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BGH Urteil v. - VIa ZR 1583/22

Instanzenzug: Az: 7 U 86/22vorgehend Az: 4 O 192/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Oktober 2016 von einem Dritten - teilweise darlehensfinanziert - einen gebrauchten Mercedes-Benz V 250 Marco Polo BlueTEC, der mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.

2Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises und von Finanzierungskosten abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen. Er hat ferner die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs und der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere Schäden begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt er seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

3Die Revision des Klägers hat Erfolg.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Bezüglich des Thermofensters liege - selbst wenn man insoweit eine unzulässige Abschalteinrichtung annehmen wolle - keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor. Die Verwendung einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung lasse für sich genommen noch nicht den Schluss auf ein verwerfliches Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen zu, da diese Funktion auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb grundsätzlich in gleicher Weise arbeite. Der Kläger habe keine konkreten Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Verwendung dieser Funktion in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte bewusst gesetzliche Mitteilungspflichten im Typgenehmigungsverfahren verletzt habe. Der Einsatz einer AdBlue-Dosierstrategie könne schon deshalb nicht als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft werden, weil das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Verwendung mehrerer Betriebsarten als solche nicht beanstandet habe. Jedenfalls liege vor dem Hintergrund, dass die Programmierung der Beklagten selbst nach Auffassung des KBA „technisch nachvollziehbar“ sei, ein sittenwidriges Verhalten mit entsprechendem Schädigungsvorsatz fern.

6Einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stehe der fehlende Schutzgesetzcharakter dieser Vorschriften entgegen.

II.

7Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision dagegen erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

12.

C. Fischer                             Möhring                             Messing

                       F. Schmidt                            Pastohr

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:091225UVIAZR1583.22.0

Fundstelle(n):
YAAAK-06777