflichtigen begünstigenden Rechtslage, sondern das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Bestandskraft von Steuerbescheiden, die auf einer den Steuerpflichtigen begünstigenden Rechtslage beruhen.

§ 176 AO verbietet unter bestimmten Voraussetzungen, Rechtslageänderungen zu berücksichtigen, nämlich wenn

  • das BVerfG die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuerfestsetzung beruht (§ 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO),

  • ein oberster Gerichtshof des Bundes eine Rechtsnorm, auf der die bisherige Steuerfestsetzung beruht, wegen Verfassungswidrigkeit nicht anwendet (§ 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO),

  • ein oberster Gerichtshof des Bundes seine Rechtsprechung ändert (§ 176 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO) oder

  • ein oberster Gerichtshof des Bundes eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde für mit dem geltenden Recht unvereinbar bezeichnet (§ 176 Abs. 2 AO).

Der Vertrauensschutz des § 176 AO wirkt nur zu Gunsten des Steuerpflichtigen; für ihn positive Änderungen der Rechtslage müssen bei der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden berücksichtigt werden, wenn dies verfahrensrechtlich zulässig ist.

Die Vorschrift ist keine Änderungsvorschrift; sie greift, wenn Steuerbescheide oder ihnen gleichgestellte Bescheide aufgehoben oder geändert werden (s. nachstehend).

II. Anlass der Anwendung: Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden

Der Vertrauensschutz in den Bestand einer Rechtslage greift bei der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden und ihnen gleichgestellten Bescheiden wie Feststellungsbescheide, Steuermessbescheide, Zerlegungsbescheide, Vergütungsbescheide und Steueranmeldungen (s. dazu Stichwort „Korrektur von Steuerverwaltungsakten” unter II. 3 .). Auch die Änderung der Eintragung in der Lohnsteuerkarte, die eine Feststellung einer Besteuerungsgrundlage unter Vorbehalt der Nachprüfung ist (§ 39a Abs. 4 EStG), fällt unter § 176 AO.

Anwendungsbereich:

Keine Anwendung findet § 176 AO auf die Berichtigung nach § 129 AO (AEAO zu § 176 Nr. 1).

Nicht ausschlaggebend ist, dass die Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheides selbst sich zu Ungunsten des Steuerpflichtigen auswirken würde, maßgeblich ist vielmehr, dass sich im Rahmen einer den Steuerpflichtigen begünstigenden oder belastenden Aufhebung oder Änderung die Berücksichtigung der geänderten Rechtslage i.S. des § 176 AO zu seinen Ungunsten auswirken würde.

Die Vorschrift ist im finanzgerichtlichen Verfahren vom Gericht zu beachten, wenn ein Aufhebungs- oder Änderungsbescheid Verfahrensgegenstand ist , nicht dagegen, wenn ein Erstbescheid Verfahrensgegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren ist.

Entsprechende einschränkende Regelungen enthalten andere gesetzliche Bestimmungen (AEAO zu § 176 Nr. 5), wie z.B.

  • § 17 Abs. 2 Nr. 2 GrStG für die Neuveranlagung des Grundsteuermessbetrages,

  • § 22 Abs. 3 S. 2 BewG für die Fortschreibung der Einheitswerte,

  • § 12 Abs. 2 Nr. 4 KraftStG für die Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer; § 176 AO ist in diesen Fällen nur für Veranlagungs- oder Fortschreibungszeitpunkte anwendbar, die vor der Verkündung der maßgeblichen Entscheidung liegen.

  • Nach § 70 Abs. 3 S. 3 EStG ist § 176 AO für die Neufestsetzung oder Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld entsprechend anzuwenden, soweit es sich nicht um solche Monate handelt, die nach der Verkündung der maßgeblichen Entscheidung eines obersten Gerichtshofes des Bundes beginnen.

Rechtsänderungen, die sich zu Gunsten des Steuerpflichtigen auswirken, müssen berücksichtigt werden.

§ 176 AO ist nicht anwendbar

  • beim erstmaligen Erlass von Steuerbescheiden, und zwar auch dann nicht, wenn er an die Stelle eines nichtigen Steuerbescheides tritt,

  • beim Erlass des Umsatzsteuerjahresbescheids im Verhältnis zum Bescheid über den Umsatzsteuer-Voranmeldungszeitraum;

  • bei Verböserungen im Rahmen des Einspruchsverfahrens;

  • bei der Aufhebung oder Änderung eines streitbefangenen Steuerbescheides durch das Gericht im Rahmen der durch das Klagebegehren fixierten Saldierungsmöglichkeit;

  • bei der Korrektur von Haftungsbescheiden, weil §§ 172 ff. AO hier weder unmittelbar noch analog gelten.

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