Gründe
1Das Landgericht – Große Jugendkammer – Rottweil und das Amtsgericht – Jugendrichter als Vollstreckungsleiter – Adelsheim streiten darüber, welches von ihnen für die nach dem Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) erforderlich gewordene Neufestsetzung der Einheitsjugendstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Rottweil vom zuständig ist.
I.
2Das Landgericht – Große Jugendkammer – Rottweil hat den seinerzeit 19-jährigen Verurteilten am wegen Raubes u.a. unter Einbeziehung von Urteilen des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Rottweil aus den Jahren 2017, 2018, 2019 und 2020 zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dem einbezogenen Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Rottweil vom lag ein Schuldspruch u.a. wegen „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln zugrunde, weil der Verurteilte am 1,7 Gramm Marihuana zum Eigenkonsum mit sich geführt hatte; dem einbezogenen Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – Rottweil vom lag ein Schuldspruch u.a. wegen „unerlaubten“ Erwerbs von Betäubungsmitteln zugrunde, weil der Verurteilte am zum Eigenkonsum 0,909 Gramm Marihuana erworben hatte.
3Einen Teil der vom Landgericht Rottweil verhängten Einheitsjugendstrafe verbüßte der Verurteilte in der Justizvollzugsanstalt Adelsheim. Mit Beschluss vom hat der Jugendrichter des Amtsgerichts Adelsheim als Vollstreckungsleiter die Vollstreckung der Jugendstrafe ab dem bis längstens zur Durchführung einer stationären Suchttherapie zurückgestellt. Mit weiterem Beschluss vom hat er das Verfahren „gemäß Art. 313 Abs. 3 EGStGB in Verbindung mit §§ 458, 462 Abs. 1 Satz 1, [§] 462a Abs. 1 Satz 1, Satz 3 StPO, [§] 82 Abs. 1 Satz 2 JGG“ an das Landgericht – Große Jugendkammer – Rottweil als Gericht des ersten Rechtszugs zur Entscheidung über die nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes neu zu bildende Einheitsjugendstrafe abgegeben.
4Das Landgericht Rottweil hat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Gemäß Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 Satz 2 EGStGB i.V.m. § 66 Abs. 2 Satz 4 JGG sei der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter für die nachträgliche Festsetzung einer einheitlichen Rechtsfolge zuständig, wenn eine Jugendstrafe – wie hier – bereits teilweise verbüßt sei. Dies gelte unabhängig davon, aus welchen Gründen die Anordnung einer einheitlichen Rechtsfolge bislang unterblieben sei. Der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter habe sich bereits im Vollstreckungsverfahren mit dem Verurteilten befasst, so dass ihm am ehesten die Beurteilungsgrundlage zur Verfügung stehe, um dem Erziehungsgedanken bei der nachträglichen Entscheidung gerecht zu werden.
5Das Landgericht Rottweil hat die Sache sodann mit Beschluss vom dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 2 Abs. 2 JGG, §§ 14, 19 StPO vorgelegt.
II.
61. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberes Gericht des Landgerichts Rottweil (Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart) und des Amtsgerichts Adelsheim (Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe) zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.
72. Zuständig für die nach dem Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes erforderlich gewordene Neufestsetzung der Einheitsjugendstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Rottweil vom ist gemäß Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 Satz 2 EGStGB i.V.m. § 66 Abs. 2 Satz 4 JGG der Jugendrichter des Amtsgerichts Adelsheim als Vollstreckungsleiter.
8a) Nach Art. 316p EGStGB ist im Hinblick auf vor dem verhängte Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, Art. 313 EGStGB entsprechend anzuwenden. Gemäß Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB ist die Strafe neu festzusetzen, wenn eine Gesamtstrafe Einzelstrafen im Sinne des Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB (rechtskräftig verhängte Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, soweit sie noch nicht vollstreckt sind) und andere Einzelstrafen enthält. Nach Art. 313 Abs. 4 Satz 2 EGStGB gilt dies in den Fällen der §§ 31 und 66 JGG sinngemäß. Danach ist auch eine Einheitsjugendstrafe aufgrund des sinngemäßen Verweises auf § 66 JGG unter den näher bestimmten Voraussetzungen durch den Jugendrichter als Vollstreckungsleiter (§ 66 Abs. 2 Satz 4 JGG) neu festzusetzen. Durch die Verweisung von Art. 316p EGStGB auf Art. 313 EGStGB ist § 66 Abs. 2 Satz 4 JGG Teil der mit dem Konsumcannabisgesetz eingeführten Amnestieregelung für Strafen wegen bestimmter Taten im Zusammenhang mit Cannabis (vgl. auch BeckOK-StGB/Seel, 66. Ed., Art. 313 EGStGB Rn. 3).
9b) Diese Kompetenzregelung entspricht dem das Jugendstrafrecht prägenden Erziehungsgedanken. Bei einer teilverbüßten Jugendstrafe hat sich der Jugendrichter als Vollstreckungsleiter bereits mit dem Verurteilten befasst, wodurch ihm von vornherein die Beurteilungsgrundlagen für einen einheitlichen Rechtsfolgenausspruch zur Verfügung stehen. Er hat aktuellere Kenntnisse über den Verurteilten als das Gericht des ersten Rechtszugs und kann daher dem (weiteren) Erziehungsgedanken noch bessere Rechnung tragen und in die nachträgliche Entscheidung einfließen lassen (vgl. auch III 4 OGs 10/24, Rn. 7; Eisenberg/Kölbel, JGG, 26. Aufl., § 66 Rn. 14).
10c) Aus dem Beschluss des Senats vom (2 ARs 347/24) folgt nichts anderes. In dem diesem Beschluss zugrunde liegenden Verfahren war der Zuständigkeitsstreit zwischen einem Landgericht als Gericht des ersten Rechtszugs und einem Landgericht als Strafvollstreckungskammer hinsichtlich der Neufestsetzung einer Einheitsjugendstrafe eines mittlerweile 28 Jahre alten Verurteilten zu entscheiden; die Voraussetzungen des § 66 JGG lagen dort nicht vor. Für den im Jugendstrafrecht bestehenden wertenden Akt der nachträglichen einheitlichen Festsetzung der Jugendstrafe hat der Gesetzgeber in den Fällen, in denen eine einheitliche Festsetzung unterblieben und die Jugendstrafe teilweise verbüßt ist, die Entscheidungszuständigkeit dagegen dem Richter auferlegt, dem die Aufgaben des Vollstreckungsleiters obliegen, § 66 Abs. 2 Satz 4 JGG. Zu den allgemeinen Vorschriften über die nachträgliche Gesamtstrafenbildung des § 460 StPO stellt § 66 JGG insoweit eine Sonderregelung dar (vgl. BeckOK-JGG/Kilian, 38. Ed., § 66 vor Rn. 1; Eisenberg/Kölbel, aaO, Rn. 2), während dem allgemeinen Strafrecht Zuständigkeitsregelungen der Strafvollstreckungskammer für der Strafvollstreckung vorgelagerte Entscheidungen fremd sind (vgl. , NJW 2025, 676, 678 Rn. 30).
11d) Eine bindende Abgabe der Entscheidung durch den Jugendrichter als Vollstreckungsleiter an das Landgericht Rottweil nach § 462a Abs. 1 Satz 3 StPO ist nicht eingetreten. Weder wird § 462a StPO in Art. 313 Abs. 5 EGStGB erwähnt noch sieht § 462a Abs. 1 Satz 3 StPO die Möglichkeit bindender Abgabe einer Entscheidung auf Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 3 und 4 EGStGB vor, die sich maßgeblich von einer Entscheidung nach § 458 StPO unterscheidet (vgl. , NJW 2025, 676, 678 Rn. 31).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:230925B2ARS470.24.0
Fundstelle(n):
BAAAK-07213