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BVerwG Beschluss v. - 1 WB 3.25

Feststellung eines Sicherheitsrisikos; Behauptung eines Nachtrunks

Gesetze: § 5 Abs 1 S 1 Nr 1 SÜG, § 316 Abs 1 StGB

Tatbestand

1Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Rahmen seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü3).

2Der ... geborene Antragsteller ist seit 20... Soldat auf Zeit. Er wurde zuletzt im Oktober 2024 zum Hauptfeldwebel befördert und in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 8 Z eingewiesen. Derzeit absolviert er einen Lehrgang zum Informationstechnikmeister. Seine Dienstzeit endet voraussichtlich Ende Juli 20... .

3Nachdem eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) des Antragstellers im September 2018 keine Umstände ergeben hatte, die zur Feststellung eines Sicherheitsrisikos führten, wurde im November 2018 eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen beauftragt, weil der Antragsteller als Netzwerkadministratorfeldwebel Flugabwehrraketen eingesetzt und dabei Zugang zu als "streng geheim" oder vergleichbar eingestuften Verschlusssachen erhalten sollte, was zunächst auch geschah.

4Am erstattete das Polizei-Autobahn- und Bezirksrevier E. Strafanzeige gegen den Antragsteller wegen Führens eines Fahrzeugs unter Alkoholeinfluss. Nach Zeugenangaben sei der Antragsteller am Morgen dieses Tages auf der Bundesautobahn sehr unsicher, in Schlangenlinien und mit stark wechselnder Geschwindigkeit gefahren. Bei einem nicht angekündigten Fahrspurwechsel sei es zu einem Beinaheunfall gekommen. Möglicherweise sei er auch mit der Mittelschutzplanke kollidiert. Er sei auf einen Parkplatz abgefahren, wohin die Zeugen ihm gefolgt seien.

5Als die um 5:51 Uhr entsandten Polizisten auf dem Parkplatz angekommen seien, habe das Fahrzeug des Antragstellers mittig auf vier Parkplätzen gestanden. An der linken Seite des Fahrzeugs sei ein Schaden zu erkennen gewesen, der auf eine Kollision mit einer Leitplanke hingedeutet habe. Als sie an das Fahrzeug herangetreten seien, hätten sie festgestellt, dass der Antragsteller auf der Rückbank gelegen und geschlafen habe. Auf ein Klopfen hin sei der Antragsteller aufgewacht und ausgestiegen. Es sei deutlicher Alkoholgebrauch wahrzunehmen gewesen. Der Antragsteller sei verwirrt gewesen und habe vorerst etwas neben sich gestanden. Seine Augen seien gerötet und glasig gewesen. Zudem habe er seinen Personalausweis fallen lassen. Daraufhin sei er vorsorglich als Beschuldigter einer Straftat belehrt worden. Ein freiwilliger Atemalkoholtest habe um 6:14 Uhr ein Ergebnis von 1,39 Promille ergeben.

6Auf der Polizeidienstelle wurde dem Antragsteller um 6:59 Uhr eine Blutprobe entnommen. Nach der Blutprobenentnahme sei der Antragsteller klar ansprechbar gewesen und habe sich gut artikulieren können. Vor der Rücksitzbank des Fahrzeugs des Antragstellers sei eine Flasche "Captain Morgan" gefunden worden, die zu einem Drittel geleert gewesen sei. Eine Kontrolle der Mittelschutzplanken habe keine Beschädigungen erkennen lassen. Es sei ein Bildbericht des Pkw sowie der Spuren gefertigt worden.

7Ausweislich des Blutalkohol-Protokolls des Universitätsklinikums ... vom enthielt die dem Antragsteller am um 6:59 Uhr entnommene Blutprobe 1,57 Promille Alkohol.

8Mit Beschluss vom entzog das Amtsgericht I. dem Antragsteller vorläufig gemäß § 111a StPO die Fahrerlaubnis. Mit Anklageschrift vom erhob die Staatsanwaltschaft beim Landgericht I. Anklage gegen den Antragsteller. Dieser habe vorsätzlich im Verkehr ein Fahrzeug geführt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage gewesen sei, das Fahrzeug sicher zu führen. Er habe sich dadurch als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Anzuwendende Vorschriften seien die §§ 316 Abs. 1, 69, 69a StGB.

9Mit Schriftsatz vom teilte der Verteidiger des Antragstellers mit, dass dieser weiterhin von seinem Recht zu schweigen Gebrauch mache. Es dürfe vorliegend kein hinreichender Tatverdacht gegeben sein. Die Flasche mit Alkohol, die auf der Rückbank des Fahrzeugs neben dem Antragsteller gefunden worden sei, sei angebrochen gewesen und ein erheblicher Teil bereits konsumiert gewesen. Insoweit müsse zugunsten des Angeschuldigten von Nachtrunk ausgegangen werden. Es werde die Einstellung des Verfahrens beantragt.

10Mit Schriftsatz vom trug der Verteidiger des Antragstellers vor, dass für den Fall, dass das Hauptverfahren eröffnet werde, beantragt werde, durch Sachverständigengutachten Beweis über die Tatsache einzuholen, dass der Blutalkoholwert des Antragstellers durch den Konsum der im Fahrzeug gefundenen Flüssigkeit der Marke Captain Morgan nach Abschluss der Fahrt erzeugt worden sei. Für den Konsum vor Fahrtantritt lägen keine Beweise vor. Der Antragsteller sei schlafend auf dem Rücksitz seines Fahrzeugs vorgefunden worden. Dort habe sich auch eine Flasche der Marke Captain Morgan befunden, welche nach Angaben der aufnehmenden Polizeibeamten jedenfalls zu einem Drittel gelehrt gewesen sei. Es liege daher nahe, dass der Antragsteller die alkoholische Flüssigkeit konsumiert habe, nachdem er das Fahrzeug abgestellt habe.

11Mit Beschluss vom stellte das Amtsgericht I. das Verfahren mit Zustimmung des Antragstellers und der Staatsanwaltschaft vorläufig und nach vollständiger und rechtzeitiger Erfüllung der erteilten Auflage mit Beschluss vom endgültig ein.

12Bei einer Befragung durch den Militärischen Abschirmdienst gab der Antragsteller an, dass er schon vor der Fahrt am Ärger mit seiner damaligen Freundin gehabt habe. Dieser Streit sei dann während der Fahrt eskaliert. Er habe sich sehr aufgeregt, sei fast von der Fahrbahn abgekommen und habe sich dann auf einen Parkplatz gestellt. Dort habe er sich kaum beruhigen können und habe auf der Rückbank sitzend angefangen eine dort liegende Flasche Captain Morgan pur zu trinken. Nach ein paar kräftigen Schlucken sei er wohl eingeschlafen und erst wach geworden, als die Polizeibeamten ihn geweckt hätten. Er habe das Trinken erst auf dem Parkplatz angefangen und nicht schon während der Fahrt. Warum er eigentlich eine Flasche Captain Morgan im Fahrzeug gehabt habe, wisse er nicht mehr genau.

13Mit Schreiben vom kündigte der Geheimschutzbeauftragte des Bundesministeriums der Verteidigung (im Folgenden: Geheimschutzbeauftragter) an, dass der Antragsteller zu sicherheitserheblichen Erkenntnissen angehört werden solle. Als solche wurden genannt das Strafverfahren wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr sowie unwahre Angaben im Sicherheitsüberprüfungsverfahren.

14Er habe gegenüber dem MAD angegeben, dass er mit dem Trinken erst auf dem Parkplatz begonnen habe und nicht während der Fahrt betrunken gewesen sei. Nach Auswertung der Strafakten sei jedoch aufgrund des zeitlichen Ablaufs mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er bereits während der Fahrt alkoholisiert gewesen sei. Dies habe das Amtsgericht I. in seinem rechtskräftigen Beschluss vom zweifelsfrei festgestellt.

15Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung am wiederholte der Geheimschutzbeauftragte die im Anhörungsschreiben dargelegten sicherheitserheblichen Erkenntnisse. Der Antragsteller gab dazu an, dass er während der Fahrt telefoniert und sich heftig mit seiner damaligen Freundin gestritten habe. Der Streit sei eskaliert und er sei sehr aufgewühlt gewesen, sodass er unachtsam geworden sei, die Spur nicht gehalten und das Tempo verändert habe. Er habe gemerkt, dass er unkonzentriert gewesen sei und habe das Auto auf einem Parkplatz abgestellt. Dort habe er Alkohol getrunken und sei eingeschlafen. Er sei durch gewesen, habe sich auf die Rückbank begeben und versucht, sein Problem mit Alkohol zu ertränken. Den Alkohol habe er ein paar Tage vorher im Angebot gekauft und habe ihn mit nach B. nehmen wollen.

16Er habe vor und während der Autofahrt keinen Alkohol zu sich genommen, sondern erst auf dem Parkplatz. Weshalb er sein Fahrzeug mittig über vier Parkplätze abgestellt habe, könne er nicht sagen. Er habe einfach nur schnell anhalten wollen. Als er den Parkplatz angesteuert und dann Alkohol getrunken habe, habe er sich keine Gedanken darüber gemacht, wie er danach nach Hause kommen solle.

17Mit Bescheid vom teilte der Geheimschutzbeauftragte dem zuständigen Sicherheitsbeauftragten mit, dass die Sicherheitsüberprüfung des Antragstellers Umstände ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko darstellten. Zur Begründung führte er mit Schreiben an den Antragsteller vom aus, dass das Amtsgericht hierzu festgestellt habe, dass der Antragsteller sein Fahrzeug geführt habe, obwohl er infolge vorausgegangenen Alkoholgenusses fahruntauglich gewesen sei. Die Einstellung nach § 153a StPO sei keinesfalls eine Form von Freispruch. Eine einmalige Trunkenheitsfahrt stelle zwar einen Verstoß gegen Rechtsnormen dar, sei jedoch für sich genommen nicht ausreichend, um auf ein Zweifel an der Zuverlässigkeit begründendes gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung zu schließen.

18Der Antragsteller habe jedoch unterschiedliche Angaben gegenüber der Polizei und den Mitarbeitern des MAD bzw. gegenüber dem Geheimschutzbeauftragten gemacht. Dadurch entstünden erhebliche Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit, die zugleich Zweifel an seiner Zuverlässigkeit begründeten. Es erscheine zweifelhaft, dass der Antragsteller innerhalb von maximal 25 Minuten, gerechnet vom Anruf der Zeugen bei der Polizei bis zum Eintreffen der Polizei am Parkplatz, derart viel Alkohol getrunken habe, dass diese hohe Blutalkoholkonzentration entstanden sei, und er sodann in einen Tiefschlaf gefallen sei. Dafür spreche auch sein Fahrverhalten, das von Zeugen beobachtet worden sei und kaum mit einem erheblichen Streit mit der Freundin erklärt werden könne, sowie der Umstand, dass er sein Fahrzeug über vier Parkplätze hinweg geparkt habe.

19Die vorliegenden sicherheitserheblichen Erkenntnisse wögen schwer. Insbesondere das nicht kalkulierbare Verhältnis des Antragstellers zur Wahrheit erlaube aktuell keine positive Prognose, dass dieser in Zukunft das erforderliche Maß an Zuverlässigkeit im Umgang mit Verschlusssachen haben werde.

20Am stellte der Antragsteller einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er habe sich gegenüber der Polizei im Rahmen seiner Verteidigung in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren geäußert. Er sei weder verpflichtet gewesen, überhaupt eine Aussage zu tätigen, noch sei er an eine Wahrheitspflicht gebunden gewesen. Er habe im Rahmen seiner Verteidigung von den ihm gesetzlich eingeräumten Rechten Gebrauch gemacht. Dies könne ihm nicht in negativer Weise ausgelegt werden.

21Die angefochtene Entscheidung sei darüber hinaus durch vage Vermutungen und nichtzutreffende Tatsachengrundlagen geprägt. Eine Verurteilung sei nicht erfolgt, eine rechtskräftige Entscheidung über den zugrunde liegenden Sachverhalt sei nicht ergangen. Zu rechtlichen Unschärfen trete hinzu, dass die Entscheidung sich auf zahlreiche Vermutungen gründe.

22Mit Schreiben vom teilte der Geheimschutzbeauftragte dem Prozessreferat des Bundesministeriums der Verteidigung mit, dass der Einwand des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers, dass dieser im Rahmen polizeilicher Vernehmungen nicht der Wartepflicht unterliege, berechtigt sei. Deshalb werde die Feststellung der sicherheitserheblichen Erkenntnisse geändert und die nicht der Wahrheitspflicht unterliegenden Angaben gegenüber der Polizei ausgeklammert.

23Die Entscheidung sei auch unter Ausklammerung der unwahren Angaben gegenüber der Polizei, die von den Rechten eines Beschuldigten gedeckt seien, rechtlich nicht zu beanstanden. Eine einmalige Trunkenheitsfahrt genüge nicht, um ein Sicherheitsrisiko zu begründen. Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers bestünden jedoch aufgrund seines Aussageverhaltens gegenüber Mitarbeitern des MAD und dem Geheimschutzbeauftragten hinsichtlich der Trunkenheit im Verkehr. Es sei schlichtweg unglaubhaft und widerspreche jeglicher Lebenswahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller in nicht einmal einer halben Stunde so viel Alkohol konsumiert habe, dass bei ihm eine Blutalkoholkonzentration von 1,57 Promille habe festgestellt werden können. Insgesamt sei die Aussage des Antragstellers als Schutzbehauptung zu werten. Eine positive Prognose könne nicht getroffen werden angesichts des nicht kalkulierbaren Verhältnisses des Antragstellers zur Wahrheit.

24Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit einer Stellungnahme vom dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

25Der Antragsteller beantragt,

die Entscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung - Geheimschutzbeauftragter - vom aufzuheben.

26Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

27Es bestünden ausdrücklich keine Zweifel an einer Trunkenheitsfahrt. Der Nachtrunk stelle eine Schutzbehauptung dar. Das ergebe sich aus dem zeitlichen Ablauf am Tattag. Die Schilderungen des Antragstellers widersprächen jeder Lebenserfahrung. Da vorliegend sämtliche objektivierbaren Tatsachen und äußeren Umstände dafür sprächen, dass der Antragsteller eine Trunkenheitsfahrt unternommen habe und sodann trunken auf dem Parkplatz eingeschlafen sei und nicht 25 Minuten nach Trinkbeginn die angesichts der alkoholischen Anflutungswirkung physiologisch kaum darstellbare Atemalkoholkonzentration von 1,39 Promille erreicht habe. Dabei seien der Einsatzbefehl um 5:51 Uhr, die Durchführung der Atemalkoholkontrolle um 6:18 Uhr und ein Beginn der polizeilichen Maßnahmen um ca. 6:15 Uhr sowie fünf Minuten Einschlafzeit zugrunde zu legen, mithin ein Ende eines denkbaren Nachtrunks um 6:10 Uhr.

28Der Geheimschutzbeauftragte sei zu Recht davon ausgegangen, dass zwar nicht die Trunkenheitsfahrt selbst, wohl aber selbstständig tragend die mehrfachen unwahren Angaben im Sicherheitsüberprüfungsverfahren Zweifel an der Zulässigkeit des Antragstellers begründeten. Aufgrund des Beharrens des Antragstellers auf der Schutzbehauptung des Nachtrunks könne auch weiterhin keine positive Prognose gestellt werden.

29Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Gründe

30Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.

311. Der zulässige Antrag ist begründet. Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos ist rechtswidrig (vgl. § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 1 WBO).

32a) Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Vorlage des Antrags (stRspr, vgl. z. B. 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 Rn. 35). Bis zu diesem Zeitpunkt können in Ergänzung der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten und mit dessen Zustimmung tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos, einschließlich der dabei zu treffenden Prognose, in das Verfahren eingeführt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WDS-VR 7.07 - juris Rn. 23, vom - 1 WB 47.13 - juris Rn. 29 und vom - 1 WB 3.19 - juris Rn. 22).

33b) Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit ausschließen soll (stRspr, vgl. z. B. 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 Rn. 23 m. w. N.). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle - hier dem Geheimschutzbeauftragten des Bundesministeriums für Verteidigung -, aufgrund einer an diesem Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamtwürdigung des Einzelfalls die ihr übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 SÜG).

34Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, z. B. 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 24 ff. m. w. N.).

35Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko bereits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für einen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SÜG bestehen. Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen (§ 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine "Beweislast", weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht werden wird (stRspr, z. B. 1 WB 58.11 - juris Rn. 30; vgl. auch - BVerfGE 39, 334 <353>).

36c) Nach diesen Maßstäben ist die Feststellung eines Sicherheitsrisikos rechtswidrig. Der angefochtene Bescheid leidet zwar nicht an formalen Mängeln (hierzu aa). Der Sicherheitsbeauftragte und das Bundesministerium der Verteidigung sind jedoch von einem falschen Sachverhalt ausgegangen (hierzu bb).

37aa) Der Geheimschutzbeauftragte des Bundesministeriums der Verteidigung war für die Entscheidung zuständig, weil es sich um eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen handelt (§ 3 Abs. 1 Satz 2 SÜG, Nr. 2418 der Zentralen Dienstvorschrift <ZDv> "Militärische Sicherheit/​Personeller Geheim- und Sabotageschutz" A-1130/3).

38Es war trotz des "Austauschs" der sicherheitserheblichen Erkenntnisse durch den Geheimschutzbeauftragten nicht erforderlich, dem Antragsteller die Möglichkeit zu geben, sich vor der Feststellung eines Sicherheitsrisikos erneut nach § 6 Abs. 2 Satz 1 SÜG persönlich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn neue entscheidungserhebliche Tatsachen in das Verfahren eingeführt worden wären (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 18.21 - NVwZ-RR 2021, 1060 Rn. 35 und vom - 1 WB 26.21 - juris Rn. 31). Die mittlerweile (nur noch) herangezogenen Tatsachen - die Angaben des Antragstellers gegenüber dem MAD bzw. in der persönlichen Anhörung bezüglich des Nachtrunks und die zeitlichen Abläufe - waren aber bereits Gegenstand des Anhörungsschreibens des Geheimschutzbeauftragten vom und von dessen Begründung seiner Entscheidung.

39bb) Der Geheimschutzbeauftragte bzw. das Bundesministerium der Verteidigung gehen jedoch von einem falschen Sachverhalt aus, weil sie keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen haben. Das wäre jedoch erforderlich gewesen, nachdem sich der Antragsteller schon im Strafverfahren auf einen Nachtrunk berufen hatte und diese Sachverhaltsschilderung sowohl gegenüber dem MAD als auch dem Geheimschutzbeauftragten aufrechterhielt.

40Aufgrund des Bestreitens unter Beweisantritt schon im Strafverfahren durften die hier handelnden Stellen - insoweit vom Bundesministerium der Verteidigung zutreffend erfasst - weder aufgrund des Einstellungsbeschlusses des Amtsgerichts I., noch aufgrund des Beschlusses über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis von einer Trunkenheitsfahrt ausgehen. Sie hätten vielmehr weitere eigene tatsächliche Feststellungen im Rahmen einer Sachverhaltsermittlung treffen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 28.11 - juris Rn. 32, vom - 1 WB 35.15 - juris Rn. 36 und vom - 1 WB 16.24 - juris Rn 38). Dabei sind die vorliegenden Erkenntnisse eigenständig auf ihre Belastbarkeit zu überprüfen und eine selbstständige Beweiswürdigung vorzunehmen. Die auf dieser Grundlage getroffenen Feststellungen müssen nachvollziehbar sein. Das ist vorliegend nicht in einem Maß der Fall, das die Behauptung des Nachtrunks ausreichend erschüttern könnte.

41Der Geheimschutzbeauftragte führt in seiner Begründung aus, dass es zweifelhaft erscheine, dass der Antragsteller innerhalb von maximal 25 Minuten, gerechnet vom Anruf der Zeugen bei der Polizei bis zum Eintreffen der Polizei am Parkplatz, derart viel Alkohol getrunken habe, dass er die bei der Blutprobe festgestellte Blutalkoholkonzentration von 1,57 Promille erreicht habe. In seinem Schreiben vom führte er aus, dass ausweislich der Auszüge aus der Strafakte zwischen dem Abparken des Autos und dem Eintreffen der Polizei nicht einmal eine halbe Stunde vergangen sei. Es sei schlichtweg unglaubhaft und widerspreche jeglicher Lebenswahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller in dieser kurzen Zeit eine solche Menge Alkohol konsumiert habe, dass bei ihm eine Blutalkoholkonzentration von 1,57 Promille habe festgestellt werden können.

42Das Bundesministerium der Verteidigung ergänzte dies mit seinem Vorlageschreiben dahingehend, dass es keine Zweifel an einer Trunkenheitsfahrt gebe und der Nachtrunk eine Schutzbehauptung darstelle. Das ergebe sich aus dem zeitlichen Ablauf am Tattag ergebe. Die Schilderungen des Antragstellers widersprächen jeder Lebenserfahrung. Sämtliche objektivierbaren Tatsachen und äußeren Umstände sprächen dafür, dass der Antragsteller eine Trunkenheitsfahrt unternommen habe und sodann auf dem Parkplatz eingeschlafen sei und nicht 25 Minuten nach Trinkbeginn die angesichts der alkoholischen Anflutungswirkung physiologisch kaum darstellbare Atemalkoholkonzentration von 1,39 Promille erreicht habe.

43Diese aus der "Lebenserfahrung" abgeleiteten Annahmen hinsichtlich der Alkoholwirkung, die für die Verneinung des Nachtrunks zentral sind, treffen so jedoch nicht zu. Der Antragsteller gab gegenüber dem MAD an, auf dem Parkplatz "mehrere kräftige Schlucke" Rum der Marke Captain Morgan getrunken zu haben. Dabei handelt es sich um die Behauptung eines Nachtrunks in Form eines Sturztrunks. Beim Sturztrunk wird hastig eine erhebliche Alkoholmenge innerhalb kurzer Zeit getrunken. Der schnelle Anstieg der Blutalkoholkonzentration verursacht dabei eine rasch einsetzende und verhältnismäßig starke Trunkenheit (vgl. Wirth, Kriminalistik-Lexikon, 5. Aufl. 2021, Eintrag "Sturztrunk"). Die Anflutungsphase, also die Zeitspanne während der die Blutalkoholkonzentration nach dem letzten Alkoholkonsum bis zur Erreichung ihres Maximums steigt, beträgt nach aktueller Rechtsprechung von Strafgerichten im Regelfall etwa 30 Minuten bis zu zwei Stunden, wenngleich sie im Einzelfall von Person zu Person variiert und auch unter 30 Minuten liegen kann (vgl. LG Oldenburg, Beschluss vom - 4 Qs 155/22 - juris Rn. 22; LG Itzehoe, Beschluss vom - 14 Qs 9/24 - juris Rn. 13; Hoppe/​Haffner, NZV 1998, 265 <266>).

44Ausweislich der Strafanzeige der Polizei wurde vor der Rücksitzbank - auf der der Antragsteller von der Polizei geweckt wurde - eine zu einem Drittel geleerte Flasche Rum gefunden, wobei keine Aussage über die Flaschengröße getroffen wurde und das wohl durch die Polizei von der Flasche gefertigte Foto (ausweislich der Strafanzeige wurde ein "Bildbericht des PKW sowie der Spuren" gefertigt) sich nicht in den dem Gericht vorliegenden Akten befindet. Der Geheimschutzbeauftragte und das Ministerium haben sich aufgrund der angeführten "Lebenserfahrung" schon nicht damit befasst, ob eine solche Alkoholmenge bei einem unterstellten Sturztrunk die gemessenen Promillewerte hätte bewirken können, was jedoch nicht ausgeschlossen erscheint. Hinzu tritt, dass die beim Antragsteller (wenn auch bei unterschiedlichen Messverfahren) festgestellte Steigerung des Promillewerts von der Atemalkoholkontrolle um 6:14 Uhr zur Blutprobe um 6:59 Uhr die Behauptung des schnellen Nachtrunks stützen könnte. Auch dem sind der Geheimschutzbeauftragte und das Bundesministerium der Verteidigung nicht nachgegangen. Eine vom Antragsteller im Strafverfahren beantragte Begutachtung wurde nicht vorgenommen und auch nicht nachgeholt. Ob bei ausreichender Berücksichtigung der hier genannten Umstände dennoch die Feststellung eines Sicherheitsrisikos möglich gewesen wäre, kann dahinstehen.

452. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:250925B1WB3.25.0

Fundstelle(n):
XAAAK-03390