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BGH Urteil v. - VIa ZR 913/22

Instanzenzug: Az: 11 U 53/21vorgehend Az: 6 O 121/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Mai 2014 von der Beklagten einen von dieser hergestellten neuen Mercedes-Benz E 350 Blue Tec, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

2Das Landgericht hat der auf Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Zahlung von weiteren Verzugszinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs und der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere Schäden gerichteten Klage überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung der Anschlussberufung der Klägerin das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit ihrer vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Beklagten und ihre Anschlussberufungsanträge insoweit weiter.

Gründe

3Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Der Klägerin stehe kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Die für sich genommen unstreitige Verwendung eines "Thermofensters" könne den Vorwurf eines sittenwidrigen Handelns der Beklagten nicht begründen, da die Klägerin keine konkreten Anhaltspunkte für einen bewussten Gesetzesverstoß der für die Beklagte handelnden Personen dargelegt habe. Auch hinsichtlich der Steuerung der AdBlue-Dosierung anhand zweier verschiedener Modi fehle es an tatsächlichen Anhaltspunkten für ein sittenwidriges Handeln der Beklagten, da eine Prüfstandsbezogenheit dieser Funktion auch unter Berücksichtigung des amtlichen Rückrufs des Kraftfahrt-Bundesamts nicht dargetan sei und die Klägerin wiederum keine Anhaltspunkte für einen bewussten Gesetzesverstoß der Beklagten im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des klägerischen Fahrzeugs dargetan habe.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision dagegen erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10Die angefochtene Entscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                            Möhring                         Messing

                      F. Schmidt                         Pastohr

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:091225UVIAZR913.22.0

Fundstelle(n):
WAAAK-06795