Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: N 7 VL 40/21 Urteil
Tatbestand
1Das Verfahren betrifft Diebstähle zu Lasten von Kameraden.
21. Der ... geborene, disziplinarisch und strafrechtlich nicht vorbelastete Soldat wurde ... Zeitsoldat und zuletzt 2014 zum Hauptbootsmann befördert. Nach wechselnden Verwendungen und neun Einsätzen wurde er im Oktober ... zum ...kommando versetzt. Dort wurde er im Bereich "Betriebsunterstützung Einsatz" (Sperrzone) verwendet. Nach seinem Geständnis der Taten gemäß den Anschuldigungspunkten 1 und 3 wurde ihm die Sicherheitsstufe aberkannt und er wurde in einen anderen Bereich der Dienststelle kommandiert, wo er nach Homeoffice-Tätigkeiten zur Unterstützung der zivilen Gleichstellungsbeauftragten und einem COVID-19-Amtshilfeeinsatz Beauftragter für die Koordinierung des Einsatzes von Zivilkraftfahrern war. Im April 2025 wurde er an das ... ... ... versetzt.
32. Der Soldat erhielt im Laufe seiner Dienstzeit neben diversen Abzeichen und Einsatzmedaillen 2009 eine Leistungsprämie und 2016 eine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung.
4In einer Beurteilung vom erzielte er einen Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von 7,11. Für eine Übernahme als Berufssoldat sei er nun sehr gut aufgestellt. Die Entwicklungsprognose lautete "Förderung bei Bedarf bis in die höchsten Verwendungen der Laufbahn".
5In einer Beurteilung vom erhielt der Soldat das Gesamturteil "F 0". Er bilde mit seinem Leistungsbild das untere Ende seiner Vergleichsgruppe, sei auch als Reservist ungeeignet und bedürfe der engen Dienstaufsicht.
6In einer Sonderbeurteilung für den Beurteilungszeitraum vom bis erzielte der Soldat bei den bewerteten Einzelmerkmalen in der Eignungsbeurteilung je einmal "besonders gut geeignet" und "sehr gut geeignet" sowie zweimal "gut geeignet", in der Befähigungsbeurteilung zweimal "ausgeprägt" sowie je einmal "besonders stark ausgeprägt", "stark ausgeprägt" und "gering ausgeprägt" und in der Leistungsbeurteilung je dreimal "übertrifft die Leistungserwartungen regelmäßig in erheblichem Umfang" und "übertrifft die Leistungserwartungen überwiegend" sowie je einmal "übertrifft die Leistungserwartungen dauerhaft in außergewöhnlichem Umfang", "erfüllt die Leistungserwartungen und übertrifft sie teilweise" und "erfüllt die Leistungserwartungen stets in vollem Umfang (Normalleistung)". Er habe sich in kürzester Zeit in die Kfz-Disposition mit ziviler Komponente eingearbeitet und das Vertrauen seiner Vorgesetzten und seines Umfeldes kontinuierlich zurückgewonnen. Er überzeuge durch Leistungsbereitschaft und sehr gute bis ausgezeichnete Ergebnisse. Er habe seine zweite Chance genutzt.
7Kapitänleutnant a.D. A, der von 2017 bis Oktober 2020 der nächste Disziplinarvorgesetzte des Soldaten war, erklärte in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung, dieser habe einen normalen Eindruck gemacht. Er habe aber keine Wahrnehmung zu dessen dienstlichen Leistungen.
8Frau Oberleutnant zur See B, die danach bis Oktober 2023 nächste Disziplinarvorgesetzte des Soldaten war, beschrieb sein Leistungsbild in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung als "konstant gut". Die Beurteilung vom sei in dem Lichte zu verstehen, dass der Beurteiler, der anfangs sehr angetan vom Soldaten gewesen sei, nach den Vorfällen voreingenommen gewesen sei. Der spätere Vorgesetzte habe nie ein schlechtes Wort über die Dienstleistung des Soldaten verloren.
9Frau Kapitänleutnant C, die sodann bis November 2024 nächste Disziplinarvorgesetzte des Soldaten war, hat in einer Stellungnahme vom ausgeführt, der Soldat habe sich bei der Koordinierung des Einsatzes der Zivilkraftfahrer nach Aussage des Dezernatsleiters motiviert gezeigt, seine Aufgaben schnell, sorgfältig, systematisch, termingerecht und gewissenhaft erledigt und eine außerordentlich gute Auffassungsgabe, Zielstrebigkeit und herausragende Eigeninitiative gezeigt. Bei ihren eigenen, wenigen Kontakten mit dem Soldaten habe sich allerdings teilweise ein anderes Bild gezeigt. Er habe es häufiger versäumt, seinen dienstlichen Pflichten in Bezug auf Sorgfalt und Meldungen nachzukommen, und habe diese erst nach erneuter Aufforderung erledigt.
10Kapitänleutnant D, der im Anschluss bis April 2025 nächster Disziplinarvorgesetzter des Soldaten war, hat in der Berufungshauptverhandlung erklärt, er habe mit diesem nicht unmittelbar zu tun gehabt, aber mitbekommen, dass er den zivilen Fuhrpark "ganz ordentlich" geleitet habe. Auffälligkeiten seien nicht zu verzeichnen. Aufforderungen sei er immer direkt nachgekommen.
11Hauptmann E, der seit April 2025 nächster Disziplinarvorgesetzter des Soldaten ist, hat in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt, er habe nur zwei bis drei Gespräche mit dem Soldaten geführt. Die Fachvorgesetzten hätten nichts Negatives über ihn berichtet. Obwohl der Soldat im ... ... Sanitätsmaterial fachfremd bei der Kommissionierung sonstiger Medizinprodukte eingesetzt sei, habe er sich zügig und motiviert eingearbeitet und zumindest zufriedenstellende Leistungen erbracht. Er sei regelmäßig da und auch im Kameradenkreis angekommen. Es habe keine neuen disziplinarischen Vorkommnisse gegeben.
123. In dem am eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wurde der Soldat am wie folgt angeschuldigt:
"1. Der Soldat entnahm im Zeitraum vom bis zum während der Dienstzeit an zumindest zwei nicht näher bestimmbaren Tagen auf dem ...stützpunkt W. innerhalb der nur mit einer Codekarte betretbaren Sperrzone im Gebäude 3, Raum 102 b, aus der dortigen Gemeinschaftskasse in zwei Geldkassetten und einer Kaffeedose Geld in Höhe von insgesamt 760,00 EUR, um diesen Betrag für sich zu behalten.
2. [...]
3. Der Soldat entnahm am Nachmittag des 21. Januars 2020 bzw. Vormittag des 22. Januars 2020 zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im ...stützpunkt W. dem Portemonnaie des Zeugen Kapitänleutnant F, welches sich auf dessen Schreibtisch innerhalb der nur mit einer Codekarte betretbaren Sperrzone im Gebäude 3, Raum 111 c, befand, einen Geldschein im Wert von 50,00 EUR, um diesen für sich zu behalten.
4. Der Soldat entnahm im August 2020 zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt vor dem , auf dem Gelände des ...kommandos ..., ..., ..., ..., Gebäude 23, Raum 2.020, der in einem verschlossenen Spind gesicherten Gemeinschaftskasse einen Betrag in Höhe von 550,00 EUR, um diesen für sich zu behalten."
134. Das Amtsgericht W. verhängte mit einem zu den Anschuldigungspunkten 1 und 3 sachgleichen, rechtskräftigen Strafbefehl vom gegen den Soldaten wegen Diebstahls in drei Fällen eine Geldstrafe. Das zum Anschuldigungspunkt 4 sachgleiche staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wurde nach § 153 Abs. 1 StPO eingestellt.
145. Das Truppendienstgericht hat den Soldaten mit Urteil vom in den Dienstgrad eines Obermaates der Besoldungsstufe A7 herabgesetzt. Alle Anschuldigungen seien erwiesen. Mit dem Diebstahl von Geld aus den Kameradenkassen und der Kameradengeldbörse habe der Soldat vorsätzlich seine Pflichten zum treuen Dienen, zur Kameradschaft und zum innerdienstlichen Wohlverhalten verletzt. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei eine Dienstgradherabsetzung. Auf der zweiten Bemessungsstufe sei zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass das Dienstvergehen mit Blick auf die verletzten Dienstpflichten und das kriminelle Unrecht schwer wiege, sich auf mehrere Fälle über einen Zeitraum von einem dreiviertel Jahr erstrecke, die Schadenshöhe vierstellig sei, der Soldat aus finanziellem Eigennutz gehandelt habe, er als Hauptbootsmann Vorgesetzter gewesen sei und die Auswirkungen des Dienstvergehens beträchtlich seien. Es habe in der Einheit für erhebliche Unruhe gesorgt und der Soldat habe aufgrund der Entziehung von Sicherheitsstufen bzw. Zugangsberechtigungen nicht mehr in seinem Tätigkeitsbereich verwendet werden können. Demgegenüber sprächen für ihn seine Führung, Persönlichkeit und ordentlichen dienstlichen Leistungen einschließlich der Bewährung in Auslandseinsätzen. Er sei geständig, einsichtig und reuig und habe die Schäden beglichen, wenngleich es sich nicht um eine freiwillige Wiedergutmachung handele und das Geständnis unter dem Druck der Ermittlungen erfolgt sei. Kompensatorisch wirkten zudem die rund 20-monatige Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens und die Belastung des Soldaten durch seine Spielsucht, die Antrieb der Taten gewesen sei. Er habe sich deshalb in einer schwierigen persönlichen Lage befunden, auch wenn die Situation, in der er versagt habe, nicht von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet gewesen sei, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht habe erwartet werden können. Für den Soldaten spreche ferner, dass er sich nach den Taten erneut einer Therapie unterzogen habe. Hingegen sei er nicht vermindert schuldfähig gewesen. Bei einer Gesamtwürdigung sei eine Herabsetzung in den Dienstgrad eines Obermaates der Besoldungsgruppe A7 angemessen.
156. Der Soldat begehrt mit seiner unbeschränkten Berufung eine Dienstgradherabsetzung bis allenfalls zum Bootsmann. Er sei bei den Taten vermindert schuldfähig gewesen, weil er von seiner exzessiven Spielsucht geleitet gewesen sei. Er habe 2004 mit dem Glücksspiel an Automaten begonnen und sich 2005 einer stationären Therapie unterzogen. Ein Jahr später sei er rückfällig geworden. Dies habe zu 40 000 € Schulden geführt. Zudem sei 2017 seine Ehe, aus der ein 2006 geborener Sohn hervorgegangen sei, geschieden worden. Mit seiner neuen Lebensgefährtin, die zwei Kinder aus früherer Ehe habe, habe er zwei weitere 2019 und 2021 geborene Kinder. Die Geburt des Kindes im Jahr 2019 und seine Hoffnung, Berufssoldat zu werden, hätten ihn zusätzlich belastet. Er habe sein Leben inzwischen in den Griff bekommen. Die 2015 von ihm eingeleitete Schuldenregulierung (Stufe vor der Privatinsolvenz) sei abgeschlossen. Seine finanziellen Angelegenheiten, die er fünf bis sechs Jahre lang in die Hände seiner Mutter gelegt habe, regele er wieder selbst. Wegen seiner Spielsucht habe er sich 2021 erneut einer stationären Therapie unterzogen, sei ein dreiviertel Jahr in ambulanter Nachsorge gewesen, habe sich deutschlandweit über OASIS für das Glücksspiel sperren lassen, sich um eine Selbsthilfegruppe bemüht und spiele nicht mehr. Mit seiner neuen Lebensgefährtin und drei Kindern lebe er in einem gemeinsamen Familienhaushalt. Er sei nicht anderweitig straf- und disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten, habe sich bemüht, den Schaden wiedergutzumachen, sei geständig gewesen, habe gute dienstliche Leistungen erbracht und sich nachbewährt. Zudem sei das Verfahren um rund 23 Monaten überlang gewesen, was ebenfalls mildernd zu berücksichtigen sei.
167. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft tritt der Berufung entgegen. Der Soldat sei in vollem Umfang schuldfähig gewesen. Seine Spielsucht habe nicht zu schwersten Persönlichkeitsstörungen geführt. Vielmehr sei er bei günstigen Gelegenheiten schwach geworden. Die Geburt des Kindes im Jahr 2019 und die Hoffnung, Berufssoldat zu werden, seien normale Umstände, die keine seelische Ausnahmesituation begründeten. Eine Nachbewährung liege mangels Spitzenleistungen nicht vor. Die Taten wögen schwer, weil der Soldat wiederholt über einen längeren Zeitraum gehandelt habe, der Gesamtschaden vierstellig sei, die Taten zu erheblicher Unruhe im Dienst geführt hätten und die Tat gemäß Anschuldigungspunkt 4 stattgefunden habe, nachdem wegen der anderen Taten bereits der Strafbefehl ergangen und das gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet worden seien. Unter Berücksichtigung der Geständigkeit des Soldaten nach Aufdeckung der Taten, seiner Therapiewilligkeit, der dienstlichen Führung, der von ihm veranlassten Sperrung über OASIS und der Verfahrensüberlänge sei die vom Truppendienstgericht ausgesprochene Maßnahme angemessen.
178. Der Senat hat in der Berufungshauptverhandlung im Einvernehmen mit den Beteiligten den Anschuldigungspunkt 2 ausgeklammert. Der vom Senat bestellte Sachverständige hat in der Berufungshauptverhandlung sein Gutachten zur Klärung der Schuldfähigkeit des Soldaten erstattet. Für Einzelheiten zur Person des Soldaten, zur Anschuldigung und zur Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Für die im Berufungsverfahren eingeführten Dokumente und die Erläuterungen des Sachverständigen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.
Gründe
18Die Berufung ist zulässig und begründet. Da sie sich gegen ein Urteil richtet, das vor dem verkündet worden ist, sind auf das vorliegende Berufungsverfahren gemäß § 151 Abs. 7 WDO in der Fassung des Dritten Gesetzes zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung weiterer soldatenrechtlicher Vorschriften (3. WehrDiszNOG) vom (BGBl. I Nr. 424) die §§ 115 bis 121 WDO in der zuletzt durch Gesetz vom (BGBl. I S. 3932) geänderten Fassung (WDO a. F.) anzuwenden; im Übrigen finden die Vorschriften der WDO in der ab dem maßgeblichen Fassung (WDO) Anwendung.
19Da der Soldat die Berufung in vollem Umfang eingelegt hat, hat der Senat unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots (§ 94 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 331 StPO) im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen, diese rechtlich zu würdigen und über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Danach erweist sich eine Herabsetzung des Soldaten in den Dienstgrad eines Bootsmannes als angemessen.
201. In tatsächlicher Hinsicht sind die nach Ausklammerung des Anschuldigungspunktes 2 noch in Rede stehenden Anschuldigungspunkte 1, 3 und 4 erwiesen.
21a) Es steht fest, dass der Soldat entsprechend dem Anschuldigungspunkt 1 zwischen dem 25. Oktober und an zumindest zwei nicht näher bestimmbaren Tagen insgesamt 760 € aus einer Gemeinschaftskasse aus dem gemeinsamen Büro mit dem Kassenführer Stabsbootsmann G auf dem ...stützpunkt W. entwendete, um das Geld für sich zu verwenden, und entsprechend dem Anschuldigungspunkt 3 zwischen dem 21. und aus der Geldbörse von Kapitänleutnant F, die sich in dessen Büro auf dem ...stützpunkt W. befand, 50 € entwendete, um das Geld für sich zu verwenden. Dies folgt aus den tatsächlichen Feststellungen im sachgleichen rechtskräftigen Strafbefehl vom . Diese können nach § 127 Satz 3 i. V. m. § 87 Abs. 2 WDO der Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren zugrunde gelegt werden, weil sie nicht substantiiert in Zweifel gezogen wurden (vgl. 2 WD 11.18 - BVerwGE 165, 53 Rn. 13 m. w. N.). Denn der Soldat ist gegen den Strafbefehl nicht vorgegangen und hat die Vorwürfe in der Berufungshauptverhandlung eingeräumt.
22Zum Anschuldigungspunkt 1 ist ergänzend festzustellen, dass die Gemeinschaftskasse aus zwei abgeschlossenen Geldkassetten und einer Kaffeedose bestand, in die der Soldat und etliche Kameraden monatlich einzahlten und die in einem Rollcontainer unter dem Schreibtisch des Kassenführers aufbewahrt wurde. Die Schlüssel zu den Geldkassetten lagen in der Schublade des Rollcontainers. Der Soldat entnahm im Laufe des Oktobers und November 2019 insgesamt ungefähr zehn Mal Teile der in der Gemeinschaftskasse befindlichen Geldscheine und legte im Fall von Spielgewinnen immer mal wieder Geld zurück. Die entwendeten Geldscheine im Wert von insgesamt 760 € befanden sich zumindest teilweise in einer der beiden abgeschlossenen Geldkassetten. Diese Rahmenumstände hat der Soldat in der Berufungshauptverhandlung glaubhaft eingeräumt.
23b) Anschuldigungspunkt 4 ist aufgrund des Geständnisses des Soldaten in der Berufungshauptverhandlung ebenfalls erwiesen. Der Soldat hat dazu erläutert, dass ihm wegen der Taten gemäß den Anschuldigungspunkten 1 und 3 in einem anderen Bereich der Dienststelle ein gemeinsames Büro mit Frau Hauptbootsmann H zugewiesen worden sei. Wegen der Corona-Pandemie seien beide abwechselnd im Büro gewesen. Die von Frau Hauptbootsmann H geführte Gemeinschaftskasse habe sich in dem Büro im abgeschlossenen Wertfach ihres Spindes befunden. Der Schlüssel zum Wertfach habe in einer Schublade des Rollcontainers unter ihrem Schreibtisch gelegen. Er sei nach demselben Prinzip verfahren wie bei den Zugriffen gemäß Anschuldigungspunkt 1. Der Senat hat auch insoweit keine Zweifel an der Richtigkeit dieser in sich stimmigen und plausiblen Aussage des Soldaten.
242. Der Soldat hat damit ein Dienstvergehen (§ 23 Abs. 1 SG) begangen. Er hat mit den erwiesenen Taten jeweils vorsätzlich und schuldhaft seine Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG), zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) und zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG) verletzt.
25a) Die Pflicht zum treuen Dienen schließt die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung, vor allem der Strafgesetze, ein (vgl. 2 WD 28.18 - juris Rn. 37 m. w. N.). Verstößt ein Soldat in einer Bundeswehrliegenschaft gegen ein Strafgesetz, verletzt er regelmäßig § 7 SG (vgl. 2 WD 26.20 - juris Rn. 24 m. w. N.).
26aa) Der Soldat hat mit der etappenweisen Entnahme der Geldscheine aus den Gemeinschaftskassen gemäß den Anschuldigungspunkten 1 und 4 jeweils Diebstähle nach § 242 Abs. 1 StGB begangen. Denn er nahm die Geldscheine, bei denen es sich um bewegliche und für ihn fremde Sachen handelte, weg. Dabei handelte er vorsätzlich und mit Zueignungsabsicht, weil er das entnommene Geld wie eigenes Geld nutzen wollte. Er hatte bei der Wegnahme allenfalls die Absicht, gleich hohe Geldbeträge zu erstatten. Damit richtete sich seine Absicht auf die dauerhafte Verdrängung der Eigentümer aus dem Eigentum an den konkreten Geldscheinen und deren zumindest vorübergehende Überführung in sein eigenes Vermögen (vgl. 2 WD 29.11 - BVerwGE 145, 269 Rn. 53 ff.).
27Dabei hat der Soldat zum Teil einen Diebstahl in einem besonders schweren Fall nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB begangen. Denn die entwendeten Geldscheine waren jedenfalls zum Teil durch verschlossene Behältnisse - bei der Tat gemäß Anschuldigungspunkt 1 durch mindestens eine der abgeschlossenen Geldkassetten im Rollcontainer und bei der Tat gemäß Anschuldigungspunkt 4 durch das abgeschlossene Wertfach im Spind - gegen die Wegnahme besonders gesichert. Dient das verschlossene Behältnis - wie hier - nach seiner erkennbaren Zweckbestimmung auch zur Sicherung der darin aufbewahrten Sache gegen Diebstahl, ist dies eine Schutzvorrichtung im Sinne des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB ( 2 WD 6.23 - juris Rn. 24). Der Täter stiehlt auch dann eine durch ein verschlossenes Behältnis besonders gesicherte Sache, wenn er - wie hier - als Unberechtigter den ordnungsgemäß dafür vorgesehenen Schlüssel verwendet (vgl. - NJW 2010, 3175 Rn. 4; 2 WD 6.23 - juris Rn. 24).
28bb) Die Entnahme des 50 €-Scheins aus der Geldbörse von Kapitänleutnant F gemäß Anschuldigungspunkt 3 war ebenfalls ein Diebstahl i. S. d. § 242 Abs. 1 StGB. Dabei handelte es sich nicht um einen Diebstahl einer geringwertigen Sache nach § 248a StGB (vgl. 2 WD 40.09 - juris Rn. 30, vom - 2 WD 29.11 - BVerwGE 145, 269 Rn. 82, vom - 2 WD 6.14 - juris Rn. 57 und vom - 2 WD 31.18 - juris Rn. 30: Bagatellgrenze bei etwa 50 €; - juris Rn. 3: Bagatellgrenze bei 25 €; Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025, § 248a Rn. 3a: Bagatellgrenze von 30 € vertretbar).
29b) Zugleich hat der Soldat mit allen Taten vorsätzlich gegen die Kameradschaftspflicht nach § 12 Satz 2 SG verstoßen. Die danach zu achtenden Rechte anderer Soldaten umfassen auch materielle Rechte wie das Eigentumsrecht (vgl. 2 WDB 8.22 - juris Rn. 24). Schutzgegenstand des § 12 SG ist das besondere Vertrauensverhältnis zwischen den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, das für den militärischen Zusammenhalt notwendig ist, unabhängig davon, ob zuvor ein konkretes soziales Näheverhältnis begründet worden ist ( 2 WD 6.23 - juris Rn. 26 m. w. N.). Dieses besondere Vertrauensverhältnis wurde durch die "Griffe in die Kameradenkasse" und den "Griff in die Kameradengeldbörse" erheblich erschüttert.
30c) Damit einhergeht jeweils eine vorsätzliche Verletzung der innerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG (vgl. 2 WD 26.20 - juris Rn. 23 m. w. N.).
313. Bei der Bemessung von Art und Höhe der Disziplinarmaßnahme sind nach § 60 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde, das vorliegend zur Herabsetzung des Soldaten in den Dienstgrad eines Bootsmannes führt.
32a) Auf der ersten Stufe bestimmt er zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dies ist in Fällen des vorsätzlichen Zugriffs auf Eigentum und Vermögen von Kameraden oder Kameradengemeinschaften ("Griff in die Kameradenkasse") eine Dienstgradherabsetzung. Die zweithöchste gerichtliche Disziplinarmaßnahme kann grundsätzlich dem Unrechtsgehalt der in Rede stehenden Pflichtverletzungen Rechnung tragen, der zum einen durch das hohe Gewicht der Kameradschaftspflicht für die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte, zum anderen aber auch durch den mildernden Gesichtspunkt bestimmt wird, dass kein Fehlverhalten bei der Erfüllung der dienstlichen Aufgaben im engeren Sinne und kein Diebstahl zum Schaden des Dienstherrn in Rede steht (vgl. 2 WD 6.23 - juris Rn. 28).
33b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung der auf der ersten Stufe angesetzten Regelmaßnahme gebieten. Liegt angesichts der be- und entlastenden Umstände ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlichen Bemessungskriterien zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht hinsichtlich des Disziplinarmaßes - wie bei der Dienstgradherabsetzung - einen Spielraum eröffnet. Schließlich kann eine ungerechtfertigte Verfahrensüberlänge mildernd ins Gewicht fallen. Danach ist eine Herabsetzung des Soldaten in den Dienstgrad eines Bootsmannes angemessen.
34aa) Zulasten des Soldaten fallen mehrere Umstände ins Gewicht.
35(1) Das Dienstvergehen wiegt nach Art und Schwere sehr schwer. Denn der Soldat hat in drei verschiedenen Kontexten über einen längeren Zeitraum von etwa einem dreiviertel Jahr, dabei teilweise wiederholt, auf das Eigentum und das Vermögen von Kameradengemeinschaften und eines Kameraden zugegriffen, wobei teilweise ein besonders schwerer Fall des Diebstahls vorlag. Der Gesamtschaden von 1 360 € ist beträchtlich.
36(2) Dabei hatte der Soldat wegen seines Dienstgrads als Hauptbootsmann eine Vorgesetztenstellung (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Nach § 10 SG war er damit zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtet. Wer in dieser Stellung eine Pflichtverletzung begeht, gibt ein schlechtes Vorbild ab, was das Gewicht seines Dienstvergehens erhöht. Insoweit genügt das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrads (vgl. 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 40 m. w. N.).
37(3) Ferner hat der Soldat die Tat gemäß Anschuldigungspunkt 4 begangen, kurz nachdem gegen ihn wegen der Taten gemäß den Anschuldigungspunkten 1 und 3 der Strafbefehl ergangen und das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet worden war. Diese Umstände haben ihn nicht davon abgehalten, sich erneut einschlägig fehl zu verhalten. Dies gebietet in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 38 Abs. 2 WDO regelmäßig eine schärfere Maßnahme, weil der Soldat damit zeigt, dass nachdrückliche Appelle der Rechtsordnung ihn nicht erreichen und er unbelehrbar ist (vgl. 2 WD 11.21 - juris Rn. 44 m. w. N.).
38(4) Schließlich hatte das Dienstvergehen nachteilige Auswirkungen auch für den Dienstherrn. Denn der Soldat hat zahlreiche Kameraden dem Verdacht ausgesetzt, insbesondere die Tat gemäß Anschuldigungspunkt 1 begangen zu haben. Diese und die Tat gemäß Anschuldigungspunkt 3 lösten einen erheblichen Ermittlungsaufwand aus. Wegen beider Taten wurde bei dem Soldaten zudem ein Sicherheitsrisiko festgestellt, so dass er seinen Dienst nicht mehr auf seinem regulären Dienstposten im Sperrbereich verrichten konnte, sondern in einen anderen Bereich der Dienststelle kommandiert wurde.
39bb) Dem stehen folgende mildernde Umstände entgegen:
40(1) Der Soldat war vollumfänglich geständig. Er hat die Taten gemäß den Anschuldigungspunkten 1 und 3 bereits in seiner vorgerichtlichen Beschuldigtenvernehmung und die spätere Tat gemäß Anschuldigungspunkt 4 im Schlussgehör eingeräumt. Dies hat die Sachaufklärung erleichtert, weil das Truppendienstgericht keine Sachzeugen mehr vernehmen musste. Allerdings liegt der Milderungsgrund der freiwilligen Offenbarung des Fehlverhaltens vor Tatentdeckung nicht vor (dazu 1 D 31.94 - BVerwGE 103, 177 LS 1).
41(2) Mildernd zu berücksichtigen ist ferner, dass sich der Soldat mit seinem - wenn auch nur unter dem Druck der Ermittlungen abgegebenen - Geständnis der Taten selbst überführt hat (vgl. 2 WD 26.20 - juris Rn. 42). Zwar lagen starke Verdachtsmomente gegen ihn vor. Jedoch wurde in einem Polizeivermerk vom zum Anschuldigungspunkt 1 festgehalten, dass im gesamten Gebäude, in dem sich die Kaffeekasse befand, etwa 260 Mitarbeiter beschäftigt waren, die Zugang zu dem betreffenden Büro hatten. Daher wurde das betreffende staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren zunächst mangels Täterermittlung eingestellt. Erst nachdem der Soldat in seiner Beschuldigtenvernehmung vom die Taten gemäß den Anschuldigungspunkten 1 und 3 eingeräumt hatte, wurden die Ermittlungen fortgesetzt. Bei der Tat gemäß Anschuldigungspunkt 4 bestand gegen den Soldaten zwar wegen seiner zuvor aufgedeckten Täterschaft hinsichtlich der Taten gemäß den Anschuldigungspunkten 1 und 3 ein dringender Tatverdacht. Überführt wurde er aber auch insoweit nur durch sein Geständnis.
42(3) Mildernd einzustellen ist auch, dass der Disziplinarvorgesetzte des Soldaten nach der Aufdeckung der Taten gemäß den Anschuldigungspunkten 1 und 3 über dessen Spielsucht Bescheid wusste und ihm nach der daraufhin erfolgten Kommandierung in einen anderen Bereich der Dienststelle erneut ein Büro zugewiesen wurde, in dem eine Gemeinschaftskasse aufbewahrt wurde und in dem sich der Soldat aufgrund der COVID-19-Pandemie im Wechsel mit der Kassenführerin allein aufhielt. Dieser Tatanreiz für den spielsüchtigen Soldaten hat die Tat gemäß Anschuldigungspunkt 4 begünstigt.
43(4) Der Soldat hat sich in der Berufungshauptverhandlung ferner reuig und einsichtig gezeigt.
44(5) Für ihn spricht auch, dass er seine schwierige Lebensphase, in der er sich zur Tatzeit befand, aus eigener Kraft überwunden hat. So hat er sich wegen seiner Spielsucht sowohl vor als auch nach den Taten in eine stationäre Therapie begeben, eine ambulante Nachsorge durchlaufen, sich deutschlandweit für das Glücksspiel über OASIS sperren lassen und geht nun nicht mehr dem Glücksspiel nach. Auch hat er seine durch die Spielsucht verursachten finanziellen Probleme, die zugleich Antrieb für die Taten waren, mittels einer selbst initiierten Schuldenregulierung und einer fünf bis sechs Jahre langen freiwilligen Abgabe seiner finanziellen Angelegenheiten in die Hände seiner Mutter teilweise lösen können. Ebenso hat er seine familiäre Belastungssituation in den Griff bekommen. Diese Umstände haben das Bedürfnis für eine spezialpräventive Einwirkung auf ihn reduziert.
45(6) Des Weiteren hat der Soldat gute dienstliche Leistungen erbracht. Dies folgt aus den o. a. dienstlichen Beurteilungen, Stellungnahmen und Aussagen seiner Disziplinarvorgesetzten, wobei der Senat die ersichtlich aus dem Rahmen fallende Beurteilung vom aufgrund der von der Zeugin Oberleutnant zur See B geschilderten Voreingenommenheit des betreffenden Beurteilers ausblendet, da sich die Beschreibungen in allen anderen Beurteilungen, Stellungnahmen und Aussagen der Disziplinarvorgesetzten im Wesentlichen decken. Zudem hat der Soldat eine Leistungsprämie und eine förmliche Anerkennung erhalten und sich in zahlreichen Auslandseinsätzen bewährt.
46Der klassische Milderungsgrund einer Nachbewährung liegt allerdings nicht vor. Er setzt in fachlicher Hinsicht eine deutliche Leistungssteigerung oder die Beibehaltung eines hohen Leistungsniveaus voraus (vgl. 2 WD 18.18 - juris Rn. 31 m. w. N.). Zudem muss sich der Soldat während des Verfahrens in jeder Hinsicht ohne Anlass zu Beanstandungen durch seine Vorgesetzten führen ( 2 WD 10.12 - juris Rn. 48). Daran fehlt es, weil der Soldat zwar gute, aber keine herausragenden dienstlichen Leistungen erbracht hat und nach der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens die Tat gemäß Anschuldigungspunkt 4 beging.
47cc) Weitere Milderungsgründe liegen nicht vor.
48(1) Insbesondere handelte der Soldat nicht im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit.
49(a) Die richterliche Entscheidung, ob im Sinne des § 21 StGB die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe zum Zeitpunkt des Dienstvergehens erheblich vermindert war, erfolgt mehrstufig. Zunächst ist festzustellen, ob beim Täter zu den Tatzeitpunkten eine psychische Störung vorlag, die ein solches Ausmaß erreichte, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Begehung der Taten beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds ebenso wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit um vom Gericht zu beantwortende Rechtsfragen (vgl. 2 WD 2.22 - NVwZ-RR 2023, 288 Rn. 66).
50(b) Danach kann ohne vernünftige Zweifel ausgeschlossen werden, dass beim Soldaten zur Tatzeit eine psychische Störung eines solchen Ausmaßes vorlag, dass sie unter das allein in Betracht kommende Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB (zur Tatzeit im Gesetzestext noch schwere andere seelische Abartigkeit genannt, vgl. BT-Drs. 19/19859 S. 35) fiel.
51Nach den Feststellungen der Sachverständigen bestand beim Soldaten zur Tatzeit ein pathologisches Spielen (ICD 10 F 63.0) bzw. eine Spielsucht. Diese Diagnose hat der Sachverständige schlüssig aus den Ergebnissen der Untersuchung des Soldaten und den vorliegenden Arztberichten hergeleitet. Andere psychiatrische Erkrankungen hat der Sachverständige aufgrund der durchgeführten Persönlichkeitsdiagnostik mittels MMPI-2-RF nachvollziehbar ausgeschlossen.
52"Pathologisches Spielen" oder "Spielsucht" stellt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat angeschlossen hat, für sich genommen keine schwere andere seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB dar. Maßgeblich ist, ob der Betroffene gravierende psychische Veränderungen in seiner Persönlichkeit erfährt, die in ihrem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung gleichwertig sind. Nur wenn eine Spielsucht diagnostiziert ist und zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt oder der Täter bei Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat, kann eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB anzunehmen sein ( - juris Rn. 45 m. w. N., 2 WD 6.23 - juris Rn. 50).
53Eine schwerste Persönlichkeitsveränderung des Soldaten infolge seiner Spielsucht hat der Sachverständige nachvollziehbar verneint, weil sich eine solche weder in der klinischen Interviewsituation bei der Begutachtung noch anhand der Persönlichkeitsdiagnostik nachweisen ließ.
54Ebenso wenig hat er Anhaltspunkte für starke Entzugserscheinungen des Soldaten gesehen. Dies hat er plausibel damit begründet, dass der Soldat bei seinen zahlreichen Einsätzen auf Schiffen, während derer er trotz seiner Spielsucht dem Glücksspiel nicht nachging, ohne Weiteres in der Lage war, seinen Dienst zu verrichten, ohne dass es dabei zu dienstlichen Auffälligkeiten kam. Dabei hat er auch nachvollziehbar erläutert, dass das dienstlich veranlasste Drücken von Knöpfen wie z. B. das Tippen auf Radargeräten entgegen der Annahme der Verteidigung kein Substitut für das Bedienen von Glücksspielautomaten war, weil es bei Letzterem darum gehe, Geld mit Geld zu gewinnen und dabei etwa auch die Atmosphäre in der Spielhalle, Gerüche und Lichtimpulse eine Rolle spielten.
55(c) Auch die vom Sachverständigen vertretene wissenschaftliche Auffassung, dass neben schwersten Persönlichkeitsveränderungen und starken Entzugserscheinungen das sog. Craving (starker Suchtdruck) als potenzieller Faktor gewertet werden könne, der eine schwere andere seelische Störung begründen könne, führt im Ergebnis nicht zur Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit des Soldaten.
56Da eine Sucht als solche die Annahme verminderter Schuldfähigkeit nicht zu begründen vermag, sind auch deren generelle Merkmale wie der Suchtdruck grundsätzlich ohne Bedeutung (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 493/19 - juris Rn. 8 und vom - 5 StR 232/24 - juris Rn. 8; Urteile vom - 2 StR 310/21 - juris Rn. 17 und vom - 6 StR 68/25 - juris Rn. 12, jeweils zum Suchtdruck bei substanzgebundenen Abhängigkeiten).
57Ungeachtet dessen hat auch der Sachverständige trotz des von ihm beim Soldaten zur Tatzeit angenommenen "gewissen Cravings" eine dadurch bedingte erheblich verminderte Einsichts- oder Steuerfähigkeit des Soldaten ausgeschlossen.
58Die Annahme des Sachverständigen, dass der Soldat gleichwohl voll einsichtsfähig war, ist überzeugend, weil der Soldat in der Berufungshauptverhandlung erklärt hat, gewusst zu haben, dass es falsch gewesen sei, das Geld zu nehmen und dass er damit "alles riskiere".
59Der Sachverständige hat auch nachvollziehbar erläutert, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Soldaten infolge seiner Spielsucht und des damit verbundenen Suchtdrucks bei den Taten nicht erheblich vermindert war, sondern der Soldat jeweils überlegte, abwog und es für ihn durchaus eine Hemmschwelle gab. Insoweit hat der Sachverständige schlüssig dargelegt, dass der Soldat bei den "Griffen in die Kameradenkassen" jeweils in der Lage war, nur Teilbeträge zu entnehmen und Gewinne zurückzulegen, um eine Entdeckung zu vermeiden, bei der Tat gemäß Anschuldigungspunkt 3 zuvor etliche Male in dem betreffenden Büro war, bevor er den Diebstahl beging, und nach der jeweiligen Entwendung von Geld zunächst seinen Dienst bis zum Dienstschluss verrichtete, bevor er eine Spielhalle aufsuchte, um das entwendete Geld dort einzusetzen.
60(2) Der Soldat hat sich auch nicht in einer seelischen Ausnahmesituation befunden (dazu 2 WD 23.01 u. a. - BVerwGE 117, 117 <124> m. w. N.). Die von ihm angeführten Belastungsfaktoren - die Schulden, die 2017 geschiedene Ehe, die Geburt seines zweiten Kindes im Jahr 2019 und der Druck wegen des angestrebten Status als Berufssoldat - begründen keine außergewöhnlichen Besonderheiten seiner Situation zur Tatzeit. Sie erreichten keinen so hohen Grad an Zuspitzung, dass ein normgemäßes Verhalten kaum noch erwartet werden konnte (vgl. 2 WD 10.18 - juris Rn. 31 m. w. N.).
61(3) Ebenso wenig erlangt die Schadenswiedergutmachung ein erheblich milderndes Gewicht. Sie ist zwar bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigen (vgl. auch § 46 Abs. 2 Satz 2 Alt. 6 StGB), jedoch nicht geeignet, die Schwere des Dienstvergehens bedeutsam zu relativieren, weil die deutsche Rechtsordnung die Wiedergutmachung eines Schadens nicht in das Ermessen des Schädigers stellt, sondern sie als dessen rechtliche Verpflichtung ausgestaltet, womit sie sich als rechtliche Selbstverständlichkeit darstellt ( 2 WD 4.23 - juris Rn. 56 m. w. N.).
62dd) An sich wäre bei einer Gesamtwürdigung aller aufgezeigten Umstände wegen des deutlichen Überwiegens der gegen den Soldaten sprechenden Gesichtspunkte eine Herabsetzung um drei Dienstgrade in denjenigen eines Obermaates geboten. Die ungerechtfertigte Überlänge des Disziplinarverfahrens um etwa ein Jahr und acht Monate gebietet jedoch, den Soldaten um einen Dienstgrad weniger in denjenigen eines Bootsmannes herabzusetzen. Denn in Fällen, in denen eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme geboten ist, ist eine gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und Art. 19 Abs. 4, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßende, unangemessene Verfahrensdauer bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit mildernd zu berücksichtigen (vgl. 2 WD 18.19 - juris Rn. 75 m. w. N.).
63(1) Hier weist das etwa zwei Jahre und acht Monate lange erstinstanzliche Verfahren eine Überlänge von etwa einem Jahr und acht Monaten auf. Angesichts der Überschaubarkeit der Vorwürfe, des bei Eingang der Anschuldigungsschrift vorliegenden rechtskräftigen Strafbefehls zu den Anschuldigungspunkten 1 und 3 und der im Schlussgehör geständigen Einlassung des Soldaten hatte das Verfahren keinen überdurchschnittlichen Schweregrad. In tatsächlicher Hinsicht bedurfte es keiner Vernehmung von Sachzeugen. In rechtlicher Hinsicht warf es keine ungeklärten Rechtsfragen auf. Da es wegen der im Raum stehenden Degradierung für den Soldaten von erheblicher Bedeutung war, hätte eine Erledigung bei einem normalen Geschäftsgang binnen eines Jahres erwartet werden können. Besondere Umstände, welche die Verzögerung erklären könnten, sind den Akten nicht zu entnehmen. Dies lässt darauf schließen, dass sie auf die gerichtsbekannte Überlastung der Truppendienstgerichte zurückgeht. Diesen strukturellen Mangel hat der Soldat nicht zu verantworten.
64(2) Demgegenüber war das rund drei Monate lange Vorermittlungsverfahren nicht überlang (vgl. 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 44). Ebenso wenig kann sich der Soldat darauf berufen, dass der Zeitraum zwischen der Zustellung der Einleitungsverfügung an ihn und dem Eingang der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht unangemessen lang war. Denn er hat in diesem Verfahrensstadium keinen Antrag beim Truppendienstgericht nach § 101 Abs. 1 Satz 1 WDO a. F. gestellt, um auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken (vgl. EGMR, Urteil vom - 8453/04, Bayer/Deutschland - NVwZ 2010, 1015 Rn. 51; 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 42). Das etwa ein Jahr und dreieinhalb Monate lange Berufungsverfahren war unter Berücksichtigung der erforderlichen Einholung eines Sachverständigengutachtens (vgl. - juris Rn. 7) nicht überlang.
654. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der erstinstanzlichen Kosten auf § 142 Abs. 1 Satz 1 WDO. Gründe, die es unbillig erscheinen lassen, dass der Soldat die Kosten des Verfahrens oder die ihm darin erwachsenen Auslagen trägt (§ 142 Abs. 1 Satz 2, § 144 Abs. 2 Satz 1 WDO), sind nicht ersichtlich. Hinsichtlich der zweitinstanzlichen Kosten folgt die Kostenentscheidung aus § 143 Abs. 1 Satz 1, § 144 Abs. 2 Satz 1 WDO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:180925U2WD20.24.0
Fundstelle(n):
VAAAK-06885