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BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 755/25

Nichtannahmebeschluss: Anforderungen der Rechtsschutzgarantie bzgl des fachgerichtlichen Prüfungsmaßstabs im Eilverfahren bei potentieller Unionsrechtswidrigkeit relevanter Normen (hier: Einstufung Ghanas als sicherer Herkunftsstaat iSd § 29a AsylVfG 1992) - Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels Abänderungsantrags gem § 80 Abs 7 S 2 VwGO nach EuGH-Urteil in der Sache Alace/Canpelli - Anordnung der hälftigen Auslagenerstattung für Hauptsache - Gegenstandswertfestsetzung

Gesetze: Art 19 Abs 4 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 34a Abs 3 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 29a AsylVfG 1992, Anl 2 AsylVfG 1992, Anh 1 EURL 32/2013, Art 36 EURL 32/2013, Art 37 EURL 32/2013, § 14 Abs 1 RVG, § 37 Abs 2 S 2 RVG

Instanzenzug: Az: 2 BvR 755/25 Einstweilige Anordnungvorgehend Az: VG 7 L 330/25 .A Beschlussvorgehend Az: VG 7 L 296/25 .A Beschluss

Gründe

I.

11. Der Beschwerdeführer ist ghanaischer Staatsangehöriger und stellte am nach Ankunft im Transitbereich des Flughafens Berlin Brandenburg einen Asylantrag. Am verweigerte die Bundespolizei dem Beschwerdeführer die Einreise, sein Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom selben Tag als offensichtlich unbegründet abgelehnt und die Abschiebung nach Ghana angedroht. Der Asylantrag sei nach § 29a Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, weil Ghana ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG und § 29a Abs. 2 AsylG in Verbindung mit Anlage II zum AsylG sei. Anhaltspunkte, die darauf schließen ließen, dass dem Beschwerdeführer entgegen der grundsätzlichen Vermutung Verfolgung drohe, habe er nicht aufgezeigt. Die Schilderungen zu seiner Bisexualität seien in sich widersprüchlich, oberflächlich und daher unglaubhaft.

22. Am erhob der Beschwerdeführer Klage gegen die Verweigerung der Einreise und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Zudem beantragte er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die Bundesrepublik zur Gestattung seiner Einreise zu verpflichten und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge anzuordnen. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die Einstufung Ghanas als sicherer Herkunftsstaat nicht im Einklang mit verfassungs- und unionsrechtlichen Vorgaben stehe. Es spreche viel dafür, dass die menschenrechtliche Lage in Ghana einer solchen Einstufung entgegenstehe. Dies gelte insbesondere für LGBTQI-Personen sowie in den Bereichen Kinderarbeit, Haftbedingungen, Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit. Die Frage, welche Anforderungen an eine Einstufung als sicherer Herkunftsstaat zu stellen seien, sei zudem Gegenstand verschiedener Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, namentlich in den Rechtssachen C-758/24, C-759/24 und C-839/24.

33. Mit angegriffenem Beschluss vom lehnte das Verwaltungsgericht die Eilanträge ab. An die Einstufung Ghanas als sicherer Herkunftsstaat seien die Gerichte gebunden, es sei denn, sie seien der Überzeugung, dass sich diese Einstufung als verfassungswidrig erweise.

44. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am eine Anhörungsrüge und begründete diese insbesondere damit, dass das Verwaltungsgericht auf die beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Verfahren zu auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Fragen mit keinem Wort eingegangen sei. Mit Beschluss vom wies das Verwaltungsgericht die Anhörungsrüge zurück.

II.

5Am hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

61. Zur Begründung führt er aus, die angegriffene Entscheidung vom verstoße gegen Art. 16a Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG, weil die Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Union über die dort anhängigen Fragen zu entscheidungserheblichen Normen zu sicheren Herkunftsstaaten nicht abgewartet worden seien. Es bestünden ernstliche Zweifel, dass die verfassungs- und unionsrechtlichen Voraussetzungen für die Einstufung Ghanas als sicherer Herkunftsstaat erfüllt seien.

72. Der Beschwerdeführer sei auch in seinen Rechten aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 und Art. 13 EMRK verletzt. Der Beschwerdeführer rügt überdies eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weil eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union unterblieben sei. Schließlich rügt er unter Bezugnahme auf die von ihm erhobene Anhörungsrüge eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG.

III.

8Mit Beschluss vom hat das Bundesverfassungsgericht angeordnet, dem Beschwerdeführer die Einreise in die Bundesrepublik zu gestatten und bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen.

9Das Bundesministerium des Innern, das Ministerium der Justiz und für Digitalisierung des Landes Brandenburg und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

IV.

10Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist. Zwar spricht Überwiegendes dafür, dass sich das Verwaltungsgericht nicht in einer den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Weise mit unionsrechtlichen Vorgaben auseinandergesetzt hat (1.). Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht dargelegt, den Grundsatz der Subsidiarität gewahrt zu haben (2. und 3.). Mit Blick auf die gerügten Verletzungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG ist die Verfassungsbeschwerde überdies nicht hinreichend substantiiert (4.).

111. Es spricht Überwiegendes dafür, dass der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht gerecht geworden ist.

12a) Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet den Rechtsweg gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt. Das Grundrecht gewährt nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 118, 168 <207>; 122, 248 <271>; 138, 33 <41 Rn. 23>; stRspr).

13b) Den Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes müssen die Gerichte auch bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz Rechnung tragen (vgl. BVerfGK 5, 196 <201>), weil dieser in besonderer Weise der Sicherung grundrechtlicher Freiheit dient. Auch im Eilverfahren darf sich der Rechtsschutz nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, er muss vielmehr zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führen (vgl. BVerfGE 40, 272 <275>; 49, 220 <226>; 61, 82 <111>; 67, 43 <58>; 77, 275 <284>; BVerfGK 1, 201 <204 f.>; 11, 54 <60>). Hierbei dürfen Entscheidungen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden.

14c) Dabei ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn sich die vorzunehmende Interessenabwägung in erster Linie an der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts orientiert (vgl. BVerfGK 15, 102 <107>). Strengere Anforderungen gelten, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. Möchten die Gerichte sich in solchen Fällen an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren, müssen sie die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfGK 5, 237 <242 f.>). Eine solche abschließende Prüfung kommt allerdings nur in Betracht, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren möglich ist; andernfalls ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfGK 5, 237 <242>).

15d) Das Bestehen schwieriger, ungeklärter oder strittiger Rechtsfragen hindert für sich genommen eine abschließende Prüfung im Eilverfahren nicht. Das Gericht hat allerdings in den Blick zu nehmen, dass sich eine solche Prüfung im Eilverfahren auf die Möglichkeiten des Rechtsschutzsuchenden auswirkt, die Entscheidungsfindung im Hauptsacheverfahren und im Rahmen prozessrechtlich vorgesehener Rechtsmittelverfahren zu beeinflussen; dies gilt im Asylverfahren in besonderer Weise. Daraus ergeben sich Anforderungen an die Begründungstiefe. Insbesondere kann eine "abschließende" Prüfung eine - zumindest knappe - Auseinandersetzung mit dem Meinungsstand erfordern.

16e) Stellt sich bei dieser Rechtsprüfung eine entscheidungserhebliche unionsrechtliche Frage, die im Hauptsacheverfahren voraussichtlich eine Vorlage des dann letztinstanzlich entscheidenden Gerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union erfordert, so gebietet Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dies im Eilverfahren bei der Prüfung der Erfolgsaussichten zu berücksichtigen. Häufig wird dann jedenfalls die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts - unabhängig von der eigenen, notwendig nur vorläufigen rechtlichen Einschätzung des entscheidenden Gerichts - nicht bejaht werden können. Diese Grundsätze gelten auch, wenn sich ein Beschwerdeführer auf eine bereits in einem anderen Verfahren erfolgte Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union beruft. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Vorlagefrage auch in seinem eigenen Verfahren entscheidungserheblich und eine Vorlage des dann letztinstanzlich entscheidenden Gerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union im Hauptsacheverfahren - vorbehaltlich der Möglichkeit der Aussetzung im Hinblick auf die in dem bereits vorgelegten anderen Verfahren zu erwartende Klärung - erforderlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 44/24 -, Rn. 14 ff.).

17f) Im Anwendungsbereich unionsrechtlicher Bestimmungen obliegt es den nationalen Gerichten überdies, bei der Gewährleistung von Rechtsschutz die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen. Bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts, insbesondere einer speziell zur Umsetzung einer Richtlinie erlassenen Norm, müssen sie das innerstaatliche Recht daher anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auslegen, um der Verpflichtung aus Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen, das in der Richtlinie vorgesehene Ziel zu verwirklichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1549/07 -, Rn. 30).

18g) Im vorliegenden Fall ist bereits nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht die anzulegenden Prüfungsmaßstäbe korrekt erkannt hat. In der Folge ergeben sich auch erhebliche Zweifel an der Begründungstiefe der angegriffenen Entscheidung vom .

19aa) Im Rahmen seiner Prüfung, ob ernstliche Zweifel an dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bestehen, hat das Verwaltungsgericht ausschließlich auf den Maßstab der Verfassungswidrigkeit der Einstufung Ghanas als sicherer Herkunftsstaat abgestellt, ohne sich in erkennbarer Weise mit unionsrechtlichen Vorgaben, wie sie sich insbesondere aus der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ergeben, und der diesbezüglichen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union auseinanderzusetzen. In der Folge ist es auch von einer grundsätzlichen Bindung an die Einstufung Ghanas als sicherer Herkunftsstaat ausgegangen, ohne auf die Frage einzugehen, ob eine solche Bindungswirkung auch im Anwendungsbereich der Richtlinie 2013/32/EU bestehen kann. Insofern hat sich das Verwaltungsgericht insbesondere nicht mit dem auch vom Beschwerdeführer bereits im fachgerichtlichen Verfahren und Bezug genommenen Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom beschäftigt, in welchem dieser ausgeführt hat, dass ein möglicher Verstoß gegen die in der Richtlinie 2013/32/EU enthaltenen Anforderungen an die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat einen Aspekt darstelle, den ein Gericht im Zuge der vorgeschriebenen umfassenden Ex-nunc-Prüfung zu berücksichtigen habe. Die Gerichte müssten auch ohne entsprechende Rüge berücksichtigen, ob die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Einstufung verkannt worden seien (EuGH, CV, , C-406/22, EU:C:2024:841, Rn. 98).

20bb) Darüber hinaus hat sich das Verwaltungsgericht auch nicht mit den unterschiedlichen Rechtsfolgen auseinandergesetzt, die sich aus der Unionsrechtswidrigkeit einer Norm auf der einen Seite, und deren Verfassungswidrigkeit auf der anderen ergeben.

21(1) So ist eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG (nur) dann notwendig und möglich, wenn ein Gericht eine entscheidungserhebliche Norm (hier: Anlage II zum AsylG) für verfassungswidrig hält. Grund ist die alleinige Normverwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts, die der Wahrung der Autorität des Gesetzgebers dient und Rechtsunsicherheit sowie Rechtszersplitterung verhindern soll (vgl. BVerfGE 97, 117 <122>; 130, 1 <41 f.>; 138, 46 <91 Rn. 78>). Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein Gericht, das die Bestimmung eines Landes zum sicheren Herkunftsstaat für verfassungswidrig hält und dies im Einzelfall entscheidungserheblich ist, das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen hat (vgl. BVerfGE 94, 115 <133>).

22(2) Geltendes Unionsrecht entfaltet demgegenüber nur einen Anwendungs-, aber keinen Geltungsvorrang vor nationalem Recht; ein Verstoß gegen Unionsrecht führt daher nicht ohne weiteres zur Nichtigkeit der nationalen Regelung (vgl. BVerfGE 126, 286 <301>; 136, 69 <91 Rn. 43>). Wenn ein Fachgericht entscheidet, dass ein Gesetz dem Unionsrecht widerspricht und deshalb aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht angewandt werden darf, ist dieses Gesetz nicht mehr entscheidungserheblich im Sinne von Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 85, 191 <203 ff.>; 106, 275 <295>; 116, 202 <214>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvL 2/14 -, Rn. 12).

23h) Diese Erwägungen verdeutlichen, dass die Frage der Verfassungswidrigkeit im Anwendungsbereich geltenden Unionsrechts nicht den alleinigen Maßstab für die Beurteilung darstellen kann, ob die Einstufung eines Landes als sicherer Herkunftsstaat im Einklang mit höherrangigem Recht steht und somit die vorgesehenen Rechtswirkungen entfalten kann. Vielmehr sind im Anwendungsbereich geltenden Unionsrechts neben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch unionsrechtliche Vorgaben und die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union zu berücksichtigen. Wenn unter Beachtung der sich daraus ergebenden Maßstäbe von der Unionsrechtswidrigkeit der Einstufung auszugehen ist, muss die zugrundliegende Norm jedenfalls im Rahmen der Prüfung, ob internationaler Schutz im unionsrechtlichen Sinne zu gewähren ist, unangewendet bleiben (vgl. zur sich daraus gegebenenfalls ergebenden Konsequenz, dass der Asylantrag in seiner Gesamtheit nicht als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden darf: Heusch, in: BeckOK AuslR, § 29a AsylG Rn. 41 <Juli 2025>).

242. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unzulässig, da der Beschwerdeführer nicht dargelegt hat, den Grundsatz der Subsidiarität gewahrt zu haben.

25a) Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt, dass Beschwerdeführer nicht nur den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpfen, sondern darüber hinaus auch alle zumutbaren Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verhinderung oder Beseitigung der geltend gemachten Grundrechtsverletzung formal durchlaufen. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dabei geklärt, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO eine solche Rechtsschutzmöglichkeit darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1385/16 -, Rn. 7; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 593/23 -, Rn. 13).

26b) Einer Verweisung auf einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO steht dabei nicht entgegen, dass sich eine derartige Möglichkeit erst nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde eröffnet hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde auch nachträglich entfallen (vgl. BVerfGE 21, 139 <143>; 30, 54 <58>; 33, 247 <253>; 50, 244 <247>; 56, 99 <106>; 72, 1 <5>; 81, 138 <140>). Eine Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht ist auch dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn sich nachträglich ein Weg eröffnet, auf dem die Beseitigung der geltend gemachten Beschwer ohne Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts erwirkt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2307/18 -, Rn. 13).

27c) Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht sind dabei gehalten, ihre Verfassungsbeschwerde bei entscheidungserheblicher Veränderung der Sach- und Rechtslage aktuell zu halten und die Beschwerdebegründung gegebenenfalls nachträglich zu ergänzen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 684/22 -, Rn. 46 m.w.N.).

28d) Vorliegend hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt, dass ein Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO im Nachgang des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union vom (EuGH, Alace und Canpelli, , C-758/24 und C-759/24, EU:C:2025:591) aussichtslos oder unzumutbar gewesen wäre.

29aa) Die Aussichtslosigkeit eines Antrages nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO liegt zum einen insofern nicht auf der Hand, als die Klärung einer Rechtsfrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union zu einer Veränderung der Umstände im Sinne des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO führen kann (vgl. BVerfGK 4, 36 <41>).

30bb) Zum anderen erscheint auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO geeignet wäre, die Beseitigung der mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemachten Beschwer zu erwirken.

31In seiner Entscheidung vom hat der Gerichtshof der Europäischen Union nicht zuletzt betont, dass der Wertungsspielraum bei der Umsetzung der Vorschriften der Art. 36 und 37 der Richtlinie 2013/32/EU die Pflicht des nationalen Gerichts unberührt lasse, für die volle Wirksamkeit der Anforderungen des Unionsrechts in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede - auch spätere - nationale Regelung, die einer Bestimmung des Unionsrechts mit unmittelbarer Wirkung entgegensteht, unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser nationalen Regelung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 63). Der Umstand, dass ein Mitgliedstaat beschlossen habe, sichere Herkunftsstaaten durch einen Gesetzgebungsakt zu bestimmen, könne ein nationales Gericht nicht an der - sei es auch nur inzidenten - Prüfung hindern, ob bei der Bestimmung des betreffenden Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen für eine solche Bestimmung erfüllt seien (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 67). Die Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes und die Wirksamkeit der gerichtlichen Kontrolle der Erfüllung der in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen erforderten dabei, dass sowohl der betreffende Antragsteller als auch das angerufene Gericht nicht nur Kenntnis von den Gründen für eine solche Ablehnung erlangen könnten, sondern auch Zugang zu den Informationsquellen haben könnten, auf deren Grundlage der betreffende Drittstaat als sicherer Herkunftsstaat bestimmt wurde (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 80, 86). Auch müssten Gerichte prüfen können, ob die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen erfüllt seien, indem es andere Informationen berücksichtige, die es gegebenenfalls selbst eingeholt habe (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 86). Mit Blick auf die materiellen Voraussetzungen für die Einstufung eines Drittstaates als sicherer Herkunftsstaat hat der Gerichtshof der Europäischen Union schließlich klargestellt, dass ein Herkunftsstaat, der für bestimmte Personengruppen die in Anhang I der Richtlinie genannten materiellen Voraussetzungen nicht erfülle, nach gegenwärtiger Rechtslage nicht als sicher eingestuft werden könne (vgl. EuGH, a.a.O., Rn. 109).

32cc) Im Falle eines Abänderungsantrages hätte das Verwaltungsgericht daher eine Neubewertung der Frage vorzunehmen, inwieweit es an die gesetzgeberische Einstufung Ghanas als sicherer Herkunftsstaat gebunden ist, und in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob die in Anhang I der Richtlinie 2013/32/EU genannten materiellen Voraussetzungen mit Blick auf Ghana erfüllt sind. Dabei hätte es insbesondere zu berücksichtigen, dass eine Bewertung der allgemeinen Situation von LGBTQI-Personen jedenfalls nach gegenwärtiger Rechtslage auch unabhängig davon vorzunehmen ist, ob der Vortrag des Beschwerdeführers zu seiner sexuellen Orientierung glaubhaft erscheint.

333. Aus den genannten Gründen erweist sich auch die vom Beschwerdeführer erhobene Rüge einer Verletzung von Art. 16a GG als unzulässig. Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass auf einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ernstliche Zweifel auch an dem diesbezüglichen Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bejaht würden (vgl. nochmals Heusch, in: BeckOK AuslR, § 29a AsylG Rn. 41 <Juli 2025>, wonach ein Asylantrag nur in seinem durch § 13 Abs. 2 AsylG determinierten Umfang als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden kann).

344. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG rügt, ist seine Verfassungsbeschwerde überdies nicht hinreichend substantiiert. Er setzt sich weder mit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Vorlagepflichten nach Art. 267 Abs. 3 AEUV im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtschutzes auseinander (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1928/17 -, Rn. 4) noch legt er einen Gehörsverstoß in einer genügenden, über die bloße Bezugnahme auf seine Anhörungsrüge hinausgehenden, Weise dar.

V.

351. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung der kostenrechtlich eigenständigen Verfahren über die Verfassungsbeschwerde sowie den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. BVerfGE 141, 56 <81 Rn. 65>) ergeht gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten. Danach kann das Bundesverfassungsgericht die volle oder teilweise Erstattung von Auslagen auch dann anordnen, wenn die Verfassungsbeschwerde erfolglos geblieben ist. Dies gilt auch, wenn sie nicht zur Entscheidung angenommen wurde (vgl. BVerfGE 36, 89 <92>; BVerfGK 7, 283 <302 f.>).

36a) Im Verfahren über die Verfassungsbeschwerde entspricht die hälftige Anordnung der Auslagenerstattung der Billigkeit. So ist auf der einen Seite zu berücksichtigen, dass die angegriffene verwaltungsgerichtliche Entscheidung bei ihrem Erlass voraussichtlich mit dem Grundgesetz unvereinbar war (vgl. BVerfGK 10, 105 <108>; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvQ 45/18 -, Rn. 7). Auf der anderen Seite fallen die Gründe, die zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde geführt haben, in die Sphäre des Beschwerdeführers und es liegt demgegenüber keine Situation vor, in der die öffentliche Gewalt von sich aus die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschwer beseitigt hat, weil ausgegangen werden kann, dass sie das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachtet hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 2307/18 -, Rn. 16).

37b) Im Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war trotz der Erfolglosigkeit der Verfassungsbeschwerde zu berücksichtigen, dass der Antrag Erfolg hatte (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 890/16 -, Rn. 1) und die Gründe, die zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde geführt haben, überwiegend erst nach Erlass der einstweiligen Anordnung durch das Bundesverfassungsgericht eingetreten sind. Auch spricht Überwiegendes dafür, dass der Eilantrag durch verfassungsrechtlich vorwerfbares Verhalten herbeigeführt wurde (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvQ 45/18 -, Rn. 7).

382. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.

39Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20251006.2bvr075525

Fundstelle(n):
FAAAK-03532