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EuGH Urteil v. - C-416/24 und C-417/24

Vorlage zur Vorabentscheidung – Staatliche Beihilfen – Verordnung (EU) Nr. 651/2014 – Freistellung bestimmter Kategorien mit dem Binnenmarkt vereinbarer Beihilfen – Übersetzungsfehler in der rumänischen Sprachfassung dieser Verordnung – Rechtswirkungen der Verordnung zur Berichtigung dieses Fehlers – Möglichkeit der Rückforderung einer vor der Berichtigung gewährten Beihilfe unter Beachtung der Voraussetzungen, die in der Fassung der Verordnung, die den Übersetzungsfehler enthält, festgelegt sind – Vertrauensschutz – Rechtssicherheit

Leitsatz

  1. Die Verordnung (EU) 2021/452 der Kommission vom zur Berichtigung der rumänischen Fassung der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV], ist dahin auszulegen, dass sie die rumänische Fassung der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der letztgenannten Verordnung berichtigt.

  2. Die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sind dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass die Beihilfen, die Rumänien vor dem Erlass der Verordnung 2021/452 gemäß der mit dem Beschluss C(2020) 5949 final der Kommission vom – Staatliche Beihilfe SA.58166 (2020/N) – Rumänien – COVID 19: „Unterstützung für KMU und bestimmte damit zusammenhängende Großunternehmen zur Überwindung der durch die COVID‑19-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise“ genehmigten Beihilferegelung gewährt hat, auf der Grundlage dieser Verordnung zurückgefordert werden.

Gesetze: AEUV Art. 107, AEUV Art. 108, AEUV Art. 267, AEUV Art. 297, VO (EU) Nr. 651/2014 Art. 1, VO (EU) Nr. 651/2014 Art. 2, VO (EU) 452/2021 Art. 1, VO (EU) 452/2021 Art. 2

Gründe

1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 Nr. 18 Buchst. a Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] (ABl. 2014, L 187, S. 1, im Folgenden: AGVO), von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2021/452 der Kommission vom zur Berichtigung der rumänischen Fassung der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] (ABl. 2021, L 89, S. 1, im Folgenden: Berichtigungsverordnung) sowie der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit.

2 Diese gleichlautenden Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen erstens der On Air Media Professionals SRL (im Folgenden: On Air Media), einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung rumänischen Rechts, und der Agenția pentru Întreprinderi Mici și Mijlocii Iaşi (Agentur für kleine und mittlere Unternehmen Iaşi, Rumänien) und zweitens der Different Media SRL, ebenfalls Gesellschaft mit beschränkter Haftung rumänischen Rechts, und dem Ministerul Antreprenoriatului și Turismului – Agenția pentru Întreprinderi Mici și Mijlocii, Atragere de Investiții și Promovare a Exportului Iaşi (Ministerium für Unternehmertum und Tourismus – Agentur für kleine und mittlere Unternehmen zur Anwerbung von Investitionen und zur Förderung des Exports Iaşi, Rumänien) über Aufforderungen zur Rückzahlung von Finanzhilfen, die diesen beiden Unternehmen im Rahmen von Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen gewährt wurden, die von der durch die Covid‑19-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise betroffen waren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

AGVO

3 Der 14. Erwägungsgrund der AGVO lautet:

„Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten sollten nicht unter diese Verordnung fallen, da diese Beihilfen anhand der Leitlinien der Gemeinschaft vom für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten …, verlängert durch die Mitteilung der [Europäischen] Kommission betreffend die Verlängerung der Anwendbarkeit der Leitlinien der Gemeinschaft vom für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten …, beziehungsweise ihrer Folgeleitlinien gewürdigt werden sollten, um deren Umgehung zu verhindern; ausgenommen sind Beihilferegelungen zur Bewältigung der Folgen bestimmter Naturkatastrophen. Um Rechtssicherheit hinsichtlich der Frage zu schaffen, ob ein Unternehmen für die Zwecke dieser Verordnung als Unternehmen in Schwierigkeiten gilt, sollten diesbezüglich eindeutige Kriterien festgelegt werden, die auch ohne eine detaillierte Untersuchung der besonderen Lage eines Unternehmens überprüfbar sind.“

4 Art. 1 („Geltungsbereich“) Nr. 4 der Verordnung bestimmt:

„Diese Verordnung gilt nicht für

c)

Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten, ausgenommen Beihilferegelungen zur Bewältigung der Folgen bestimmter Naturkatastrophen.“

5 In der ursprünglichen rumänischen Sprachfassung von Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung hieß es:

„Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:

18.

‚Unternehmen in Schwierigkeiten‘: Unternehmen, auf das mindestens einer der folgenden Umstände zutrifft:

a)

Im Falle von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (ausgenommen [kleine und mittlere Unternehmen (KMU)], die seit mindestens drei Jahren bestehen, und – in Bezug auf Risikofinanzierungsbeihilfen – KMU ab sieben Jahren nach ihrem ersten kommerziellen Verkauf, die nach einer Due-Diligence-Prüfung durch den ausgewählten Finanzintermediär für Risikofinanzierungen in Frage kommen): Mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals ist infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen. Dies ist der Fall, wenn sich nach Abzug der aufgelaufenen Verluste von den Rücklagen (und allen sonstigen Elementen, die im Allgemeinen den Eigenmitteln des Unternehmens zugerechnet werden) ein negativer kumulativer Betrag ergibt, der mehr als der Hälfte des gezeichneten Stammkapitals entspricht. Für die Zwecke dieser Bestimmung bezieht sich der Begriff ‚Gesellschaft mit beschränkter Haftung‘ insbesondere auf die in Anhang I der Richtlinie 2013/34/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (ABl. 2013, L 182, S. 19)] genannten Arten von Unternehmen[,] und der Begriff ‚Stammkapital‘ umfasst gegebenenfalls alle Agios.

…“

Berichtigungsverordnung

6 In den Erwägungsgründen 1 und 2 der Berichtigungsverordnung heißt es:

„(1)

Die rumänische Fassung der [AGVO] enthält in Artikel 2 Nummer 18 Buchstabe a Satz 1 und in Artikel 2 Nummer 18 Buchstabe b Satz 1 Fehler, die die Bedeutung der Bestimmungen verändern.

(2)

Die rumänische Fassung der [AGVO] sollte daher entsprechend berichtigt werden. Die anderen Sprachfassungen sind nicht betroffen“.

7 Art. 1 Abs. 1 der Berichtigungsverordnung lautet:

„Die [AGVO] wird wie folgt berichtigt:

Art. 2 Nr. 18 Buchst. a Satz 1 wird wie folgt berichtigt: „Im Falle von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (ausgenommen KMU, die seit weniger als drei Jahren bestehen, und – in Bezug auf Risikofinanzierungsbeihilfen – KMU höchstens sieben Jahre nach ihrem ersten kommerziellen Verkauf, die nach einer Due-Diligence-Prüfung durch den ausgewählten Finanzintermediär für Risikofinanzierungen in Frage kommen): Mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals ist infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen.“

8 Art. 2 dieser Berichtigungsverordnung sieht vor:

„Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.“

Beschluss vom

9 Die Kommission genehmigte die Beihilferegelung „Unterstützung für KMU und bestimmte damit zusammenhängende Großunternehmen zur Überwindung der durch die COVID‑19-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise“, die Rumänien ihr am notifiziert hatte, mit dem Beschluss C(2020) 5949 final der Kommission vom – Staatliche Beihilfe SA.58166 (2020/N) – Rumänien – COVID 19: Unterstützung für KMU und bestimmte damit zusammenhängende Großunternehmen zur Überwindung der durch die Covid‑19-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise (ABl. 2020, C 302, S. 1, im Folgenden: Beschluss vom ).

10 Die Erwägungsgründe 16 und 47 dieses Beschlusses lauten:

„(16)

Nach der Maßnahme dürfen Unternehmen, die sich am im Sinne der [AGVO], der Gruppenfreistellungsverordnung für den Agrarsektor (‚Agrar-GVO‘) oder der Gruppenfreistellungsverordnung für den Fischerei- und Aquakultursektor (‚Fischerei- und Aquakultur-GVO‘) in Schwierigkeiten befanden, keine Beihilfen gewährt werden.

(47)

Die Kommission ist daher der Auffassung, dass die Maßnahme zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist und dass sie alle Voraussetzungen des Befristeten Rahmens erfüllt. Insbesondere gilt:

  • Nach der Maßnahme dürfen Unternehmen, die sich am bereits in Schwierigkeiten befanden, keine Beihilfen gewährt werden (vgl. 16. Erwägungsgrund). Die Maßnahme steht daher im Einklang mit Rn. 22 Buchst. c des Befristeten Rahmens“.

Rumänisches Recht

OUG Nr. 130/2020

11 Art. 4 Abs. 1 der Ordonanța de urgență a Guvernului nr. 130/2020 privind unele măsuri pentru acordarea de sprijin financiar din fonduri externe nerambursabile, aferente Programului operațional Competitivitate 2014-2020, în contextul crizei provocate de COVID‑19, precum și alte măsuri în domeniul fondurilor europene (Dringlichkeitsverordnung Nr. 130/2020 der Regierung über Maßnahmen zur Gewährung finanzieller Unterstützung aus nicht rückzahlbaren externen Mitteln im Rahmen des Operationellen Programms Wettbewerbsfähigkeit 2014–2020 im Kontext der durch Covid‑19 verursachten Krise sowie weitere Maßnahmen im Bereich der europäischen Fonds) vom (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 705 vom ) (im Folgenden: OUG Nr. 130/2020) bestimmt:

„Die Mikrofinanzhilfen belaufen sich auf 2.000 Euro und werden einmalig in Form eines Pauschalbetrags gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1301/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und mit besonderen Bestimmungen hinsichtlich des Ziels ,Investitionen in Wachstum und Beschäftigung‘ und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1080/2006 (ABl. 2013, L 347, S. 289) in geänderter Fassung sowie gemäß Art. 67 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 320) gewährt.“

12 Art. 6 der OUG Nr. 130/2020 lautet:

„Mikrofinanzhilfen gemäß Art. 4 Abs. 1 werden auf der Grundlage eines Vertrags über die staatliche Beihilfe Empfängern gewährt, die kumulativ die folgenden Voraussetzungen erfüllen:

a)

Sie haben vor dem Zeitpunkt der Einreichung des Finanzierungsantrags mindestens ein Kalenderjahr lang eine laufende/operative Tätigkeit ausgeübt, mit Ausnahme [natürlicher Personen mit entsprechender Erlaubnis und von Einzelarztpraxen], für die die Aufnahme der Tätigkeit spätestens am erfolgt sein kann;

b)

sie haben in dem der Einreichung des Finanzierungsantrags vorausgehenden Geschäftsjahr einen Umsatz erzielt, der zum Zeitpunkt der Einreichung des Finanzierungsantrags mindestens dem Gegenwert von 5.000 Euro in rumänischen Lei (RON) entspricht, mit Ausnahme der Empfänger der staatlichen Beihilfe gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, die im Jahr 2019 gegründet wurden und einen Umsatz von weniger als 5.000 Euro aufweisen, für die die Mindestumsatzschwelle berechnet wird, indem die Anzahl der vollen Monate der Geschäftstätigkeit im Jahr 2019 mit dem Betrag von 415 Euro multipliziert wird, sowie der Empfänger der staatlichen Beihilfe gemäß Art. 5 Abs. 1 Buchst. b und c;

c)

sie erhalten nach der Gewährung einer Unterstützung in Form von Mikrofinanzhilfen ihre Tätigkeit für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten aufrecht.“

13 Art. 32 der OUG Nr. 130/2020 sieht vor:

„(1)  Die Regeln für die Gewährung der staatlichen Beihilfen sind festgelegt in der Regelung für staatliche Beihilfen – Unterstützung von KMU, die der Europäischen Kommission zur Stellungnahme vorgelegt wurde.

(2)  Die Änderung und/oder Ergänzung der Regelung für staatliche Beihilfen – Unterstützung für KMU gilt ab dem Zeitpunkt der Mitteilung des Beschlusses über die Genehmigung durch die Europäische Kommission.“

Verfügung Nr. 1060/2857/2020

14 Der Anhang des Ordinul nr. 1060/2857/2020 pentru aprobarea Schemei de ajutor de stat – Sprijin pentru IMM-uri în vederea depășirii crizei economice generate de Pandemia de COVID‑19 (Verfügung Nr. 1060/2857/2020 zur Annahme der Regelung für staatliche Beihilfen – Unterstützung für KMU zur Überwindung der durch die Covid‑19-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise) vom (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 835 vom ) (im Folgenden: Verfügung Nr. 1060/2857/2020), erlassen vom Ministerul Economiei, Energiei și Mediului de Afaceri (Ministerium für Wirtschaft, Energie und Unternehmen, Rumänien) und vom Ministerul Fondurilor Europene (Ministerium für Europäische Fonds, Rumänien), enthält in Nr. 3.6 folgende Definition:

„‚Unternehmen in Schwierigkeiten‘ – gemäß Art. 2 Nr. 18 Buchst. a [AGVO] gilt ein Unternehmen in folgenden Situationen als in Schwierigkeiten:

i)

im Falle einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (ausgenommen KMU, die seit mindestens drei Jahren bestehen), wenn mehr als die Hälfte ihres gezeichneten Stammkapitals infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen ist. Dies ist der Fall, wenn sich nach Abzug der aufgelaufenen Verluste von den Rücklagen (und allen sonstigen Elementen, die im Allgemeinen den Eigenmitteln des Unternehmens zugerechnet werden) ein negativer kumulativer Betrag ergibt, der mehr als der Hälfte des gezeichneten Stammkapitals entspricht. Für die Zwecke dieser Bestimmung bezieht sich der Begriff ‚Gesellschaft mit beschränkter Haftung‘ insbesondere auf die in Anhang I der Richtlinie [2013/34] genannten Arten von Unternehmen, und der Begriff ‚Stammkapital‘ umfasst gegebenenfalls alle Agios.

…“

15 Nr. 6.19 des Anhangs dieser Verfügung bestimmt:

„Die allgemeinen Förderkriterien für Begünstigte, die eine Finanzierung im Rahmen der Maßnahmen dieser Beihilferegelung beantragen, sind folgende:

a)

Sie befinden sich zum nicht in Schwierigkeiten im Sinne von Art. 2 Nr. 18 [AGVO], mit Ausnahme [natürlicher Personen mit entsprechender Erlaubnis und von Einzelarztpraxen];

b)

es wurde keine Entscheidung über die Rückforderung einer staatlichen Beihilfe gegen sie erlassen oder vollstreckt …;

c)

sie unterliegen keinem Vergleichsverfahren, Liquidationsverfahren, Insolvenzverfahren oder Konkursverfahren.“

Verfügung Nr. 2989/2020

16 Nr. 8.11 des Anhangs des Ordinul nr. 2989/2020 privind aprobarea Procedurii de implementare a măsurii „Microgranturi acordate din fonduri externe nerambursabile“ din cadrul schemei de ajutor de stat instituite prin Ordonanța de urgență a Guvernului nr. 130/2020 privind unele măsuri pentru acordarea de sprijin financiar din fonduri externe nerambursabile aferente Programului operațional Competitivitate 2014–2020, în contextul crizei provocate de COVID‑19, precum și alte măsuri în domeniul fondurilor europene (Verfügung Nr. 2989/2020 über die Genehmigung des Verfahrens zur Durchführung der Maßnahme „Mikrofinanzhilfen aus nicht rückzahlbaren externen Mitteln“ im Rahmen der Regelung über staatliche Beihilfen, die durch die Dringlichkeitsverordnung Nr. 130/2020 der Regierung über Maßnahmen zur Gewährung finanzieller Unterstützung aus nicht rückzahlbaren externen Mitteln im Rahmen des Operationellen Programms Wettbewerbsfähigkeit 2014–2020 im Kontext der durch Covid‑19 verursachten Krise sowie weitere Maßnahmen im Bereich der europäischen Fonds eingeführt wurde) vom (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 902 vom ) sieht im Wesentlichen vor, dass eine staatliche Beihilfe vollständig zurückgefordert wird, wenn nach der Unterzeichnung der Finanzierungsverträge durchgeführte Überprüfungen ergeben, dass der Empfänger nicht zu der in der OUG Nr. 130/2020 vorgesehenen Gruppe der förderfähigen Begünstigten gehört.

Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

17 Am notifizierte Rumänien der Kommission eine Beihilferegelung mit dem Titel „Unterstützung für KMU und bestimmte damit zusammenhängende Großunternehmen zur Überwindung der durch die COVID‑19-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise“. Mit Beschluss vom genehmigte die Kommission diese Beihilferegelung.

18 Nach dem 16. Erwägungsgrund dieses Beschlusses durfte Unternehmen, die sich zum im Sinne von Art. 2 Nr. 18 AGVO in Schwierigkeiten befanden, auf der Grundlage der genehmigten Regelung keine staatliche Beihilfe gewährt werden. Wie sich aus dem 47. Erwägungsgrund dieses Beschlusses ergibt, handelte es sich um eine der Voraussetzungen, die die Kommission aufgestellt hatte, um die Beihilferegelung für notwendig, angemessen und verhältnismäßig und somit für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklären zu können.

19 Nach der Zustellung des Beschlusses vom wurde die Beihilferegelung von den rumänischen Behörden mit der Verfügung Nr. 1060/2857/2020 durchgeführt.

20 Nr. 6.1 des Anhangs dieser Verfügung sah für bestimmte Kategorien von KMU die Gewährung einer Beihilfe in Höhe von bis zu 2.000 Euro pro Begünstigten vor.

21 Gemäß dem Beschluss vom bestand eines der allgemeinen Förderkriterien, die von den Begünstigten, die eine Finanzierung beantragten, zu erfüllen waren, nach Nr. 6.19 des Anhangs dieser Verfügung darin, dass sie sich zum nicht im Sinne von Art. 2 Nr. 18 AGVO in Schwierigkeiten befanden. Die Definition eines „Unternehmens in Schwierigkeiten“ im Sinne dieser Bestimmung wurde in Nr. 3.6 Buchst. i des Anhangs dieser Verfügung wiedergegeben.

22 Im Rahmen der oben genannten Beihilferegelung schlossen On Air Media und Different Media am Finanzierungsverträge, nach denen diese Unternehmen jeweils eine Mikrofinanzhilfe in Höhe von 9.679 RON (etwa 1.945 Euro) erhielten, die ihnen bei der Überwindung der durch die Covid‑19-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise helfen sollte.

23 Diese Mikrofinanzhilfen waren jeweils Gegenstand eines Rückforderungsbescheids vom für On Air Media bzw. vom für Different Media. Die rumänischen Behörden waren der Ansicht, dass diese Gesellschaften eine der gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung der in Rede stehenden Finanzhilfen nicht erfüllten, weil sie zum „Unternehmen in Schwierigkeiten“ im Sinne von Nr. 3.6 Buchst. i des Anhangs der Verfügung Nr. 1060/2857/2020 gewesen seien, da die von diesen Gesellschaften zu diesem Zeitpunkt verzeichneten Kapitalverluste weit über der Hälfte ihres gezeichneten Kapitals gelegen hätten.

24 On Air Media und Different Media erhoben gegen diese Rückforderungsbescheide Klage beim Tribunalul Neamț (Regionalgericht Neamț, Rumänien). Sie machten geltend, dass sie sämtliche Voraussetzungen für die Gewährung der Mikrofinanzhilfen erfüllten und insbesondere nicht die Merkmale von Unternehmen in Schwierigkeiten im Sinne von Art. 2 Nr. 18 AGVO aufwiesen. In der rumänischen Sprachfassung dieser Verordnung schlössen nämlich diese Bestimmungen „KMU, die seit mindestens drei Jahren bestehen“ von der Kategorie der „Unternehmen in Schwierigkeiten“ aus. On Air Media und Different Media machten geltend, sie hätten zum Zeitpunkt des Abschlusses ihrer jeweiligen Finanzierungsverträge seit 13 bzw. 18 Jahren bestanden.

25 Das Tribunalul Neamț (Regionalgericht Neamț) wies die Klagen ab. Dieses Gericht stützte sich darauf, dass die rumänische Sprachfassung der AGVO durch die Berichtigungsverordnung berichtigt worden sei, nachdem On Air Media und Different Media Finanzhilfen gewährt worden seien, und dass die AGVO in der so berichtigten Fassung bestimme, dass nur KMU, die seit weniger als drei Jahren existierten, und nicht, wie in der ursprünglichen Fassung dieser Verordnung in rumänischer Sprache, seit mehr als drei Jahren bestehende KMU vom Anwendungsbereich des Begriffs „Unternehmen in Schwierigkeiten“ ausgenommen seien und somit für die in Rede stehende Beihilfe in Betracht kämen.

26 Dieses Gericht war der Ansicht, dass die Berichtigungsverordnung die AGVO nicht geändert, sondern nur ihre rumänische Sprachfassung berichtigt habe, da sich die englische Originalfassung seit ihrem Erlass auf KMU bezogen habe, die „noch keine drei Jahre bestehen“. Es wandte daher Art. 2 Nr. 18 AGVO in der durch die Berichtigungsverordnung berichtigten Fassung an und stellte fest, dass On Air Media und Different Media zum Zeitpunkt ihrer Finanzhilfeanträge nicht alle Förderkriterien erfüllten.

27 Diese Gesellschaften legten gegen die erstinstanzlichen Urteile Berufung bei der Curtea de Apel Bacău (Berufungsgericht Bacău, Rumänien), dem vorlegenden Gericht, ein.

28 Vor diesem Gericht machen sie erstens geltend, dass die rumänischen Behörden die Berichtigungsverordnung rückwirkend angewandt hätten, da diese im März 2021 erlassen worden sei, d.h. mehr als drei Monate nach Unterzeichnung der in Rede stehenden Finanzierungsverträge und sogar nachdem die Finanzhilfen für den Erwerb von Ausrüstungsgegenständen verwendet worden seien.

29 Zweitens entbehre der Ausdruck „Originalfassung der Verordnung“ in englischer Sprache, der in der Begründung des erstinstanzlichen Urteils verwendet werde, jeglicher Rechtsgrundlage, da Rumänisch ebenso wie jede der 23 anderen Sprachen eine der 24 Amtssprachen der Europäischen Union sei.

30 Drittens weisen sie darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der in Rede stehenden Finanzierungsverträge die rumänische Sprachfassung der AGVO seit mehr als sechs Jahren ohne Änderung in Kraft gewesen sei und dass der Wortlaut dieser Verordnung mit allen anderen im vorliegenden Fall anwendbaren normativen Rechtsakten, insbesondere mit der Verfügung Nr. 1060/2857/2020, die einen identischen Wortlaut enthalten habe, voll und ganz im Einklang gestanden habe. Unter diesen Voraussetzungen hätten sie ihre Finanzhilfeanträge gestellt, den Finanzierungsvertrag unterzeichnet und diesen in gutem Glauben durchgeführt.

31 Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass es über die Frage entscheiden müsse, ob der Erlass einer Verordnung zur Berichtigung der Sprachfassung einer ersten Verordnung der Union zur rückwirkenden Anwendung der berichtigten Fassung ab dem Inkrafttreten dieser ersten Verordnung führe oder ob er erst ab dem Inkrafttreten der Berichtigungsverordnung Wirkungen entfalte.

32 Es fragt sich auch, ob die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes in einem Kontext wie dem der bei ihm anhängigen Rechtssachen der Rückforderung der staatlichen Beihilfen entgegenstehen, die unter Beachtung der Voraussetzungen gewährt wurden, die ursprünglich in der rumänischen Sprachfassung der AGVO enthalten waren.

33 Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die nationale Rechtsprechung zu diesen Fragen nicht einheitlich sei.

34 Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Bacău (Berufungsgericht Bacău) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Bewirkt der Erlass einer Verordnung zur Berichtigung der amtlichen rumänischen Fassung einer Verordnung der Europäischen Union, nämlich der Berichtigungsverordnung, dass die berichtigte Fassung rückwirkend ab dem Inkrafttreten der ursprünglichen Verordnung angewandt wird, oder hat er ausschließlich Wirkungen für die Zukunft, nach dem Inkrafttreten der Berichtigungsverordnung, in dem Fall, dass die nationalen Behörden staatliche Beihilfen gemäß den in der ursprünglichen rumänischen Fassung der AGVO geregelten Voraussetzungen gewährt haben und infolge des Inkrafttretens der Berichtigungsverordnung eine gewährte staatliche Beihilfe zurückfordern?

2.

Bedeutet die Gleichwertigkeit der Sprachfassungen einer Verordnung der Europäischen Union, dass sich die nationalen Behörden eines Mitgliedstaats gegenüber einem Begünstigten einer staatlichen Beihilfe, die gemäß der ursprünglichen rumänischen Fassung der AGVO gewährt wurde, auf die Bestimmungen der Berichtigungsverordnung berufen können, um die staatliche Beihilfe zurückzufordern, ohne dass den Begünstigten der Beihilfe ein Verschulden trifft?

3.

Sind das Recht der Europäischen Union und insbesondere die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit dahin auszulegen, dass sie der Rückforderung einer staatlichen Beihilfe entgegenstehen, die unter Beachtung der Voraussetzungen gewährt wurde, die ursprünglich in der rumänischen Sprachfassung vorgesehen waren, nicht aber in den anderen Sprachfassungen der AGVO, wobei allerdings auch die rumänische Sprachfassung – nach der Gewährung der staatlichen Beihilfe – durch die Berichtigungsverordnung berichtigt wurde?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

35 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Berichtigungsverordnung dahin auszulegen ist, dass sie die rumänische Sprachfassung der AGVO rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der AGVO berichtigt.

36 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung ein offensichtliches Interesse der Unionsrechtsordnung daran besteht, dass jede Bestimmung des Unionsrechts eine einheitliche Auslegung erhält, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern, die der Gerichtshof durch die Zuständigkeit des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV gewährleisten soll (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Dzodzi, C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 37 und 38, sowie vom , Rodríguez Sánchez, C‑351/14, EU:C:2016:447, Rn. 61).

37 Die Notwendigkeit einheitlicher Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts schließt eine isolierte Betrachtung des Wortlauts einer Bestimmung im Zweifelsfall aus und gebietet vielmehr, ihn im Licht der Fassungen in den anderen Amtssprachen auszulegen und anzuwenden (Urteile vom , van der Vecht, 19/67, EU:C:1967:49, S. 473, und vom , Tartisai, C‑238/24, EU:C:2025:258, Rn. 30).

38 Wie der Gerichtshof ebenfalls in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist jedoch stets allen Sprachfassungen einer unionsrechtlichen Vorschrift der gleiche Wert beizumessen (Urteile vom , EMU Tabac u.a., C‑296/95, EU:C:198:152, Rn. 36, sowie vom , AFAÏA, C‑228/23, EU:C:2024:829, Rn. 38).

39 Weichen die verschiedenen Sprachfassungen eines Unionstextes voneinander ab, muss die in Rede stehende Bestimmung nach der allgemeinen Systematik und dem Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (Urteile vom , Bouchereau, 30/77, EU:C:1977:172, Rn.14, und vom , Tartisai, C‑238/24, EU:C:2025:258, Rn. 30).

40 Jedoch darf eine solche Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht dazu führen, dass dem klaren und genauen Wortlaut dieser Bestimmung jede praktische Wirksamkeit genommen wird (Urteile vom , EZB/Deutschland, C‑220/03, EU:C:2005:748, Rn 31, und vom , Illumina und Grail, C‑611/22 P und C‑625/22 P, EU:C:2024:677, Rn. 126).

41 Die Diskrepanz zwischen der rumänischen Sprachfassung, deren Wortlaut klar und eindeutig war, und den anderen Sprachfassungen von Art. 2 Nr. 18 AGVO veranlasste die Kommission zum Erlass der den Ausgangsrechtsstreitigkeiten zugrunde liegenden Berichtigungsverordnung.

42 Die AGVO, die bestimmte Gruppen von Beihilfen in Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt, schließt nach ihrem Art. 1 Abs. 4 Buchst. c „Unternehmen in Schwierigkeiten“, deren Definition in ihrem Art. 2 Nr. 18 enthalten ist, von ihrem Geltungsbereich aus.

43 Während die am im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichte ursprüngliche rumänische Sprachfassung der letztgenannten Bestimmung in völlig eindeutigen Worten KMU, die seit mindestens drei Jahren bestanden, von der Kategorie der Unternehmen in Schwierigkeiten, was Gesellschaften mit beschränkter Haftung betraf, ausschloss, schlossen die anderen Sprachfassungen dieser Bestimmung, die am selben Tag im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden, ebenso eindeutig die seit weniger als drei Jahren bestehenden KMU von dieser Kategorie aus.

44 Zu der Frage, ob die Berichtigungsverordnung Rückwirkung hat, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach Art. 297 AEUV Gesetzgebungsakte der Union zu dem durch sie festgelegten Zeitpunkt oder anderenfalls am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft treten.

45 Sodann ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Vorschriften des materiellen Unionsrechts – anders als Verfahrensvorschriften im Allgemeinen, bei denen davon auszugehen ist, dass sie ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens Anwendung finden – im Interesse der Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes so auszulegen sind, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten abgeschlossene Sachverhalte nur gelten, soweit aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46 Im vorliegenden Fall bestimmt die Berichtigungsverordnung, die eine materiell-rechtliche Vorschrift betrifft, in ihrem Art. 2, dass sie am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft tritt, und sieht nicht ausdrücklich vor, dass sie zu einem früheren Zeitpunkt wirksam wird.

47 Die Rückwirkung der Berichtigungsverordnung ergibt sich jedoch eindeutig aus ihrem Zweck.

48 Wie aus den Erwägungsgründen 1 und 2 der Berichtigungsverordnung hervorgeht, soll mit ihr ausschließlich die rumänische Sprachfassung von Art. 2 Nr. 18 Buchst. a Satz 1 AGVO und von Art. 2 Nr. 18 Buchst. b Satz 1 dieser Verordnung berichtigt werden, die Fehler enthält, die die Bedeutung dieser Bestimmungen verändern.

49 Schon aus ihrem Gegenstand geht hervor, dass die Berichtigungsverordnung darauf abzielt, die Einheitlichkeit der Auslegung wiederherzustellen, die Art. 2 Nr. 18 AGVO in allen Sprachfassungen dieser Bestimmung erhalten muss, indem der Übersetzungsfehler, mit dem die rumänische Sprachfassung der AGVO behaftet war, von Anfang an rückwirkend berichtigt wird.

50 Hätte nämlich die Berichtigungsverordnung die rumänische Sprachfassung der AGVO nur für die Zukunft berichtigt, hätte sie im Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten der AGVO und jenem der Berichtigungsverordnung miteinander unvereinbare Fassungen dieser Verordnung koexistieren lassen, die beide auf einen klaren und genauen Wortlaut gestützt gewesen wären.

51 Einer solchen Auslegung der Berichtigungsverordnung könnte nicht gefolgt werden, ohne die in den Rn. 36 und 37 des vorliegenden Urteils angeführte Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung und Anwendung des Unionsrechts zu missachten.

52 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass die Berichtigungsverordnung dahin auszulegen ist, dass sie die rumänische Sprachfassung der AGVO rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der AGVO berichtigt.

Zur zweiten und zur dritten Frage

53 Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Beihilfen, die Rumänien vor dem Erlass der Berichtigungsverordnung gemäß der mit dem Beschluss vom genehmigten Beihilferegelung gewährt hat, auf der Grundlage der Berichtigungsverordnung zurückgefordert werden.

54 Wie in Rn. 52 des vorliegenden Urteils festgestellt, berichtigt die Berichtigungsverordnung die rumänische Sprachfassung der AGVO rückwirkend, ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der AGVO.

55 In Anbetracht der berichtigten rumänischen Sprachfassung steht fest, dass On Air Media und Different Media als Unternehmen in Schwierigkeiten im Sinne von Art. 2 Nr. 18 AGVO anzusehen waren und daher von der Gewährung der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Finanzhilfen hätten ausgeschlossen werden müssen.

56 Nach ständiger Rechtsprechung muss die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Beihilfe grundsätzlich zu deren Rückforderung durch die nationalen Behörden führen, um die frühere Lage wiederherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Residex Capital IV, C‑275/10, EU:C:2011:814, Rn. 33, und Beschluss vom , Griechenland/Kommission, C‑797/22 P, EU:C:2024:174, Rn. 71).

57 Bei der Durchführung des Unionsrechts müssen diese Behörden jedoch dessen Grundprinzipien, insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, beachten (Urteile vom , Lageder u.a., C‑31/91 und C‑44/91, EU:C:1993:132, Rn. 33, sowie vom , Novo Banco u.a., C‑498/22 bis C‑500/22, EU:C:2024:686, Rn. 100).

58 Der Grundsatz der Rechtssicherheit bedeutet, dass eine Regelung es den Betroffenen ermöglichen muss, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen (Urteile vom , Vereinigtes Königreich/Kommission, C‑209/96, EU:C:1998:448, Rn. 35, sowie vom , Stichting Rookpreventie Jeugd u.a., C‑160/20, EU:C:2022:101, Rn. 41).

59 Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es zwar im Allgemeinen, den Beginn der Geltungsdauer eines Rechtsakts der Union vor dessen Veröffentlichung oder Zustellung zu legen; dies kann aber ausnahmsweise dann anders sein, wenn ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel es verlangt und das berechtigte Vertrauen der Betroffenen gebührend beachtet ist (Urteile vom , Racke, 98/78, EU:C:1979:14, Rn. 20, sowie vom , Meridionale Industria Salumi, u.a., 212/80 bis 217/80, EU:C:1981:270, Rn. 10), oder wenn aus Wortlaut, Zweck oder Aufbau der betreffenden Vorschriften eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist (Urteile vom , Falck und Acciaierie di Bolzano, C‑74/00 P und C‑75/00 P, EU:C:2002:524, Rn. 119, sowie vom , Italien/Rat [Fangquoten für Schwertfisch im Mittelmeer], C‑611/17, EU:C:2019:332, Rn. 106 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60 Was die Voraussetzung der Beachtung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung das Recht, sich auf diesen Grundsatz zu berufen, voraussetzt, dass die zuständigen Unionsbehörden dem Betroffenen klare, unbedingte und übereinstimmende, aus befugten und zuverlässigen Quellen stammende Zusicherungen erteilt haben (Urteil vom , Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 97 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61 So kann eine gegen eine bestimmte Unionsregelung verstoßende Praxis eines Mitgliedstaats bei einem Einzelnen, dem die so geschaffene Lage zugutekommt, kein berechtigtes Vertrauen begründen (Urteile vom , Maizena, 5/82, EU:C:1982:439, Rn. 22, sowie vom , Kaduna, C‑244/24 und C‑290/24, EU:C:2024:1038, Rn. 131).

62 Im Bereich der Beihilfen ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass, da die Überwachung der staatlichen Beihilfen durch die Kommission in Art. 108 AEUV zwingend vorgeschrieben ist, zum einen die von einer Beihilfe begünstigen Unternehmen auf die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe grundsätzlich nur dann vertrauen dürfen, wenn sie unter Einhaltung des in diesem Artikel vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde, und dass es zum anderen einem sorgfältigen Wirtschaftsteilnehmer regelmäßig möglich ist, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren eingehalten wurde (Urteil vom , Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63 Dennoch räumt der Gerichtshof auch die Möglichkeit ein, dass sich der Empfänger einer rechtswidrigen Beihilfe auf außergewöhnliche Umstände berufen kann, aufgrund deren sein Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe geschützt ist, so dass er sie nicht zurückzuerstatten braucht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Kommission/Deutschland, C‑5/89, EU:C:1990:320, Rn. 16).

64 Im vorliegenden Fall beruhte, wie der Generalanwalt in Nr. 80 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, das Vertrauen, das On Air Media und Different Media darauf haben konnten, dass sie zum Kreis der Empfänger von Beihilfen gehörten, die auf der Grundlage der AGVO genehmigt werden konnten, nicht nur auf dem Verhalten der rumänischen Behörden, insbesondere auf der nationalen Beihilferegelung und den in diesem Rahmen ergangenen Bescheiden über die Gewährung dieser Beihilfen, sondern auch auf dem – wenn auch falschen – klaren Wortlaut der im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten rumänischen Sprachfassung der AGVO, auf die diese Beihilferegelung verwies.

65 Insoweit kann On Air Media und Different Media, wie der Generalanwalt in Nr. 73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, unter den Umständen der Ausgangsverfahren nicht vorgeworfen werden, die anderen Sprachfassungen von Art. 2 Nr. 18 AGVO nicht geprüft zu haben, da der Wortlaut der ursprünglichen rumänischen Sprachfassung dieser Bestimmung keinerlei Auslegungsschwierigkeit aufwarf.

66 Außerdem war die in Rede stehende nationale Beihilferegelung, die der Kommission ordnungsgemäß notifiziert worden war, von Letzterer mit dem Beschluss vom genehmigt worden, was ebenfalls geeignet war, ein berechtigtes Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit der auf der Grundlage dieser Regelung gewährten Beihilfen zu begründen.

67 Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass die Beihilfen, die Rumänien vor dem Erlass der Berichtigungsverordnung gemäß der mit dem Beschluss vom genehmigten Beihilferegelung gewährt hat, auf der Grundlage der Berichtigungsverordnung zurückgefordert werden.

Kosten

68 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.

Die Verordnung (EU) 2021/452 der Kommission vom zur Berichtigung der rumänischen Fassung der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV], ist dahin auszulegen, dass sie die rumänische Fassung der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der letztgenannten Verordnung berichtigt.

2.

Die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sind dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass die Beihilfen, die Rumänien vor dem Erlass der Verordnung 2021/452 gemäß der mit dem Beschluss C(2020) 5949 final der Kommission vom – Staatliche Beihilfe SA.58166 (2020/N) – Rumänien – COVID 19: „Unterstützung für KMU und bestimmte damit zusammenhängende Großunternehmen zur Überwindung der durch die COVID‑19-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise“ genehmigten Beihilferegelung gewährt hat, auf der Grundlage dieser Verordnung zurückgefordert werden.

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2025:765

Fundstelle(n):
RAAAK-03836