Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Hamm Az: 1 AGH 8/25 Urteil
Gründe
I.
1Der Kläger ist seit Juni 2001 im Bezirk der Beklagten als Rechtsanwalt zugelassen. Mit Bescheid vom widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Die hiergegen gerichtete Klage hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen.
2Der Kläger beantragt nunmehr die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
3Der Zulassungsantrag des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig gemäß § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO, hat in der Sache aber keinen Erfolg, weil kein Zulassungsgrund im Sinn von § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt.
41. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 10/22, juris Rn. 39 mwN). Das Vorbringen des Klägers erfüllt diese Voraussetzungen nicht.
5a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats liegt ein Vermögensverfall gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen, die sich gegen den Rechtsanwalt richten (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 16/24, juris Rn. 16 mwN).
6Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung von einer Tatbestandswirkung von Titeln und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aus, die im Widerrufsverfahren nicht auf ihre inhaltliche und verfahrensrechtliche Richtigkeit überprüft werden. Fehler sind in den jeweils vorgesehenen Verfahren geltend zu machen, nicht im Widerrufsverfahren. Das gilt auch bei noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheiden und diesbezüglich anhängigen Verfahren beim Finanzgericht, wenn die Steuerforderungen vollstreckbar sind und die Vollziehung der den Forderungen zugrundeliegenden Steuerbescheide nicht ausgesetzt worden ist (Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 5/25, juris Rn. 10 und vom - AnwZ (Brfg) 6/19, ZInsO 2020, 1127 Rn. 27 mwN).
7Der Anwaltsgerichtshof hat unabhängig von den Ausführungen des Klägers zur Frage der Steuerschätzung und zur Auflösung von Rückstellungen einen Vermögensverfall des Klägers bereits deshalb festgestellt, weil auch nach der eigenen Darstellung des Klägers erhebliche Steuerrückstände für die Jahre 2020 und 2021 bestehen. Der Anwaltsgerichtshof hat auf die Steuerforderungen des Finanzamts für die Einkommensteuer 2020 in Höhe von 124.400 € und für das Jahr 2021 in Höhe von 58.222 € verwiesen und ausgeführt, dass diese das Resultat der vom Kläger - am (Seite 16 des Urteils) - selbst abgegebenen Steuererklärungen und "damit unabhängig von irgendwelchen aufgelösten Rückstellungen oder Schätzungsbescheiden" sind (Seite 18 des Urteils). Unter Bezugnahme auf die Aufstellung des Finanzamts vom hat der Anwaltsgerichtshof festgestellt, dass die Steuerrückstände für das Jahr 2020 und 2021 zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids weiterhin offen waren.
8Soweit der Kläger ausführt, dass er den Schätzungsbescheid für die Einkommensteuer 2024 in Höhe von 47.518,30 € nicht erhalten habe und dass der Anwaltsgerichtshof die Schätzungsbescheide des Finanzamts hätte anfordern müssen und die vom Kläger vorgebrachten Rückstellungen fehlerhaft bewertet habe, führt dies schon deshalb nicht zum Erfolg, weil der Anwaltsgerichtshof diese Umstände bei der Feststellung des Vermögensverfalls nicht zugrunde gelegt hat.
9Entgegen der Ansicht des Klägers hat der Anwaltsgerichtshof nicht unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger am Steuererklärungen abgegeben hat. Denn der Anwaltsgerichtshof hat ausdrücklich darauf abgestellt, dass die Steuerforderungen des Finanzamts für die Einkommensteuer 2020 und 2021 auf den vom Kläger abgegebenen Steuererklärungen beruhen.
10Soweit der Anwaltsgerichtshof an anderer Stelle (Seite 15 des Urteils) ausführt, aus der Aufstellung vom habe sich ergeben, dass mit Stand 2022 eine erhebliche Steuerschuld bestanden habe und die Steuerschuld für die Einkommensteuer 2016 bis 2020 dann wohl jedenfalls bis Juni 2024 getilgt worden sei, weil in der Mitteilung vom nur noch Rückstände in Höhe von 60.916,50 € bezogen auf die Veranlagungszeiträume 2023 bis 2024 verzeichnet gewesen seien, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Der Anwaltsgerichtshof dürfte hierbei zwar irrtümlich angenommen haben, dass die Aufstellung vom zeitlich vor der Aufstellung vom erfolgt ist und dass es zu einem Wegfall bestimmter Forderungen gekommen ist. Dies wirkt sich aber im Hinblick auf die Steuerforderungen des Finanzamts für die Einkommensteuer 2020 in Höhe von 124.400 € und für das Jahr 2021 in Höhe von 58.222 € nicht aus. Von einer Tilgung der Steuerschuld für das Jahr 2021 ist der Anwaltsgerichtshof nicht ausgegangen. Von der von ihm angenommenen Tilgung der Steuerschuld für das Jahr 2020 hat er jedenfalls die durch Bescheid vom festgesetzte Steuerforderung von 124.400 € ausgenommen, da er im Blick hatte, dass der Bescheid zeitlich nach der Mitteilung vom ergangen ist und insoweit noch keine Zahlung erfolgt ist. Eine solche behauptet auch der Kläger nicht.
11b) Lassen Beweisanzeichen wie offene Forderungen, Titel und Vollstreckungshandlungen den Schluss auf einen Vermögensverfall zu, kann der betroffene Rechtsanwalt diesen Schluss nur dadurch entkräften, dass er umfassend darlegt, welche Forderungen im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheids gegen ihn bestanden und wie er sie - bezogen auf diesen Zeitpunkt - zurückführen oder anderweitig regulieren wollte (Senat, Beschlüsse vom - AnwZ (Brfg) 16/24, juris Rn. 20 mwN und vom - AnwZ (Brfg) 20/20, juris Rn. 24). Der Anwaltsgerichtshof hat dies seiner Entscheidung zugrunde gelegt und ausgeführt, dass der Kläger bereits keine geordnete Zusammenstellung der gegen ihn bestehenden Verbindlichkeiten vorgelegt hat. Soweit der Kläger ausführt, dass er keine Aufstellung seiner Gläubiger vorlegen müsse, um sich nicht selbst zu belasten, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Der beweisrisikobelastete Betroffene, der, wenn er den von ihm geforderten Aufklärungsbeitrag nicht leistet, die Ablehnung seines Begehrens zu gewärtigen hat, muss entscheiden, was ihm wichtiger ist: Schutz vor Selbstbelastung oder Rechtsverwirklichung (, BGHSt 36, 328, 334 [juris Rn. 15]; Stürner, NJW 1981, 1757, 1762). Der Anwaltsgerichtshof hat ferner zutreffend darauf abgestellt, dass der Kläger nicht dargelegt hat, dass es sich bei den ihm angeblich zustehenden Forderungen um liquide Forderungen handelt.
122. Dem Anwaltsgerichtshof ist kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Er hat seine Aufklärungspflicht aus § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 86 Abs. 1 VwGO nicht verletzt.
13a) Soweit der Kläger rügt, dass der Anwaltsgerichtshof keine Ermittlungen zur aktuellen wirtschaftlichen Lage des Klägers durchgeführt und nicht bei der Finanzverwaltung nachgefragt hat, ob zwischenzeitlich bei der Ehefrau des Klägers Vollstreckungsmaßnahmen erfolgt sind, war dies schon deshalb nicht erforderlich, weil für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft allein auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens, also auf den Erlass des Widerspruchsbescheids oder - wenn das Vorverfahren (wie hier) entbehrlich ist - auf den Ausspruch der Widerrufsverfügung abzustellen und die Beurteilung danach eingetretener Entwicklungen einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten ist (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 25/23, juris Rn. 6 mwN). Dass der Rechtsanwalt bei nachträglichen Entwicklungen, insbesondere auch einer Konsolidierung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse, auf ein Wiederzulassungsverfahren verwiesen wird, führt nicht zu unverhältnismäßigen Ergebnissen und verstößt nicht gegen die nach Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Freiheit der Berufswahl (Senat, Beschluss vom , aaO Rn. 8 f.). Zudem hätte der Kläger die aus seiner Sphäre stammenden Tatsachen jederzeit mitteilen können, wenn er sie für entscheidungserheblich hielt.
14b) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 16/24, juris Rn. 30 mwN). Von einem solchen Ausnahmefall kann nur ausgegangen werden, wenn im Zeitpunkt des Widerrufs eine sichere Prognose dahingehend getroffen werden kann, dass sich im zu entscheidenden Einzelfall die typischen Gefahren, die mit dem Vermögensverfall eines Anwalts verbunden sind, nicht realisieren werden (Senat, Beschluss vom , aaO mwN). Will der betroffene Rechtsanwalt weiterhin anwaltlich tätig werden, ist es daher von besonderer Bedeutung, dass er rechtlich abgesicherte Maßnahmen trifft, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern. Hierzu gehört eine wirksame Kontrolle. Denn Maßnahmen, die zwar inhaltlich zum Schutz der Mandanteninteressen geeignet sind, deren Einhaltung aber nicht wirksam kontrolliert werden oder die jederzeit - unkontrolliert - beendet werden können, sind zum Ausschluss der Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden nicht tauglich (Senat, Beschluss vom , aaO). Selbst auferlegte Beschränkungen des in Vermögensverfall geratenen Rechtsanwalts sind grundsätzlich nicht geeignet, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen (vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 34/20, juris Rn. 12).
15Der Anwaltsgerichtshof hat in der Ladungsverfügung darauf hingewiesen, dass es Aufgabe des Rechtsanwaltes ist, die Umstände dafür vorzutragen und zu belegen, die in seinem Falle die Ausnahme begründen. Da es sich um Umstände in der Sphäre des Rechtsanwalts handelt, ist nicht ersichtlich, welche Aufklärungsmaßnahmen der Anwaltsgerichtshof zusätzlich hätte ergreifen sollen. Da der Kläger geltend gemacht hat, in Massenverfahren tätig zu sein, konnte der Anwaltsgerichtshof davon ausgehen, dass dem Kläger Fremdgelder anvertraut werden.
III.
16Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Guhling Liebert Ettl
Lauer Schmittmann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:031125BANWZ.BRFG.31.25.0
Fundstelle(n):
VAAAK-03959