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BVerwG Beschluss v. - 1 WB 7.25

Tatbestand

1Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Rahmen seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3).

2Der Antragsteller ist seit ... Berufssoldat. Zuletzt wurde er ... zum Stabsfeldwebel ernannt und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 9 M eingewiesen. Von Juli 1999 bis September 2022 wurde er beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) verwendet. Seit Oktober ... wird er auf einem dienstpostenähnlichen Konstrukt beim ...bataillon ... verwendet. Seine Dienstzeit endet voraussichtlich mit Ablauf des September ...

3Im Januar 2020 meldete der Sicherheitsbeauftragte mittels Nachbericht Hinweise auf sicherheitserhebliche Erkenntnisse im Hinblick auf den Antragsteller. Die Geheimschutzbeauftragte des Bundesamts für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) war anonym auf einen Facebook-Post des Antragstellers hingewiesen worden, in dem die angebliche Rente einer Friseurin nach 40 Jahren Arbeit dem angeblichen Einkommen eines Syrers "mit zwei Ehefrauen und sieben Kindern fürs NICHTSTUN" gegenübergestellt wurde.

4Im Rahmen der Prüfung teilte eine Auskunftsperson dem BAMAD mit, dass der Beitrag im Wohnort des Antragstellers "großes Gesprächsthema" gewesen sei. Es solle auch die Zugehörigkeit des Antragstellers zum BAMAD bekannt gewesen sein.

5Auf dem Facebook-Account des Antragstellers wurden weitere migrations- und islamkritische Posts gefunden. Außerdem sei er dort mit dem Präsidenten eines Rockerclubs "befreundet", der insbesondere durch regelmäßig antisemitische und rassistische Äußerungen sowie Verschwörungstheorien bekannt sei.

6Mit Schreiben vom wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass bei ihm sicherheitserhebliche Umstände aufgetreten seien. Die vorliegenden Erkenntnisse begründeten hinreichende Zweifel an der gebotenen Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Antragstellers sowie an seinem uneingeschränkten Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung. Er habe im öffentlich sichtbaren Teil sozialer Netzwerke Beiträge und Bilder mit populistischen, ethnisch diskriminierenden und rassistischen Inhalten sowie Bezügen zur Wehrmacht und dem Nationalsozialismus unter seinem Namen eingestellt.

7Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung wurden dem Antragsteller weitere Interaktionen mit Postings vorgehalten. Der Antragsteller gab an, es sei nie seine Absicht gewesen, rassistische Ideologie oder ähnliche Positionen im Kopf eines anderen zu etablieren. Er habe auch nichts gegen Ausländer. Er habe sich einfach keine Gedanken gemacht. Ihm seien die Folgen nicht klar gewesen. Ihm werde dies mit Sicherheit nicht wieder passieren. Auch sei er in einem Bereich eingesetzt, in dem er nach außen keine Wirkung entfalte.

8Mit Vorlage vom erhielt die Geheimschutzbeauftragte des BAMAD ein ausführliches Votum, nachdem die Sicherheitsüberprüfung tatsächliche Anhaltspunkte ergeben habe, die Zweifel an der Zuverlässigkeit und am Bekenntnis des Betroffenen zur freiheitlich demokratischen Grundordnung begründeten. Es werde daher vorgeschlagen, die Prüfung mit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos abzuschließen.

9Mit Schreiben vom wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass seine Sicherheitsüberprüfung Erkenntnisse ergeben habe, die zur Feststellung eines Sicherheitsrisikos geführt hätten. Die Einlassungen des Antragstellers im Rahmen der persönlichen Anhörung sowie Stellungnahmen weiterer Vorgesetzter zu seiner Person seien berücksichtigt worden und in die Entscheidung eingeflossen. Da bei einem Angehörigen eines Nachrichtendienstes besonders strenge Maßstäbe anzulegen seien, bestehe keine Möglichkeit, von der Feststellung eines Sicherheitsrisikos abzusehen.

10Ausweislich der Entscheidungsgründe habe der Antragsteller wiederholt Beiträge im öffentlich zugänglichen Teil des Internets sowie in sozialen Netzwerken getätigt bzw. geteilt, die erhebliche Zweifel an seiner Zuverlässigkeit begründeten. Der Antragsteller habe sich dabei Slogans bedient, die - teils offen, teils unterschwellig - populistisch, ethnisch diskriminierend, fremdenfeindlich und überhöht patriotisch seien. Darüber hinaus seien auch Beiträge mit Bezügen zur Wehrmacht und zum Nationalsozialismus gepostet worden.

11Auch wenn die Mehrheit der Beiträge einen humoristischen Charakter beanspruche, sei zu berücksichtigen, dass auch diese Form der Darstellung in der Öffentlichkeit Assoziationen wecke, Ressentiments bediene und politische Wirkung entfalte. Für die Öffentlichkeit sei die Motivation und Absicht des Antragstellers nicht eindeutig erkennbar gewesen. Er habe sich mit seinen Äußerungen in einen Bereich begeben, der eine klare Grenzziehung zwischen Satire und politische Agitation nicht mehr zulasse. Damit habe er wiederholt gegen seine Pflicht zur politischen Zurückhaltung sowie zur Ansehens-, Achtungs- und Vertrauenswahrung verstoßen.

12Der MAD zähle als Nachrichtendienst zu den besonders schützenswerten Bereichen in der Bundeswehr, deren Schutzbedarf deutlich über dem Grundschutzniveau der Bundeswehr liege. Angehörige des MAD müssten daher spezielle und tiefergehende Verhaltensregeln beachten. Der Antragsteller habe in seinem Handeln die erforderliche Vertrauenswürdigkeit, Integrität, Zurückhaltung und Professionalität vermissen lassen.

13Das durch den Antragsteller gezeigte Verhalten rechtfertige beim Blick in die Zukunft die Annahme, dass er bei der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit im MAD keine Gewähr dafür biete, dass er seine Pflichten mit der unbedingt erforderlichen Zuverlässigkeit nachkommen werde. Im Zweifel habe das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen.

14Mit Schriftsatz vom legte der Antragsteller Beschwerde gegen die Entscheidung der Geheimschutzbeauftragten ein. Eine Begründung enthielt die Beschwerde nicht.

15Mit Bescheid vom wies das Bundesministerium der Verteidigung die Beschwerde zurück. Es seien folgende Postings des Antragstellers festgestellt worden:

"ARD: Friseurin bekommt nach 40 Jahren Arbeit 513 € Rente.

Ein SYRER mit zwei Ehefrauen und sieben Kindern bekommt 3.890 € fürs NICHTSTUN. ( ... )"

"Weltsozialamt Deutschland. Ich schäme mich für Dich! Weil für das eigene Volk kaum was übrig bleibt (...)"

"Scharia??? - Nein Danke"

"Wir wollen keinen Gotteststaat".

16Im Rahmen der Anhörung seien dem Antragsteller von ihm bei Pinterest "gemerkte" Bilder zur Stellungnahme vorgelegt worden, die insbesondere die Wehrmacht verherrlichten. So unter anderem Bilder, auf denen

- ein Mitbürger mit Migrationshintergrund ein Bekleidungsstück mit dem Aufdruck "Landser" in altdeutscher Schrift trägt und in der Unterschrift in diesem Kontext u. a. das Wort "Altkleidersammlung" auftauche,

- ein Personenkraftwagen mit dem amtlichen Kennzeichen "SI-EG 1945" gezeigt werde,

- ein Panzer mit der Unterschrift "Stalingrad" auf der einen Seite und ein PKW nebst davor befindlicher Person mit Migrationshintergrund und dem Wortspiel "Stahl ihn grad" abgebildet sei,

- Soldaten der Wehrmacht während des Nordfeldzuges zu sehen seien mit der Unterschrift "Nordic Walking",

- ein Straßenschild mit der Aufschrift "Neger 2 km" abgebildet sei und

- eine Katze gezeigt werde, die ihre rechte Pfote wie zum "Hitlergruß" hebe.

17Die Beschwerde sei unbegründet. Ein Sicherheitsrisiko gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG liege dann vor, wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründeten. Diese tatsächlichen Anhaltspunkte lägen beim Antragsteller in den von ihm in sozialen Netzwerken geposteten und öffentlich wahrgenommenen Bildern und Standpunkten. In diesen verherrliche er beispielsweise die Feldzüge der Wehrmacht, setze die Würde von Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit Migrationshintergrund herab und pauschalisiere das gegenwärtige Migrations- und Integrationsgeschehen auf hetzerische Weise.

18Eine positive Prognose sei nicht möglich. Die Anhörung habe ergeben, dass der Antragsteller bislang in keiner Weise seine Rolle und die damit verbundene Außenwirkung seines Auftretens reflektiert habe. So habe er das öffentliche Posten von Bildern in sozialen Netzwerken, die teilweise die Feldzüge der Wehrmacht verherrlichten, teilweise Mitbürgerinnen und Mitbürger mit Migrationshintergrund in deren Würde herabsetzten und diskriminierten, als witzig bezeichnet. Durch sein Handeln habe er das Vertrauen des Dienstherrn in seine Zuverlässigkeit und Integrität geschädigt. Insoweit könne derzeit nicht von einer Verantwortungsbereitschaft in dem Maße ausgegangen werden, die vonnöten sei, um ihn sicherheitsempfindlich einsetzen zu können.

19Am stellte der Antragsteller einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag mit einer Stellungnahme vom dem Senat vorgelegt.

20Der Sachverhalt rechtfertige nicht ohne Weiteres beim Blick in die Zukunft die Annahme, dass der Beschwerdeführer bei der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit im MAD keine Gewähr dafür biete, dass er seinen Pflichten mit der unbedingten erforderlichen Zuverlässigkeit nachkommen werde. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass sich der Beschwerdeführer in einen Bereich begeben habe, der eine klare Grenzziehung zwischen Satire und politischer Agitation nicht mehr zulasse, so begründe dies nicht ohne Weiteres Zweifel an der Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, da der in Bezug genommene Sachverhalt keine Verstöße gegen Geheimhaltungs- und sonstige Sicherheitsbestimmungen erkennen lasse.

21Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Geheimschutzbeauftragten des BAMAD vom aufzuheben.

22Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

23Der Antrag sei bereits unzulässig. Durch die aus gesundheitlichen Gründen zwingend erforderliche Versetzung des Antragstellers zum ...bataillon ... sei die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gegenstandslos. Es sei unter keinem Gesichtspunkt ersichtlich und auch nicht vorgetragen, wie sich die fehlende Sicherheitseinstufung auf die Person des Antragstellers oder seinen Dienst auf seinem jetzigen Dienstposten auswirken könne. Mittlerweile stehe auch fest, dass der Antragsteller in seiner verbleibenden Restdienstzeit bis Ende September ... keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit mehr ausüben werde und dies auch nicht begehre. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse sei nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich.

24Der Antrag sei auch unbegründet. Ein Sicherheitsrisiko gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SÜG liege dann vor, wenn Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung bestünden. Beim Antragsteller bestünden aufgrund des aus der Akte ersichtlichen und im angegriffenen Beschwerdebescheid ausführlich dargelegten Sachverhalts ernsthafte Zweifel an seinem Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung. In diesem Zusammenhang werde ergänzend und vollumfänglich auf die nachvollziehbare und schlüssige Bewertung der Geheimschutzbeauftragten in den Entscheidungsgründen verwiesen. Auch die Prognoseentscheidung sei nachvollziehbar. Es bestehe die Sorge, dass der Antragsteller auch künftig nicht in dem Maße für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintreten werde, wie dies von ihm erwartet werden könne und müsse.

25Der Antragsteller tritt der Annahme des Bundesministeriums der Verteidigung, dass der Antrag unzulässig sei, entgegen. Eine eingeschränkte Verwendungsfähigkeit ergebe sich aus dem vorliegenden Verwaltungsvorgang nicht.

26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Gründe

27Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.

281. Der Antrag ist zulässig. Der Rechtsstreit hat sich nicht in der Hauptsache erledigt. Die Erledigung einer (truppendienstlichen) Maßnahme liegt vor, wenn die Regelungswirkung der Maßnahme und die daraus resultierende Beschwer für den Betroffenen weggefallen ist (vgl. 1 WB 55.14 - juris Rn. 28). Das ist hier nicht der Fall.

29Nach § 14 Abs. 5 Satz 2 SÜG darf der Antragsteller ohne eine abgeschlossene Sicherheitsüberprüfung, die zum Ergebnis hat, dass kein Sicherheitsrisiko vorliegt, nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden. Die Geheimschutzbeauftragte hat eine Wiederholungsprüfung erst nach fünf Jahren zugelassen. Dieser Zeitraum ist noch nicht abgelaufen. Dass nach Angabe des Bundesministeriums der Verteidigung im Vorlageschreiben feststehe, dass der Antragsteller in seiner verbleibenden Restdienstzeit keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit mehr ausüben werde und dies auch nicht begehre, ändert an der fortdauernden Regelungswirkung der Maßnahme nichts. Dass der Antragsteller trotz dieses Vortrags weiterhin die Aufhebung der Entscheidung der Geheimschutzbeauftragten begehrt, lässt im Übrigen darauf schließen, dass er weiterhin ein Interesse daran hat, jedenfalls die Möglichkeit zu erhalten, sicherheitsempfindliche Tätigkeiten auszuüben.

302. Der Antrag ist auch begründet. Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos ist rechtswidrig (vgl. § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 1 WBO).

31a) Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Vorlage des Antrags (stRspr, vgl. z. B. 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 Rn. 35). Bis zu diesem Zeitpunkt können in Ergänzung der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten und mit dessen Zustimmung tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos, einschließlich der dabei zu treffenden Prognose, in das Verfahren eingeführt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WDS-VR 7.07 - juris Rn. 23, vom - 1 WB 47.13 - juris Rn. 29 und vom - 1 WB 3.19 - juris Rn. 22).

32b) Der hier nach § 3 Abs. 1 Satz 2 SÜG, Nr. 2430 ZDv A-1130/3 zuständigen Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, z. B. 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 24 ff. m. w. N.).

33Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko bereits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für einen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SÜG bestehen. Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen (§ 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine "Beweislast", weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht werden wird (stRspr, z. B. 1 WB 58.11 - juris Rn. 30; vgl. auch - BVerfGE 39, 334 <353>).

34c) Nach diesen Maßstäben ist die Feststellung eines Sicherheitsrisikos rechtswidrig.

35aa) Die Geheimschutzbeauftragte hat den gesetzlichen Rahmen ihres Beurteilungsspielraums verkannt, wenn sie mit der von ihr gegebenen Begründung von tatsächlichen Anhaltspunkten für Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG ausgeht. Sie geht davon aus, dass sich der Antragsteller mit seinen Äußerungen in einen Bereich begeben habe, der eine klare Grenzziehung zwischen Satire und politische Agitation nicht mehr zulasse. Damit habe dieser wiederholt gegen seine Pflicht zur politischen Zurückhaltung sowie zur Ansehens-, Achtungs- und Vertrauenswahrung verstoßen.

36Dieser Begründung lässt sich nicht entnehmen, welche Äußerungen die Geheimschutzbeauftragte konkret als Verstöße gegen die Dienstpflichten des Antragstellers - denn auf diese Einstufung stützt sie die Zuverlässigkeitszweifel - angesehen hat. Darüber hinaus führt der besondere Wertgehalt des in Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Grundrechts auf freie Meinungsäußerung zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede und vergleichbarer Meinungsäußerungen in allen Bereichen, namentlich im öffentlichen Leben. Dies gilt nach § 6 Satz 1 SG auch für Soldaten. Für sie darf zwar im Rahmen der Erfordernisse des militärischen Dienstes und mit dem Ziel, die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr zu erhalten, nach Art. 17a GG u. a. das Grundrecht der freien Meinungsäußerung durch gesetzlich begründete Pflichten, wie sie im Soldatengesetz im Einzelnen normiert sind, beschränkt werden. Soldaten haben außerhalb militärischer Unterkünfte im Falle freier Meinungsäußerung insoweit Schranken zu beachten, denen andere Staatsbürger nicht unterliegen.

37Den Soldaten, auch den Vorgesetzten, steht dennoch grundsätzlich das Recht zu, sich in Rede und Schrift kritisch mit politischen Fragen, auch mit verteidigungspolitischen Fragen, auseinanderzusetzen und sich dabei auch in Widerspruch zu Meinungen von Vorgesetzten und Kameraden zu setzen. Sie dürfen dabei grundsätzlich auch auf ihre Zugehörigkeit zur Bundeswehr durch die Angabe ihres Dienstgrades hinweisen (vgl. 1 WB 8.85 - BVerwGE 83, 90 <97> m. w. N.). Für die Meinungsäußerung kann auch das Forum der sozialen Medien genutzt werden.

38Verstieße bereits ein solches Verhalten gegen die genannten Bestimmungen des Soldatengesetzes, so könnten die Soldaten in einem Ausmaß nicht am öffentlichen Meinungskampf teilnehmen, das mit der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG im freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat unvereinbar wäre. Dementsprechend sind auch die Verlautbarungen eines Soldaten in Form von Posts und Likes in sozialen Netzwerken eine durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Wahrnehmung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung. Den Vorgaben dieses Grundrechts wird der Bescheid der Geheimschutzbeauftragten nicht gerecht.

39Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Maßgeblich für die Deutung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (vgl. - NVwZ 2024, 733 Rn. 31 f. m. w. N.). Bei der Beurteilung der Frage des Vorliegens einer Dienstpflichtverletzung aufgrund von Äußerungen sind zudem erstens die gesetzlich festgelegten Dienstpflichten im Lichte der Meinungsfreiheit auszulegen und zweitens hat auf der Normanwendungsebene eine Rechtsgüterabwägung im Einzelfall zu erfolgen (vgl. nur 2 WD 15.19 - BVerwGE 169, 66 Rn. 22 ff.; Grabenwarter, in: Dürig/​Herzog/​Scholz, GG, Stand März 2025, Art. 5 Abs. 1 Rn. 139, jeweils m. w. N.). Dies bedeutet insbesondere bei außerdienstlichen Meinungsäußerungen, dass das Zurückhaltungsgebot des § 10 Abs. 6 SG umso mehr zurücktreten muss, je weniger ein Soldat in der konkreten Situation als militärischer Vorgesetzter in Erscheinung tritt, je geringer die dienstlichen Bezüge einer Meinungsäußerung sind und je mehr ein Bedürfnis nach einer spontanen, in der Ausdrucksform scharfen oder auch persönlich werdenden Kritik anzuerkennen ist (vgl. 2 WD 15.19 - BVerwGE 169, 66 Rn. 24). Jedenfalls eine solche Rechtsgüterabwägung im Einzelfall enthalten weder die Entscheidungsgründe noch der Beschwerdebescheid oder das Vorlageschreiben.

40Hinzu tritt, dass der Beschwerdeführer nicht Urheber der im Beschwerdebescheid aufgeführten Bilder auf Pinterest war. Ob der Soldat sich mit dem "Merken" dieser fremden Äußerungen deren Aussagen zu eigen gemacht hat, ist eine Frage des Einzelfalls. Bei einer solchen Schlussfolgerung ist vor dem Hintergrund der von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit Zurückhaltung geboten ( 2 WDB 16.21 - juris Rn. 47 m. w. N.). Vor allem kann allein aus dem Teilen fremder Beiträge nicht darauf geschlossen werden, dass sich der Soldat nicht nur die in dem Beitrag vertretene Position, sondern auch andere Meinungen und politische Grundeinstellungen der jeweiligen Autoren zu eigen macht (vgl. 2 WDB 1.24 - juris Rn. 14). Damit hat sich die Geheimschutzbeauftragte ebenso wenig auseinandergesetzt wie mit der Frage, ob das "Merken" auf Pinterest überhaupt ein Verbreiten fremder Inhalte beinhaltet.

41bb) Soweit im Vorlageschreiben abweichend von den Entscheidungsgründen und dem Beschwerdebescheid davon ausgegangen wird, dass beim Antragsteller ernsthafte Zweifel an dessen Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung bestünden, ist dies schon deshalb unbeachtlich, weil aus dem Schriftsatz nicht - wie sonst üblich - hervorgeht, dass diese Ausführungen mit der nach der Rechtsprechung des Senats erforderlichen Zustimmung der Geheimschutzbeauftragten erfolgt sind.

42Sie hätten ein Sicherheitsrisiko zudem ohne nähere Begründung nicht begründen können, weil die Geheimschutzbeauftragte im Rahmen der persönlichen Anhörung ausdrücklich klargestellt hat, dass dem Antragsteller kein extremistisches Gedankengut unterstellt werde. Auch in dem BAMAD-internen Votum findet sich die Aussage, dass bislang noch nicht genügend vorliege, um den Verdacht der fehlenden Verfassungstreue begründen zu können.

433. Nach allem ist die Feststellung eines Sicherheitsrisikos durch den Bescheid der Geheimschutzbeauftragten des BAMAD vom aufzuheben. Damit ist der Beschwerdebescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom gegenstandslos. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:131125B1WB7.25.0

Fundstelle(n):
BAAAK-06883