Instanzenzug: Az: I-28 U 37/21vorgehend LG Bochum Az: I-4 O 207/20
Tatbestand
1Die Kläger nehmen die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarben im September 2015 von einem Dritten einen gebrauchten Mercedes-Benz C 220 BlueTec, der mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.
2Die Kläger haben die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 3) und der Einstandspflicht der Beklagten für weitere Schäden (Berufungsantrag zu 4) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgen sie ihre Berufungsanträge insoweit weiter.
Gründe
3Die Revision der Kläger hat Erfolg.
I.
4Das hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht, weil der Schutz vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags nicht im Schutzbereich dieser Vorschriften liege. Die Voraussetzungen eines Anspruchs gemäß § 826 BGB lägen ebenfalls nicht vor. Der Annahme der Sittenwidrigkeit der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung stehe jedenfalls die fehlende Grenzwertkausalität entgegen. Das Verhalten eines Fahrzeugherstellers, das im Einklang mit der Rechtsauffassung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) stehe, könne nicht als sittenwidrig angesehen werden. Auch wenn sich das KBA diese Überzeugung erst nach der Typgenehmigung gebildet habe, könne davon ausgegangen werden, dass es sich diese bei früherer Konfrontation mit der Fragestellung ebenso gebildet hätte. Der Vortrag zu den AdBlue-Dosiermodi sei willkürlich und damit prozessual unbeachtlich, weil die Kläger keine Umstände vorgetragen hätten, die eine Prüfstandserkennung oder ein Bewusstsein der Unzulässigkeit begründeten.
II.
6Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision dagegen erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).
9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Kläger auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass den Klägern nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder den Klägern Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10zur
11Berufungsgericht
C. Fischer Möhring Messing
F. Schmidt Pastohr
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:091225UVIAZR893.22.0
Fundstelle(n):
NAAAK-06866