Verzicht der personalbearbeitenden Stelle auf Neufassung einer aufgehobenen Regelbeurteilung
Leitsatz
1. Soldatinnen und Soldaten haben ein Recht auf Teilhabe an dem vom Dienstherrn vorgegebenen System von Regelbeurteilungen.
2. Verwaltungsvorschriften über Einzelfallausnahmen von der Regelbeurteilungspflicht bedürfen einer normativen Grundlage und sind eng auszulegen.
Tatbestand
1Der Antragsteller wendet sich gegen den Verzicht auf die Neuerstellung seiner planmäßigen Beurteilung zum Stichtag .
2Der 19... geborene Antragsteller ist Berufssoldat. Seine Dienstzeit wird voraussichtlich mit dem September 20... enden. Im Oktober 2013 wurde er zum Oberst (A 16) befördert und mit Wirkung vom in eine Planstelle der Besoldungsgruppe B 3 eingewiesen. Seit Juli 2021 wird er als Kommandeur des ... in M. verwendet. Zuvor war er ab Juli 2017 beim ... in I. als G 3-Stabsoffizier eingesetzt. Dem schloss sich ab dem eine Verwendung beim ... als Stabsoffizier zur besonderen Verwendung an, wo der Antragsteller mit verschiedenen Spezialaufträgen befasst war.
3Für den Beurteilungszeitraum vom bis zum erstellte der Erstbeurteiler, Generalmajor S., unter dem seinen dem Antragsteller am selben Tage eröffneten Anteil. Dem lagen Beurteilungsbeiträge des Amtschefs des ..., Generalmajor W., vom und - nach Angaben des Antragstellers - des Unterabteilungsleiters "..." im ..., Oberst i.G. C., vom zugrunde.
4Der Zweitbeurteiler, Vizeadmiral D., hatte zunächst unter dem alle Wertungen des Erstbeurteilers bestätigt und das Gesamturteil "D+" vergeben. Diese Fassung des Anteils Zweitbeurteiler war auf die weitere Beschwerde des Antragstellers durch den Generalinspekteur der Bundeswehr mit Bescheid vom aufgehoben worden, weil das Gesamturteil nicht schlüssig aus den Einzelbewertungen abgeleitet war. Daraufhin erstellte der Zweitbeurteiler unter dem eine Neufassung seines Anteils, in der er erneut das Gesamturteil "D+" vergab, aber die Leistungsbeurteilung des Erstbeurteilers in mehreren Punkten abänderte.
5Auch gegen diese Fassung des Anteils Zweibeurteiler beschwerte sich der Antragsteller. Der Generalinspekteur der Bundeswehr wies die Beschwerde unter dem zwar zurück. Auf seine weitere Beschwerde vom hob das Bundesministerium der Verteidigung mit Bescheid vom die planmäßige Beurteilung des Antragstellers zum Stichtag und den Beschwerdebescheid des Generalinspekteurs vom auf. Der Vortrag, die das bisher sehr gute Beurteilungsbild bestätigenden und fast 90 % des Beurteilungszeitraumes abdeckenden Beurteilungsbeiträge seien nicht ausreichend berücksichtigt worden, hätte die Pflicht zur Plausibilisierung der Änderungen des Zweitbeurteilers und des Gesamturteils ausgelöst, dem nicht genügt worden sei. Eine Entscheidung, ob die aufgehobene Beurteilung neu zu erstellen sei oder dies unterbleiben könne, werde die personalbearbeitende Stelle dem Antragsteller mitteilen.
6In einem Personalgespräch am wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass das Bundesministerium der Verteidigung gemäß Nr. 1312 AR A-340/50 auf die Neufassung der aufgehobenen Beurteilung zum Stichtag verzichte. Über ihn lägen neue Beurteilungserkenntnisse aus der planmäßigen Beurteilung zum Stichtag vor. Ihm entstünden keine Nachteile, da die aktuelle Beurteilung (und Personalentwicklungsbewertung) für alle denkbaren zukünftigen Entscheidungen abschließend entscheidungsrelevant sei.
7Hiergegen legte der Antragsteller unter dem Beschwerde ein, die das Bundesministerium der Verteidigung als Antrag auf gerichtliche Entscheidung wertete und mit einer Stellungnahme vom dem Senat vorlegte.
8Der Antragsteller macht geltend, die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Neuerstellung nach Nr. 1312 AR A-1340/50 seien nicht gegeben. Ein Verzicht stehe hiernach im Ermessen der personalbearbeitenden Stelle, die dieses nicht pflichtgemäß ausgeübt habe. Sie habe die sich für ihn hieraus ergebenden Konsequenzen nicht angemessen berücksichtigt. Der Ruhestand des Erstbeurteilers stelle kein Hindernis für die Neuerstellung dar. Diese könne - wie in anderen Fällen auch - auf den Dienstpostennachfolger übertragen werden. Beurteilungsbeiträge würden 90 % des Beurteilungszeitraums abdecken. Es gebe zudem die Möglichkeit, die Funktion von Erst- und Zweitbeurteiler in einer Person zu vereinen. Der Zweitbeurteiler sei noch verfügbar. Neue belastbare Beurteilungserkenntnisse lägen nicht vor. Die Regelbeurteilung 2023 sei ebenfalls aufgehoben worden. Die Regelbeurteilung von 2025 sei noch nicht erstellt. Durch das Fehlen der Beurteilung 2021 entstünden ihm massive Nachteile. Bei Auswahlverfahren komme es regelmäßig auch auf die historische Beurteilung an. Er verfüge aktuell nur noch über Beurteilungen nach dem alten System und könne daher in anstehenden Auswahlverfahren nicht berücksichtigt werden. Der Zeitraum seit dem Beurteilungsstichtag sei noch nicht zu groß, um eine Neuerstellung zu veranlassen. Die Beurteilung 2021 sei noch keine fünf Jahre alt und damit weiterhin berücksichtigungsfähig.
9Der Antragsteller beantragt,
das Bundesministerium der Verteidigung unter Aufhebung der Entscheidung vom sowie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, die Neuerstellung der dienstlichen Beurteilung für ihn zum Stichtag anzuordnen.
10Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
11Der Verzicht auf die Neuerstellung der Beurteilung sei nach Nr. 1314 AR A-340/50 nicht zu beanstanden. Der Erstbeurteiler sei in den Ruhestand versetzt worden. Außerdem bestehe kein Erfordernis für eine Neufassung mehr, da die aktuelle planmäßige Beurteilung zum Stichtag vorliege. Des Weiteren sei der Zeitraum zwischen der ursprünglichen Erstellung und der Neufassung zu groß. Zwar werde der Beurteilungszeitraum weit überwiegend durch Beurteilungsbeiträge abgedeckt. Gleichwohl seien seither ca. drei Jahre vergangen und der Erstbeurteiler in den Ruhestand getreten. Ein Nachfolger könne den Antragsteller nicht mehr leistungsgerecht bewerten. Das historische Leistungsbild des Antragstellers sei für dessen aktuelle Beurteilung nicht relevant. In Auswahlverfahren hätten historische Beurteilungen nur ausnahmsweise Relevanz. Eine Neufassung würde den Leistungen des Antragstellers wegen der genannten Schwierigkeiten voraussichtlich nicht hinreichend gerecht und sei in ihrer Aussagekraft zweifelhaft.
12Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Gründe
13Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
141. Der nach § 17 Abs. 4 Satz 1 WBO fristgemäß nach der dem Antragsteller am eröffneten Entscheidung, auf die Neufassung seiner Beurteilung zum Stichtag zu verzichten, gestellte Antrag ist auch im Übrigen zulässig.
15a) Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO kann mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur geltend gemacht werden, dass eine dienstliche Maßnahme oder deren Unterlassung rechtswidrig sei. Merkmal einer Maßnahme in diesem Sinne ist (u. a.), dass sie unmittelbar gegen den Soldaten gerichtet ist oder - obwohl an andere Soldaten gerichtet - in Form einer Rechtsverletzung oder eines Pflichtenverstoßes in seine Rechtssphäre hineinwirkt. Überlegungen, Bewertungen, Stellungnahmen oder Zwischenentscheidungen, die lediglich der Vorbereitung von truppendienstlichen Maßnahmen oder Personalmaßnahmen dienen, sind hingegen als Elemente innerdienstlicher Willens- und Meinungsbildung noch keine die Rechte eines Soldaten unmittelbar berührenden Maßnahmen; sie sind infolgedessen einer selbstständigen gerichtlichen Nachprüfung nicht zugänglich (stRspr, vgl. 1 WB 63.22 - juris Rn. 16 m. w. N.).
16Hiernach stellt die Entscheidung, auf eine Neufassung der planmäßigen Beurteilung des Antragstellers zu verzichten, ebenso wie die hier begehrte planmäßige Beurteilung als solche ( 1 WB 60.22 - BVerwGE 180, 116 Rn. 32) eine mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung anfechtbare dienstliche Maßnahmen im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO dar. Denn sie beendet das Verfahren der Erstellung der Regelbeurteilung des Antragstellers zum in Rede stehenden Stichtag und schließt diesen von der fraglichen Beurteilungsrunde aus. Damit greift die Entscheidung unmittelbar in seine Rechte auf Förderung nach Maßgabe von Eignung, Leistung und Befähigung ein, weil sie ihm ein hierfür bestehendes Instrument vorenthält. Der Antragsteller kann damit statthaft sowohl die Aufhebung der Entscheidung über den Verzicht als auch die Verpflichtung zur Veranlassung einer Neuerstellung der mit dem Beschwerdebescheid vom aufgehobenen planmäßigen Beurteilung zum Stichtag verlangen.
17b) Der Antragsteller ist antragsbefugt. Denn er ist möglicherweise in einem nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO rügefähigen subjektiv-öffentlichen Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. § 6 WBO auf Erstellung der turnusmäßig alle zwei Jahre - hier zum - zu erstellenden Regelbeurteilung verletzt. Das staatsbürgerliche Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG gibt jedem Deutschen nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung einen Anspruch auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern. Es gewährleistet einen Bewerbungsverfahrensanspruch bei der Auswahlentscheidung für ein öffentliches Amt (vgl. - BVerfGE 141, 56 Rn. 31), der eine Gleichbehandlung der Bewerber im Vorfeld der Auswahlentscheidung fordert. Daher gewährt Art. 33 Abs. 2 GG auch einen Anspruch auf gleiche Teilhabe an einem vom Dienstherrn eingerichteten Regelbeurteilungssystem, das bei nachfolgenden Auswahlentscheidungen als Grundlage für die Vergabe öffentlicher Ämter dient.
18Im vorliegenden Fall hat der Dienstherr eine regelmäßige Beurteilung der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Abstand von zwei Jahren vorgesehen. Eine entsprechende Pflicht des Dienstherrn folgt aktuell aus dem - hier allerdings nicht maßgeblichen - § 27a Abs. 1 Nr. 1 SG in der seit dem geltenden Fassung. Vor Inkrafttreten dieser Norm ergab sie sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SLV in der bis zum geltenden Fassung vom . Diese Pflicht wurde und wird allerdings dahingehend einschränkend ausgelegt, dass der Dienstherr aus sachlichen Gründen bestimmte Gruppen von Soldatinnen und Soldaten (z. B. Anwärter, hauptberufliche Personalräte, ruhestandsnahe Soldaten etc.) vom Regelbeurteilungssystem ausnehmen kann.
19Einer kontinuierlichen Erstellung von Beurteilungen aller übrigen Soldaten bedarf es sowohl im öffentlichen Interesse als auch zum Schutz der subjektiv-öffentlichen Rechte der betroffenen Soldaten (vgl. 1 WB 60.22 - BVerwGE 180, 116 Rn. 46). Ohne aktuelle Beurteilungen fehlen wesentliche Grundlagen für Auswahlentscheidungen vor allem zur Besetzung förderlicher Dienstposten. Dass diese Entscheidungen nach Maßgabe von Eignung, Leistung und Befähigung kontinuierlich getroffen werden können, liegt sowohl im öffentlichen Interesse an der effektiven Erfüllung der Aufgaben der Streitkräfte als auch im Interesse der Soldatinnen und Soldaten an ihrem beruflichen Fortkommen. Hiernach korrespondiert die Verpflichtung des Dienstherrn zur regelmäßigen Erstellung der planmäßigen Beurteilung mit einem subjektiv-öffentlichen Recht des einzelnen Soldaten aus Art. 33 Abs. 2 GG auf die gleiche Teilhabe an dem durch den Dienstherrn eingerichteten System der Regelbeurteilung.
20c) Dem Antragsteller fehlt nicht das Rechtsschutzinteresse. Es lässt sich nicht ausschließen, dass für Auswahlentscheidungen insbesondere zur Besetzung förderlicher Dienstposten auch die Leistungsentwicklung in Betracht genommen wird, die sich aus einer Folge planmäßiger Beurteilungen der Vergangenheit ergibt. Ältere dienstliche Beurteilungen, die nicht den aktuellen, sondern einen bereits zurückliegenden Zeitraum betreffen, können als zusätzliche Erkenntnismittel berücksichtigt werden, etwa wenn es auf die Dauerhaftigkeit eines erreichten Leistungsniveaus ankommt oder sie für die Eignung für bestimmte Dienstposten relevante Aussagen enthalten (vgl. 2 VR 5.24 - juris Rn. 31).
212. Der Antrag ist auch begründet.
22Der Antragsteller hat aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem übergangsweise fortgeltenden § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SLV in der bis zum geltenden Fassung vom einen Anspruch auf die Erstellung einer planmäßigen Beurteilung zum Stichtag . Der Verzicht auf eine planmäßige Beurteilung zum Stichtag ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten. Mithin ist er aufzuheben (§ 19 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 WBO) und steht dem Anspruch auf Neuerstellung der planmäßigen Beurteilung zum fraglichen Stichtag nicht entgegen. Das Bundesministerium der Verteidigung ist daher verpflichtet, auf eine Neufassung der Beurteilung des Antragstellers zum genannten Stichtag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts hinzuwirken (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 4 WBO).
23a) Für den hier in Rede stehenden Anspruch auf (Neu)Erstellung einer planmäßigen Beurteilung kommt es nach dem maßgeblichen materiellen Recht auf die am Beurteilungsstichtag geltende Rechtslage an (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 27.24 - juris Rn. 33, vom - 1 WB 30.24 - juris Rn. 44 und vom - 1 WB 62.24 - juris Rn. 37).
24b) Zum fraglichen Stichtag gab es zwar weder eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Erstellung von Beurteilungen noch für den Verzicht auf die Neuerstellung einer solchen. Denn es fehlte die hierfür erforderliche Grundlage im Soldatengesetz. Angesichts der Bedeutung einer dienstlichen Beurteilung als maßgebliches Instrument der Personalsteuerung, mit dem über das grundrechtsgleiche Recht der Soldatinnen und Soldaten aus Art. 33 Abs. 2 GG auf ein angemessenes berufliches Fortkommen entschieden wird, müssen die grundlegenden Vorgaben für ihre Erstellung durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst geregelt werden. Dieser kann die nähere Ausgestaltung nicht allein der Verwaltung überlassen ( 1 WB 60.22 - BVerwGE 180, 116 Rn. 37 ff. m. w. N.).
25Soll - wie hier - einem Soldaten ausnahmsweise das für die Personalsteuerung und das berufliche Fortkommen maßgebliche Instrument der für Soldaten seiner Status- und Besoldungsgruppe grundsätzlich erstellten, turnusmäßigen Regelbeurteilung vorenthalten werden, stellt auch dies einen Eingriff in Teilhaberechte des Betroffenen aus Art. 33 Abs. 2 GG dar, für die es ebenfalls einer normativen Grundlage zumindest in Gestalt einer Art. 80 Abs. 1 GG genügenden Verordnungsermächtigung bedarf.
26c) Die am Beurteilungsstichtag geltenden Vorschriften der §§ 2, 3 SLV und die hierzu ergangenen Allgemeinen Regelungen A-1340/50 "Beurteilungen der Soldatinnen und Soldaten" konnten aber für eine Übergangszeit bis zum Inkrafttreten von § 27a SG in der Fassung vom weiter angewandt werden (vgl. 1 WB 60.22 - BVerwGE 180, 116 Rn. 44 ff. m. w. N.). Dies schließt auch die Bestimmungen über den Verzicht auf die Neuerstellung einzelner planmäßiger Beurteilungen ein.
27d) Der einzelfallbezogene Verzicht auf eine Beurteilung bei bestimmten Soldaten ist jedoch wegen des aus Art. 33 Abs. 2 GG fließenden Gleichbehandlungsgebots und Benachteiligungsverbots nur unter engen Voraussetzungen möglich. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
28aa) Für den in Rede stehenden Beurteilungszeitraum sieht die fortgeltende Bestimmung Nr. 1313 AR A-1340/50 vor, dass die Neufassung der Zweitbeurteilung vor dem Hintergrund des darin vorgenommenen Gesamturteils regelmäßig unverzichtbar sein wird. Nach Nr. 1314 AR A-1340/50 kann auf eine Neufassung durch die personalbearbeitende Stelle nur verzichtet werden, wenn die zuständigen Vorgesetzten die Erst- oder Zweitbeurteilung nicht selbst neu fassen können, die Voraussetzungen für eine Neufassung nicht mehr gegeben sind, kein Erfordernis für eine Neufassung mehr besteht oder der Zeitraum zwischen der ursprünglichen Erstellung und der Neufassung einer Erstbeurteilung oder Zweitbeurteilung zu groß ist.
29Diese Bestimmungen sind allerdings im Lichte des höherrangigen Rechts - insbesondere des Teilhaberechts aus Art. 33 Abs. 2 GG - eng auszulegen. Dieser Rahmen kommt in Nr. 1313 AR A-1340/50 grundsätzlich zutreffend zum Ausdruck, insofern die Verzichtsmöglichkeit auf das Gesamturteil einer planmäßigen Beurteilung darin auf Ausnahmefälle beschränkt wird. Hiernach sind die in Nr. 1314 AR A-1340/50 im einzelnen aufgezählten Verzichtsmöglichkeiten auf die Fälle der objektiven Unmöglichkeit der Erstellung einer planmäßigen Beurteilung oder ihrer Funktionslosigkeit zu beschränken. Soweit insbesondere die beispielhaften Aufzählungen darüber hinausgehen, sind sie im Hinblick auf das aus Art. 33 Abs. 2 GG fließende Gleichbehandlungsgebot und Benachteiligungsverbot einschränkend auszulegen oder nicht anzuwenden.
30bb) Hiernach ist ein Verzicht auf die Neuerstellung vorliegend nach keiner der in Nr. 1314 AR A-1340/50 aufgezählten Alternativen gerechtfertigt.
31Der Verzicht kann nicht auf Nr. 1314 (1) AR A-1340/50 gestützt werden. Zwar ist der ursprüngliche Erstbeurteiler unstreitig in den Ruhestand getreten. Dies allein ist jedoch bei der hier gebotenen engen Auslegung kein hinreichender Grund für einen Verzicht. Es ist nämlich nicht bereits deswegen objektiv unmöglich eine Erstbeurteilung durch den Nachfolger im Amte erstellen zu lassen, weil dieser die Leistung des Antragstellers nicht aus eigener Anschauung kennt. Es ist möglich und zumutbar, andere Erkenntnisquellen heranzuziehen, etwa Beurteilungsbeiträge Dritter, Stellungnahmen von Fachvorgesetzten oder schriftliche Arbeitsergebnisse. Dies ist gerade hier möglich, weil der weit überwiegende Teil des Beurteilungszeitraumes von Anfang an durch Beurteilungsbeiträge abgedeckt ist. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass das Bundesministerium der Verteidigung nicht mehr in der Lage ist, den Beurteilungsbeitrag vom vorzulegen. Nach seinen Angaben ist der Beitrag vernichtet worden. Hierzu war der Dienstherr aber jedenfalls solange, wie der Beitrag noch für das offene Verfahren um den Anspruch des Antragstellers auf Erstellung einer planmäßigen Beurteilung zum fraglichen Stichtag benötigt wurde, nicht berechtigt. Zu Lasten des Antragstellers kann dieses pflichtwidrige Verhalten nicht gehen. Der Dienstherr ist vielmehr gehalten, den Beurteilungsbeitrag durch den damaligen Verfasser gegebenenfalls unter Nutzung weiterer Erkenntnisquellen - etwa die Heranziehung schriftlicher Arbeitsergebnisse des Antragstellers bezüglich der ihm übertragenen Projekte und der Einholung von Stellungnahmen von Fachvorgesetzten oder Mitarbeitern - zu rekonstruieren oder neu erstellen zu lassen. Zur Erlangung einer hinreichenden tatsächlichen Grundlage für eine Erstbeurteilung ist es auch zulässig, den in den Ruhestand getretenen früheren Erstbeurteiler um eine Stellungnahme zu bitten. Von dieser Verpflichtung ist der Dienstherr nur befreit, wenn der frühere Erstbeurteiler nicht erreichbar oder diesem die Erstellung eines Beurteilungsbeitrags aus gesundheitlichen oder Altersgründen nicht möglich ist (vgl. 2 A 1.14 - NVwZ 2016, 1654 Rn. 25 ff.).
32Der Verzicht ist auch nicht durch den Wegfall des Erfordernisses für die Neufassung (Nr. 1314 (2) AR A-1340/50) gerechtfertigt. Zwar sind zwischenzeitlich die Stichtage für zwei Folgebeurteilungen 2023 und 2025 erreicht. Jedoch liegen Beurteilungen zu diesen Stichtagen derzeit noch nicht vor, weil die Beurteilung von 2023 im Beschwerdewege aufgehoben und noch nicht neu erstellt wurde. Die Beurteilung von 2025 ist noch nicht abschließend erstellt. Selbst wenn die genannten Beurteilungen vorliegen, rechtfertigt dies allein den Verzicht auf die vorangegangene Beurteilung noch nicht ohne Weiteres. Denn diese wird durch die Erstellung weiterer Beurteilungen nicht automatisch funktionslos. Zum einen kann bei Auswahlentscheidungen im Falle eines Gleichstands der aktuellen Beurteilungen im Rahmen des Leistungsvergleichs auch auf die vorangegangenen Beurteilungen abgestellt werden. Zum anderen spielen ältere Beurteilungen eine gewichtige Rolle, wenn im Anforderungsprofil eines förderlichen Dienstpostens auf spezifische fachliche Vorverwendungen und Vorerfahrungen abgestellt wird. Darum hat auch eine weiter zurückliegende historische Beurteilung bei nach Leistungsgesichtspunkten ausgerichteten Auswahlentscheidungen noch Bedeutung, so dass grundsätzlich eine lückenlose Beurteilungskette anzustreben ist.
33Schließlich ist auch der Zeitraum zwischen der ursprünglichen Erstellung und der Neufassung noch nicht im Sinne von Nr. 1314 (3) AR A-1340/50 zu groß. Da hier ein zeitnaher schriftlicher Beurteilungsbeitrag über einen wesentlichen Teil des Beurteilungszeitraums vorliegt, kann erwartet werden, dass ein neuer Erstbeurteiler zu einer realitätsgerechten Einschätzung einer vier Jahr zuvor erbrachten Leistung in der Lage ist. Wegen des Beurteilungsbeitrages hat der Zeitablauf nur noch geringe Auswirkungen auf die Möglichkeit einer leistungsgerechten Beurteilung durch einen neuen Erstbeurteiler. Dieser ist in keiner wesentlich anderen Position als der ursprüngliche Erstbeurteiler, der auch nur auf geringe persönliche Eindrücke vom Antragsteller zurückgreifen konnte. Von einer Unzumutbarkeit der Erstellung oder einem relevanten Unterschied in der Aussagekraft der Bewertung ist hiernach nicht zu sprechen.
343. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:250925B1WB36.24.0
Fundstelle(n):
UAAAK-03981